Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
LESERMEINUNGEN

Artenschutz und Windenergie – ist das letzte Wort gesprochen?

In der Aprilausgabe der Naturschutz und Landschaftsplanung beschäftigten sich Anke und Jochen Schumacher mit dem noch nicht rechtskräftigen Urteil des VG Gießen vom 22.1.2020 (Az. 1K 6019/18.GI). Darin hatte sich das Verwaltungsgericht mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit bei Windenergieanlagen die Ausnahmegründe des § 45 Abs. 7 BNatSchG für die Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme herangezogen werden können. Das Gericht urteilte, dass die Bedeutung des öffentlichen Interesses am Aubau einer nachhaltigen Energieversorgung den Schutz der betroffenen Vogelart im konkreten Fall überwiege. Das Urteil stieß auf sehr unterschiedliche Resonanz. Hier möchten wir Ihnen zwei Lesermeinungen zum Thema vorstellen.
Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
Raimund Kamm
Artikel teilen:

OVG Berlin-Brandenburg entscheidet bereits über Urteil aus Hessen

ein Beitrag von KLaus Battefeld

Parallel zum Erscheinen des Beitrags in Naturschutz und Landschaftsplanung haben Gellermann und Bick/Wulfert Anmerkungen in Natur und Recht veröffentlicht und sich nicht unkritisch mit der Entscheidung auseinandergesetzt. Einerseits ist die Entscheidung des VG Gießen möglicherweise überbewertet, weil sowohl die Beklagte als auch die Beigeladene inzwischen Berufung eingelegt haben. Die Entscheidung hierüber wird der Hessische Verwaltungsgerichtshof zu entscheiden haben. Andererseits ist in diesem Zusammenhang kurios, dass das druckfrische Urteil aus Hessen bereits Gegenstand einer Entscheidung eines völlig anderen Oberverwaltungsgerichts war, nämlich des OVG für Berlin-Brandenburg. In der ebenfalls bereits breit in der Öffentlichkeit diskutierten „Tesla“-Entscheidung (OVG BB, 11. Senat, Beschluss vom 20.02.2020 Az. OVG 11 S 8/20 (Tesla Grünheide), RN 39) führt der dortige Senat aus: „Ferner beruft sich der Antragsteller zu 2 auf ein – in Kopie vorgelegtes – Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 22. Januar 2020 zum Geschäftszeichen VG 1 K 6019/18.GI (UA S. 29 ff.), wonach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG, der Ausnahmen von den Verboten des § 44 BNatSchG im Einzelfall „aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art“ zulässt, im Bereich des Vogelschutzes nicht mit den vorrangigen Bestimmungen der Vogelschutzrichtlinie (VRL) vereinbar und deshalb unwirksam sei, da die in Art. 9 Abs. 1 VRL geregelten Ausnahmetatbestände abschließend seien und keinen mit § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG übereinstimmenden Ausnahmetatbestand kennen würden. Vorliegend ist dies zwar deshalb von Bedeutung, weil die Erteilung einer Ausnahme von den Verboten des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG für sieben dort genannte Vogelarten im angegriffenen Bescheid des Antragsgegners in der Fassung vom 14. Februar 2020 (dort zu I.2) auf § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG gestützt ist. Allerdings wird die vom Verwaltungsgericht Gießen vertretene Rechtsauffassung insbesondere mit Blick auf die Vermeidung von Wertungswidersprüchen, die sich aus der vom EuGH gebilligten Durchbrechung der Verbote der Vogelschutzrichtlinie beispielsweise für Freizeitaktivitäten wie die Ausübung der Jagd ergäben, nach überwiegender Ansicht – und nach Auffassung des Senats mit guten Gründen – infrage gestellt und eine Gleichstellung der Ausnahmemöglichkeiten der FFH-Richtlinie und der VRL beziehungsweise die Anreicherung des Art. 9 Abs. 1 VRL um ein ungeschriebenes weiteres Tatbestandsmerkmal vorschlagen (vgl. nur Schütte/Gerbig in: Schlacke, GK-BNatSchG, Kommentar, 2. Auflage, § 45 Rz. 32 f. m.w.N.).“

Gellermann hat ebenfalls verschiedentlich die Wertungswidersprüche in der Vogelschutzrichtlinie markiert. Bedeutsamer ist vielmehr, dass Obergerichte bereits mehrfach die Vereinbarkeit der Ausnahmemöglichkeit nach § 45 Abs. 7 BNatSchG mit Artikel 9 der Vogelschutzrichtlinie bestätigt haben. Das OVG BB ist damit nicht allein. Sowohl der VGH Bayern (Bayerischer VGH, Urteil vom 19.02.2014 – 8 A 11.40064; 8 A 13.40004 RN 852) als auch der Hessische VGH (VGH Kassel, Urteil v. 17.06.2008 – 11 C 1975/07.T – [Flughafen Kassel Calden]) haben bei anderen Infrastrukturprojekten (nota bene Flughäfen) bereits mehrfach die auch europarechtliche Zulässigkeit der Artenschutzausnahme bei Vögeln im Interesse von Infrastrukturmaßnahmen bestätigt. Selbst das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner ersten Entscheidung nach der BNatSchG-Artenschutznovelle (BVerwG vom 08.03.2018 – 9 B 25.17 RN 23 Datteln II) für den Fall einer nicht zugelassenen Ausnahme bei Vögeln (drei Eulen) das Vorliegen der objektiven Ausnahmegründe bereits als ausreichend gesehen. Ich gehe davon aus, dass das BVerwG wusste, was es tat.

Soweit das Gericht die Rechtfertigung einer Windenergieanlage als wichtige Infrastruktureinrichtung mit der Möglichkeit abtat, man könne Energie auf dem Weltmarkt einkaufen, ignorierte es sowohl die Wertung des Hessischen Landtags im Hessischen Energiezukunftsgesetz als auch im Landesentwicklungsplan Hessen. Wenn der Gesetzgeber bestimmt, dass eine bestimmte Energiemenge aus Windenergie geliefert werden muss, dann kommt es auf jede Windenergieanlage an, jede einzelne ist wichtig für die Gesamtinfrastruktur. Man kann sich dann allenfalls noch über räumliche Alternativen streiten.

Wir müssen reden: Unsere Energiewirtschaft ruiniert unsere Umwelt

ein Beitrag von Raimund Kamm

Liebe Naturschützerinnen und Naturschützer!

Die dominierende Sprachlosigkeit zwischen Naturschutz einerseits und dem Umweltschutz andrerseits ermöglicht es den Befürwortern der fossilen und nuklearen Energien, die Energiewende zu torpedieren. Und das ruiniert unsere Umwelt.

Wir brauchen wissenschaftlich fundierte Studien über die Auswirkungen der verschiedenen Erneuerbaren Energien (EE) auf unsere Natur und Umwelt. Hier in Bayern sind die Daten des ‚Atlas der Brutvögel‘ über zehn Jahre alt. Wir sehen, wie viele Vogelarten schrumpfen, doch wir haben zu wenige Daten. Wer wirklich Naturschutz will, kann sich mit diesem Blindflug nicht abfinden! Gerade der staatliche Naturschutz versagt hier.

Und wir brauchen einen lösungsorientierten Diskurs, um den Ausbau der Naturenergien besser zu steuern.

Ich selber bin Vorstand in Deutschlands mitgliederstärksten AntiAtom-Bürgerinitiative, bin seit über drei Jahrzehnten Mitglied sowohl beim BUND Naturschutz wie beim Landesbund für Vogelschutz und bin im Jahr 2011 dazu Mitglied des Bundesverbands Windenergie geworden, um die Energiewende voranzubringen. So bin ich seit Herbst 2018 auch ehrenamtlicher Vorsitzender der LEE Bayern. Das ist die Landesvertretung des Bundesverbands Erneuerbare Energie e. V. und vertritt die Branchen der Bioenergie, Erdwärme und Geothermie, der Photovoltaik sowie der Wasser- und Windkraft. In unserem Verband kooperieren Wirtschaftsvertreter mit Energiewendewollern.

Meine Überzeugung ist: Unsere heutige Energiewirtschaft zerstört die Lebensgrundlagen für unsere Nachkommen. Wenn wir unseren Kindern und Enkeln ein zukunftsfähiges Land hinterlassen wollen, müssen wir Dreierlei tun:

Bewahren der Biodiversität und deswegen die Pflanzen- und Tierarten schützen

Eindämmen der Atomgefahren und deswegen Abschalten der Atomkraftwerke und damit die Atommüllproduktion beenden

Eindämmen der menschheitsgefährdenden Erdaufheizung und deswegen radikal die Freisetzung gerade der Treibhausgase CO2und Methan verringern

Wir müssen an aus dem Bewusstsein Verdrängtes erinnern

An jedem Betriebstag erzeugt jedes der noch laufenden sechs Atomkraftwerke in unserem Land rund 70 kg hochradioaktiven Atommüll. Dieser Atommüll muss zum Abklingen seiner tödlichen Strahlung über eine Million Jahre von der Biosphäre isoliert werden. Doch wie und wo? Über sechs Jahrzehnte nach Einschalten der ersten AKW gibt es hierfür weltweit Versuche aber noch keine sicheren Lösungen. Auch die Verwüstungen, die der Uranabbau anrichtet, sind in Deutschland kein Thema mehr. Dabei war der Ostteil unseres Landes sogar mal der größte Uranlieferant der Welt. Tausende Bergleute haben dies mit ihrer Gesundheit und häufig auch mit ihrem Leben bezahlt.

Plakativ wurde früher gesagt, dass wir Menschen in jedem Jahr so viele fossile Rohstoffe von Erdöl, Erdgas und Kohle verbrennen, wie in einer Million Jahre Erdgeschichte gewachsen sind. Jetzt im Jahr 2020 dämmert vielen, dass wir durch die in der Atmosphäre abgelagerten Treibhausgase unser Klima so schnell verändern, dass viele Pflanzen und Tiere und auch der Mensch sich nicht anpassen können. Die Erdaufheizung bedroht über Hitze- und Dürrewellen, Meeresspiegelanstieg, Fluten und Stürme und letztlich Hunger und Kriege die Existenz der Menschheit. Dies ist in der Menschheitsgeschichte einmalig!

Energiewende mit 3 × E

Die Ölkrise in den 1970er-Jahren und das kurz zuvor erschienene Buch „Die Grenzen des Wachstums“ brachten einige zum Umdenken. Wissenschaftler am neu gegründeten Ökoinstitut machten sich 1980 in einem Buch auf die Suche nach der Energiewende weg von Erdöl und Uran. Seit der Konferenz von Rio im Jahr 1992 ist der Klimaschutz ein weltweites Ziel geworden. Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 ließen die Menschen in die nuklearen Abgründe schauen und motivierten zur Energiewende. Umweltschützer sprachen bald von 3 × E: Einsparen, Effizienz und Erneuerbare. Man formulierte das Ziel, unsere Energieversorgung komplett auf regenerative Energien umzubauen.

Und heute?

Deutschland wurde mit dem Erlass des Stromeinspeisegesetzes 1991 und dem Folgegesetz EEG im Jahr 2000 zu einem Vorreiter der Entwicklung alternativer Energien. Noch im Jahr 1993 hatten die alten Stromkonzerne versucht, die Bürger zu entmutigen. In großen Anzeigen schrieben sie: „Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als 4 % unseres Strombedarfs decken.“ Doch jetzt erzeugen wir schon rund 50 % des in unserem Land verbrauchten Stroms aus EE.

Ich selber musste vor wenigen Jahren allerdings einsehen, dass unser Stromverbrauch trotz effizienterer Computer, Leuchten und Maschinen nicht sinken wird. Denn wir müssen zur Verdrängung klimaschädlichen Erdöls und Erdgases im Verkehrs- und im Wärmesektor effiziente elektrische Antriebe einsetzen. Dies verringert den Primärenergieverbrauch und insbesondere die Treibhausgase, erfordert aber mehr Strom.

Doch die Atom-, Gas-, Kohle- und Ölkonzerne und ihre Politiker leisten Widerstand

In mehreren Ländern wurden politische Führer gewählt, die die menschengemachte Erdaufheizung leugnen. Öl- und vermutlich auch Gaskonzerne finanzieren wie früher die Tabakindustrie Scheinstudien und letztlich verbrecherische Kampagnen gegen die Energiewende. Dafür heuern sie auch Hilfstruppen an, bei denen auch eigentlich Gutwillige mitmachen. In Berlin und München Regierende bremsen auch verdeckt. Die Methode hierfür verriet der Rechtsvertreter der Bayerischen Staatsregierung im 10-H-Verfahren im Sommer 2017. Er meinte, man werde vermutlich nach der Bundestagswahl handeln. Da sei es auch denkbar, über Änderungen im Planungsrecht den teuren Zubau von PV und Windkraft zu verringern. Man müsse dann gar nicht das EEG verändern.

Es ist existenziell wichtig, dass Natur- und Umweltschützer ihr Wissen und ihre Sorgen austauschen und miteinander überlegen, wie die Energiewende möglichst naturverträglich gestaltet werden kann.

Kontakt

Dipl.-Forstwirt Klaus-Ulrich Battefeld ist seit 1988 Referatsleiter in der hessischen obersten Naturschutzbehörde. Derzeit leitet er das Referat für Naturschutzrecht und oberste Naturschutzbehörde beim Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Wiesbaden. Er ist Mitglied im LANA-Ausschuss Eingriffsregelung und im Redaktionsbeirat der Zeitschrift Naturschutz und Landschaftsplanung. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

Kontakt: battefeld@web.de

Raimund Kamm ist ehrenamtlicher Vorsitzender der Landesvertretung Bayern des Bundesverbandes Erneuerbare Energien. Außerdem ist er Vorstand in Deutschlands mitgliederstärksten Anti-Atom-Bürgerinitiative und seit über drei Jahrzehnten Mitglied sowohl beim BUND Naturschutz wie beim Landesbund für Vogelschutz, seit 2011 außerdem im Bundesverband Windenergie.

Kontakt: r.kamm@lee-bayern.de

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren