Auf ein gutes Jahr 2022 - für Umwelt- und Naturschutz!
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Am 11. Dezember ist der Europäische Green Deal „zwei Jahre alt geworden“. Zwar stehen auch für 2022 noch einige (auch legislative) Initiativen im Rahmen dieser Flaggschiff-Politik seitens der EU-Kommission an. Ich stelle aber die These in den Raum, dass langsam der Fokus weg von den Initiativen der EU-Kommission hin zu den anderen EU-Institutionen, also vor allem dem Parlament und Rat, wandert. Denn diese müssen nun zunächst die vielen noch offenen „Dossiers“ fertig verhandeln. Zeitgleich wird auch die Ebene der EU-Mitgliedstaaten wichtiger. Bei den meisten Vorhaben des Europäischen Green Deals ist nämlich inzwischen längst klar, wohin die Reise gehen soll. Die frisch gekürte Bundesregierung ist daher aufgefordert, schleunigst mit der Umsetzung zu beginnen. Hierfür sollte sie (nein, muss sie gar, der EuGH wacht über die Ergebnisse), soweit aus Gründen des Föderalismus nötig, auch eine stärker steuernde Rolle bei Natur- (und Gewässerschutz-)Themen ergreifen. Ich wünsche mir inständig, dass der versprochene Aufbruch kommt. Bei all den Herausforderungen, die Zeit drängt. Bleiben Sie gesund!
Ampel für Weiterentwicklung der EU
Als der Koalitionsvertrag vorgestellt wurde, interessierte mich mit meiner Brüsseler Brille auch, was sich dort allgemein zur EU wiederfindet. Das Europakapitel im hinteren Teil enthält leider kein eigenes Unterkapitel zum Thema Green Deal. Auch fehlt andernorts ein allgemeines Bekenntnis, den Green Deal zu unterstützen. Hierzu hatte sich das im Oktober beschlossene Sondierungspapier noch bekannt. Aber: Insgesamt verspricht die Bundesregierung, sich für eine stärkere EU einzusetzen. Dies käme auch dem Umweltschutz zugute. So soll die bereits laufende „Konferenz zur Zukunft Europas“ für Reformen der Union genutzt werden. Dabei macht die Ampel auch nicht Halt vor dem schwierigen Thema Vertragsänderungen (gemeint sind die EU-Verträge, die das letzte Mal 2007 geändert wurden). Der Koalitionsvertrag bekennt sich zum Spitzenkandidatensystem und transnationalen Listen für die Europawahl genauso wie zu einem künftigen Initiativrecht des Europäischen Parlaments, insgesamt eine progressive Position zur weiteren Demokratisierung der EU. Das Versprechen, die Arbeit des Rates transparenter machen zu wollen, ist indes nur halbherzig.
Das Fehlen eines allgemeinen Bekenntnisses zum Green Deal wird kompensiert durch Aussagen in den Fachkapiteln. So findet sich im Umweltschutzkapitel, neben der Selbstverständlichkeit, europäisches Naturschutzrecht oder die Wasserrahmenrichtlinie zügig umzusetzen, die Ankündigung, 10 % der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) gemäß der EU-Biodiversitätsstrategie streng zu schützen. Offen bleibt, ob dieses Verständnis auch terrestrisch gilt. Ebenfalls Green-Deal-bezogen ist das Versprechen, sich auf EU-Ebene für verbindliche Regelungen zum Schutz der Böden einzusetzen ein Hinweis auf die jüngst veröffentlichte Bodenschutzstrategie der EU-Kommission. Erwähnenswert ist ferner der Bereich Landwirtschaftspolitik. Hier verspricht die Ampel zum einen, den noch von der alten Bundesregierung entworfenen nationalen Strategieplan anzupassen. Darüber hinaus soll im Hinblick auf die nächste Verhandlungsrunde der GAP in Brüssel ein Konzept vorgelegt werden, um die Direktzahlungen durch zielgerichtete Klima- und Umweltleistungen zu ersetzen.
Ewiggestrige Kämpfe gegen EU-Naturschutzrecht unter dem Deckmantel des Klimaschutzes
Beim Energierat im Dezember in Brüssel zeigte sich wieder mal ein Versuch, Klimaschutzes gegen Naturschutz auszuspielen. Dänemark hatte dort als AOB-Punk ein kurzes Papier eingebracht, welches von der „Koexistenz von Erneuerbaren und Biodiversität“ spricht. Das Wording konnte dahingehend interpretiert werden, dass die ältere EU-Naturschutzgesetzgebung an die „Fit for 55“-Klimaschutzziele anzupassen sei (Link zum Papier unter NuL4061 ). Glücklicherweise scheint der Punkt keine große Diskussion losgetreten zu haben. Klar ist nämlich, dass der auch von den Mitgliedstaaten getragene, im Rahmen der „Better Regulation Agenda“ durchgeführte Fitness Check 2015/2016 die Fitness der EU-Naturschutzrichtlinien bestätigte. Das von Dänemark verwendete Framing verkennt auch, dass es nicht die Erneuerbaren sind, die mit der Biodiversitätskrise konkurrieren, sondern eine Ebene höher die Klimakrise. Da beide Krisen ähnlich existenziell sind, gibt es auch keinen pauschalen Vorrang für die eine oder andere Seite.
EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzprodukte
Das Thema EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzprodukte schlägt derzeit Wellen. Dabei geht es grundsätzlich um die Festlegung, welche Praktiken als nachhaltig einzustufen sind. Die den Rahmen hierfür setzende EU-Verordnung ist bereits seit längerem verabschiedet. In sogenannten „Delegierten Rechtsakten“ werden nun die einzelnen Tätigkeiten genauer bewertet.
Der Rechtsakt zu verschiedenen energie- und klimarelevanten Tätigkeiten ( NuL4061 ) ist Mitte Dezember (nachdem die Mitgliedstaaten keinen Widerspruch formuliert hatten) in Kraft getreten. Aus Naturschutzsicht kritisch ist dort die Einstufung von Bioenergie zur Stromerzeugung als nachhaltig. Für mehr öffentliche Empörung sorgt allerdings das Thema Atom und Gas. Dieses hatte die EU-Kommission auf Druck verschiedener Akteure aus dem Energie-Rechtsakt ausgeklammert, es soll(te) aber gesondert noch am 22. Dezember geregelt werden. Vor allem Frankreich hat offenbar auf höchster Ebene pro Atomkraft lobbyiert. Da es „nur“ um eine Taxonomie für ein freiwillig zu nutzendes Label geht, nicht aber um die Energie-Autonomie der Mitgliedstaaten, ist klar, dass hier auch andere (z. B. militärische) Interessen dahinterstehen. Bitter ist, dass hierdurch der insgesamt recht aufwendige Prozess diskreditiert und der Nutzen der Taxonomie in Frage gestellt wird.
Wichtige Kommissions-Initiativen 2022
Auch dieses Jahr steht noch einiges auf der To-do-Liste der EU-Kommission. Für den Naturschutz besonders relevant erachte ich dabei unter anderem das Thema Pestizidreduktion. Wie bereits verschiedentlich in meinen Kolumnen erwähnt, soll das 50 %-Reduktionsziel der „Farm to Fork-Strategie“ durch eine Anpassung der „Sustainable Use of Pesticides“-Richtlinie erfolgen. Hierbei besteht allerdings die Gefahr, dass zu stark auf technische Lösungen und zu wenig auf einen Systemwandel gesetzt wird (so die Pestizidexperten von PAN Europe, siehe NuL4061 ). Die EU-Kommission plant, den Gesetzesvorschlag am 23. März zu veröffentlichen.
Ebenfalls am 23. März soll nun das Ihnen bekannte Dauerthema veröffentlicht werden. Doch Sie ahnen es: der Rechtsakt mit verbindlichen EU-Renaturierungszielen wurde erneut verschoben. Hoffen wir, dass die EU-Kommission die Zeit sinnvoll nutzt, um ein effektives Regelwerk mit ambitionierten messbaren Vorgaben für die Mitgliedstaaten zu erstellen.
Ganz frisch nehme ich in diese Liste das Thema EU-Bodenschutzgesetz auf. Aus meiner Sicht überraschend erklärte die EU-Kommission nämlich in der am 17. November veröffentlichten Bodenschutzstrategie ( NuL4061 ), bis Ende 2022 einen Gesetzesvorschlag für ein „Healthy Soil Law“ zu veröffentlichen. Details sind bisher kaum bekannt, ich werde das Thema aber weiterverfolgen.
Pandemie wirbelt globalen Biodiversitätsschutz weiter durcheinander
Am 2. Dezember hat das CBD-Sekretariat bekanntgegeben, die für Januar in Genf geplanten Arbeitsgruppentreffen zur Vorbereitung eines globalen Post-2020 Naturschutzabkommens wegen der Corona-Pandemie zu verschieben (Pressemitteilung unter NuL4061 ). Hierdurch dürfte auch der Zeitplan ins Wanken geraten, im Mai in Kunming die finalen Verhandlungen der CBD COP15 durchzuführen. Bitter ist, dass weiter wichtige Zeit verloren gehen könnte, auch wenn ein Verschieben verständlich ist. Ob die Zeit genutzt wird, um aus dem bisher meiner Meinung nach eher unverbindlichen Textentwurf ein stärkeres Abkommen zu schaffen, ist aber fraglich.
Umsetzung Schutzgebietsziele der EU-Biodiversitätsstrategie startet für Mitgliedstaaten
Ich erwähnte es einleitend: So langsam startet die konkrete Umsetzungsphase unter anderem der EU-Biodiversitätsstrategie für die Mitgliedstaaten. Dies gilt beispielsweise für die Schutzgebietsziele (30% der EU, 10% insgesamt streng geschützt). Hier hat die EU-Kommission nun die technischen Kriterien fertiggestellt und Ende Dezember in einem Webinar den „Pledging-Prozess“ eingeleitet. Bis Ende 2022 muss Deutschland also erklären, welchen fairen Beitrag es zu diesem Ziel leisten möchte und welche Gebietskulisse hierfür die EU-Kriterien erfüllt. Zu vermeiden ist in jedem Fall ein Greenwashing, etwa durch pauschales Anrechnen von nicht primär dem Naturschutz dienenden Landschaftsschutzgebieten beziehungsweise durch zu laxe Interpretation des strengen Schutzes.
EuGH wird Auge auf Ampel bezüglich des FFH-Grünlandes haben
Ein kleines (wenn auch bitteres) Bonbon zum Schluss: Am 2. Dezember hat die EU-Kommission angekündigt, Deutschland im Grünland- beziehungsweise Mähwiesen-Verfahren vor den EuGH zu bringen ( NuL4061 ). Aus NABU-Sicht, der das Verfahren 2014 mit einer Beschwerde angestoßen hatte, ist bitter, dass es soweit kommen musste. Aber offenbar hat die Große Koalition mit den Ländern zu wenig getan, um das Verschlechterungsverbot für artenreiches Grünland in FFH-Gebieten umzusetzen. Jetzt liegt es in den Händen der neuen Bundesregierung und dort in denen des Umwelt- und Agrarressorts, gemeinsam mit den Ländern sowohl die Schutzvorgaben umzusetzen als auch hinreichende Fördermittel hierfür bereitzustellen. Vielleicht beschleunigt die Nachricht, dass der EuGH künftig hierüber wacht, ja den Eifer der Akteure. Einen Test für den Aufbruchs- und Gestaltungswillen stellt dieses Verfahren in jedem Fall dar.
Autor
Der Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema EU-Naturschutzrecht.
Dr. Raphael Weyland, NABU, Büroleiter Brüssel
Raphael.Weyland@NABU.de
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