Windenergie: Sind Ausnahmen vom Artenschutz rechtlich zulässig?
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Beim Ausbau der erneuerbaren Energien kommt es häufig zu Konflikten mit dem Artenschutz. Bei der Genehmigung von WEA steht dabei meist die Frage im Vordergrund, ob das artenschutzrechtliche Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG eingehalten wird oder ob mit einem „signifikant erhöhten Tötungsrisiko“ von Vögeln und Fledermäusen zu rechnen ist. Im vorliegenden Fall wurde sowohl für den Mäusebussard (Buteo buteo ) als auch für den Wespenbussard (Pernis apivorus ) von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko durch die geplanten drei WEA ausgegangen. Die Genehmigungsbehörde erteilte deshalb eine Ausnahme vom Tötungsverbot gemäß § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG „aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses“. In der Abwägung überwiege die Bedeutung des öffentlichen Interesses am Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung insbesondere durch die zunehmende Nutzung erneuerbarer Energien, gegenüber dem Schutz der betroffenen Vogelart im konkreten Fall, so die Begründung der Behörde. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG (keine zumutbaren Alternativen, keine Verschlechterung des Erhaltungszustands der Populationen durch die Ausnahme) sah die Behörde als erfüllt an.
Das VG Gießen hat sich in seinem Urteil intensiv mit den Ausnahmegründen des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 4 und 5 BNatSchG befasst und entschieden, dass diese nicht für die Erteilung einer Ausnahme herangezogen werden können. Die erteilte Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb der WEA sei daher rechtswidrig.
Nach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG kann die für Naturschutz zuständige Behörde von den Verboten des § 44 im Einzelfall eine Ausnahme aus – gegenüber den Nummern 1 bis 4 – anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art zulassen. Dieser Ausnahmetatbestand sei jedoch in Bezug auf die europäischen Vogelarten nicht anwendbar, da dies einen Verstoß gegen die vorrangigen Bestimmungen der Vogelschutzrichtlinie zur Folge hätte, entschied das Verwaltungsgericht. Art. 9 Abs. 1 VRL enthalte nämlich (im Gegensatz zu Art. 16 Abs. 1 FFH-RL) keinen mit § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG übereinstimmenden Ausnahmetatbestand.
Die klagende Naturschutzinitiative hatte zudem vorgebracht, dass eine Ausnahme selbst dann nicht auf § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG gestützt werden könne, wenn der Tatbestand auf europäische Vogelarten anwendbar sei, da im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Ausnahme in Bezug auf den Mäusebussard und den Wespenbussard nicht gegeben seien. Da das Gericht bereits die Anwendbarkeit des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG auf europäische Vogelarten abgelehnt hatte, war diese Frage nicht mehr entscheidungsrelevant.
Auch auf den Ausnahmetatbestand des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 4 BNatSchG kann sich die Genehmigung nach Ansicht des Gerichts nicht stützen. Danach kann eine Ausnahme erteilt werden „im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung, oder der maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt“. In Bezug auf die „maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt“ enthält Art. 9 Abs. 1 VRL ebenfalls keinen derartigen Ausnahmegrund. Abgesehen davon müssten umweltverbessernde Maßnahmen nicht nur abstrakt, sondern konkret sein, was bei WEA nicht der Fall sei. Der Ausnahmegrund der „öffentlichen Sicherheit“ kann nur geltend gemacht werden, wenn es um Fragen geht, die „wesentlich sind für die Existenz eines Staates“. Es sei jedoch nicht zu befürchten, dass der Bestand der Bundesrepublik Deutschland einschließlich der Versorgungssicherheit mit elektrischer Energie ohne den Bau der drei WEA gefährdet sei, da ausreichend Möglichkeiten blieben, diese Strommenge durch eine andere Energiegewinnung auszugleichen. Klimapolitische Zielsetzungen eines Mitgliedstaats hätten außer Betracht zu bleiben, soweit sie mit geltenden Rechtsvorschriften nicht im Einklang stehen, so das Gericht.
Das Gericht ließ die Berufung gegen das Urteil zu, da die Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung habe. Dies sei vorliegend im Hinblick auf die Klärung der Frage gegeben, ob § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 beziehungsweise Nr. 4 BNatSchG eine Ausnahme vom Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG europäischer Vogelarten zum Zweck der Errichtung und den Betrieb von WEA ermöglicht. Mit dieser Frage wird sich nun der VGH Kassel erneut zu befassen haben. Dabei erscheint auch die Vorlage der Frage beim EuGH sinnvoll und zweckmäßig.
Sollte die Anwendbarkeit des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG auf europäische Vogelarten bejaht werden, so müsste sich das zuständige Gericht doch wieder damit befassen, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen dieses Ausnahmetatbestands in Bezug auf den Mäusebussard und den Wespenbussard gegeben sind. Die Naturschutzinitiative hatte in ihrer Klage hierzu unter anderem ausgeführt, dass die Genehmigungsbehörde nicht pauschal auf das öffentliche Interesse an der zunehmenden Nutzung erneuerbaren Energien verweisen könne, um das Vorliegen zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses zu begründen. Auch seien diese zwingenden Gründe im vorliegenden Fall nicht gegeben. So müssten die WEA zum Beispiel nicht zwingend ortsgebunden errichtet werden. Zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung habe sich ein öffentliches Interesse an der Errichtung der Windenergieanlagen an dem vorgesehenen Standort weder aus einer vorbereitenden Bauleitplanung der Kommune noch aus der übergeordneten Regionalplanung ergeben.
Die Kläger sehen auch die Voraussetzungen des § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG nicht gegeben. So sei zum einen die Verlegung der WEA an einen anderen Ort in der Region möglich und auch zumutbar, zum anderen könnte die Gewährung einer Ausnahme zu einer Verschlechterung des Erhaltungszustands der Populationen der betroffenen Arten führen. Die Genehmigungsbehörde erkenne zwar, dass der Erhaltungszustand des Wespenbussards ungünstig sei, verkenne dann aber die Anforderungen, die für eine Ausnahmeerteilung im Falle eines aktuell ungünstigen Populationszustandes gelte. So hat der EuGH (Urt. vom 14.6.2007, C-342/05) bezogen auf die FFH-RL betont, dass für Arten, die sich in einem ungünstigen Erhaltungszustand befinden, nur „unter außergewöhnlichen Umständen“ eine Ausnahme erteilt werden kann – und auch dann nur, wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass die Ausnahme den ungünstigen Erhaltungszustand der Population nicht verschlechtern oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands nicht behindern kann. Nach Ansicht der Naturschutzinitiative würde die durch eine Ausnahme zugelassene Tötung von Wespenbussarden im Bereich der WEA zu einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Population führen. Die Ausnahme sei zudem unbestimmt, da ihr nicht zu entnehmen sei, in welcher Größenordnung sie die Tötung der vor Ort anzutreffenden Wespenbussarde zulasse. In Bezug auf den Mäusebussard wird zudem befürchtet, dass sich der Erhaltungszustand der Art verschlechtert, wenn „regelmäßig davon ausgegangen werde, dass die Tötung von Mäusebussarden durch den Betrieb von Windenergieanlagen entweder nicht berücksichtigt werden müsste, weil diese Art angeblich nicht windenergiesensibel sei, oder eine Ausnahme von Tötungsverbot zugelassen werde“.
Autoren
Ass. jur. Jochen Schumacher und Dipl.-Biol. Anke Schumacher arbeiten am Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Das Institut ist interdisziplinär orientiert und befasst sich insbesondere mit Fragestellungen, die sowohl naturschutzfachlich-ökologische Aspekte als auch (umwelt- und naturschutz-)rechtliche Problemstellungen aufweisen.
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