Bleimunition zum Auftakt der Ratspräsidentschaft
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Umfangreiches Arbeitsprogramm für die Ratspräsidentschaft, aber keine Fokussierung auf Umweltschutz
Am 1. Juli hat Deutschland den Staffelstab von Kroatien übernommen. Die verschiedenen Ministerinnen und Minister werden nun für sechs Monate den Vorsitz in ihren jeweiligen Ratsformationen innehaben. In dieser Zeit kann die Bundesregierung politische Akzente setzen, konkrete Initiativen starten, und entsprechend auf Initiativen der EU-Kommission reagieren. Gleichzeitig stehen wichtige Entscheidungen auf EU-Ebene an, beispielsweise über den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) und Wiederaufbaufonds, die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) oder das Klimaschutzziel der EU.
Der NABU hatte die Bundesregierung daher schon im Vorfeld aufgefordert, diese Zeit zu nutzen, um wichtige Weichenstellungen zu treffen. Die Debatte um die Covid-19-Wiederaufbauprogramme muss mit dem Ziel geführt werden, gegen die Klimakatastrophe und den Biodiversitätskollaps anzugehen. Insgesamt fordert der NABU 1) ein ambitioniertes, nachhaltiges und partizipatives Gesamtprogramm der Bundesregierung; 2), dass die Bundesregierung den European Green Deal als inhaltliche Klammer für das gesamte Regierungsprogramm wählt; 3) alle Corona-Erholungsmaßnahmen an Umwelt- und Klimakriterien auszurichten; 4) den EU-Haushalt (MFR) als Transformationsinstrument zu begreifen; und 5) ambitioniert und transformativ in den einzelnen Politikbereichen voranzuschreiten.
Das am 30. Juni veröffentlichte Regierungsprogramm ( NuL4061 ) ist erstaunlich umfangreich, vor allem wenn man bedenkt, dass die Bundesregierung sich wegen noch andauernder Beschränkungen der Corona-Krise selbst beschränken wollte. Es enthält aus NABU-Sicht viele akzeptable Punkte, auch im Bereich des Umweltschutzes. Im Detail finden sich aber Schwächen, etwa zum Klimaschutzgesetz bzw. den Klimaschutzzielen für 2030. Außerdem ist das größte Manko, dass das Arbeitsprogramm einem bunten Potpourri gleicht und jede Ministerin und jeder Minister die eigenen Forderungen verwirklichen kann. Es erfolgte gerade keine Schwerpunktsetzung auf beispielsweise das Voranbringen des European Green Deals oder aber auf eine Grüne Erholung nach der Corona-Krise.
Jetzt ist aus NABU-Sicht wichtig, dass sich Deutschland nicht hinter einer sogenannten „neutralen Maklerrrolle“ versteckt. Deutschland hat viele Möglichkeiten, ambitionierte Beschlüsse der Mitgliedstaaten in den verschiedenen Ratsformationen der Europäischen Union herbeizuführen. Hierzu gehört, ambitionierte Entwürfe für Beschlüsse vorzulegen, sodann durch eine entsprechende Schwerpunktsetzung wichtige „Gamechanger“ voranzubringen, und schließlich durch geschickte Diplomatie die Fäden zusammenzuführen. Die nun zu treffenden Entscheidungen beispielsweise über das 2030-Klimaschutzziel oder die Biodiversitätsstrategie sind wichtig, denn sie wirken in das kommende Jahrzehnt hinein. Die Klimakatastrophe und der Biodiversitätskollaps erlauben es nicht, durch bloße neutrale Vermittlung diese Entscheidungen aufs Spiel zu setzen.
Bezüglich der EU-Biodiversitätsstrategie sind Ratsschlussfolgerungen für den Umweltrat im Oktober geplant. Hier muss Umweltministerin Schulze auf vollumfängliche Unterstützung der Mitgliedstaaten („endorsement“) drängen. Gleiches gilt übrigens für die Farm-to-Fork-Strategie – auch hier kann sich der Rat es nicht erlauben, einzelne Ziele infrage zu stellen, sondern muss schnelle, verbindliche und ambitionierte Umsetzung in den Mitgliedstaaten signalisieren. Diesbezüglich plant der Agrarrat im Oktober Schlussfolgerungen. Fraglich ist also, wie die Bundesregierung sicherstellen möchte, dass kohärente Beschlüsse erfolgen und die durch die EU-Biodiversitätsstrategie vorgegebenen Ziele zur Adressierung des Treibers Landwirtschaft (etwa die Verpflichtung zu 10 % artenreichen Landschaftselementen oder zu 50 % Pestizidreduktion, siehe die ausführliche Darstellung in NuL 7/2020 unter Webcode NuL4061 ) nicht durch den Agrarrat torpediert werden. Ein weiterer umweltpolitischer Schwerpunkt der Ratspräsidentschaft findet sich in den anstehenden Klimaschutz-Beschlüssen zu den national festgelegten Beiträgen (NDCs) und dem EU-Klimaschutzgesetz (vorgesehen für den Umweltrat im Oktober, aber möglicherweise Verschiebung auf den Umweltrat im Dezember). Ebenfalls auf der Agenda findet sich eine generelle Ausrichtung zur GAP (angestrebt im Agrarrat bis Oktober). Daneben warten Ratsschlussfolgerungen zum Aktionsplan Kreislaufwirtschaft (Umweltrat im Dezember) und auch zur Offshore-Windenergie-Strategie, und viele andere Themen. Vor allem zum Fortschritt der Ratsschlussfolgerungen zur EU-Biodiversitätsstrategie werden Sie von mir in den nächsten Kolumnen also noch hören.
Landwirtschaftsministerium bremst EU-Initiative für Verbot von Bleimunition in Feuchtgebieten aus
In den letzten Wochen stand in Brüssel im („Komitologie-) Ausschuss der REACH-Verordnung ein EU-weites Verbot von Bleischrot in Feuchtgebieten zur Abstimmung.
Blei ist ein hochgiftiges Schwermetall. Deshalb wurde die Nutzung in vielen Produkten des Alltags schon untersagt, beispielsweise in Farben, im Treibstoff oder für das Silvester-Bleigießen. Wenn Blei in die Umwelt gelangt, hat das für Tiere und Pflanzen gravierende Folgen, ebenso für die Gesundheit von Menschen. So sind Bleivergiftungen beispielsweise eine der Haupttodesursachen von Seeadlern. Sie nehmen beim Verzehr von Innereien eines erlegten Tieres Bestandteile zerlegter Bleigeschosse auf und sterben qualvoll. Bei Menschen greift Blei das Nervensystem, Nieren sowie das Herz-Kreislauf-System an, wird als krebserregend eingestuft und mindert die Intelligenz und Aufmerksamkeit von Kindern.
Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hatte nun in einem jahrelangen Prozess den Sachverhalt geprüft und auf Bitte der Europäischen Kommission einen Vorschlag zum Verbot von Bleischrot in Feuchtgebieten erarbeitet. Dieser stand auf der Tagesordnung, als der Ausschuss am 23. Juni turnusgemäß zusammenkam. Abgestimmt werden sollte sodann im schriftlichen Verfahren, aber erfragt wurde bereits die Position der Mitgliedstaaten (die ihren Platz im Ausschuss haben). Wie so üblich in Deutschland: das Prinzip der Ressortabstimmung, also eine Abstimmung innerhalb der Bundesregierung über die Positionierung der verschiedenen Ressorts. Diese erzwingt bei Meinungsverschiedenheiten eine Enthaltung (außer einzelne Akteure spielen foul, wie etwa der damalige Landwirtschaftsminister Schmidt, der bei der Verlängerung der Glyphosat-Zulassung die Ressortabstimmung ignorierte). Nach der Ausschusssitzung kam heraus, dass Deutschland eine Enthaltung angekündigt hat, da das Bundeslandwirtschaftsministerium eine Zustimmung zum Verbot blockiert. Ein Journalist der Riffreporter deckte auf, dass sich der federführende Beamte im Bundeslandwirtschaftsministerium hierzu offenbar im dichten Austausch mit Munitionsherstellern befand (siehe NuL4061 ).
Die Argumente des von Landwirtschaftsministerin Klöckner geführten Hauses sind schlichtweg nicht haltbar: Es geht vor allem um die vermeintlich verringerte Tötungswirkung von bleifreiem Schrot. Diese Bedenken sind wissenschaftlich wie jagdpraktisch ausgeräumt. Bleifreie Schrotmunition tötet Vögel genauso effektiv wie Bleischrot. Jahrzehntelange Erfahrungen in der Verwendung ausschließlich bleifreier Schrotmunition in Dänemark und den Niederlanden belegen eindeutig eine ebenso gute Tötungswirkung von bleifreiem Schrot, auch bei der Jagd auf größere Gänsearten. Forschungen aus Frankreich weisen zudem darauf hin, dass die scheinbar schlechtere Tötungswirkung von bleifreiem Schrot nicht durch das Material selbst, sondern durch Faktoren wie Windgeschwindigkeit und die Art und Weise der Jagdausübung bedingt ist. Feldversuche haben sogar ergeben, dass Jäger und Jägerinnen nicht unterscheiden konnten, mit welchem Typ Schrot sie in Doppelblindstudien geschossen haben und sich auch die Jagdergebnisse nicht unterschieden. Zudem ist in Deutschland die Jagd mit Bleischrot schon heute durch die Jagdgesetze der Länder geregelt. In 14 Ländern, darunter alle Flächen-Bundesländer, ist die Verwendung von bleihaltigem Schrot bei der Jagd auf Wasserfederwild an und über Gewässern verboten. Sechs Länder verbieten den Einsatz von Bleischrot an Gewässern auch auf Säugetiere oder untersagen den Einsatz gänzlich.
Die politische Entwicklung kurz vor Ablauf der Abstimmungsfrist am 15. Juli gleicht einem Krimi: Bürger und Umweltverbände starten Petitionen, die Medien berichten über „geleakten“ Schriftverkehr des Landwirtschaftsministeriums mit der Waffenlobby, das Bundeskanzleramt überlässt ein etwaiges Ausräumen der Differenzen den Fachressorts. Und tatsächlich finden diese drei Tage vor Fristablauf einen Kompromiss, bei dem die Übergangszeit von zwei auf drei Jahre angehoben werden soll (ob dies prozessual im laufenden Abstimmungsverfahren überhaupt möglich wäre, soll hier dahinstehen). Zum gleichen Zeitpunkt macht jedoch Tschechien formale Bedenken am schriftlichen Abstimmungsverfahren geltend, sodass es letztlich wahrscheinlich doch noch zu einem Scheitern dieses Anlaufs kommen wird. Genaueres ist zum Redaktionsschluss der August-Ausgabe noch nicht bekannt, vermutlich wird das Thema aber auf die nächste Sitzung des REACH-Ausschusses im Herbst verschoben (Berichterstattung dazu siehe NuL4061 ). Dies ist bitter, nicht nur für den Start der deutschen Ratspräsidentschaft, sondern vor allem für den Schutz von Mensch und Natur!
Autor
Der Rechtsanwalt und Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema EU-Naturschutzrecht.
Dr. Raphael Weyland, NABU, Büroleiter Brüssel
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