EU-Impulse trotz Corona
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Katastrophale „Weiter wie gehabt“-Beschlusslage in der GAP
Um mit der unschönen Nachricht anzufangen: Der „heiße Herbst“ war im Hinblick auf die Entscheidung der Ko-Gesetzgeber in Brüssel zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) eine herbe Enttäuschung. Aber noch ist der finale Deal im sogenannten Trilog nicht unterzeichnet.
a) Position des Rates Am 19. Oktober kamen die Landwirtschaftsministerinnen und -minister zum Agrarrat zusammen und beschlossen rund 48 Stunden später ihre Verhandlungsposition für den Trilog. Zwar war aufgrund der vorausgegangenen Debatte nicht viel Ambition zu erwarten gewesen, aber dass die den wegen der deutschen Ratspräsidentschaft die Verhandlungen führende Julia Klöckner das Ergebnis als „Systemwechsel“ verkauft, ist schon Verbrauchertäuschung.
Insgesamt fällt die Ratsposition hinter die schwachen Vorschläge des damaligen Agrarkommissars Phil Hogan zurück. Bei den nicht-produktiven Flächen sollen Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer nationalen Programmierung beispielsweise wählen dürfen zwischen den bisherigen Regeln der ökologischen Vorrangflächen oder 3 % echten „Space-for-Nature“. Zur Erinnerung: Die Wissenschaft und die EU-Biodiversitätsstrategie fordern mindestens 10 % dieser biodiversitätsreichen Elemente in der Agrarlandschaft. Leider hat sich der Rat auch dazu entschieden, große Gruppen von Landwirten pauschal von dieser Auflage zu befreien, was deren Wirksamkeit weiter schmälert.
Bei der Finanzierung konnten sich die Minister nur auf einen Anteil von 20 % für die Öko-Regelungen (Eco-Schemes) in der 1. Säule einigen. Der NABU hatte hier mindestens 50 % gefordert. Inhaltlich gibt der Rat kaum Kriterien vor. Damit fehlen Garantien, dass mit diesem Geld ambitionierter Umweltschutz betrieben wird. Bei der Rolle des European Green Deals für die Agrarpolitik konnte sich der Rat nicht einmal auf ein Lippenbekenntnis einigen. Auch in der 2. Säule sind keine Fortschritte sichtbar. Beispielsweise sollen die Ausgleichszahlungen voll auf das Umweltbudget anrechenbar sein, welches auf dem Niveau von 30 % verbleibt. Aufgrund des kleineren Gesamthaushalts für die 2. äule droht hier deswegen sogar ein Rückschritt.
b) Position des Europäischen Parlaments Anders als erhofft hat das Europäische Parlament ein paar Tage nach der Entscheidung des Rats ebenfalls nicht für einen Ambitionsschub gesorgt. Mitursächlich hierfür dürfte das gewählte Vorgehen der drei großen Fraktionen (EVP, S&D und RENEW) sein. Diese hatten trotz der bestehenden Übergangszeit von zwei Jahren einen Hauruck-Deal angestrebt, um interne Fraktionsdifferenzen zu vermeiden. Hierdurch wurde jede inhaltliche Debatte abgewürgt, über viele Änderungsanträge erst gar nicht abgestimmt. Zusätzlich griffen Abgeordnete zu Verfahrenstricks. So wurden die Abstimmungszeitpunkte mehrfach vorverlegt, Abstimmungsempfehlungen und Übersetzungen lagen nicht immer vor. Insgesamt konnten sich die Abgeordneten in den rein virtuellen Plenarsitzungstagen kaum koordinieren. Im Ergebnis hat sich das Europäische Parlament in seiner Position trotz einzelner Verbesserungen etwa bei der Einhaltung einer Fruchtfolge für eine generelle Absenkung der verpflichtenden Umweltstandards im Vergleich zum Kommissionsvorschlag ausgesprochen. Bei der wichtigen Frage nach dem Anteil nicht-produktiver Flächen geht das Parlament nicht über die bisherigen Greening-Regelungen hinaus. Dabei haben Wissenschaftler und auch die EU-Kommission das Greening in den vergangenen Jahren für gescheitert erklärt. Bei freiwilligen Umweltleistungen im Rahmen der Öko-Regelungen verlangt das Parlament zwar, dass zukünftig die Mitgliedstaaten 30 % der 1. Säule für diese reservieren müssen, gleichzeitig sollen die Mitgliedstaaten jedoch für die bisherigen Direktzahlungen mindestens 60 % verwenden. Wegen weiterer Pflichtausgaben bedeutet dies, dass ambitionierte Mitgliedstaaten kaum über 30 % für Öko-Regelungen hinausgehen dürfen. Auch bei der Qualität bleiben Fragezeichen. Schlupflöcher könnten dazu führen, dass viel Geld in „hellgrünen“ Maßnahmen verschwindet oder bereits existierende Praktiken zusätzlich vergoldet, ohne Mehrwert für die Umwelt. Fast komplett gestrichen wurde jeder Verweis zum European Green Deal. Eine Ausrichtung der GAP an den wichtigen Zielen der Biodiversitäts- und der Farm-to-Fork-Strategie wird dadurch schwieriger. Unter anderem fehlt der EU-Kommission so die Möglichkeit, Mitgliedstaaten in die Verantwortung zu nehmen, wenn diese die Ziele etwa zur Pestizidreduktion oder zur Schaffung von Habitaten in der Agrarlandschaft ignorieren.
c) Position der EU-Kommission und Trilog Mit diesen beiden Positionen hat am 10. November die erste Trilog-Sitzung stattgefunden. Dort kommt es jetzt auf die EU-Kommission an. Diese hat die Forderung zahlreicher Akteure, die GAP-Vorschläge zurückzuziehen, zurückgewiesen. Gleichzeitig macht sie deutlich, dass die Positionen der beiden Ko-Gesetzgeber nicht ausreichen, um den European Green Deal zu gewährleisten. Es bleibt also zum jetzigen Zeitpunkt ein großes Fragezeichen, wie Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans grundlegende Verbesserungen erreichen möchte, und ob letztlich nicht doch eine grundlegendere Lösung nötig wäre. Nun sind die nächsten Trilog-Treffen abzuwarten. Es wird vermutet, dass sich die Verhandlungen bis ins Frühjahr 2021 hineinziehen.
Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichendem Grünland-Schutz
Mehrfach hatte die EU-Kommission das Paket mit Vertragsverletzungsverfahren verschoben. Am 30. Oktober war es dann aber soweit, und auch Deutschland wurde bedacht. Im mit „Mähwiesen“ überschriebenen und letztlich auf eine NABU-Beschwerde zurückgehenden Verfahren Nr. 2019/2145 schickte die EU-Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme nach Berlin. Darin fordert sie Deutschland laut Pressemitteilung auf, den Schutz blütenreicher Wiesen in Natura-2000-Gebieten erheblich zu verbessern. Bund und Länder hätten es zugelassen, dass vor allem wegen nicht-nachhaltiger Landwirtschaft die Lebensraumtypen Flachland- und Bergmähwiesen in den letzten Jahren immer kleiner geworden oder ganz verschwunden seien. Deutschland hat nun zwei Monate Zeit, angemessene Maßnahmen zu ergreifen. Andernfalls kann die EU-Kommission Klage beim EuGH einreichen (Pressemitteilung der EU-Kommission unter Webcode NuL4061 ).
Neues Biodiversitäts-Ausgabenziel für den MFR vereinbart
Am 10. November haben die Verhandler von Parlament, Rat und Kommission eine Einigung zum Langfristhaushalt der EU gefunden (Pressemitteilung unter NuL4061 ). Im Trilog zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) vereinbarten sie mit dem Ausgabenziel für Biodiversität auch ein Novum. Dieses vom Europäischen Parlament vorangetriebene Instrument greift eine Idee auf, für die der NABU sich zuletzt stark gemacht hatte. Wir hatten dafür geworben, das Ausgabenziel für Klimaschutz um ein ähnliches Ziel in Höhe von 10 % des MFR für Naturschutz zu ergänzen. Zwar handelt es sich dabei weder um eine Mittelerhöhung des Haushalts noch um einen eigenen Fonds, trotzdem führt ein solches Ziel zumindest dazu, dass die Ausgaben in den verschiedenen Fonds untersucht und aufsummiert werden. Die Hoffnung des NABU ist, dass die dann offensichtlich werdende Finanzierungslücke auch zur Nachsteuerung bei konkreten Politiken führt. Im Trilog wurde nun eine schrittweise Einführung ab 2024 mit 7,5 % und ab 2026 mit 10 % beschlossen. Bis dahin soll die Methodik weiter verbessert werden. Diese ist essenziell, um ein „greenwashing“ zu vermeiden: Nur konkrete Naturschutzleistungen, nicht aber beispielsweise pauschale Direktzahlungen der GAP, dürfen hier aus NABU-Sicht angerechnet werden.
Zum Abschluss ein paar weitere Worte zum Jahresrückblick: Das als Superjahr für die Biodiversität geplante 2020 wurde durch die Corona-Krise stark durchgeschüttelt. Die Arbeiten am globalen Biodiversitätsabkommen unter der Biodiversitätskonvention verzögern sich deswegen. Auf EU-Ebene konnte ein Verwässern der European-Green-Deal-Initiativen aber verhindert werden. Im Mai verabschiedete die EU-Kommission eine ambitionierte EU-Biodiversitätsstrategie – diese wurde beim Umweltrat am 23. Oktober auch von den EU-Mitgliedstaaten vollumfänglich begrüßt. Auch in anderen nicht unmittelbar naturschutzrelevanten Umweltbereichen legte die EU-Kommission ambitionierte Maßnahmen vor, etwa eine Chemikalienstrategie. Daneben treibt sie Vertragsverletzungsverfahren und einzelne untergesetzliche Fachentscheidungen wie das Verbot von Bleimunition in Feuchtgebieten voran. Ein großes Manko bleibt sicherlich die GAP. Hier ist das letzte Wort aber noch nicht gesprochen. Außerdem sind hier vor allem die Mitgliedstaaten und überraschenderweise auch das Europäische Parlament diejenigen Institutionen, die eine echte Transformation verhindern.
Für 2021 als Jahr der Bundestagswahl in Deutschland lautet meine Bitte an Sie, liebe Leserinnen und Leser, daher, sich für einen Green Deal in Deutschland stark zu machen. Bleiben Sie gesund, ich wünsche Ihnen erholsame Festtage!
Autor
Der Rechtsanwalt und Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema EU-Naturschutzrecht.
Dr. Raphael Weyland, NABU, Büroleiter Brüssel
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