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Editorial

Demonstrieren die Bauern gegen sich selbst? Neustart für die Landwirtschaftspolitik dringender denn je

Natura 2000 ist ein Dauerbrenner. Naturschutzbehörden sehen sich massiven Vollzugsdefiziten gegenüber. Gerade hat die Europäische Umweltagentur ihren BerichtThe European Environment – State and Outlook 2020 (SOER 2020) vorgelegt. Ihre Bilanz ist einmal mehr ernüchternd: 77 % der Lebensräume und 60 % der von der EU geschützten Arten sind in einem schlechten Zustand, dramatische Rückgänge gibt es vor allem im Bereich der Agrarlandschaft. Der jüngsteNationale Bericht für die FFH-Richtlinie zeichnet ebenso ein ernüchterndes Bild: In den letzten sechs Jahren hat sich der Erhaltungszustand von 41 % der Lebensraumtypen verschlechtert und lediglich von 10 % verbessert; unter den Arten geht es 34 % schlechter und nur 14 % besser.
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Prof. Dr. Eckhard Jedicke
Prof. Dr. Eckhard JedickeDr. Moustafa Selim
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Druck auf dem Kessel bei Natura 2000

Statt der rechtlich verpflichtenden Verbesserung ist also eine fortgesetzt negative Entwicklung zu verzeichnen. Das wird nicht mehr lange gut gehen: Die EU-Kommission wird gezwungen sein, (nicht nur) Deutschland zu sanktionieren. Es kommt Druck auf den Kessel, unausweichlich. Eine bessere Kommunikation mit der Bevölkerung und besonders den Landnutzenden ist eine der notwendigen Antworten. Der erste Hauptbeitrag liefert hierzu Einblicke in die Praxis in Bayern. Das allein aber genügt nicht: Nötig ist eine massive Aufstockung des Personals für die Umsetzung der Managementpläne für die Natura-2000-Gebiete und Artenhilfsprogramme einerseits. Und andererseits eine weit bessere Finanzierung für Landnutzung und Landschaftspflege, welche die Schutzgüter fördern – sei es aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und/oder einem separaten Naturschutzfonds der EU. Gutes Geld für gute Leistungen für die Gesellschaft, so muss das Ziel lauten – für die Natura-2000-Gebiete ebenso wie für die Agrarlandschaft insgesamt.

Bauerndemos: einfach dagegen?

Derweil demonstrieren Bauern lautlos mit grünen Kreuzen auf ihren Feldern und lautstark vor dem Brandenburger Tor und in den Landeshauptstädten. Mehr Wertschätzung haben sie verdient – aber nicht für ihre Demonstration für ein „Weiter-so“:gegen unausweichliche Verbesserungen im Düngerecht,gegen Änderungen zugunsten des Insektenschutzes,gegen weitere Umweltauflagen. Dabei sprechen alle Umweltindikatoren – siehe oben – eine klare Sprache: Ein grundlegender Neustart der Agrarpolitik unter dem Primat der Nachhaltigkeit ist unausweichlich – einer Nachhaltigkeit, die natürlich auch die Ökonomie beinhaltet! Leider hat weder der Agrargipfel bei der Kanzlerin noch soeben der groß angekündigteGreen Deal von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wirklich neue Perspektiven eröffnet. Schade! So demonstrieren die Bauern eher gegen sich selbst bzw. ihre Lobby des Bauernverbands.

Unterstützung für die etwas anderen Bauern

Doch es gibt sie auch, die anderen Bauern: Betriebe, die gewillt und hoch engagiert sind, hochwertige Naturschutzziele umzusetzen, die sichfür und nicht gegen etwas artikulieren. Doch sie stehen unter Druck. Symptomatisch der Tweet von@Ziegenmama auf Twitter: „Nach 20 Jahren Arbeit mit Ziegen und Schafen in der Landschaftspflege muss ich sagen, die Bedingungen haben sich nicht gebessert. Immer noch müssen wir um Aufträge und Zahlungen bangen. Während hinter den Landwirten ein riesiger Lobbyapparat steht, stehen wir fast alleine da.“ Solange es nicht gelingt, solchen Betrieben eine gute wirtschaftliche Perspektive zu bieten, wird das nichts mit günstigen Erhaltungszuständen für die Schutzgüter der FFH- und Vogelschutzrichtlinie, den Biodiversitäts- und Nachhaltigkeitszielen, dem Kampf gegen das Insektensterben. Ist das so schwer zu begreifen?

1 Kommentare
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  • Gustav Adolf 29.12.2019 10:47
    Das kann man so pauschal nicht fragen, weil es "den Bauern" nicht gibt. Nach dem Trend zu immer größeren Nutzungseinheiten - 200 ha sind heute knapp, wobei man mal mit 50 eine Familie ernähren konnte - stehen die Betriebe unter hohem finanziellen Druck und extremer Arbeitsbelastung. "Kleine" Höfe (... 50 ha...) werden nur noch im Nebenerwerb bewirtschaftet, weil sonst nicht genügend Geld hereinkommt, oder der Betrieb aufgegeben, die Flächen verpachtet. Da es auch keine bezahlbaren Arbeitskräfte in der Landwirtschaft gibt, hilft man sich halt mit großen Maschinen und Produkten der Fa. Bayer und anderen, so daß ein Betriebsinhaber seine Äcker fast allein bewirtschaften kann. Muß er meistens auch. Außerdem "diversifizieren" die Betriebe, produzieren Sonnenenergie und sind anderweitig außerlandwirtschaftlich tätig, damit Geld verdient wird, um die Bankschulden abzuzahlen. Tierhalter haben es in dieser Richtung besonders schwer... aber müssen wir wirklich aus Deutschland massenhaft Schweinefleisch exportieren? Die Gülle bleibt hier, das Sojafutter kommt aus Südamerika. Es geht hierbei aber nicht um "Bauern", sondern um Agrarindustrie und deren unternehmerische Freiheit. Die ist das (Umwelt-) Problem. Landhunger und Nutzungsintensivierungen, z.B. durch mehr Folientunnel oder Agrochemikalien, wachsen allerdings mit jedem neuen Baugebiet, jeder neuen Straße oder anderen Infrastrukturmaßnahme, auch jeder Naturschutzmaßnahme ("Ausgleichsfläche") oder Ersatzaufforstung, die ja sämtlich zu Lasten landwirtschaftlicher Produktionsflächen gehen. Und oft ist es erstklassiges Ackerland - "ökologisch = Null", aber ist es dann wirklich kein Problem, mal schnell 30 ha bei Friedberg für einen Logistiker zuzubetonieren? Anscheinend nicht, Abweichung vom Regionalplan genehmigt, alle reiben sich die Hände, Wertgewinn 10.-/qm auf 80.- durch Bebauungsplan. Ist das nichts? Selbstverständlich wird der eine oder andere "Bauer" dort jammern; aber Klagen gehört auch zum Geschäft, ich habe noch nie einen Landwirt sagen hören, es sei alles gut gelaufen, selbst wenn die Flächenprämien aus Brüssel pünktlich und reichlich auf dem Konto waren. Die Diskussion in Frankfurt um die Stadterweiterung westlich der Autobahn, die zum Wohnungsbau dringend nötig ist, wurde regionalplanerisch abgelehnt. Warum? Weil die Flächen der Stadt Frankfurt gehören, die damit auch den Preis des Ackers bestimmt, die Anliegergemeinden Eschborn, Steinbach und Oberursel aber ökonomisch in die Röhre gucken. Dazu muß man wissen, daß Ackerland (Außenbereich lt F-Plan!) in Eschborn ca. 50.-/qm kostet, weil die "Bauern" das Gelände im Umfeld von Frankfurt als Bauerwartungsland sehen. Warum sollen sie das billig verkaufen? Was mir aber Landwirte sagen, ist: Wir wollen nur einen gerechten Preis für unsere Produkte. Nicht mehr und nicht weniger. Wir wollen keine EU-Bürokratie mit Prämienanträgen für irgendwas und Fördermittel aus allen Ecken. Und wenn der Preis stimmt, brauchen wir nicht mehr die Masse, und können deswegen anders bzw. "verträglicher" ackern. Denn das ist das Problem - der Preisdruck durch Discounter, Großeinkäufer, und vor allem das Verhalten des Bürger an der Ladenkasse (Geiz ist nach wie vor geil). Die Gütesiegelinflation ist in dieser Richtung keine Hilfe, sondern schürt eher Mißtrausen. "Früher", vor EU-Bio, Bioland, Demeter, BIOBIO, Alnatura, etc. etc. hatte man mal das DLG-Zeichen ausgereicht. Da wußte man, es ist ein qualitativ hochwertiges Landwirtschaftsprodukt. Heute zertifizieren die gegen Honorar auch Wasser.... Es geht ums Geld, was sonst.
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