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Bericht aus Brüssel

Grüne Geburtstagsgrüße aus Brüssel?

In der aktuellen Ausgabe dieser Kolumne berichte ich über den aktuellen Verhandlungsstand zur EU-Biodiversitätsstrategie anlässlich des einjährigen Jubiläums ihrer Veröffentlichung sowie zum Dauerthema EU-Agrarpolitik. Auch möchte ich auf die neuesten Entwicklungen rund um das EU-Wiederaufbaupaket eingehen und wie dieses zum Bumerang für den Naturschutz in Europa werden könnte.
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 Gemäß der Resolution der EU-Kommission sollen Ur- und gewachsene Wälder geschützt werden.
Gemäß der Resolution der EU-Kommission sollen Ur- und gewachsene Wälder geschützt werden. Julia Schenkenberger
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Europaparlament stärkt Biodiversitätsstrategie

Quasi als Geburtstagsgeschenk hat das Europaparlament der EU-Biodiversitätsstrategie jüngst den Rücken gestärkt. In einer rechtlich allerdings nicht bindenden Resolution begrüßte das Parlament die von der EU-Kommission gemachten Vorschläge und forderte mehrheitlich eine ambitionierte Umsetzung ein. Dass die Positionierung so spät erfolgte, Monate nach dem Umweltrat, lag unter anderem an einem Kompetenzgerangel zwischen den federführenden Umwelt- und Agrarausschüssen. Am Ende konnte sich der Umweltausschuss durchsetzen. Der Konflikt zeigt jedoch auch, wie gespalten das Parlament vor allem bei der Frage zum Verhältnis zwischen Naturschutz und Land- und Forstwirtschaft nach wie vor ist.

Bis zuletzt blieb der Ausgang der Abstimmung spannend. Sowohl der Agrarausschuss sowie eine Gruppe von konservativen, rechtskonservativen und liberalen Abgeordneten hatten eine Reihe von Änderungsanträgen eingereicht, welche den ambitionierten Bericht des Umweltausschusses abgeschwächt hätten. Am Ende sprach sich eine Mehrheit jedoch für den ursprünglichen Bericht aus und damit für einen Flächenanteil von 30 % der EU für Schutzgebiete, einen strengen Schutz auf 10 % sowie von Ur- und gewachsenen Wäldern (Link zur Resolution unter Webcode NuL4061 ).

Die Resolution sendet ein starkes Signal an die EU-Kommission, welche momentan mehrere Gesetzesvorhaben erarbeitet, unter anderem zu verbindlichen Zielen für die Renaturierung von Ökosystemen. Hier wünscht sich das EP eine Vorgabe an die Mitgliedstaaten, 30 % der Land- und Seefläche der EU zu renaturieren. Bei aller Euphorie über dieses Ergebnis handelt es sich jedoch nicht mehr als einen Zwischenschritt. Sobald es um konkrete Gesetze geht, ist es nach wie vor deutlich schwieriger, Mehrheiten für einen ambitionierten Naturschutz zu finden, siehe die Reform der EU-Agrarpolitik.

EU-Agrarpolitik auf der Zielgeraden?

Eines der wichtigsten Instrumente zur Umsetzung der Ziele der Biodiversitäts- sowie der Farm-to-Fork-Strategie ist die Gemeinsame Agrarpolitik der EU, kurz GAP. Sie umfasst noch immer fast ein Drittel des EU-Haushalts und bestimmt maßgeblich mit, wie Landwirtschaft in der EU vonstattengeht. Sie gilt damit als wichtiger Hebel, um die Nachhaltigkeitsziele, die im Green Deal definiert wurden, auf der Fläche umzusetzen. Nach fast drei Jahren an Diskussionen und Verhandlungen steckt der Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene für die Förderperiode von 2023 bis 2027 in der letzten Phase, im sogenannten Trilog. In diesem versuchen Rat (das heißt die Agrarminister als Vertreter der Mitgliedstaaten), EU-Parlament und EU-Kommission, eine gemeinsame Linie zu finden. Die jeweilige Positionierung der einzelnen Gesetzgeber fand im Oktober 2020 mit sehr enttäuschenden Ergebnissen statt (wir berichteten). Deswegen waren die Erwartungen an den Trilog bereits zu Beginn relativ gering, da ein möglicher Kompromiss aus zwei schwachen Positionen nicht gerade vielversprechend ist. Nichtsdestotrotz wird es in den Verhandlungen gegen Ende noch einmal spannend, auch was die künftige Umweltambition der GAP anbelangt.

Eigentlich hatte ich fest damit gerechnet, in dieser Ausgabe darüber zu berichten, wie der endgültige EU-Rechtsrahmen aussehen wird, auf welchem die ebenfalls parallel diskutierte nationale Umsetzung aufbauen soll. Der mit Spannung erwartete „Jumbo-Trilog“ Ende Mai, der die Einigung bringen sollte, wurde jedoch nach zweimaliger Verlängerung nach fast vier Tagen mit Verhandlungen vertagt. Zu groß waren die Differenzen zwischen dem Europäischen Parlament und den Agrarministern, was die künftigen Umweltmaßnahmen innerhalb der GAP anbelangt. Sowohl Rat als auch Parlament hatten sich im letzten Jahr nur für eine zaghafte Reform aussprechen wollen, die weit entfernt davon liegt, was laut Wissenschaft notwendig ist. In den Verhandlungen trat das Parlament zuletzt jedoch deutlich ambitionierter auf als der Rat. Auch die EU-Kommission drängte angesichts der Bedeutung der GAP für den Green Deal auf deutlich mehr Ambition von Seiten der Mitgliedstaaten.

Statt zu einem Abschluss zu kommen, lagen die Nerven blank am vierten Verhandlungstag. Der für den Klimaschutz zuständige Vize-Präsident Frans Timmermans soll Beobachtern zufolge in eine mehrminütige Wutrede verfallen sein. Auch der sonst sehr zurückhaltende EU-Agrarkommissar Wojciechowski fand klare Worte angesichts der Blockadehaltung vor allem auf Seiten der Mitgliedstaaten. Worum ging es jedoch? Eine große Streitfrage war vor allem die Höhe des Mindestbudgets für Umweltprogramme in der sogenannte 1. Säule der GAP. Die Krux: Je höher dieses ausfällt, desto weniger bliebe für die pauschalen Direktzahlungen übrig. Der Rat hatte im Oktober 2020 vorgeschlagen, 20 % für diese sogenannten Öko-Regelungen zu reservieren, das EU-Parlament bestand auf 30 %. Auf den offensichtlichen Kompromiss, das heißt 25 %, wollte sich der Rat nicht einlassen. Stattdessen forderten die EU-Agrarminister immer weitere Ausnahmen und Hintertürchen, die de facto zu einer Quote von lediglich 18 % geführt hätten. Sie gingen damit sogar von ihrer ursprünglichen Position einen deutlichen Schritt zurück, nicht akzeptabel für die Vertreter des Europaparlaments.

Die Vertagung kann auch als Chance begriffen werden. Die zuletzt diskutierten Vorschläge waren aus Naturschutzsicht generell wenig geeignet und weit entfernt von dem, was laut Wissenschaft notwendig wäre. Auch der Ansatz zur Kompromissfindung, immer weitere Ausnahmen von Umweltregeln zuzulassen, muss kritisiert werden. So würde am Ende ein Flickenteppich entstehen, der die Umweltambition schwächen und in der Umsetzung auf dem Feld zu Chaos führen würde. Die Glaubwürdigkeit der EU-Agrarpolitik wäre damit wohl endgültig dahin. Deswegen ist zu hoffen, dass die Verhandler noch einmal in sich gehen, bevor es Ende Juni womöglich zum letzten Showdown kommt.

Kein grüner Wiederaufbau?

In unserer März-Ausgabe hatten wir über die Pläne der Bundesregierung zur Verwendung des deutschen Anteils des 750 Mrd. € schweren EU-Konjunkturprogramms berichtet. Ende April ging der finale Plan fristgerecht zur Genehmigung an die EU-Kommission. Aus Naturschutzsicht ist dieser jedoch eine herbe Enttäuschung. Trotz guter Vorschläge etwa aus dem Bundesumweltministerium enthielt der finale Plan keine einzige Maßnahme, die direkt auf den Schutz der Biodiversität abzielt. Gerade die Renaturierung von Ökosystemen wäre eine Chance gewesen, sowohl die Beschäftigung in ländlichen Gebieten als auch den Naturschutz voranzubringen. Angesichts der kommenden EU-Gesetzgebung mit verbindlichen Renaturierungszielen wäre dies auch die Chance gewesen, mit europäischen Geldern in den Verwaltungen die entsprechenden Strukturen für solche Großvorhaben zu schaffen.

Andere Mitgliedstaaten sind hier weiter. Insgesamt schlagen 20 Regierungen entsprechende Maßnahmen vor. Jedoch lohnt sich auch hier ein genauerer Blick. Zum einen beläuft sich die eingesetzte Summe europaweit nur auf einen einstelligen Milliardenbetrag, das heißt etwa 1 % der Gesamtmittel aus dem Konjunkturpaket. Auch die Maßnahmen selbst sind teilweise von fragwürdiger Qualität. Italien plant etwa ein Investitionsprogramm für digitale Infrastrukturen in Nationalparks und deklariert diese als Maßnahme zum Schutz der Biodiversität. An sich sinnvoll, wenn es etwa um eine verbesserte Kartierung von Ökosystemen oder das Monitoring von Maßnahmen gehen würde. Das Programm scheint jedoch vor allem auf die Infrastrukturen für Besucher abzuzielen, für den Naturschutz also höchstens indirekt ein Gewinn.

Bedenklicher wird es, wenn man auf die andere Seite schaut, das heißt die Investitionen, die nicht direkt auf Klima- und Naturschutz abzielen. Hier findet sich in den Vorschlägen der Mitgliedstaaten eine lange Liste an Projekten, die massive Schäden an Ökosystem vor Ort anrichten können. Italien plant etwa, großflächig in den Straßenbau zu investieren und gleichzeitig existierende Verfahren wie Umweltverträglichkeitsprüfungen in diesem Zusammenhang zu vereinfachen. Slowenien plant mit den EU-Geldern ein Wasserkraftwerk am Fluss Sava, welches massive Auswirkungen auf mehrere Natura-2000-Gebiete in dessen Einzugsbereich hätte. Gerichte vor Ort hatten dieses Vorhaben 2019 bereits aufgrund der gleichen Bedenken gestoppt. Nun soll es unter dem Vorwand des Post-Covid-Wiederaufbaus eine zweite Chance bekommen.

Diese Liste ließe sich lange fortsetzen. Unter anderem die Fraktion der Grünen im Europaparlament hatte in einem Brief an die EU-Kommission eine Reihe von potenziell schädlichen Projekten identifiziert ( NuL4061 ). Fraglich ist, wie die EU-Kommission, welche die nationalen Pläne noch genehmigen muss, am Ende reagieren wird. In der Vergangenheit hat sie auf die Einhaltung des „Do-no-significant-harm“-Prinzips gepocht und gleichzeitig betont, dass die reguläre Umweltgesetzgebung auch für die Wiederaufbaugelder gelten muss. Gut möglich, dass das letzte Wort also noch nicht gesprochen ist. Es braucht jedoch den politischen Willen. Beim deutschen Plan scheint die EU-Kommission inzwischen leider beide Augen zuzudrücken. Sollte sie nicht rechtzeitig aufwachen, sabotiert sie jedoch nicht nur ihren eigenen Green Deal, sondern reißt womöglich bewährte Umweltverfahren gleich mit ein.

Autor

Der Landschaftsplaner André Prescher arbeitet seit 2017 für den NABU in Brüssel, vor allem zur Gemeinsamen Agrarpolitik, zum MFR sowie zum LIFE-Programm.

André Prescher, NABU, Brüssel

Andre.Prescher@NABU.de

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