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Kommentar

Sind Vögel schützenswerter als andere Tierarten?

In der letzten Ausgabe der Naturschutz und Landschaftsplanung haben Anke und Jochen Schumacher das Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Gießen (v. 22.1.2020 – 1 K 6019/18.GI) zu Ausnahmegründen des § 45 Abs. 7 BNatSchG beim Bau von Windenergieanlagen vorgestellt. Landschaftsplaner Jürgen Trautner kommentiert das Urteil im Folgenden aus naturschutzfachlicher Sicht.
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Der Mäusebussard ist aufgrund seiner weiten Verbreitung einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko ausgesetzt.
Der Mäusebussard ist aufgrund seiner weiten Verbreitung einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko ausgesetzt.Johannes Mayer
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Das genannte Urteil erging im Rahmen eines Rechtsstreits zur Genehmigung von Windenergieanlagen. Das VG kommt uter anderem zu dem Schluss (S. 34), dass die „in § 44 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG geregelte Ausnahme auf europäische Vogelarten nicht anwendbar [ist], ohne dass es darauf ankommt, ob es sich um eine stark gefährdete Art oder eine weit verbreitete Art handelt.“ Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsache ließ das Gericht die Berufung zu. Es bietet sich damit im weiteren Verfahren die Möglichkeit einer (abschließenden) rechtlichen Klärung für gleich mehrere Punkte, die bislang in der Praxis zu Diskussionen und „Unbehagen“ führen. Das Urteil wurde bereits in Natur und Recht (NuR 42, 2020: 206–214) sowie im vorhergehenden Band dieser Zeitschrift (Schumacher/Schumacher, NuL 52, 2020: 194–195) vorgestellt und von Gellermann (Windkraftnutzung im Lichte der Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG, NuR 2020: 178–181) im europarechtlichen Kontext kommentiert. Die folgenden kurzen Anmerkungen sind naturschutzfachlicher und fachplanerischer Art und dürfen nicht als Versuch eines (Teil-)Ersatzes oder direkten Beitrags zur anstehenden rechtlichen Klärung missverstanden werden.

1. Sollten die anwendbaren artenschutzrechtlichen Ausnahmegründe für Vogelarten aufgrund des Fehlens einer entsprechenden, dezidierten Nennung in Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie keine Gründe sozialer und wirtschaftlicher Art sowie sonstige zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließen, so ergäbe sich hieraus ein unterschiedliches Schutzniveau für Vogelarten auf der einen, und für alle anderen auf europarechtlicher Grundlage geschützten Tier- und Pflanzenarten auf der anderen Seite. Denn bei unvermeidbar mit einem Vorhaben verbundenen Verbotstatbeständen könnten diese im Fall betroffener Vögel nur in weitaus weniger Konstellationen ausnahmsweise zugelassen werden, als für andere betroffene Arten. Dies ist naturschutzfachlich nicht begründbar, denn Vögel sind weder hinsichtlich einer Schutzverantwortung noch eines unmittelbaren Schutzbedarfs höherwertig einzuordnen als andere Artengruppen, die dem Schutzregime der Art. 12 (oder 13) und 16 der FFH-Richtlinie unterliegen, wie etwa Fledermäuse.

2. Weder bezüglich des Wespenbussards noch bezüglich des verbreiteten Mäusebussards kann der in diesem Falle genehmigenden Behörde vorgehalten werden, sie sei naturschutzfachlich unvertretbar von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko ausgegangen. Das Beispiel des Mäusebussards – als häufige und weit verbreitete Art – ist zudem vor dem Hintergrund der Ergebnisse der PROGRESS-Studie [Grünkorn et al. 2016: Ermittlung der Kollisionsraten von (Greif-)Vögeln und Schaffung planungsbezogener Grundlagen für die Prognose und Bewertung des Kollisionsrisikos durch Windenergieanlagen. Schlussbericht zum Verbundvorhaben PROGRESS, FKZ 0325300 A-D], die populationsrelevante Negativ-Folgen des Ausbaus des Windenergie nahe legt, brisant. Gleichwohl ist es von naturschutzfachlich eminenter Bedeutung, dass in der praktikablen Anwendung der artenschutzrechtlichen Regelungen zwischen sogenannten „planungsrelevanten“ Arten und den sonstigen, häufigen und weit verbreiteten unterschieden werden kann. Konsequenterweise müsste der Schluss gezogen werden, dass der Mäusebussard allgemein hinsichtlich Windenergieanlagen als sensibel und planungsrelevant eingestuft werden sollte.

3. Die Ausführungen des VG zur Frage weiterer Ausnahmegründe wie maßgeblich günstiger Auswirkungen auf die Umwelt sind – jedenfalls aus Sicht eines Nicht-Juristen – erfrischend. Machen sie doch deutlich, dass nicht auf jede allgemeine Zielsetzung, etwa klimapolitischer Art, ein Ausnahmegrund solcherart für Windenergieanlagen aufgebaut werden kann. Dies ist auch plausibel, insbesondere für all diejenigen Fälle, wo Einzelanlagen oder kleine Anlagengruppen ohne weitgehende landes- oder regionalplanerische Steuerung – und eine dort sinnvollerweise angesiedelte Alternativenprüfung – errichtet werden sollen (ein auch naturschutzfachlich wesentlicher Problembereich). Dennoch drängt sich die Frage auf, ob tatsächlich – wie es das Gericht ausführt (S. 36) – die Einhaltung der europäischen Vogelschutzrichtlinie lediglich zu „einer Einschränkung der möglichen Standorte führt […], die Gewinnung erneuerbarer Energien durch Windkraftanlagen aber weiterhin möglich“ bleibt, jedenfalls soweit es eine höhere Zahl noch geplanter Anlagen betrifft. Denn für den Mäusebussard dürfte in zahlreichen Fällen, gerade aufgrund seiner weiten Verbreitung, ein signifikant erhöhtes und letztlich in Kumulation möglicherweise populationsgefährdendes Tötungsrisiko zu unterstellen sein, wenn man die im vorliegenden Fall angesetzten Maßstäbe überträgt. Diesbezüglich müsste dann ergänzend auf die Entwicklung neuer Vermeidungstechnologien gesetzt werden. Ansonsten verweist das VG darauf, dass nach seiner Auffassung ausreichend Möglichkeiten verblieben, auch eine reduzierte Stromproduktion aus Windenergieanlagen „durch andere Energiegewinnung auszugleichen.“

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