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Schmitz' Sternstunden

Fataler Fehlschlag

Der Bahndamm an einem Haltepunkt, den ich betreue, liegt von meinem Wohnort nur wenige Autominuten entfernt. Hier ist der Lebensraum für eine große Zahl von Zauneidechsen. Da sowohl die Gleise als auch die Oberleitung erneuert werden sollen, muss der Bereich eidechsenfrei werden: mein Auftrag.
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Aufgrund des kurzen Anfahrtsweges plane ich genügend Abfangtermine ein. Die Aktion verläuft zunächst planmäßig. Ich bin jedes Mal erfolgreich und kann einige Exemplare vorsichtig umsetzen in eine kleine Reptiliensteinburg aus groben Steinen und größeren Holzstücken außerhalb des extra aufgestellten Schutzzauns. Die Baustelle soll nur eine kurze Zeit in Anspruch nehmen, danach werden die Zäune entfernt und die gesamte Fläche steht den Tieren wieder zur Verfügung.

Nur eine Zauneidechsendame beschert mir Sorgen. Sie hat wenig Verständnis dafür, dass ich sie aus ihrem Domizil entfernen will und huscht jedes Mal, kurz bevor ich sie erwische, in ein nahes Loch, aus dem sie vorwitzig hervorlugt. Fehlt nur noch, dass sie mir eine Nase dreht. Sie bekommt von mir den Namen Elke, mit dem ich sie anspreche, und ich hoffe, niemand belauscht uns bei unseren Gesprächen.

An einem heißen Tag komme ich erst am frühen Abend auf die Fläche. Die Sonne steht tief, auf der Fläche sind einige Tiere zu sehen. Abfangverweigerin Elke liegt entspannt auf ihrem Sonnenplatz. Ich habe mir heute das Ziel gesetzt Elke zu erwischen, da ich gerade sie ungern den Baumaschinen zum Opfer fallen lassen will. Mein Repertoire habe ich durch: Ich habe es mit einer Angel mit Schlinge versucht, mit der meine Kollegen oft Erfolg haben – ich bin dafür viel zu zitterig. Mit der bloßen Hand gelingt es mir gelegentlich, ein Exemplar zu schnappen, wenn es träge vor sich hinträumt. Sehr gute Erfahrungen habe ich mit Keschern gemacht, und auch hier soll einer zum Einsatz kommen.

Elke genießt also die letzten warmen Sonnenstrahlen. Mit mir hat sie offensichtlich nicht mehr gerechnet, denn sie lässt mich nah an sich herankommen. Ich freue mich, denn heute, da bin ich mir sicher, erwische ich Elke. Ich schleiche mich seitlich an die Eidechsendame heran, penibel darauf bedacht, dass mein Schatten nicht auf sie fällt und sie verschreckt. Dann schnelle ich vor und lasse den Kescher runtersausen.

Und … oh nein. Voll auf Elkes Kopf! Mir wird heiß und kalt. Ich stürze zu Elke, und da liegt sie. Schwach, seitlich. Sie hebt ihr kleines Köpfchen, sieht nochmal zu mir auf. Dann fällt ihre Zunge raus und sie erschlafft. Ich könnte mich ohrfeigen. Was habe ich getan! Elke, in der Blüte ihres jungen Eidechsenlebens, dahingerafft, um sie vor dem Tod der Baumaschinen zu retten. Ich trage sie sanft in Richtung Steinhaufen, lege sie ab, und träufle ihr etwas Wasser aus meiner Flasche auf ihre Lippen. Doch es steckt kein Leben mehr in ihr. Elke ist tot. Nun könnte man meinen, dass ich mich mit einem Fuß im Gefängnis befinde, schließlich ist es nach § 39 BNatSchG verboten, wild lebende Tiere zu töten. Aber natürlich besitze ich die erforderliche Ausnahmegenehmigung für die Umsetzung von Zauneidechsen, womit meine unbeabsichtigte Tötung abgedeckt ist. Erbärmlich fühle ich mich trotzdem.

Ich suche Trost bei meinem erfahrenen Kollegen – erfahren, wenn es um das Umsiedeln von Reptilien geht –, indem ich ihn anrufe und ihm vom tragischen Kescherunfall erzähle. Er jedoch ist wenig empathisch. „Ja, das ist blöde, aber was meinst du, wie viele bei mir schon ihre Schwänze abgeworfen haben. Schreibe es im Bericht auf jeden Fall auf die ‚Fangerfolg‘-Seite, ob tot oder lebendig, jedenfalls ist sie nicht mehr auf der Fläche.“ So kann man es auch sehen. Ich allerdings verlasse die Abfangfläche mit einem schweren Herzen, weil ich Elke letztendlich vor den Baumaschinen, jedoch nicht vor dem Tod gerettet habe.

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