Tier, Tank oder Teller? Resiliente Landwirtschaft statt Tierindustrie
Resilienz beschreibt die Fähigkeit eines Systems, mit Störungen und Veränderungen umzugehen, ohne zentrale Charakteristika und Funktionen zu verlieren. Ein ganz aktuelles Beispiel nicht vorhandener Resilienz liefert das globale Ernährungssystem: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine führt zu einem Ausfall von Getreideexporten, der den Weltmarkt beeinflussen wird. Aufgrund fruchtbarer Schwarzerden liefert die Ukraine bisher 14 % der weltweiten Getreideexporte, Russland weitere 10 %. Die Preise steigen, doch ein Ernährungsnotstand wird in der EU daraus nicht entstehen. Weit gravierendere Folgen erwartet der in Rostock lehrende Agrarökonom Prof. Dr. Sebastian Lakner in Ländern des globalen Südens, etwa Maghreb-Staaten und Staaten in Ostafrika und Asien. Es trifft, wie bei der Klimakatastrophe, also wieder besonders die Ärmsten.
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Der Fleischkonsum muss runter
Ein resilientes Ernährungssystem würde den Ausfall einer Exportnation ausgleichen können, ohne dass Hunger in vielen anderen Ländern der Welt die Folge wäre. Umgehend erschallte der Ruf, die im Greening der EU-Agrarpolitik als Ökologische Vorrangflächen (ÖVF) ausgewiesenen Brachen für den Getreideanbau zu nutzen – gerade mal 1,45 % der deutschen Ackerfläche. Der Vorschlag konnte in Deutschland abgewehrt werden. Er zeigt jedoch, dass die Resilienz von Ernährungs- und Agrarökosystemen im politischen Denken noch nicht angekommen ist. Dazu leisten Brachen einen wichtigen Beitrag, wie der Einbruch der Biodiversität nach Abschaffung der Stilllegungspflicht durch die EU vor 15 Jahren zeigte. Die Schlüsselfrage lautet ganz anders: Ist es ethisch vertretbar, lediglich 30 % der Agrarfläche für die direkte menschliche Ernährung zu nutzen, den Rest jedoch für Futter- und Energiepflanzen? Tier, Tank oder Teller – die Diskussion muss zu einem grundlegenden Wandel der Agrarsysteme führen, verbunden mit einem verringerten Fleischkonsum.
Multifunktional und glokal
Das Thema besitzt eine umfangreiche sozial-ökologische Dimension. Im ersten Hauptbeitrag dieser Ausgabe geht es um Allmendweiden im Biosphärengebiet Schwarzwald als Beispiel einer traditionellen Kulturlandschaft, die im Unterschied zum heute dominierenden großflächig-intensiven Ackerbau und entsprechender Grünlandwirtschaft vielfältige Ökosystemleistungen für die menschliche Gesellschaft erbringt. Maßnahmen sollten am Gesamtsystem ausgerichtet werden, die Entscheidungsebenen gilt es zu vernetzen, die Umsetzung ist finanziell zu unterstützen und es muss eine ergebnisoffene, vernetzende Beratung stattfinden – das sind einige übertragbare Schlussfolgerungen.
So könnte der Weg in eine resiliente Landwirtschaft funktionieren: (1) Multifunktionalität statt einseitiger Fokussierung allein auf handelbare Agrargüter (Futter- und Nahrungsmittel, Biosprit) ermöglichen; (2) die Ökosystemleistungen gleichermaßen wie diese Produktionsgüter honorieren; (3) die Ernährung sichern, indem mehr pflanzliche und weniger tierische Produkte erezugt werden; (4) Glokalisierung als Synthese von Globalisierung und Lokalisierung mit mehr Eigenständigkeit in der Sicherung der Grundernährung schaffen. Das erfordert indes Bewusstsein und Offenheit für Veränderung, bei jeder und jedem Einzelnen von uns. Es gilt,jetzt die Chancen zu ergreifen.
- User_NzEwMzg 19.07.2022 20:25Hallo Herr Jedicke, großartiger Einstieg in das brennende Thema Landwirtschaft, das wohl entscheidend ist für die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Biodiversität auf den Landflächen dieser Erde. Leider ist die Lobby so stark, dass es noch nicht einmal einem grünen Ministerium gelingt eine Agrarwende einzuleiten. Aber die Schwerpunkte von Habeck und Co. liegen wohl woanders. Ein Aspekt am Rande: im vergangenen Herbst konnte ich die Aufstellung der Schutzzäune auf der Brandenburgr Seite der Oder zur Abwehr der Schweinepest beobachten. Fatal für die Tiere vor Ort und die Portemonnaies der Steuerzahler*innen. Und übrigens unglaublich erfolgreich. Vielleicht können sie darüber ja mal in einem Kurzbeitrag berichten. Ja mehr Resilienz ist wünschenswert und weniger fremdschämen für die Treckerkonvois, die sich schon hier im Münsterland mit den armen Kolleg*innen aus den Niederlanden solidarisieren. Wenn die Einsicht in das eigene Handeln aber so gering ist, ja dann wird eine Wende wahrlich schwer. Freundliche Grüße Michael Schwartze, WarendorfAntworten
- EckhardJedicke 24.07.2022 12:13Hallo Herr Schwartze, vielen Dank für Ihren zustimmenden Kommentar! Die Kurzsichtigkeit agrarpolitischer Entscheidungen zeigt sich auch tagesaktuell wieder in Brüssel, wo die EU-Kommission für 2023 von den 4 % ökologischen Stilllegungen und den Kriterien der Fruchtfolge verabschiedet. Das ist extrem kurzsichtig und wird kaum den erhofften Effekt einer erhöhten Weizenproduktion erzielen. Zu Brandenburgs Schutzzäunen gegen die Schweinepest sind mir keine Wirkungsanalysen bekannt - das Gegenteil zum Biotopverbund bewirken sie auf jeden Fall. Es gibt keine Alternative: informieren, diskutieren, lokal gute Beispiele der Zusammenarbeit schaffen, Vorteile resilienter Agrarsysteme kommunizieren, multifunktionale Agrarsysteme neu entwickeln, erproben und ökonomisch attraktiv machen usw. Viele Grüße Eckhard JedickeAntworten
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