Altlasten, Altablagerungen und Müllkippen in Kulturlandschaften und Naturschutzgebieten
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Spots aus Jena/Thüringen: Als wir vor vielen Jahren bei einer Wanderung plötzlich im geschütztesten Landschaftsbestandteil „Thalstein“ standen, ohne dass uns der Naturschutzstatus bewusst war, sahen wir in der Krume überall alte Sanitärartikel, Spielzeug, Altablagerungen aus Wellbeton und Hausmüll herumliegen. In Löchern im Boden sah man auch in 20 cm Tiefe Reste von Spritzen und Flaschen.
Auf der NABU-Naturerbefläche „Windknollen“ finden sich dem NABU unbekannte zahlreiche Altablagerungen, alte Schützengräben mit Resten einstiger Nutzung, Müllgruben mit Siedlungsmüll, Kampfmittelreste. In Gruben und kleinen Steinbrüchen liegen Müllkippen, die noch heute mit Ästen nur abgedeckt werden. In den Grenzbereichen des neuen „Wildniswaldes Voigtholz“ am Jägerberg liegen militärische Altlasten in den Hängen und Geländefalten. In der Staustufe eines Baches sind in einem Meter Tiefe Reifen zu sehen. Schon an der Oberfläche fällt auf, dass der Wald früher die Müllkippe für alles war. Geht man an den Hangkanten um die Hochfläche entlang, wird deutlich, dass der gesamte Berg eine riesige Altlastenfläche aus 60 Jahren Militärnutzung ist. Seit vielen Jahren schon überdeckt eine ansässige Firma das Gebiet auf der Bergkuppe mit Bodenmaterial.
Im Jenaer Forst liegen rund um das geplante Naturschutzzentrum „Schottplatz“ eine sanierte Industriealtlast, vermüllte Überreste von Arbeiter- und Kriegsgefangenenlagern und viele Müllgruben und Altablagerungen. Um ein renaturiertes Kasernengelände herum sind noch die Müllkippen der 1990erJahre anzutreffen, wie sie verlassen wurden: Scherben, Asbest und wahrscheinlich Kampfmittelreste.
In einem großen Steinbruch im Jenaer Süden ist das Betreten eigentlich aus Naturschutzgründen untersagt. Dennoch werden eine hohe Besucherzahl und Kindergartengruppen geduldet. Das dortige Gelände ist auch Altlastenfläche und Altstandort: zuerst Abbau-, dann Kampfgruppengebiet. Die Gebäude wurden abgetragen und das Gelände beräumt. Man findet Schwellenreste und Flächen voller Hülsen von Gewehrmunition, Vergrabungen von Abfällen verschiedener Art sind sehr wahrscheinlich.
Soweit ein kleiner Ausschnitt eines stundenlang zu referierenden Materials allein zu Jena in Thüringen. In vielen der dem Naturschutz gewidmeten Flächen um Jena liegen Altablagerungen, Altlasten und Abfall des 20. Jahrhunderts. So in Form unbegutachteter und begutachteter Ablagerungen und Bodenbelastungen, asbesthaltiger Gebäudereste, überwachsener Müllkippen und -gruben und so weiter. Bisherige Ausblicke in andere Naturschutzregionen in den neuen Bundesländern, wie in die neuen „Wildniswälder“, in viele 2019/2020 übergebene Naturerbeflächen sowie in bestehende Naturschutzflächen und geschützte Landschaftsbestandteile liefern bisher ähnliche Befunde. In anderen, nicht gewidmeten Naturarealen rund um alle größeren Städte sowie in und um ehemalige Militärareale ist es ähnlich: zugewachsene Altstandorte und Altablagerungen als Haufen oder Halden. Dazu die Müllkippen aller kleineren Orte, oft „Bürgermeisterkippen“ genannt. Daneben noch (Zehn-)Tausende Müllschüttungen und Abfallvergrabungen, die als „Siedlungsreste“ bezeichnet werden. Der Abfall wird dabei oft dem Militär oder Einzelpersonen zugeschrieben, wurde aber oft von der Gesamtbevölkerung entsorgt. Dieser Umgang und auch andere Zustände wie Müllkippenbrände in der DDR-Zeit werden oft erst nach längerem Zeitzeugengespräch erinnert.
In Thüringen beispielsweise sind die Altlasten im „Thüringer Altlasteninformationssystem“ (Thalis) verzeichnet. Es ist ein nicht öffentliches Verzeichnis aller Flächen, auf denen umwelt- und gesundheitsgefährdende Stoffe vermutet oder bestätigt lagern, die gegebenenfalls im die Umwelt emittieren können. Seit Jahren nimmt die Zahl der Einträge ab, von ungefähr 17.000 im Jahr 2003 auf zirka 11.000 im Jahr 2019. Viele Altstandorte, Kippen und Kanalverfüllungen sind nach Prüfung als ungefährlich zu betrachten, da nur punktuell gefährliche Stoffe gefunden wurden, sie in der derzeitigen Lage keine Auswirkungen haben, oder da momentan keine Übertritte ins Grundwasser gemessen werden. Einige Standorte mussten infolge der Emissionen „saniert“ werden. Ein Teil der Müllkippen und alle Müllgruben sind darin nach einer ersten Einsichtnahme nicht einzeln erfasst, manche Standorte sind verschoben abgebildet. In Gesprächen mit Umweltamt und Beteiligten wird deutlich, dass „Sanierungen“ häufig nur Verfestigungen und Abdeckungen von Altlastenflächen beinhalten, also zeitlich begrenzte Sicherstellungen sind. Ungefährliche Altlasten werden optisch im Altlastenverzeichnis grün markiert. Ob sie damit aus der Zählung fallen, weil sie den Status „saniert“ haben, ist offen. Abdeckungen solcher Flächen und Müllkippen finden sich überall. Manche alte Deponien sind rundherum abgedeckt, andere nur oberflächlich planiert, wieder andere sind unbedeckt. Alle aber sind öffentlich meist unbekannt und spätestens nach einer Generation, nach etwa 25 Jahren, vergessen. Wie lang eventuelle Auflagen zur Flächennutzung im Bewusstsein bleiben, bevor durch Bodeneingriffe Schwermetalle, Arsen, Quecksilber, Asbestfasern und anderes mehr zum Menschen gelangen, ist offen. Asbestfasern zumindest sind nach mehreren Jahrzehnten fast unverändert. Asbestverdachte finden sich in meiner Forschungsregion überall, aber keine Wahrnehmung der Problematik.
Wie kommt das? In öffentlichen Medien von Zeitung über Fachbuch bis zum Imagefilm sieht man nur positive Naturbilder. Das liegt natürlich an den zahlreichen positiven Effekten der Natur auf den Menschen. Es ist nachgewiesen und ausreichend publiziert, dass Naturerfahrung positive Auswirkungen auf den Menschen hat. Schon das Sehen von Naturbildern hat beruhigende Effekte auf Blutdruck und Puls. Das Bewegen im Naturraum steigert das psychische Grundgefühl, fördert bessere Selbstkonzepte, erhöht die empfundene Selbstwirksamkeit und mehr. Es ist aus meiner Sicht nachweisbar, dass Natur und Kulturlandschaft Teil der Identität sind und daher auch möglichst unbedenklich und attraktiv sein sollen.
Berichte und Narrative zu Natur enthalten immer gleiche typisierte Elemente: Blattgrün, Rindenbraun, Tiergesicht, Menschenlachen, Himmel und ein Weg. Ungefähr 95 % aller Bildinhalte jeder Naturzeitung bestehen daraus. Manche Elemente werden, unter anderem mit der Widmung zahlreicher „Wildnisse“ und „Naturparke“, fast ikonisiert, ein empirisch erfassbarer und kulturwissenschaftlich bekannter Vorgang. In der Beschreibung der Natur, also in Sprache und Bildern über Tiere, Pflanzen und Naturräume, sind immer auch religiöse, europäische Paradiesvorstellungen sowie Aspekte der menschlichen Gesellschaftsordnung unbewusst eingewoben.
Die menschlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten sind pädagogisch beeinflussbar. Was man heute im Naturraum überhaupt sehen kann, wurde wesentlich durch die Bilder über Natur der letzten 25 Jahre geformt. Für mögliche Umweltgefahren aus der Vergangenheit stehen meist beispielhaft die Chemie- und Uranzentren der ehemaligen DDR. Wie Altablagerungen aussehen, wird nicht oder nur selten gezeigt, über Altlasten wird nur bei Sanierungen berichtet. Vielleicht ein Hintergrund dafür, dass auch Mitglieder der Umweltverbände oder Biologen die Anzeiger von möglichen Bodenbelastungen in den Schutzgebieten nur selten sehen können. Dass alle industriellen Städte und Gemeinden ausgedehnte Altlastenbereiche und Müllkippen haben, dass unzählige Tongruben und Steinbrüche, Täler und Waldränder zu Abfallorten wurden, wird nicht genannt. Umwelt- und Naturpädagogik könnte durch das öffentliche Bewusstmachen dieser Vorgänge zwar unangenehme, aber schlagkräftige Argumente erhalten. Denn so könnte gezeigt werden,
(1) wie viele Abfälle und Industriealtlasten anfallen, wenn man gut leben und konsumieren will,
( 2 ) wie sehr Bilder von Natur Umweltbelastung und Altlasten überschreiben und
( 3 ) lässt sich verdeutlichen, wie viel Müllberge wir aktuell produzieren, die wir auch nicht sehen wollen.
Kontakt
Lars Polten (Jena, Thüringen) absolvierte Ausbildungen als Augenoptiker und Landwirt und studierte und promovierte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Fach Volkskunde/Empirische Kulturwissenschaft. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind: Biografie- und Erzählforschung, Kulturlandschaft, Spaziergangswissenschaft, Garbologie, Wandern/Outdoor.
Internet: www.natur-wildnis-altlast-jena.de www.polten-wanderwelten.de
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