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OVG Weimar, Beschl. v. 2.7.2020 – 1 EO 150/20

Rechtliche Anforderungen an eine artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung in Natura-2000-Gebieten

In Natura-2000-Gebieten stellt die Tötung geschützter Tiere ein Projekt dar, das – unabhängig vom Vorliegen der artenschutzrechtlichen Voraussetzungen – einer Prüfung auf Verträglichkeit mit den für das FFH-Gebiet festgelegten Erhaltungszielen zu unterziehen ist.
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Ist der Wolf Zielart eines Natura-2000-Gebiets, so erfordert die Genehmigung zur letalen Entnahme eines Tieres eine FFH-Verträglichkeitsprüfung.
Ist der Wolf Zielart eines Natura-2000-Gebiets, so erfordert die Genehmigung zur letalen Entnahme eines Tieres eine FFH-Verträglichkeitsprüfung.Anke Schumacher
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Im vorliegenden Fall ging es um die Frage, ob eine – nur auf die artenschutzrechtliche Ausnahme des § 45 Abs. 7 BNatSchG und des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BArtSchV gestützte – Abschussgenehmigung für Wölfe (Canis lupus ) in einem Natura-2000v-Gebiet rechtmäßig erteilt wurde.

Das Natura-2000-Gebiet „TÜP Ohrdruf-Jonastal“ weist große Flächen mit FFH-Lebensraumtypen der offenen Grasfluren und Kalk-Halbtrockenrasen auf, zu deren Erhalt eine extensive Schaf- und Ziegenbeweidung durchgeführt wird. Das Schutzgebiet ist zudem der Lebensraum eines ortstreuen Wolfpaares. Das Vorkommen und die langfristige Ansiedlung des Wolfes stellt ein Erhaltungsziel des Natura-2000-Gebiets dar.

Nachdem die Wölfin zahlreiche Ziegen und Schafe gerissen und dabei auch mehrfach mit insgesamt 12 gerissenen Weidetieren den amtlich empfohlenen Herdenschutz überwunden hatte, beantragte das Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz (TMUEN) eine Genehmigung zur „letalen Entnahme“ der Wölfin. Das Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz (TLUBN) erteilte eine zeitlich befristete und auf das Umfeld von Weiden mit aktuellem Weidebetrieb begrenzte Abschussgenehmigung, die mit dem Vorliegen der Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG (Abwendung ernster land-, forst-, fischerei- oder wasserwirtschaftlicher oder sonstiger ernster wirtschaftlicher Schäden) begründet wurde. Gegen diese Genehmigung erhob ein Naturschutzverband Klage und machte im Wesentlichen geltend, dass der beabsichtigte Abschuss der Wölfin und – da beide Tiere optisch nicht eindeutig unterscheidbar sind – gegebenenfalls auch des mit ihr verpaarten Wolfsrüden ein „Projekt“ im Sinne des § 34 Abs. 1 BNatSchG sei, das eine FFH-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP) erfordere. Das VG Gera gab dem Verband Recht, das OVG Weimar bestätigte jetzt das erstinstanzliche Urteil.

Das OVG verweist darauf, dass das Schutzkonzept der FFH-Richtlinie auf den zwei Säulen des Gebietsschutzes (Art. 6 FFH-RL) und des Artenschutzes (Art. 12 FFH-RL) beruht, die trotz ihrer gemeinsamen Zielrichtung (Art. 2 Abs. 1 und 2 FFH-RL) selbständig nebeneinanderstehen. Sie sind in unterschiedlichen Vorschriften jeweils mit eigenem Gehalt und unterschiedlichen Prüfprogrammen geregelt. In einem Natura-2000-Gebiet reicht es daher nicht aus, wenn sich eine Abschussgenehmigung nur auf die artenschutzrechtlichen Ausnahmevoraussetzungen stützt, das Habitatschutzrecht jedoch außer Acht lässt. Anders als für den allgemeinen Artenschutz ist für den Habitatschutz in Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL ein formalisiertes Prüfungsverfahren vorgegeben. Pläne und Projekte, die ein Natura-2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, müssen zuvor einer Verträglichkeitsprüfung unterzogen werden. Bei einem negativen Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung kann das Vorhaben nur bei Vorliegen der Abweichungsvoraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zugelassen werden. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG, der diese gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben umsetzt, sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura-2000-Gebiets zu überprüfen (FFH-VP), wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen und sie nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebiets dienen.

Der Projektbegriff der FFH-RL umfasst alle Vorhaben und Tätigkeiten, die das besondere Schutzgebiet als solches beeinträchtigen könnten. Entscheidend ist die abstrakte Gefährdung des Schutzgebiets, die nicht zwingend bauliche Veränderungen voraussetzt, sondern auch durch die Ausübung sonstiger das Schutzgebiet gefährdender Tätigkeiten (wie zum Beispiel Land- und Forstwirtschaft, Jagd, Fischerei, Tourismus) erfüllt sein kann. Der beabsichtigte Abschuss der im Natura-2000-Gebiet „TÜP Ohrdruf-Jonastal“ residenten Wölfin und unter Umständen auch des mit ihr verpaarten Wolfsrüden stellt unzweifelhaft ein Projekt im Sinne von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und § 34 BNatSchG dar und erfordert somit die Durchführung einer FFH-VP.

Der Verzicht auf eine FFH-VP kann auch nicht damit begründet werden, dass der geplante Wolfsabschuss der „unmittelbaren Verwaltung des Gebiets“ diene. Aus dem Kontext und Zweck von Art. 6 FFH-RL ergibt sich, dass der Begriff „Verwaltung“ eng in dem Sinne auszulegen ist, dass er sich auf die Erhaltungsbewirtschaftung eines Gebiets bezieht. Der genehmigte Wolfsabschuss stellt keine derartige Bewirtschaftungsmaßnahme dar. Auch könne die Tötung eines Tieres einer kraft internationaler und europarechtlicher Übereinkommen besonders geschützten Art, deren Vorkommen und langfristige Ansiedlung zudem als Schutzzweck im betreffenden Natura-2000-Gebiet ausdrücklich benannt sei, keine bloße Verwaltungsmaßnahme sein, weil ansonsten die nach § 34 BNatSchG gebotene Verträglichkeitsprüfung durch eine nicht formalisierte Entscheidung im Rahmen der Erhaltungsbewirtschaftung ersetzt würde, so das Gericht.

Das OVG führt weiter aus, dass die letale Entnahme von Wolfsindividuen die als Schutzziel festgelegte Erhaltung einer langfristig überlebensfähigen Population der ArtCanis lupus verhindern oder zumindest erschweren und damit zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Schutzgebiets in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen führen würde. Mit dem Merkmal der „erheblichen“ Beeinträchtigung wird keine bestimmte Schwere der Beeinträchtigung vorausgesetzt, sondern lediglich die Verknüpfung zu dem konkreten Schutzgebiet und seiner spezifischen Funktion im Rahmen des Netzes Natura-2000 hergestellt (BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 – 9 A 20.05). Unerheblich dürften daher nur Beeinträchtigungen sein, die kein Erhaltungsziel nachteilig berühren. Ausgehend von diesen Maßstäben spricht alles dafür, dass das Vorhaben des TMUEN, durch die Tötung der Wölfin die Jagd auf Nutztiere zu unterbinden, dem durch die Ausweisung als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung konkret bestimmten Schutzzweck des Gebiets zuwiderliefe.

Ob dieser Schutzzweck neben dem Erhalt beziehungsweise der Wiederherstellung der Grasfluren auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz erreicht werden kann, wenn diese Flächen durch Schafe und Ziegen beweidet werden müssen und ob die bisherigen Schutzmaßnahmen für die vorhandenen Herden ausreichen, prüfte das Gericht aufgrund der Rechtswidrigkeit der erteilten Abschussgenehmigung nicht. Es betonte aber, dass angesichts der ausdrücklichen Schutzzweckbestimmung für das FFH-Gebiet nicht davon auszugehen ist, dass der Schutz der prioritären ArtCanis lupus hinter dem Schutz der zur Beweidung der Magerrasenflächen eingesetzten Nutztiere und damit auch hinter den wirtschaftlichen Interessen der Schafzüchter zurückstehen müsse. Auch die Frage, ob die ermittelten Rissschäden an den Nutztieren ein überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne von Art. 6 Abs. 4 FFH-RL, § 34 Abs. 3 BNatSchG begründen könnten, wurde im vorliegenden Gerichtsbeschluss nicht geprüft. Erst wenn die durchzuführende Verträglichkeitsprüfung ergebe, dass das Projekt nach den Maßgaben des § 34 Abs. 2 BNatSchG unzulässig sei, müsse sich das TLUBN im Rahmen einer Prüfung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG mit weiteren von der Beschwerdeschrift des Naturschutzverbands aufgeworfenen Fragen zur Optimierung eines Herdenschutzes befassen, so das OVG Weimar.

Gesetzesänderungen

Hier stellen wir Ihnen die wichtigsten Veränderungen in den den Naturschutz betreffenden Gesetzen und Verordnungen vor. Diese und weitere Änderungen aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz können Sie über Webcode NuL4122 direkt ansteuern.

Bund Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz – WHG), vom 31.7.2009, BGBl. I S. 2585, zuletzt geändert am 19.6.2020, BGBl. I S. 1408

Neu eingeführt wird mit § 38a WHG eine Verpflichtung, bei an Gewässer angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen einen fünf Meter breiten Grünstreifen anzulegen und zu unterhalten, wenn die Flächen eine Hangneigung von durchschnittlich mindestens fünf Prozent aufweisen. Dies soll die Abschwemmung von Düngemitteln in Gewässer zu verhindern.

Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG), vom 29.7.2009, BGBl. I S. 2542, zuletzt geändert am 19.6.2020, BGBl. I S. 1328, 1362

Formale Anpassung des BNatSchG; die veraltete Bezeichnung „Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit“ wurde im Gesetzestext durch „Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit“ ersetzt.

Gesetz zur staatlichen geologischen Landesaufnahme sowie zur Übermittlung, Sicherung und öffentlichen Bereitstellung geologischer Daten und zur Zurverfügungstellung geologischer Daten zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben (Geologiedatengesetz – GeolDG), vom 19.6.2020, BGBl. I S. 1387

Das GeolDG löst das bisherige Lagerstättengesetz ab, dessen Regelungsinhalt konkretisiert und erweitert wird.

Autoren

Ass. jur. Jochen Schumacher und Dipl.-Biol. Anke Schumacher arbeiten am Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Das Institut ist interdisziplinär orientiert und befasst sich insbesondere mit Fragestellungen, die sowohl naturschutzfachlich-ökologische Aspekte als auch (umwelt- und naturschutz-)rechtliche Problemstellungen aufweisen.

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