Land- und Forstwirtschaft in Natura-2000-Gebieten
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Die FFH-Richtlinie enthält keine Legaldefinition des Begriffs „Projekt“. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich bereits mehrfach mit dieser Frage auseinandergesetzt und dabei klargestellt, dass der Projektbegriff in Art. 6 Abs. 3 FFH-RL sehr weit gefasst ist. Er umfasst neben Projekten im Sinne der UVP-Richtlinie (Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen sowie sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft, die mit einer Änderung des materiellen Zustands verbunden sind) auch alle anderen Tätigkeiten, die – einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten – ein Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen können. Der EuGH hat zum Beispiel die Beweidung sowie die Düngung landwirtschaftlicher Flächen als Projekte eingestuft (EuGH, Urt. v. 7.11.2018 – C-293/17 und C-294/17, Rdnr. 67 ff). Land- und forstwirtschaftliche Bodennutzungen, aber auch Fischerei und Jagd, Wassernutzungen, Freizeitveranstaltungen und ähnliche Aktivitäten erfüllen regelmäßig die Merkmale des Projektbegriffs, sofern sie in einem Natura-2000-Gebiet durchgeführt werden oder in dieses hineinwirken können (vgl. EuGH, Urt. v. 10.1.2006 – C-98/03, Rdnr. 41 ff.). Diese Tätigkeiten unterfallen damit Art. 6 Abs. 3 FFH-RL (§ 34 BNatSchG), das heißt, sie dürfen nur durchgeführt werden, wenn zuvor festgestellt wurde, dass von ihnen keine erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets ausgehen.
In zwei Fällen greift diese Prüfpflicht nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL (§ 34 BNatSchG) nicht. So ist eine FFH-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP) nicht erforderlich, wenn ein Projekt „unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung steht“. Land- und forstwirtschaftliche Tätigkeiten zählen jedoch nur dann zur Gebietsverwaltung, wenn sie unmittelbar auf die Erhaltung oder Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustands der im Gebiet vorhandenen Natura-2000-Schutzgüter ausgerichtet sind, es sich also um naturschutzfachlich begründete Pflege- oder Entwicklungsmaßnahmen handelt (zum Beispiel extensive Bewirtschaftung von orchideenreichen Halbtrockenrasen oder mageren Flachland-Mähwiesen). Des Weiteren unterfallen Tätigkeiten, die bereits vor dem Inkrafttreten der FFH-Richtlinie genehmigt wurden und in unveränderter Art und Weise am selben Ort weitergeführt werden, nicht der Pflicht zur FFH-VP. Sie werden aufgrund ihres „wiederkehrenden Charakters“ als „ein und dasselbe Projekt“ betrachtet, für das keine erneute Genehmigung erforderlich ist. Allerdings gilt auch bei der unveränderten Fortführung dieser Projekte, dass sie nicht zu einer Verschlechterung des betreffenden Natura-2000-Gebiets führen dürfen. Das in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL (§ 33 Abs. 1 BNatSchG) verankerte Verschlechterungsverbot verlangt von den Mitgliedstaaten ein präventives Eingreifen, wenn eine Verschlechterung droht. Es darf also nicht abgewartet werden, bis die Verschlechterung eingetreten ist. Vielmehr sind rechtzeitig „angemessene Maßnahmen“ zu treffen, um mögliche negative Auswirkungen zu verhindern (EuGH, Urt. v. 10.11.2016 – C-504/14).
Für Projekte, die wie die land- und forstwirtschaftliche Flächenbewirtschaftung weder von einer Behörde durchgeführt werden noch einer anderweitigen behördlichen Entscheidung oder Anzeige bedürfen, besteht aufgrund von § 34 Abs. 6 BNatSchG eine Anzeigepflicht bei der zuständigen Naturschutzbehörde. Die Naturschutzbehörde hat innerhalb eines Monats die Verträglichkeit des Projekts mit den Erhaltungszielen zu prüfen; sie kann es auch zeitlich befristen oder anderweitig beschränken, um die Einhaltung der Voraussetzungen aus § 34 Abs. 1-5 BNatSchG sicherzustellen. Diese Anzeigepflicht gilt selbst dann, wenn es sich um eine Bewirtschaftung handelt, die nach den „Grundsätzen der guten fachlichen Praxis“ erfolgt. Bei diesen Regeln handelt es sich um allgemein gehaltene Bestimmungen, die weder gebiets- noch schutzgutbezogene Rückschlüsse auf die Verträglichkeit der Bewirtschaftung mit den Erhaltungszielen eines Natura-2000-Gebiets ermöglichen. Derartige Regelungen, die allgemein bestimmte Tätigkeiten von einer FFH-VP ausnehmen, sind nach der EuGH-Rechtsprechung nicht mit Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vereinbar, da sie nicht gewährleisten können, dass Beeinträchtigungen von Natura-2000-Gebieten ausgeschlossen sind (EuGH, Urt. v. 10.1.2006 - C-98/03, Rdnr. 43 f., Urt. v. 4.3.2010 - C-241/08, Rdnr. 31). Die Anzeigepflicht des § 34 Abs. 6 BNatSchG trifft damit auch alle land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeiten, die innerhalb oder in der Nähe von Natura-2000-Gebieten durchgeführt werden sollen, sofern eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele potenziell möglich erscheint. Die knapp bemessene Prüfungsfrist sowie die Tatsache, dass die „gebietsspezifischen Erhaltungsziele“, welche den Maßstab für die FFH-VP bilden, in vielen Fällen lediglich aus einer Aufzählung der allgemeinen Anforderungen an den Erhalt eines FFH-Lebensraums beziehungsweise der Habitate der geschützten Arten bestehen, macht es zudem oft schwierig, eine parzellenbezogene Identifizierung und Bewertung von Beeinträchtigungen durchzuführen.
Klar ist, dass die Einhaltung dieser Anzeigepflichten sowohl für die Land- und Forstwirtschaft als auch für die zuständigen Behörden einen erheblichen Aufwand bedeutet. Daher wurde zum Beispiel vorgeschlagen, bisher genehmigungsfreie Landnutzungen einem allgemeinen Zulassungsvorbehalt mit Konzentrationswirkung zu unterwerfen, statt jede einzelne Maßnahme zu überprüfen (so Möckel, NuR 2019, 152/155). Als Alternative in Betracht käme aber auch, die FFH-VP bereits im Rahmen der Schutzgebietsausweisung normativ zu regeln oder im Managementplan die verträglichen Formen der Bodennutzung zu beschreiben (Fischer-Hüftle/Gellermann, NuR 2018, 602/605). § 32 Abs. 2 und 3 BNatSchG sehen die Ausweisung der Natura-2000-Gebiete als nationale Schutzgebiete sowie die Festlegung des an den gebietsspezifischen Erhaltungszielen ausgerichteten Schutzzwecks und geeigneter Ge- und Verbote vor. Es wäre damit prinzipiell möglich, die Verbote so auszugestalten, dass dem Schutzzweck zuwiderlaufende Tätigkeiten untersagt werden. Dabei wären auch Vorgaben, die parzellenscharf auf die im Gebiet vorhandenen Lebensraumtypen, Habitate und Arten zugeschnitten sind, möglich. Die vom europäischen Habitatschutzrecht geforderte Pflicht zur Durchführung einer FFH-VP würde damit auf die ordnungsrechtliche Ebene vorverlagert und müsste nicht über die Anzeigepflicht nach § 34 Abs. 6 BNatSchG erfüllt werden. Anzeigepflichtig wären dann nur noch Tätigkeiten, die nicht von der Schutzgebietsverordnung erfasst sind oder die von außen in das Schutzgebiet einwirken und geeignet sind, Beeinträchtigungen der Natura-2000-Schutzgüter hervorzurufen. In der Praxis wäre auch dieser ordnungsrechtliche Ansatz mit einem – wenngleich einmaligen – großen Aufwand verbunden, sodass mit keiner zeitnahen Lösung des Problems zu rechnen wäre. Zudem müssten bei dieser Vorgehensweise wohl zunächst die gebietsspezifischen Erhaltungsziele deutlich detaillierter und quantifizierbar ausgestaltet werden, so wie es die Europäische Kommission im Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262 von Deutschland fordert. Und für den Fall, dass es durch die Ausübung von zulässigen Tätigkeiten zu einer Verschlechterung des Erhaltungszustands einzelner Arten oder Lebensräume kommt, müsste gegebenenfalls eine Anpassung der Schutzgebietsverordnung erfolgen.
Praktikabler erscheint daher der Vorschlag, die Natura-2000-Managementpläne für eine europarechtskonforme FFH-VP heranzuziehen und bereits bei deren Aufstellung diejenigen Tätigkeiten zu identifizieren, von denen eine Beeinträchtigung der Schutzgüter ausgehen kann. Auf Grundlage dieser Informationen könnte das Anzeigeverfahren nach § 34 Abs. 6 BNatSchG von der zuständigen Behörde zügig bearbeitet und beschieden werden. Sofern „der Bewirtschaftungsplan die mit den Erhaltungszielen verträglichen Maßnahmen der landwirtschaftlichen Bodennutzung parzellenscharf hinreichend genau beschreibt“, erfülle er sogar die Funktion einer FFH-Vorprüfung mit dem Ergebnis, dass keine Anzeige nach § 34 Abs. 6 BNatSchG erforderlich sei, so Fischer-Hüftle und Gellermann. Allerdings sind die Managementpläne derzeit für Dritte nicht bindend und somit nicht durchsetzbar, weshalb das Anzeigeverfahren nur dann als verzichtbar erscheint, wenn sichergestellt werden kann, dass die Vorgaben des Managementplans zwingend eingehalten werden müssen.
Autoren
Ass. jur. Jochen Schumacher und Dipl.-Biol. Anke Schumacher arbeiten am Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Das Institut ist interdisziplinär orientiert und befasst sich insbesondere mit Fragestellungen, die sowohl naturschutzfachlich-ökologische Aspekte als auch (umwelt- und naturschutz-)rechtliche Problemstellungen aufweisen.
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