60 Prozent der Ackerfläche für Tierfutter? Transformation statt ein bisschen Grün durch die GAP
Halb Deutschland wird landwirtschaftlich genutzt: 50,4 % der Landfläche (Stand 2022). EU-weit sind es für 2021 geschätzt 40,0 %. Allein die hohe Flächenrelevanz unterstreicht, dass viele der großen Probleme der Erde nur gemeinsam mit der Landwirtschaft gelöst werden können.
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Sechs der neun planetaren Grenzen sind überschritten – und zur Überlastung aller sechs trägt die Landwirtschaft bei: Integrität der Biosphäre, Klimaerhitzung, Veränderung der Landnutzung, Veränderungen im Süßwasserkreislauf, biogeochemische Flüsse (Stickstoff und Phosphor), neuartige Substanzen wie GVO und Antibiotika. Konsequent also, dass die EU mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ein Drittel ihres Etats in die Landwirtschaft und ländlichen Räume investiert – als Schlüssel zur Problemlösung?
Ökonomie vor Ökologie
Leider nein. Anspruch und Wirklichkeit der EU-Agrarpolitik klaffen weit auseinander. Erhaltung von Landschaften und biologischer Vielfalt, Klimaschutzmaßnahmen, Umweltpflege, Förderung ländlicher Gebiete – diese Ziele wiederholt die Politik gebetsmühlenartig. Aber ein Ziel scheint nach wie vorPrimus inter Pares zu sein: die Einkommenssicherung in der Landwirtschaft. Ohne ein sicheres Einkommen können die Betriebe keine Nahrungsmittel produzieren und keine weiteren gesellschaftlichen Leistungen erbringen. Nur: Lässt es sich noch rechtfertigen, die Ökonomie der Betriebe derart einseitig in den Fokus zu nehmen und die anderen Ziele der GAP sträflich zu vernachlässigen? Eine rhetorische Frage!
GAP fördert mehr dunkelgrüne Maßnahmen
Ein Team des Thünen-Instituts erläutert in dieser Ausgabe die aktuelle „grüne Architektur“ der GAP in der deutschen Umsetzung, die der Umsetzung des Green Deal der Europäischen Kommission dienen soll. Im Fokus steht die Frage: Trägt die Förderperiode 2023 bis 2027 besser als bisher zur Biodiversität bei? Ein Stückweit schon, lautet das Fazit. Biodiversitäts- und Klimaschutz gewinnen als Förderziel sowohl durch die Anzahl der hierfür nutzbaren Förderinstrumente als auch bezüglich der ihr zugedachten Mittelansätze deutlich an Relevanz. Die Länder-Maßnahmen fördern primär dunkelgrüne, anspruchsvollere Inhalte. Dennoch bleibt zu zeigen, dass damit eine höhere Wirksamkeit tatsächlich erreicht wird.
Lösungen nur gemeinsam
Das Kernproblem: Nur eine tiefgreifende Transformation der Agrarsysteme insgesamt wird die Situation der planetaren Grenzen für die Landwirtschaft beantworten können. Lediglich ein paar Blühstreifen und Öko-Anbauflächen mehr bringen viel zu wenig. Konzepte zur Stärkung der Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft einschließlich ihrer Honorierung durch die GAP liegen lange auf dem Tisch. Es braucht eine intelligente Kombination der zielgerichteten Förderung, des Ordnungsrechts und der Einbeziehung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Denn 60 % der Ackerfläche in Deutschland für Tierfutter zu verschwenden und zusätzlich Unmengen Futtermittel aus Brasilien zu importieren kann nicht nachhaltig sein.
Die Transformation wird nur gelingen, wenn alle Beteiligten – allen voran die Landwirtschaft – diesen Prozess aktiv mitgestalten können. Das hat auch das LIFE-Projekt Sandlandschaften in Norddeutschland gezeigt, dessen Ergebnisse wir in diesem Heft vorstellen. Eine Mammutaufgabe, die von zwei Seiten angegangen werden muss: politisch von oben (EU und ihre Mitgliedstaaten), praktisch von unten durch Vorzeigebetriebe. Derer, die sich auf den Weg gemacht haben, gibt es schon einige. Nach der Reform ist vor der Reform: Heute schon heißt es, diesen Wandel für die GAP ab 2028 endlich anzustoßen.
- User_MTg3OTMxNw 08.01.2024 16:45Sehr geehrter Professor Jedicke, sehr geehrte Damen und Herren, folgende provokative Anmerkung von mir als Agrarökonom zu Ihrem Kommentar zum Artikel „60 % der Ackerfläche für Tierfutter? Transformation statt ein bisschen Grün durch die GAP“: „Erst wenn der letzte Acker brach liegt, der letzte Stall verwaist ist und die letzte Weide zum Biotop wurde, werdet Ihr merken, dass 8 Milliarden Erdenbürger nicht von Ideologie satt werden können.“ Es wird auch bei modernsten Methoden der landwirtschaftlichen Flächennutzung keine 100 %ige Nährstoffeffizienz bei der Nutzpflanzendüngung geben. Eine gewisse Eutrophierung bei der Nutzpflanzendüngung von z.B. Stickstoff und Phosphat lässt sich biologisch, agrotechnisch nicht vermeiden, so ehrlich muss man sein. Es wäre schon ein sehr großer Erfolg für die Umwelt, wenn weltweit Nutzpflanzendünger so effizient wie in Deutschland appliziert würde, wobei wir hier in Deutschland ebenfalls noch besser werden können. Ausserdem wird es aus natürlichen Gegebenheiten immer auch landwirtschaftliche Nutzflächen mit Futterpflanzen wie auch Dauergrünland geben, die ausschließlich über den Tiermagen von z.B. Rindern, Hühnern und Schweinen zu Eiern, Fleisch und Milch für die menschliche Ernährung genutzt werden können. Nicht jeder Acker eignet sich ausschließlich zum Anbau von Brotgetreide für die menschliche Ernährung. Ausserdem ist tierisches Eiweiß für die menschliche Ernährung insbesondere für heranwachsende Kinder essenziell und lässt sich nicht durch pflanzliches Eiweiß ersetzen. In der Bundesrepublik Deutschland werden jeden Tag ca. 55 Hektar (gut 73 Fußballplätze) an Kulturlandschaft wie Äcker und Grünland zur permanenten Befeuerung unseres Bruttosozialproduktes bebaut bzw. versiegelt (für die geplante Chipfabrik bei Magdeburg sollen 400 Hektar bester Bördeboden auf Nimmerwiedersehen verbraucht werden). Langfristig würde es bei diesem Verhalten in Deutschland gar keine landwirtschaftlichen Nutzflächen mehr geben. Das ist das eigentliche Problem in Deutschland, was auch die Biodiversität hierzulande bedroht. Wir haben pro Erdenbürger aktuell nur noch ca. 2.000 m2 Fläche zum Anbau von Nahrungsmitteln (tierischer als auch pflanzlicher Herkünfte) zur Verfügung, und es werden immer weniger. Darüber sollten wir uns alle Sorgen machen mit dem Ziel, mit unseren natürlichen Ressourcen sehr viel schonender als derzeit umzugehen und dabei unsere nationale Ernährungssicherheit auch unter dem Gesichtspunkt der Klimaschonung (kurze Wege von Erzeuger zum Verbraucher) zu erhalten. Mit freundlichen Grüßen, Heinrich GrafAntworten
- EckhardJedicke 25.01.2024 22:55Guten Tag, Herr Graf, vielen Dank für Ihre kritischen Anmerkungen. Ideologisch ist mein Beitrag aber keinesfalls – oder sehen Sie das wissenschaftlich fundierte Konzept der planetaren Grenzen als Ideologie? Der Flächenverbrauch ist ein zentrales Problem, aber leider eines von sehr vielen. Wir müssen gerade weg von den eindimensionalen Versuchen der Problemlösung, hin zu einer Gesamtsicht der Herausforderungen und ihrer gemeinsamen Lösung, hin zu Mehrgewinnstrategien, wie sie der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung fordert. Nur so kann die notwendige Transformation des Agrar- und Ernährungssystems gelingen. In der Wissenschaft ist das inzwischen weitgehend Konsens. Dass dieses nur gemeinsam mit der Landwirtschaft, aber eben auch nicht allein durch ihre Interessensvertreter:innen zu leisten ist, ist mir ein zentrales Anliegen. Auch Ihre Disziplin, die Agrarökonomie, muss dabei eine Rolle spielen. Packen wir es an! Viele Grüße Eckhard JedickeAntworten
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