Brüssel legt ambitionierte Blaupause für Schutz der Biodiversität vor
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Die EU-Biodiversitätsstrategie (einschließlich „Farm to Fork“)
Lange haben wir auf sie gewartet: die EU-Biodiversitätsstrategie für den Zeitraum 2021–2030. Sie erschien gemeinsam mit der „Farm to Fork“-Strategie (in der offiziellen Übersetzung: „vom Hof auf den Tisch“) und einem Arbeitsdokument der EU-Kommission, das aufzeigt, wie die künftige Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) noch in Einklang mit den Zielen des European Green Deals zu bringen sein soll. In der ersten kurzen Pressereaktion war der NABU sich mit vielen anderen Naturschützern einig: Alles in allem ist der EU-Kommission ein ambitionierter Wurf gelungen. Dies gilt vor allem, wenn man bedenkt, dass die Verpflichtungen der Strategie(n) auf den letzten Metern massiv unter Beschuss standen. Vor allem die Agrar- und Forstlobby hatten sich gegen die im Vorfeld bekannt gewordenen Biodiversitätsziele ausgesprochen.
Allgemeine Bewertung
Zunächst gilt es, beide Strategien als Gesamtpaket zu sehen. Verschiedene Biodiversitätsziele mit Bezug zur Landwirtschaft werden beispielsweise in der EU-Biodiversitätsstrategie festgelegt und in der EU-Farm-to-Fork-Strategie weiter operationalisiert (zum Beispiel das Pestizidreduktionsziel). Eine solche Kohärenz ist zu begrüßen. Insgesamt ist festzustellen, dass die Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie vielfach konkreter wirken und auch mit besserer Umsetzungskontrolle verbunden scheinen, als dies bei verschiedenen Zielen der „Farm to Fork“-Strategie der Fall ist (zum Beispiel bei den recht vage bleibenden Zielen zur Verringerung der Lebensmittelabfälle und eines nachhaltigeren Konsums von tierischen Produkten).
Bezüglich des oft kritisierten Mankos des European Green Deals, dass er den GAP-Vorschlag des früheren Agrarkommissars Phil Hogan nicht anpasse, ist zumindest das folgende Bemühen der EU-Kommission anzuerkennen: Über das zeitgleich veröffentlichte Kommissionsarbeitsdokument versucht die EU-Kommission, Mindestvorstellungen für die weitere Verhandlung der GAP zu formulieren, um ein Erreichen der Ziele des European Green Deals sicherzustellen. Ob dies gelingt, ist freilich eine andere Frage.
Insgesamt enthalten die beiden vorgestellten Strategien eine lange Liste an Einzelmaßnahmen. Einige hiervon könnten echte „Gamechanger“ sein. Pestizidreduktion, Landschaftselement- und Biolandbau-Vorgaben beispielsweise haben das Potenzial, das bisherige Agrarsystem umzukrempeln. Erweiterung der Schutzgebietskulisse und Vorgaben für strengen Schutz haben gemeinsam mit konsequenteren Vertragsverletzungsverfahren das Potenzial, dem bisher oft nur schlecht gemanagten Gebietsschutz einen neuen Schub zu verleihen. Und eine Renaturierungs-Agenda, die sich auf einen neuen EU-Gesetzesrahmen stützt, macht die nötige Trendumkehr zumindest wahrscheinlicher.
Detailbewertung Gebietsschutz
In Kapitel 2.1 der EU-Biodiversitätsstrategie finden sich zum Gebietsschutz die Verpflichtungen, 30 % der Land- und Seefläche der EU bis 2030 rechtlich zu schützen. Ein Drittel hiervon, also 10 % der Land- und Seefläche der EU, soll streng geschützt werden. Diese Ziele beziehen sich zwar auf die EU insgesamt, aber jeder Mitgliedstaat soll faire Anstrengungen unternehmen. Ein besonderer Fokus soll auf Urwälder und naturnahe Wälder gelegt werden. Nähere Kriterien sollen in 2021 erarbeitet werden. Ist bis Ende 2023 absehbar, dass diese Ziele verfehlt werden, kann die EU-Kommission hierzu auch ein Gesetz erlassen.
Aus NABU-Sicht ist es gut, die auf globaler Ebene bestehende Verpflichtung des 30 %-Gebietsschutz-Ziels aufzugreifen. Die gesamte Fläche muss dabei wirksamen Schutz für die Biodiversität bieten, „Paperparks“ sind zu verhindern. Gerade im marinen Bereich hält der NABU dieses Flächenziel für wichtig. Im nächsten Jahr steht hier viel Arbeit an, die Kriterien weiter auszuformulieren, am Prozess der Auswahl der Mitgliedstaaten mitzuwirken und auf Umsetzung zu pochen.
Detailbewertung Renaturierung
Im Kapitel 2.2 der EU-Biodiversitätsstrategie findet sich unter dem Stichwort „Renaturierungs-Plan“ eine 14 Punkte umfassende Liste an Verpflichtungen und Zielen. Die Liste enthält zunächst die wichtige Ankündigung, dass die EU-Kommission in 2021 ein rechtlich verbindliches Renaturierungsziel erarbeitet; außerdem, dass mindestens 25.000 Kilometer freifließender Flüsse bis 2030 renaturiert und verschmutzte Böden dekontaminiert sind. Zudem findet sich die Verpflichtung, bis 2030 drei Milliarden Bäume zu pflanzen, unter voller Berücksichtigung ökologischer Kriterien. Städte mit mehr als 20.000 Einwohnern sollen einen ambitionierten Grünplan entwickeln.
Der NABU hatte auf ein verbindliches Renaturierungsziel gedrängt. Die Ankündigung einer Gesetzesinitiative ist insofern ein großer Erfolg. Eine konkrete Zahl soll erst 2021 festgelegt werden. Das Herunterbrechen des Renaturierungsziels auf verschiedene Lebensraumtypen scheint sinnvoll. Auch wenn die EU-Kommission insgesamt noch keine Zahl festlegen konnte, hat sie zumindest für Flüsse eine messbare Kenngröße vorgestellt. Der NABU weist bezüglich des Baumpflanzziels darauf hin, dass es für die Natur wichtig ist, passende Standorte und Baumarten zu wählen. Aus NABU-Sicht sind vor allem urbane und peri-urbane Lebensräume für Baumpflanzungen geeignet. Hier kann gegebenenfalls der separat genannte Grünplan ins Spiel kommen.
Detailbewertung naturverträgliche Landwirtschaft
In vorgenannten Renaturierungs-Plan der EU-Biodiversitätsstrategie sowie aufgegriffen auch in der Farm-to-Fork-Strategie finden sich verschiedene Vorgaben, die mit der Landwirtschaft einen der größten Treiber des Biodiversitätsverlustes adressieren. Die EU-Kommission möchte beispielsweise Maßnahmen treffen, um bis 2030 die Anwendung und die Gefahr von Pestiziden um 50 % zu reduzieren. In sensiblen Bereichen wie urbanen Gegenden soll auf Pestizide gänzlich verzichtet werden. Außerdem gibt die EU-Kommission vor, auf mindestens 10 % der landwirtschaftlichen Fläche artenreiche Landschaftselemente wie zum Beispiel Blühstreifen oder Hecken zurückzubringen. Die Mitgliedstaaten brechen die 10 % auf regionale Ebene herunter, um Konnektivität der Lebensräume sicherzustellen.
Die EU-Kommission hat ein recht ambitioniertes Pestizidreduktionsziel vorgelegt und hierfür angekündigt, die bestehende SUP-Richtlinie über die nachhaltige Nutzung von Pestiziden anzupassen, allerdings erst nach 2023. Mit den biodiversitätsreichen Landschaftselementen findet sich eine der wesentlichen Forderungen des NABU ansatzweise in der Strategie wieder. Leider hat die EU-Kommission den Vorschlag, als Bezugspunkt den landwirtschaftlichen Betrieb zu wählen, nicht aufgegriffen. Nun kommt es darauf an, das Ziel möglichst regional beziehungsweise lokal herunterzubrechen, damit sich keine Verzögerungen aus langwierigen Saldierungs- und Kartier-Übungen ergeben. Alles in allem finden sich zahlreiche Anknüpfungspunkte, um diesen Treiber anzugehen. Vieles wird hier aber von der Zustimmung der Mitgliedstaaten abhängen, denn diese müssen etwaige Gesetzesänderungen unterstützen und die Verpflichtungen sodann umsetzen.
Ausblick: Wie geht es nun weiter
Bei beiden Strategien handelt es sich um sogenannte Kommissionsmitteilungen. Dies bedeutet, dass die Papiere selbst nicht vom Europäischen Parlament und Rat angenommen werden müssen. Beide Institutionen haben natürlich das Recht, hierauf zu reagieren, und werden dies auch tun. Im Europäischen Parlament steht bereits der Berichterstatter fest, ein erster Entwurf wird noch im Juli erwartet. Im Umweltrat werden die Mitgliedstaaten Schlussfolgerungen wahrscheinlich im Oktober annehmen – auch dies bedeutet, dass der erste Entwurf noch vor der Sommerpause erstellt wird. Wichtig ist nun, den positiven Impuls der Strategien aufzugreifen. Klar ist aber auch, dass die Arbeit im Grunde jetzt erst anfängt: Dies gilt schon für die reine Vorschlags-Ebene seitens der EU-Kommission, schaut man sich die umfangreichen Maßnahmenkataloge in beiden Strategien an. Dies gilt aber vor allem auch politisch im Kräftedreieck aus EU-Kommission, Europäischem Rat und Parlament: Nicht nur die Strategien selbst brauchen den nötigen Applaus, sondern vor allem die konkreten Folgemaßnahmen die Unterstützung der Mitgliedstaaten. Hiernach folgt dann die Mammutaufgabe, die Einzelmaßnahmen in nationale Rechtsakte zu übersetzen und an die Umsetzung „on the ground“ zu gehen, also ans Ausweisen von neuen Schutzgebieten, Durchführen von Erhaltungs- und Renaturierungsmaßnahmen, etc.
PS: Eine ausführlichere Analyse finden Sie in meinem Blogbeitrag hierzu. Dieser ist gemeinsam mit der Pressereaktion und der Aufzeichnung eines hierzu am 27. Mai erfolgten NABU-Webinars (mit BMU und EU-Kommission) verlinkt unter Webcode NuL4061 .
Der Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, u.a. zum Thema EU-Naturschutzrecht.
Autor
Der Rechtsanwalt und Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema EU-Naturschutzrecht.
Dr. Raphael Weyland, NABU, Büroleiter Brüssel, Raphael.Weyland@NABU.de
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