Orkan in Deutschland und Ruhe in Brüssel
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Konferenz zur Zukunft Europas gestartet
Jenseits der EU-Blase wurde es vermutlich kaum wahrgenommen, deutsche Medien berichteten wenig über den Europatag, und auch der vor allem virtuelle Charakter der Auftakt-Veranstaltung dürfte bei der herrschenden „Zoom-fatigue“ nicht für Zuschauer-Euphorie gesorgt haben. Am 9. Mai startete offiziell die Konferenz zur Zukunft Europas (gemeint ist vor allem die Zukunft der Europäischen Union). Die Konferenz(-serie) soll insgesamt rund ein Jahr dauern und mit einer Veranstaltung im ersten Halbjahr 2022 abgeschlossen werden. Nachdem es nun mehr als ein Jahrzehnt still war rund um die Fortentwicklung der EU und den Integrationsprozess insgesamt, soll diese Konferenz mögliche Reformprozesse vorbereiten. Hierauf hatten sich die EU-Institutionen schon vor einiger Zeit verständigt. Thematisch werden unter anderem auch die Bekämpfung des Klimawandels und Bewältigung der ökologischen Herausforderungen, aber auch Querschnittsthemen wie die Stärkung demokratischer Prozesse diskutiert.
Alle Bürgerinnen und Bürger haben über eine Online-Plattform die Möglichkeit zur Beteiligung, außerdem sind verschiedene Bürgerforen in Planung, sowohl auf EU- als vor allem auch auf Ebene der Mitgliedstaaten ( NuL4061 ). Ausgewählte Mitglieder sollen dann im Plenum bis Frühjahr 2022 auf Konsensbasis Vorschläge entwickeln, die dem politischen Exekutivausschuss der Konferenz übergeben werden. Das End-„Produkt“ wird vermutlich ein Bericht mit hoffentlich konkreten Empfehlungen sein. Vor allem der NABU-Dachverband EEB setzt sich dafür ein, dass die Stimme der Zivilgesellschaft nicht zu wenig Gehör findet bei der Konferenz ( NuL4061 ).
Für den NABU als ein auf EU-Ebene tätiger Natur- und Umweltschutz-Akteur ist zum einen wichtig, dass grundlegende Forderungen diskutiert werden (können), die unter Umständen auch Vertragsänderungen notwendig machen. Auch wenn die EU teils – etwa beim Lobbyregister oder einzelnen Fragen der Gesetzgebungstransparenz – tendenziell besser dasteht als einzelne ihrer Mitgliedstaaten und oftmals auch als Deutschland: Verbesserungsmöglichkeiten sehe ich zum Beispiel bezüglich der Transparenz von Trilogverhandlungen und insgesamt hinsichtlich des Agierens des Europäischen Rates. Auch könnte im EU-Vertrag meiner Auffassung nach Klima- und Naturschutz stärker verankert, die Bedeutung von wirtschaftlichem Wachstum indes eingeschränkt werden. Fragezeichen stehen darüber hinaus nach der letzten Europawahl beispielsweise auch bezüglich des Spitzenkandidaten-Systems im Raum. Echte Fortschritte fehlen außerdem im Hinblick auf ein echtes Initiativrecht des Europäischen Parlaments.
Zum anderen ist elementar, dass die Diskussionen auch zu tatsächlichen Veränderungen führen. Die Herausforderungen im Klima- und Naturschutz sind gewaltig. Immer wieder zeigt sich, dass einzelne Verbesserungen nötig sind, zum Beispiel wenn einzelne Mitgliedstaaten ambitionierte Politik blockieren. Bürgerinnen und Bürgern, die sich für die Europäische Union einsetzen und an der Konferenz beteiligen, wäre schwer zu vermitteln, dass ihr Engagement am Ende folgenlos bleibt. Ein weiteres „Weißbuch“ ohne Konsequenzen, wie es beispielsweise die Europäische Kommission unter Jean-Claude Juncker zur Zukunft Europas vorgelegt hatte, kann sich die EU nicht leisten.
Regeln zur „Besseren Rechtsetzung“ überarbeitet
Auch hier werden Sie sich zunächst vielleicht fragen: Was hat die „Bessere Rechtsetzung“ mit EU-Naturschutzpolitik zu tun? Die Antwort ist einfach: Die übergreifenden Vorgaben, wie die Europäische Kommission Gesetze erarbeitet, gelten natürlich auch für Rechtsakte, die (mittelbar oder unmittelbar) dem Naturschutz dienen, also beispielsweise die geplante EU-Renaturierungs-Gesetzgebung. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bei ihrem Amtsantritt angekündigt, den bestehenden „Better Regulation“-Leitfaden zu aktualisieren. Nachdem die Veröffentlichung mehrfach verschoben worden war, präsentierte sie am 27. April nun zumindest die entsprechende Kommissionsmitteilung mit weiteren Details ( NuL4061 ). Brüsseler Umweltverbände waren dabei vor allem auf zwei Aspekte gespannt: zum einen die Umsetzung der von uns seit der Europawahl kritisierten „one in, one out“-Regel und zum anderen die Konkretisierung des Versprechens, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) besser als Leitschnur für die Gesetzgebung nutzen zu wollen.
Das „one in, one out“-Prinzip bildet den Kern der Überarbeitung. Zwar betont die Kommission, dass das Prinzip nicht „mechanisch“ beziehungsweise starr angewandt werden soll. Auch soll eine weitergehende Konkretisierung vermutlich noch im zweiten Halbjahr 2021 folgen beziehungsweise auf das Arbeitsprogramm 2022 der Kommission angewandt werden. Gleichwohl rügen beispielsweise der NABU-Dachverband EEB, dass der Fokus zu stark auf der Reduktion angeblicher „Bürokratiekosten“ liege, wohingegen der Nutzen der Gesetzgebung außen vorbleibe. Auch finden sich keine Schutzmechanismen, um zu gewährleisten, dass zumindest die Initiativen des European Green Deals umgesetzt werden können, ohne nach Gesetzen suchen zu müssen, welche die Kommission im Gegenzug aufhebt.
Wenig konkret wurden leider auch die erhofften Verbesserungen in puncto Nachhaltigkeitsprüfung. Zwar findet sich nun ein Hinweis auf ein Prinzip, wonach Gesetze keine signifikanten Schäden verursachen dürfen („do no significant harm“). Auch sollen sich künftige Gesetze an relevanten SDGs messen lassen müssen. Was dies genau bedeutet, geht aus der kurzen Ankündigung allerdings nicht hervor. Insgesamt überwiegt daher die Sorge, dass im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung auch zukünftig Gesetze nicht bloß nach ihrer klima- oder naturschutzfachlichen Notwendigkeit bewertet und teure Folgekosten des Nichthandelns für die Allgemeinheit nicht hinreichend berücksichtigt werden.
Konkretisierung der EU-Biodiversitätsstrategie schreitet voran
Nun aber doch noch etwas Naturschutzpolitik: Dass die EU-Kommission unter Einbeziehung verschiedener Interessensgruppen derzeit die verbindlichen EU-Renaturierungsziele erarbeitet, hatte ich mehrfach vorgestellt (Mitte Juni soll die Gesetzesfolgenabschätzung fertiggestellt sein). Aber auch andere Unterziele der EU-Biodiversitätsstrategie werden derzeit weiter konkretisiert. Hierzu gehört vor allem der Leitfaden zu den Schutzgebietszielen. Auch hier werden übrigens die auf EU-Ebene tätigen Interessensvertreter (neben den Mitgliedstaaten sowohl Umweltverbände als auch Landnutzer beziehungsweise die Agrar- und Forstlobby) regelmäßig informiert und eingebunden, konkret erfolgt dies über eine Kommissions-Arbeitsgruppe (NADEG).
Derzeit arbeitet die Europäische Kommission jedenfalls die zum Leitfaden-Entwurf erhaltenen Kommentare ein, diese sollen in einem zusätzlichen Treffen im Juni mit den Interessensvertretern diskutiert werden. Die Kommission betonte auf die Kritik einzelner Mitgliedstaaten hin zuletzt mehrfach, dass es sich nur um einen Leitfaden handele, dieser also qua Rechtsnatur unverbindlich sei. Gleichwohl dient der Leitfaden natürlich dazu, die neuen Schutzgebietsziele der EU-Biodiversitätsstrategie, also 30% Schutzgebiete in der EU (10 % streng geschützt), näher zu konkretisieren. Dies ist erforderlich, damit die EU-Mitgliedstaaten (vermutlich zunächst nach einem „Pledge-Verfahren“) mit der Umsetzung der Schutzgebietsziele beginnen können. Klar ist wegen der Festlegung in der Strategie selbst, dass ein besonderer Fokus auf alten Wäldern liegen soll (in diesem Zusammenhang: auch die EU-Waldstrategie dürfte vermutlich Mitte Juni veröffentlicht werden). Klarstellungen dürfte der Schutzgebiets-Leitfaden auch dazu enthalten, welche anderen Maßnahmen („OECMs“ – other effective area-based conservation measures) bei der Berechnung des Schutzgebietsziels berücksichtigt werden dürfen.
Insgesamt könnte meiner Einschätzung nach in Deutschland vor allem die Kategorie der „streng geschützten“ Gebiete weitere Schutzmaßnahmen nötig machen. Aber auch bezüglich der regulären Schutzgebietsfläche ist genau zu analysieren, wo Bund und Länder derzeit stehen und wo Nachbesserungen nötig sind. Dabei sollte Deutschland nicht der Versuchung erliegen, bezüglich der Kriterien beliebig zu werden. Genau hier dient der EU-Leitfaden dann als einheitliche Richtschnur. Die Schutzgebietsarbeit ist übrigens auch vor dem Hintergrund der globalen Naturschutzverpflichtungen geboten. Schon jetzt ist absehbar, dass die in Kunming zu verabschiedende Biodiversitätsstrategie einen Fokus auf das Schutzgebietsziel legen wird (als Datum für die CBD COP15 wurde der 11.–24. Oktober kommuniziert). Doch davon ein anderes Mal.
Autor
Der Rechtsanwalt und Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema EU-Naturschutzrecht.
Dr. Raphael Weyland, NABU, Büroleiter Brüssel
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