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OVG Bautzen, Beschluss vom 9. Juni 2020 – 4 B 126/19

Öffentlichkeitsbeteiligung bei FFH-Vorprüfung und FFH-Verträglichkeitsprüfung

Naturschutzvereinigungen sind bereits bei der Durchführung einer FFH-Vorprüfung beziehungsweise FFH-Verträglichkeitsprüfung zu beteiligen. Die Regelung des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG, wonach ihnen erst im Rahmen der Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben ist, ist nicht mit Art. 6 der Aarhus-Konvention vereinbar.
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Bei Natura-2000-Gebieten sieht das Bundesnaturschutzgesetz eine Beteiligung anerkannter Naturschutzvereinigungen nur dann vor, wenn ein Projekt trotz negativer FFH-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP) im Rahmen einer Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG genehmigt werden soll. Dagegen regelt Art. 6 Abs. 3 der FFH-Richtlinie, dass die Behörden auch bei einer Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura-2000-Gebiets vor ihrer Zustimmung zu einem Plan oder Projekt gegebenenfalls die Öffentlichkeit anhören. Ebenso begründet die Aarhus-Konvention in Art. 6 Abs. 1 Buchst. b AK eine Pflicht zur Öffentlichkeitsbeteiligung für alle geplanten Tätigkeiten, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urt. v. 8.11.2016 – C-243/15, Rdnr. 45) hat bereits 2016 entschieden, dass Art. 6 Abs. 3 FFH-RL in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Buchst. b AK zu lesen ist. Damit haben Umweltschutzorganisationen ein Recht, bei Entscheidungen über Projekte und Pläne, die ein Natura-2000-Gebiet einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, beteiligt zu werden. Das Gericht hat in diesem Urteil weiter ausgeführt, dass aus Art. 6 Abs. 3, 4 und 7 AK hervorgeht, dass die Öffentlichkeit unter anderem das Recht zur „effektiven … Beteiligung während des umweltbezogenen Entscheidungsverfahrens“ hat. Die Beteiligung beginnt „frühzeitig“, das heißt zu einem Zeitpunkt, zu dem alle Optionen noch offen sind und eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden kann“ (vgl. EuGH, Urt. v. 8.11.2016 – C-243/15, Rdnr. 46).

Der EuGH hat in seinem Urteil deutlich gemacht, dass sich dieses Beteiligungsrecht bei der in Art. 6 Abs. 3 FFH-RL geregelten FFH-VP sowohl auf Anträge auf Beteiligung an Genehmigungsverfahren als auch auf die Beurteilung der Erforderlichkeit einer FFH-VP (FFH-Vorprüfung) oder die Richtigkeit der aus einer solchen Prüfung gezogenen Schlussfolgerungen in Bezug auf die Risiken des Projekts oder Plans für ein solches Gebiet erstreckt. Zudem besteht das Beteiligungsrecht unabhängig davon, ob eine Entscheidung selbständig erfolgt oder ob sie in eine Genehmigungsentscheidung integriert ist (EuGH, Urt. v. 8.11.2016 – C-243/15, Rdnr. 56).

Vor dem OVG Bautzen ging es um die Frage, ob Sanitärhiebe zur Entfernung von durch das Eschentriebsterben betroffenen Bäumen in einem Auwald als Projekt im Sinne der FFH-Richtlinie einzustufen sind, sodass die Durchführung einer FFH-VP erforderlich ist, und ob der klagenden Naturschutzvereinigung in diesem Fall ein Beteiligungsrecht zusteht. Unter Bezugnahme auf die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach selbst Maßnahmen der „ordnungsgemäßen Land- und Forstwirtschaft“ in der Regel als Projekte einzustufen sind (u.a. EuGH, Urt. v. 7.11.2018 – C-293/17 und C-294/17; EuGH, Urt. v. 17.4.2018 – C-441/17) befand das OVG, dass die geplanten Sanitärhiebe im Auwald ein solches Projekt darstellen. Im Unterschied zu den im vorliegenden Forsteinrichtungswerk und im Managementplan des Natura-2000-Gebiets festgelegten sonstigen forstwirtschaftlichen Maßnahmen, die unter anderem auf die Herstellung eines altersgemischten Waldes abzielen, dienten die Sanitärhiebe nicht der Gebietsverwaltung, so das Gericht. Sie stellen damit also keine von der FFH-VP-Pflicht befreiten Maßnahmen dar, die zur Erreichung der Erhaltungsziele des Natura-2000-Gebiets durchgeführt werden. Daher hätte eine FFH-VP unter Beteiligung der klagenden Naturschutzvereinigung erfolgen müssen, was nicht geschehen ist. Infolgedessen verfügte das OVG Bautzen im Wege einer einstweiligen Anordnung, dass keine Sanitärhiebe innerhalb des Natura-2000-Gebiets durchgeführt werden dürfen, bevor nicht eine FFH-VP unter Mitwirkung der Naturschutzvereinigung nachgeholt wurde.

Die Regelung des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG, wonach ein Mitwirkungsrecht nur besteht, wenn nach einer negativen Verträglichkeitsprüfung eine Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5 getroffen werden soll, wäre, zumindest in Fällen, in denen – wie hier – keine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde, geeignet, die Beteiligungsrechte der Naturschutzverbände in ihrer Wirksamkeit zu vereiteln, zumindest aber zu erschweren, so das Gericht. Vor der Entscheidung des EuGH (C-243/15) hielt das Bundesverwaltungsgericht (z.B. Urt. v. 10.4.2013 – 4 C 3.12, Urt. v. 1.4.2015 – 4 C 6.14) es im Hinblick auf die Beteiligungsrechte für ausreichend, wenn diese entsprechend der Regelung des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG erst bei einer Abweichungsentscheidung gewährt würden. Denn, so das Argument seinerzeit, die Verbände könnten sich auch nachträglich Gehör verschaffen, indem sie Rechtsschutz in Anspruch nehmen und geltend machten, die Behörde habe den Plan oder das Projekt ohne eine Abweichungsentscheidung zugelassen oder durchgeführt und damit Mitwirkungsrechte unterlaufen. Wie das rechtlich bindende EuGH-Urteil C-243/15 gezeigt hat, ist diese Sichtweise nicht europarechtskonform; vielmehr ist auf Pläne und Projekte Art. 6 Abs. 1 Buchst. b AK anzuwenden und es hat nach Art. 6 Abs. 2 AK eine frühzeitige Beteiligung der Naturschutzverbände zu erfolgen. Dass dieses Beteiligungsrecht bereits auf der Ebene der FFH-Vorprüfung beginnt, ist vor allem dann von Bedeutung, wenn aufgrund der dabei vorgenommenen überschlägigen Abschätzung eine FFH-Verträglichkeitsprüfung für nicht erforderlich gehalten wird. Unterbleibt die Beteiligung, so eröffnet Art. 9 Abs. 2 AK die Möglichkeit, sie gerichtlich einzuklagen.

Auch bei Projekten, die nach § 34 Abs. 6 BNatSchG einer Anzeigepflicht bei der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde unterliegen, ist die Öffentlichkeit zu beteiligen, bevor die Behörde ihre Entscheidung trifft. Erfolgt die Entscheidung nicht innerhalb eines Monats, darf mit dem Projekt begonnen werden. Es liegt auf der Hand, dass diese Zeit zu knapp ist, um eine angemessene Beteiligung von Naturschutzvereinigungen sicherzustellen. Um die europarechtlichen Vorgaben einhalten zu können, wird die Behörde regelmäßig von der Möglichkeit Gebrauch machen müssen, die Durchführung des Projekts zeitlich zu befristen oder anderweitig zu beschränken.

Bei Projekten, die von einer Behörde durchgeführt werden, besteht nach § 34 Abs. 6 BNatSchG keine Anzeigepflicht, sie müssen aber jedenfalls vor dem geplanten Projektbeginn einer angemessenen Öffentlichkeitsbeteiligung unterzogen werden.

Autoren

Dr. Ralf Petercord

Ass. jur. Jochen Schumacher und Dipl.-Biol. Anke Schumacher arbeiten am Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Das Institut ist interdisziplinär orientiert und befasst sich insbesondere mit Fragestellungen, die sowohl naturschutzfachlich-ökologische Aspekte als auch (umwelt- und naturschutz-)rechtliche Problemstellungen aufweisen.

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