Brüsseler Blick auf Deutschland und nach Marseille
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Notprogramm für die Natur
Es ist der Versuch, das Thema Naturschutz zum einen endlich in den Wahlkampf zu hieven, zum anderen hiermit die künftigen Politikerinnen und Politiker zu konkreten Handlungen zu bewegen. Am 1. September, 25 Tage vor der Bundestagswahl, veröffentlichte der NABU ein „Notprogramm für die Natur. Dieses enthält sieben Forderungsblöcke mit jeweils einer Handvoll von knackigen, konkreten und gesetzgeberisch machbaren Maßnahmen in den Bereichen Renaturierung, Schutzgebiete, Infrastruktur, Landwirtschaft, Meeres- und Waldschutz sowie globaler Naturschutz ( NuL4061 ). Konkret geht es beispielsweise um ein Förderprogramm für Gewässerrandstreifen oder die Dachbegrünung, Qualitätsstandards für Schutzgebiete, Hilfsprogramme für besonders bedrohte Arten oder einen Bundes-Wildtierwegeplan und einen Plan zur Anpassung der Rinderbestände an grünlandbasierte Haltung.
Zur Veröffentlichung organisierte der NABU eine virtuelle Veranstaltung und forderte dort von den anwesenden Politikerinnen und Politikern, sich zu den einzelnen Forderungen zu positionieren. Die Diskussion geriet – auch wegen der Publikumsfragen der rund 100 Teilnehmenden – lebhaft. Zur Begrüßung betonte NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller, dass eine intakte Natur eine „Firewall“ gegen Extremwetterereignisse wie Hochwasser ist. Sodann erinnerte die deutsche Weltbiodiversitäts-Koryphäe Prof. Dr. Josef Settele daran, wie ernst die Lage sei: Insgesamt ist die Aussterberate heute 10-100mal höher als in den letzten 100 Millionen Jahren. Konstantin Kreiser zeigte sich vor dem Hintergrund dieser Warnung verwundert, dass das Thema Biodiversität bei den Parteien weniger im Fokus stehe als das Klima-Thema.
Bei der Veranstaltung mussten vor allem die Politikerinnen und Politiker Dr. Bettina Hoffmann, Carsten Träger und Stephan Stracke Rede und Antwort stehen. Auch wenn alle unterstrichen, dass ihnen die Natur am Herzen liege – beim Hinhören wurden Unterschiede deutlich. So betonte Stephan Stracke mehrfach, was die jetzige Regierung schon erreicht habe, und lobte beispielsweise das Insektenschutzpaket. Hier reagierte NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger und verwies auf den mühsamen Aushandlungsprozess und auch darauf, dass die Artenkrise weit mehr erfordere. Bettina Hoffmann kritisierte, die jetzige Regierung habe nicht genügend erreicht; die Grünen würden viele der NABU-Forderungen unterstützen. Ein erfreuliches Bekenntnis hinsichtlich des Treibers Flächenverbrauch gab auf Nachfrage Carsten Träger: Auch die SPD wolle den § 13b Baugesetzbuch nicht nochmal verlängern – eine Forderung, für die der NABU bereits diese Legislatur gestritten hat. Lebhafte Diskussionen gab es rund um das Thema Agrarförderung. Auch hier beharrte Stephan Stracke vielfach auf dem derzeit geplanten Status quo, wohingegen Carsten Träger die bekannte Phrase „öffentliches Geld nur für öffentliche Leistung““ zitierte, und sich im ersten Schritt für eine stärkere Umschichtung aussprach. Bettina Hoffmann hatte konkrete Vorstellungen zum Thema Renaturierung. Jörg-Andreas Krüger stellte klar, dass es Renaturierung brauche, diese aber nicht in jedem Fall auf eine Nullnutzung hinauslaufe. Zum Abschluss appellierte er daran, dass die Politik die Naturkrise nach der Wahl mit einer neuen Ernsthaftigkeit angehen müsse.
IUCN-Weltbiodiversitätskongress in Marseille und CBD COP 15
Mehr als eine Woche lang kam in Marseille die Naturschutz-„Community“ zum Weltbiodiversitätskongress zusammen. Das physische Treffen wirkte anfangs etwas surreal, nach all der langen Zeit virtueller Meetings. Organisator war IUCN, eine hybride Organisation, bei der sowohl Staaten als auch Stakeholder und (Naturschutz-)Verbände Mitglied sein können.
Das Themen-Spektrum war weit gefächert. Aus meiner Sicht waren unter anderem die Debatten über die globale Biodiversitätsstrategie spannend. Zwar ist der Kongress kein offizielles Gremium, bei dem die Verhandlungen über das „„Post-2020 Global Biodiversity Framework“ geführt werden. Aber da eine gewisse Schnittmenge bei den Akteuren herrschte, stand das Thema selbstverständlich auch beim Kongress mehrfach auf der Agenda. Ansonsten gab es natürlich Gelegenheit zu Austausch und Netzwerken. Etwas politisches Momentum konnte durch Beiträge hochrangiger Politikerinnen und Politiker geschaffen werden. So eröffnete beispielsweise Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Kongress, Beiträge gab es außerdem unter anderem von EZB-Chefin Christine Lagarde und Schauspieler Harrison Ford. Letzterer rief zum unverzüglichen Handeln auf und mahnte, den Luxus einer „perfekten Politik“ könnten wir uns zu diesem Zeitpunkt nicht mehr leisten. Die an den Kongress anschließende Mitglieder-Versammlung stimmte über zahlreiche Motions“ ab, einige von ihnen waren heiß umstritten (z. B. Motion Nr. 75 über „genetic engineering of wild species“). Außerdem wurde ein Abschluss-Manifest verabschiedet, in dem sich die Mitglieder (auch Deutschland) zum Stopp des Verlusts der Biodiversität bis 2030 aussprechen. Zudem gab es seitens verschiedener Akteure zahlreiche Veranstaltungen anlässlich des Kongresses. Der auf den Meeresschutz spezialisierte Partner des NABU-Dachverbands EEB (Seas at Risk) hatte eine Schwimm-Aktion im Mittelmeer mitorganisiert und hierzu den EU-Umweltkommissar Virginius Sinkevicius geladen, um der Forderung nach einem Verbot der Grundschleppnetzfischerei Ausdruck zu verleihen.
Apropos 15. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention (CBD COP 15): Nachdem im Juli der „„Draft One““ des künftigen Abkommens veröffentlicht wurde, steht nun fest, dass die COP 15 zweigeteilt wird. Der Auftakt wird vom 11. bis 15. Oktober virtuell stattfinden, der Abschluss der Verhandlungen soll beim physischen Treffen vom 25. April bis 8. Mai 2022 erfolgen. Nun noch ein genauerer Blick auf den Stand der Verhandlungen der OEWG-3 und den „Draft One“ (siehe hierzu auch den NABU-Blog: NuL4061 ). Einleitend lässt sich festhalten, dass das Verhandlungsdokument an einigen Stellen nachgebessert wurde, beispielsweise enthält es nun ein Ziel zur Wiederherstellung der Natur. Auch wird es im Bereich Umweltverschmutzung etwas konkreter: So soll der Pestizideinsatz bis 2030 um zwei Drittel, Nährstoffeinträge in die Umwelt um die Hälfte reduziert werden. Diese kleinen Erfolge können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass insgesamt das Ambitionslevel eher gesunken ist: Viele Ziele sind weiterhin sehr schwammig formuliert, so dass die Fortschritte sich nicht messen lassen, oder die Ziele sind nicht mit zureichenden Indikatoren hinterlegt. Alles in allem ist der Entwurf daher weiterhin viel zu schwach und unkonkret beim Adressieren der Treiber des Biodiversitätsverlustes. Auch besteht offenbar noch nicht der politische Wille, ein ähnlich verbindliches und vollziehbares völkerrechtliches Regelwerk für den Biodiversitätsschutz zu schaffen, wie es das „Pariser -Abkommen“ im Bereich des Klimaschutzes ist (obwohl dieser Anspruch mehrfach von der Politik formuliert wurde). Ob sich hieran in den nächsten Monaten noch etwas ändert, wird sich zeigen.
Entwicklung der EU-Renaturierungsziele
Noch kurz einen Blick auf die in Brüssel in Erarbeitung befindliche Gesetzgebung. Im Juli hatte die Generaldirektion Umwelt das sogenannte „Impact Assessment“ (Gesetzesfolgenabschätzung) an das „Regulatory Scrutiny Board“ (ein Gremium, das im Rahmen der „Better-Regulation-Agenda“ geschaffen wurde, um die Qualität der Gesetze zu überwachen) übermittelt. Dieses Gremium schickte die Gesetzesfolgenabschätzung nun mit einer negativen Antwort zurück an die Verfasser und bat um Nachbesserung. Die Generaldirektion hofft, die Nachbesserungen im Herbst einreichen und sodann mit dem Verfassen des eigentlichen Rechtstexts beginnen zu können. Nach der derzeitigen Planung soll der Rechtsakt (vermutlich eine Verordnung) am 22. Dezember veröffentlicht werden (ein ehrgeiziges Unterfangen, was durchaus nochmal verschoben werden könnte). Insgesamt scheint das Vorhaben nach dem Verständnis des NABU auf akzeptablem Weg – einige Punkte sind aber noch unklar oder werden kritisch gesehen. Ich kann Ihnen versichern, dass ich an diesem Thema besonders dranbleibe und Sie auf dem Laufenden halte.
Autor
Der Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema EU-Naturschutzrecht.
Dr. Raphael Weyland, NABU, Büroleiter Brüssel
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