Sind degenerierte Moorflächen gesetzlich geschützte Biotope nach § 30 BNatSchG?
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Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Moorfläche, die jahrzehntelang durch Entwässerungsgräben entwässert wurde und auf der Torfabbau stattgefunden hat. Die Eigentümerin hatte die Fläche umgebrochen, um sie landwirtschaftlich zu nutzen. Die zuständige Naturschutzbehörde stufte dies als unerlaubten Umbruch eines besonders geschützten Moores ein und verfügte in einer naturschutzrechtlichen Anordnung, dass Eingriffsmaßnahmen auf dem Flurstück (zum Beispiel Nutzung als Grünland oder als Acker) zu unterlassen seien.
Das Gericht hatte sich dann mit der Frage zu befassen, ob degenerierte Moore unter den gesetzlichen Schutz des § 30 BNatSchG fallen und damit einem weitgehenden Veränderungsverbot unterliegen. In einem früheren Urteil (OVG Lüneburg, Urt. v. 30.6.2015 – 4 LC 285/13) hatte das Gericht die Auffassung vertreten, dass ein Moor nur dann ein gesetzlich geschütztes Biotop i. S. v. § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG darstellt, wenn es sich in einem natürlichen oder naturnahen Zustand befindet. Ausgehend von der Definition des Begriffs „Biotop“ in § 7 Abs. 2 Nr. 4 BNatSchG ist dies dann der Fall, so das Gericht, wenn es sich um einen „abgrenzbaren Lebensraum auf Torfboden“ handelt, der „durch eine Lebensgemeinschaft von bestimmten wild lebenden Pflanzen, die an diesen Standort angepasst und somit für ihn charakteristisch sind, geprägt oder zumindest mitgeprägt wird“.
Der Gesetzgeber hat in der amtlichen Begründung des Gesetzesentwurfs für das Bundesnaturschutzgesetz 2002 ausgeführt, wie die einzelnen über § 30 BNatSchG geschützten Biotope definiert und wodurch sie charakterisiert sind (BT-Drs. 14/6378, S. 66 ff.). Demnach handelt es sich beim Feuchtbiotop „Moore“ um „vom Regen- oder Mineralbodenwasser abhängige Lebensgemeinschaften auf Torfböden in natürlichem oder naturnahem Zustand einschließlich bestimmter Degenerations- und Regenerationsstadien“, wobei es sich um „überwiegend waldfreie Formationen aus moortypischer Vegetation“ handelt. Dazu gehören im Einzelnen: „Hoch- und Übergangsmoore einschließlich Moorwälder, z. B. aus Birke (Betula pubescens ,B. carpatica ), Waldkiefer (Pinus sylvestris ), Spirke (Pinus rotundata ), Latsche (Pinus mugo ), Fichte (Picea abies ), ferner Schwingrasen, Moorkolke, regenerierende Torfstiche, pfeifengras-, zwergstrauch- und moorbirkenreiche Hochmoordegenerationsstadien, weiterhin intakte, völlig oder überwiegend unbewaldete Niedermoore (z. B. Seggenriede, Röhrichte, Weidenbüsche auf Torfböden) sowie Komplexe aus diesen Einheiten (Utricularietea intermedio-minoris, Scheuchzerio-Caricetea nigrae p.p., Oxycocco-Sphagnetea, Vaccinio-Piceatea p.p.)“.
Für die Frage, ob ein Moorstandort dem gesetzlichen Biotopschutz unterliegt, ist es für sich genommen nicht entscheidend, ob das Moor sich wegen menschlicher Eingriffe wie dem Abbau von Torf oder anderen Maßnahmen zur Trocknung und Durchlüftung des Torfbodens in einem degenerierten Zustand befindet und ob eine Renaturierung in ein lebendiges, intaktes Moor noch möglich beziehungsweise erfolgversprechend ist und wie lange sie dauern würde. Vielmehr lässt sich der oben zitierten Definition und Erläuterung des Biotoptyps „Moore“ entnehmen, dass auch bestimmte Degenerationsstadien ein naturnahes Moor darstellen können.
Vorliegend wird das vom Moorumbruch betroffene Grundstück von Lebensgemeinschaften bestimmter wildlebender Pflanzen, die in ihrer Lebensweise an den Torfboden angepasst und daher für ein naturnahes Moor charakteristisch sind, zumindest mitgeprägt: Kartiert wurden unter anderem Pfeifengras-Moorstadien, trockene Glockenheide-Hochmoordegenerationsstadien sowie Torfmoos-Wollgras-Moorstadien. Die im Gebiet ausgebildeten Stadien fallen unter die in der BT-Drucksache gegebenen Definition für Moore, sodass sie sämtlich dem gesetzlichen Biotopschutz unterliegen. Die Degeneration der Torfschicht führt erst dann dazu, dass nicht mehr von einem Moor im Sinne von § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG gesprochen werden kann, wenn infolgedessen die an diese Bodenart angepasste und von Regen- oder Mineralbodenwasser abhängige Lebensgemeinschaft wild lebender Pflanzen abstirbt oder derart zurückgedrängt wird, dass sie den Lebensraum nicht mehr mitprägt. Dies war vorliegend aber nicht der Fall. Im Gegenteil: die vorhandene Vegetation lässt deutlich erkennen, dass der oligotrophe Standortcharakter des Hochmoors erhalten ist. Die stratigraphischen Voraussetzungen für eine Wiedervernässung des Moores sind gegeben und an den aufkommenden Sphagnen (Torfmoosen) und Wollgrasarten ist zu erkennen, dass die aktuelle Situation der Fläche in einigen Teilbereichen bereits jetzt günstig ist.
Autoren
Ass. jur. Jochen Schumacher und Dipl.-Biol. Anke Schumacher arbeiten am Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Das Institut ist interdisziplinär orientiert und befasst sich insbesondere mit Fragestellungen, die sowohl naturschutzfachlich-ökologische Aspekte als auch (umwelt- und naturschutz-)rechtliche Problemstellungen aufweisen.
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