Kein Meisterstück: MFR-Einigung der Mitgliedstaaten steht
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Der Haushalts-Beschluss des Europäischen Rates
Vom 17. bis 21. Juli tagten die Staats- und Regierungschefs der EU auf einem Sondergipfel zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) und Aufbaufonds. Dieser bestimmt die Politiken und Tätigkeiten der nächsten Jahre in der EU mit. Wie viel Geld beispielsweise mit welchen Bedingungen als Agrarsubventionen fließt, und welche nachhaltigen umweltschutzbezogenen Tätigkeiten (nicht) gefördert werden, hat enorme Auswirkungen auf den Naturschutz, auch in Deutschland. Deswegen hat auch die Umweltverbandsszene diesen Gipfel mitverfolgt.
Der Gipfel selbst war leider nicht von Debatten über die inhaltliche Ausrichtung des EU-Haushalts und Aufbaufonds geprägt. Stattdessen dominierten nationale Egoismen die Verhandlungen. So pochten die „Geizigen Vier“ (die auf fünf Mitgliedstaaten anwuchsen), angeführt vom niederländischen Regierungschef, vor allem auf einen kleinen MFR und Aufbaufonds, und darauf, dass die Aufbaufonds-Gelder als Kredite gezahlt werden. Letztlich interessierte diese Mitgliedstaaten die Ausgabenqualität aber wenig, denn sie nahmen Kürzungen bei den „moderneren“ Haushaltstiteln (Forschung, Gesundheit, Jugend und Umwelt) und ein Beibehalten der hohen Agrarsubventionen in Kauf und zeigten sich mit den für sie ausgehandelten Rabatten zufrieden. Auch die Debatte über die Rechtsstaatlichkeit wurde eher pro forma geführt, tatsächlich ist der ausgehandelte Passus windelweich. Er wird nach Einschätzungen verschiedener Kommentatoren kaum dazu führen, dass Gelder an Mitgliedstaaten zurückgehalten werden, wenn diese grundlegende Werte und Prinzipien der EU verletzen. Frankreich und Deutschland setzten sich vor allem dafür ein, dass es überhaupt einen Aufbaufonds mit echten Geldern gibt, um gemeinsam die Folgen der Pandemie anzugehen Dies ist trotz allem einer der Erfolge des Ratsbeschlusses: Erstmals in der Geschichte erfolgt eine gemeinsame monetäre Adressierung einer derartigen Krise. Alles in allem war dieser „EUCO“ einer der längsten Marathongipfel der EU, bei dem viele der Mitgliedstaaten leider den gemeinsamen Zweck der Union vergaßen, wie er etwa im EU-Vertrag festgeschrieben ist.
Wie sehen jetzt einige Verhandlungsdetails aus, die für den Umwelt- und Naturschutz relevant sind? In Kürze: Ein eigenständiger Naturschutzfonds oder eine entsprechende Zweckbindung etwa von 15–20 Mrd. € jährlich (wie dies als Betrag in der EU-Biodiversitätsstrategie aufgeworfen wurde) findet sich nicht im EU-Haushalt. Die Subventionen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) werden weiterhin zu etwa 2/3 auf Direktzahlungen entfallen (hierfür setzte sich zum Beispiel auch Frankreich immer wieder ein; aber auch Deutschland ist nicht bereit, Gelder im großen Stil umzuschichten oder gar über ein Auslaufen der Direktzahlungen nachzudenken). Der Rest der GAP entfällt auf die zu kofinanzierende Ländliche Entwicklung. Immerhin konnten die von der EU-Kommission angedachten massiven Kürzungen der zweiten Säule etwas reduziert werden. Tatsächlich liegt das künftige Budget nur noch circa 6–9 % statt 28 % unter dem gegenwärtigen Budget. Das LIFE-Programm für den Naturschutz behält in etwa die Größe bei (genauere Zahlen lagen nach dem Gipfel noch nicht vor; LIFE macht aber auch weiterhin gerade mal 0,7 % des EU-Haushalts aus). Das übergeordnete Klimaschutzziel des MFR wurde angehoben. Theoretisch sollen nun 30 % des gesamten EU-Haushalts für den Klimaschutz ausgegeben werden. Allerdings bleibt es dabei, dass allein 40 % der GAP zu diesem Ziel beitragen soll, qua politischer Erklärung; hier werden also Direktzahlungen als klimaschutzwirksam grüngewaschen, obwohl diese Gelder ja nicht in konkrete Projekte wie etwa Grünland-Extensivierung, Reduktion des Tierbestands oder Wiedervernässung von Mooren gesteckt werden. Was den (mit „Next Generation EU“ überschriebenen) Aufbaufonds betrifft, finden sich leider wenig konkrete Bedingungen, dass die Gelder auch tatsächlich in zukunftsgerichtete Tätigkeiten fließen. Der NABU hatte sich diesbezüglich beispielsweise für eine Negativ-Liste stark gemacht, um zumindest auszuschließen, dass etwa fossile Energieträger gefördert werden; diese findet sich genauso wenig wie die vom NABU vorgeschlagene Aufstockung des LIFE-Programms konkret für wirtschafts- und arbeitsplatzfördernde Renaturierungsmaßnahmen.
Wie geht es nun weiter? Grundsätzlich handelt es sich bei dem Beschluss um die Einigung des Europäischen Rates. Diesen kann nun das Europäische Parlament insgesamt annehmen oder ablehnen. Das Parlament hat klargemacht, dass es als Institution nicht bloß zum Abnicken geschaffen wurde. Am 22. Juli hat es mit großer Mehrheit (unter anderem der Fraktionen der EVP, der S+D, von Renew und der Grünen) eine Resolution verabschiedet, und hier unter anderem die Kürzungen in den modernen Haushaltstiteln kritisiert, außerdem die fehlende Einbindung des Parlaments bei den Aufbauplänen der Mitgliedstaaten und den schwachen Rechtsstaatlichkeits-Mechanismus. Zusätzlich zu einem höheren Klimaschutzziel fordert das Parlament außerdem, dass 10 % des MFR für den Naturschutz ausgegeben werden. Nach der Sommerpause Anfang September beginnen die Verhandlungen zwischen Rat und Parlament. Dabei ist klar, dass der Rat dem Parlament in gewissen Punkten entgegenkommen muss (vor allem wohl in solchen, in denen eine Konkretisierung außerhalb der eigentlichen MFR-Verordnung erfolgen kann); andererseits scheint es unrealistisch, dass die Grundzüge und roten Linien des Gipfelkompromisses wieder aufgemacht werden. Deutschland kommt in den Verhandlungen als Ratspräsidentschaft eine besondere Aufgabe zu.
Nächste Schritte bei EU-Biodiversitätsstrategie
Nachdem die EU-Kommission am 20. Mai die EU-Biodiversitätsstrategie veröffentlicht hat ( NuL4061 ), starten nun die ersten Folgemaßnahmen auf EU-Ebene. Hierbei kann man zwei Ebenen unterscheiden, die teilweise schon wegen personeller Überschneidungen verknüpft sind: das generelle Begrüßen der Strategie durch die Ko-Gesetzgeber (Parlament und Rat) und die technische Konkretisierung, die in der Strategie selbst vorgesehen ist.
Was das generelle Begrüßen angeht: Dieses ist gesetzlich nicht zwingend, da die Strategie „nur“ eine Kommissionsmitteilung darstellt, nicht aber einen zustimmungspflichtigen EU-Rechtsakt. Ein generelles Begrüßen ist aber enorm wichtig, um den positiven Impuls aufzugreifen und hierdurch der EU-Kommission auch Unterstützung für die Folgearbeiten an den einzelnen Zielen zu signalisieren. Das Europäische Parlament wird hierfür einen Bericht verfassen, der wahrscheinlich Anfang November im Umweltausschuss und im Dezember im Plenum abgestimmt wird. Berichterstatter ist der spanische Sozialdemokrat César Luena, von den anderen Fraktionen arbeiten Schattenberichterstatter mit (von der konservativen EVP-Fraktion etwa der österreichische Abgeordnete Alexander Bernhuber). Die Mitgliedstaaten werden die Strategie durch Ratsschlussfolgerungen im Umweltrat begrüßen. Diese sollen beim Treffen am 23. Oktober verabschiedet werden, zuvor erfolgt eine Abstimmung des von der deutschen Ratspräsidentschaft entworfenen Textes in verschiedenen Arbeitsgruppensitzungen. Spannend ist noch, inwieweit die parallel im Agrarausschuss geplanten Ratsschlussfolgerungen zur „Farm to Fork“-Strategie ambitionierte Ratsschlussfolgerungen zur Biodiversitätsstrategie beeinflussen. Nicht akzeptabel wäre es, wenn einzelne aus Naturschutzsicht erforderliche Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie durch entsprechende Festlegungen des früher tagenden Agrarrates unterlaufen würden.
Auf der zweiten Ebene werden technische Details der einzelnen Verpflichtungen der EU-Biodiversitätsstrategie festgelegt. Dies erfolgt vor allem in Kommissionsarbeitsgruppen, unter Mitarbeit der Mitgliedstaaten und verschiedener Interessensgruppen. Diese parallelen Arbeiten haben bereits begonnen und sollen 2020/2021 weiterlaufen. So möchte die EU-Kommission hier beispielsweise die Kriterien des neuen Gebietsschutzziels (30 %, davon 10 % streng geschützt) festlegen. Bezüglich der angekündigten verbindlichen Renaturierungsziele soll eine Folgenabschätzung gestartet werden. Dieser Punkt ist übrigens gesetzlich für alle verbindlichen EU-Rechtsakte vorgesehen, nicht aber für unverbindliche Kommissionsmitteilungen; insofern geht die Kritik der Land- und Forstlobby, es habe kein „Impact Assessment“ stattgefunden, fehl.
Es bleibt also auch bei diesem Flaggschiff-Projekt der EU-Kommission für den Naturschutz spannend. Die richtige Arbeit der Umsetzung (mit entsprechender Auswahl von Renaturierungs- und Schutzgebietsflächen) in Deutschland kann und muss dann losgehen, wenn die erforderlichen Konkretisierungen erfolgt sind. Zu lange diskutieren und warten sollten die Mitgliedstaaten aber nicht, schließlich ist der Handlungsdruck immens und der Umsetzungszeitraum von 2020 bis 2030 ambitioniert!
Mitgliedstaaten weiterhin säumig bei Umsetzung von EU-Recht
Zum Abschluss nur noch der kurze Hinweis, dass die EU-Kommission weiterhin bemüht ist, ihre Rolle als Hüterin der Verträge gegenüber säumigen Mitgliedstaaten auszuüben. Zwar hat sie allgemein die Frist in Vertragsverletzungsverfahren für Mitgliedstaaten verlängert. Gleichwohl macht sie beispielsweise mit dem am 2. Juli veröffentlichten „Infringement Package“ (siehe Ziffer 6 der Pressemitteilung der Kommission, zu finden unter NuL4061 ) klar, dass die Corona-Krise kein Grund ist, Umweltrecht schleifen zu lassen. Im Naturschutzbereich war Deutschland dieses Mal nicht bedacht. Dafür gab es Schritte in wichtigen Verfahren, zum Beispiel bezüglich unzureichenden Managements von Natura-2000 in Bulgarien, Rumänien und Spanien, Nitratverschmutzung in Belgien, Abholzung in Rumänien und der Slowakei und die Vogeljagd in Frankreich. Für den NABU spannend wird, wie es mit den (zum Beispiel Natura-2000- und Grünland-) Verfahren gegen Deutschland weitergeht, und ob von den Bundesländern ohne Einschalten des EuGH substanzielle Verbesserungen beim Naturschutz erfolgen.
Autor
Der Rechtsanwalt und Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema EU-Naturschutzrecht.
Dr. Raphael Weyland, NABU, Büroleiter Brüssel
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