In dubio pro reo – die zwei Seiten des Staudenknöterichs
Die Ornithologie ist das Hobby, das er zum Beruf gemacht hat: Jens Hering beschäftigt sich schon von Kindesbeinen an mit Vogelarten, im Speziellen mit den Rohrsängern. Nun hat er in der Zeitschrift der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft „Vogelwarte“ (NuL4262) neue Erkenntnisse zu Brutvogelvorkommen im invasiven Staudenknöterich veröffentlicht. Im Interview mit Naturschutz und Landschaftsplanung stellt er die wesentlichen Erkenntnisse vor.
- Veröffentlicht am
Redaktion: Herr Hering, Sie haben ein Plädoyer für einen, wie Sie sagen, „gehassten Neophyten“ geschrieben: den Staudenknöterich. Wie kamen Sie dazu, das Thema von mehreren Seiten zu beleuchten?
Jens Hering: Ich beschäftige mich seit mehreren Jahrzehnten intensiv mit der Brutbiologie der Rohrsänger. Und ein singender Drosselrohrsänger in einemFallopia -Bestand an der Zwickauer Mulde war für mich Anlass, da genauer hinzuschauen. Und dann gab es für mich die Überraschung: zwar kein Drosselrohrsänger-Nest, aber Nester von anderen Singvogelarten!
Was die Suche nach Singvogelnestern betrifft, bin ich ziemlich versiert und habe im Laufe der Jahrzehnte viel Erfahrung gesammelt. Ich krieche eigentlich in jeden Bestand, wo vor allem Rohrsänger ihre Nester bauen. Vor vielen Jahren fand ich im Knöterich schon mal ein Nest des Neuntöters, in dem ein Kuckuck saß. Das Nest war bei einer späteren Kontrolle jedoch abgerutscht. So hatte ich immer vor Augen: Wenn da drin überhaupt ein Singvogel nistet, wird die Brut sowieso nicht erfolgreich verlaufen. Mit den glatten, dicken Stängeln, das funktioniert nicht.
Und dann kam dieser singende Rohrsänger. Allerdings handelte es sich wie erwartet um einen Durchzügler, in einem „untypischen“ Lebensraum. Umso mehr war ich aber überrascht, dort auf Anhieb Nester anderer Arten zu finden.
Was macht den Staudenknöterich für Rohrsänger interessant?
Es betrifft vor allem eine Rohrsängerart, die ich bisher nachweisen konnte: der Sumpfrohrsänger. Dieser Rohrsänger webt sein Nest sehr kunstvoll in Hochstauden, zum Beispiel in Brennnessel oder ähnliche krautige Pflanzen. Nun hat er aber wohl ganz schnell den fremdländischen Knöterich als idealen Nestträger erkannt und eine Nische gefunden. Insgesamt 116 aktive Nester, die ich 2018 zur Brutzeit fand, die ich fand, sprechen für sich.
Was sich inFallopia abspielt, hätte ich so nicht erwartet. Brutbiologisch war viel Neues dabei, eine wirkliche Überraschung. Vor allem die Standhöhe der Nester ist außergewöhnlich. Die Rohrsänger brechen da alle Rekorde. Dieser Singvogel brütet hier sogar in über zwei Metern Höhe.
Welche anderen Arten profitieren vom Knöterich?
Die Stichprobe zeigt, dass sehr wahrscheinlich die Amsel in Südwest-Sachsen am häufigsten im Knöterich brütet. Dann folgt der Sumpfrohrsänger. An dritter Stelle beachtlich, überraschend der Neuntöter, dann natürlich die Grasmückenarten, und schließlich die Goldammer. Auf der Suche nach Sumpfrohrsänger-Nestern konnte auch der Kuckuck nachgewiesen werden. Der Sumpfrohrsänger ist ein bekannter Kuckuckswirt in unserer Region.
In welchen Habitaten leben die genannten Arten normalerweise?
Die Amsel besiedelt Habitate unterschiedlichster Ausprägung, vom Wald bis in urbane Gebiete. Eigentlich überall dort, wo man Bäume und Sträucher findet, und auch in und an Gebäuden bauen diese Vögel ihre Nester. Der Neuntöter ist da schon anspruchsvoller. Er bevorzugt halboffene bis offene Landschaften, und dabei besonders Gebiete mit dornenreichen Sträuchern. Da passt die Flussaue natürlich dazu. Bei der Goldammer ist es ähnlich, wobei das Vorhandensein von strukturreichen Saumbiotopen mit entscheidend ist. Auch die drei nachgewiesenen Grasmückenarten charakterisieren derartige Landschaften. Die Mönchsgrasmücke wird heute aber auch häufig in Siedlungen und Städten angetroffen.
Haben die Erkenntnisse der Untersuchung Ihre persönliche Einstellung zu Neophyten verändert?
Ich bin, wie so viele andere, kein Freund von Neophyten, auch bedingt durch meine jahrzehntelange Arbeit in Naturschutzbehörden. Da wurde ich oft auch mit fremdländischen, invasiven Pflanzen konfrontiert, und habe alle Probleme kennengelernt. GeradeFallopia bildet hier in Südwest-Sachsen insbesondere an Flussufern beidseitige, monotone, kilometerlange Bestände. Diese Pflanze deckt alles andere ab, ein Riesenproblem.
Ich bin auch heute noch für eine Bekämpfung, aber für eine sinnvolle Bekämpfung. An Fluss- oder Bachläufen sind Bekämpfungsmaßnahmen nahezu aussichtlos, da unter anderem durch Drift immer wieder neues Material eingetragen wird. An Standorten, wo eine Bekämpfung Sinn macht, sollte diese aufgrund der neuen Erkenntnisse jedoch unbedingt eingeschränkt erfolgen. Die Brutzeiten der betroffenen Vogelarten müssen konsequent beachtet werden. Ich gehe davon aus, dass in den letzten Jahrzehnten unzählige Vogelbruten durch derartige Bekämpfungsmaßnahmen zerstört wurden. Die Nestdichte in den untersuchten Beständen in Südwest-Sachsen lässt das Ausmaß erahnen. Nun sollte schnell gehandelt werden. Es bedarf einer rechtlichen Regelung, gleich der, die in Deutschland für Gehölze und Röhrichte Anwendung findet.
Ich habe die Neophyten nicht lieben gelernt, aber ich sehe heute diese fremdländischen Pflanzen in einem neuen Licht. Wir neigen dazu, schnell etwas Fremdes zu verurteilen, ohne dabei genau hinzuschauen. Gerade bei einer Entwicklung in diesem Ausmaß hätte es einer detaillierten Grundlagenforschung bedurft. Wir hätten dann auch beizeiten erfahren: Da drin spielt sich richtig was ab. Und wenn ich in die Management-Handbücher schaue, auch in die BfN-Veröffentlichungen, wo steht: keine Kenntnislücken, kein Forschungsbedarf. Und ich krieche durchFallopia und finde innerhalb einer Stunde drei oder vier Vogelarten mit Nestern. Wie passend ist hierzu das Zitat: Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung“ (Antoine de Saint-Exupéry, 1948).
Muss es insgesamt ein Umdenken oder eine weitere Differenzierung im Neophytenmanagement geben? Ich denke da auch an Ailanthus , der neuerdings auf der Schwarzen Liste steht.
Ailanthus -Bestände habe ich mir noch nicht näher angeschaut, so dass ich dazu nicht aussagefähig bin. Aber der Staudenknöterich ist ein treffendes Beispiel dafür, dass wir umdenken sollten, vor allem hinsichtlich der ziemlich einseitig betriebenen Öffentlichkeitsarbeit. Ich wiederhole mich: Die Problematik ist unbestritten, aber die erfolgreiche Einnischung von Vogelarten macht auch eine Anpassung in Sachen Neophytenmanagement notwendig.
Und speziell an der Zwickauer Mulde, wo meine Untersuchungen stattfanden, dort hat der invasive Knöterich mittlerweile eine Schlüsselstellung als Bruthabitat in der größtenteils landwirtschaftlich intensiv genutzten Aue übernommen. Dornenreiche Gebüsche, Einzelsträucher und Hochstaudenbestände muss man heute suchen. Und wenn dann derartige Pflanzen vitale Bestände bilden, werden diese natürlich angenommen. Vor allem die hohen Stängel und die dicht verwachsene Bodenschicht in mehrjährigen Beständen bieten ideale Nistbedingungen.
Aufbauend auf diese ersten Ergebnisse sollten unbedingt weitere Untersuchungen folgen. Ich gehe auch davon aus, dass noch weitere Arten im Staudenknöterich brüten. Wichtig wären zudem Daten zur Siedlungsdichte, der räumlichen und vertikalen Aufteilung und zum Bruterfolg. Da reicht meine Stichprobe noch nicht aus! Was passiert auf dem Durchzug? Wie werden da die Bestände von Vogelarten frequentiert?
Weiter: Was fressen die Vögel im Knöterich? Es ist davon auszugehen, dass die Bestände weitgehend steril sind und der Neophyt hauptsächlich als Nestträger fungiert. So wie man in einen Bestand hineinkriecht, so kommt man auch wieder heraus – die Kleidung ist nahezu sauber geblieben. Untersuche ich dagegen ein Schilfröhricht, dann klebe ich vor Blattläusen. Die Rohrsänger brüten und finden auch weitgehend ihre Nahrung im Röhricht.
Dann bedarf es vor allem auch der Untersuchung regionaler Unterschiede. Wie wird der Knöterich in anderen Regionen Deutschlands von Vogelarten angenommen? Ich gehe davon aus, dass es keine großen Unterschiede gibt, aber auch das muss erst noch untersucht werden. Wir werden auf jeden Fall an dem Thema weiterarbeiten. Es gibt unendlich viel zu tun.
Es bleibt also spannend. Vielen Dank für das Interview!
Literaturhinweis: Hering, J. 2019: Plädoyer für einen gehassten Neophyten: Staudenknöterich-Bestände Fallopia spp. als wichtiger Neststandort für Singvögel. Vogelwarte 57: 99-114.
Autoren
Jens Hering ist Maschinenmonteur und Verwaltungsfachwirt. Schließlich hat er seine Hobbys, die Ornithologie und den Naturschutz, zum Beruf gemacht und arbeitet seit 1993 in der sächsischen Naturschutzverwaltung als Ansprechpartner für Fragen des Vogelschutzes. Hering engagiert sich außerdem im Beirat der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und im Vorstand des Vereins Sächsischer Ornithologen.
Barrierefreiheit Menü
Hier können Sie Ihre Einstellungen anpassen:
Schriftgröße
Kontrast
100 Euro Rabatt auf Ihr Stellenangebot
Als Abonnent:in von Naturschutz und Landschaftsplanung erhalten Sie pro Kalenderjahr 100 Euro Rabatt auf Ihr Stellenangebot im Grünen Stellenmarkt.
mehr erfahrenNoch kein Abo? Jetzt abonnieren und Rabatt für 2025 sichern.
zum Naturschutz und Landschaftsplanung-Abo
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.