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Wolfsschutz

Strenge Voraussetzungen für Ausnahmen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil zur finnischen Wolfsjagd (C-674/17 vom 10.10.2019) erneut klargestellt, dass die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen zum Abschuss streng geschützter Tierarten restriktiv zu handhaben ist und strengen Anforderungen unterliegt.

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Der EuGH hat klargestellt, dass der Abschuss von Wölfen nur als letzte mögliche Alternative als artenschutzrechtliche Ausnahme infrage kommt.
Der EuGH hat klargestellt, dass der Abschuss von Wölfen nur als letzte mögliche Alternative als artenschutzrechtliche Ausnahme infrage kommt.Julia Schenkenberger
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Hauptziel der FFH-Richtlinie ist die Erhaltung der biologischen Vielfalt in der Europäischen Union. Hierzu soll ein günstiger Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse beitragen (Art. 2 Abs. 2 FFH-RL). Für die in Anhang IV lit. a FFH-RL genannten Tierarten müssen die Mitgliedstaaten ein strenges Schutzsystem einzuführen, das unter anderem „alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren dieser Arten“ verbietet (Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL). Zu diesen „streng zu schützenden“ Tierarten „von gemeinschaftlichem Interesse“ zählt auch der Wolf (Canis lupus ). Unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt Art. 16 Abs. 1 FFH-RL Ausnahmen von diesem strengen Schutz. Der EuGH hat in seinem Urteil dargelegt, welche Voraussetzungen für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen erfüllt sein müssen.

Hintergrund der Entscheidung bildet die Frage der Rechtmäßigkeit von Ausnahmegenehmigungen für das Abschießen von insgesamt sieben Wölfen in einer Region in Finnland. Der Wolf ist in Finnland stark gefährdet, wobei die Zahl der Wölfe in den letzten Jahren, wahrscheinlich aufgrund von Wilderei, erheblichen Schwankungen unterworfen war. Im vorliegenden Fall wurden die Ausnahmegenehmigungen zur Tötung der Wölfe im Rahmen der sogenannten „bestandspflegenden“ Jagd erteilt mit dem Ziel, die illegale Jagd auf Wölfe einzudämmen. Die Verhinderung von Schäden an Hunden und die Erhöhung des allgemeinen Sicherheitsgefühls der Menschen, die in der Nähe der von den Wölfen besiedelten Gebiete wohnen, wurden von der Behörde als hierfür geeignete und eng mit diesem Ziel verknüpfte Maßnahmen dargestellt. Mit dem legalen Abschuss sollte auch die „gesellschaftliche Toleranz“ der örtlichen Bevölkerung gegenüber dem Wolf erhöht werden. Die finnische Wildtierbehörde stützte ihre Ausnahmegenehmigung auf Art. 16 Abs. 1 lit. e FFH-RL, wonach „unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß die Entnahme oder Haltung einer begrenzten und von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden spezifizierten Anzahl von Exemplaren bestimmter Tier- und Pflanzenarten des Anhangs IV“ erlaubt werden kann. Der Begriff „Entnahme“ i.S. von Art. 16 Abs. 1 FFH-RL umfasst sowohl den Fang als auch die Tötung von Exemplaren der betroffenen Arten.

Gegen die Abschussgenehmigungen klagte eine finnische Naturschutzvereinigung. Das Oberste Verwaltungsgericht in Finnland hat das Verfahren ausgesetzt und den EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen um Klärung offener Fragen gebeten. So fragt das vorlegende Gericht unter anderem, ob es Art. 16 Abs. 1 Buchst. e FFR-RL erlaubt, regional begrenzte Ausnahmegenehmigungen für die sogenannte bestandspflegende Jagd zu erteilen, und ob bei der Beurteilung auch andere Gesichtspunkte wie das Ziel, Schäden an Hunden zu verhindern und das allgemeine Sicherheitsgefühl zu erhöhen, berücksichtigt werden können. Weiter möchte das finnische Gericht wissen, inwieweit solche Ausnahmegenehmigungen damit begründet werden können, dass es zur Verhinderung von Wilderei keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt.

Der EuGH hat in seinem Urteil nochmals deutlich gemacht, dass die Bestimmungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL zur Erteilung einer Ausnahme vom strengen Artenschutzregime restriktiv auszulegen sind. Eine Ausnahme ist nur möglich, wenn es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt und die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen.

Da es das Ziel der FFH-Richtlinie ist, das langfristige Überleben der Population zu sichern, stellt der günstige Erhaltungszustand eine unabdingbare Voraussetzung für die Zulassung der in Art. 16 Abs. 1 FFH-RL vorgesehenen Ausnahmen dar. Sofern eine Art in einem ungünstigen Erhaltungszustand ist, sind Ausnahmen ausnahmsweise dann zulässig, wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass sich der ungünstige Erhaltungszustand dieser Populationen nicht weiter verschlechtert und die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands nicht behindert wird.

Bei der Bewertung der Auswirkung einer Ausnahme muss zunächst die betroffene lokale Population betrachtet werden. Dies ist auch erforderlich, um die Auswirkung auf den Erhaltungszustand in einem größeren Rahmen zu bestimmen. Außerdem hängt der Erhaltungszustand auf nationaler oder biogeografischer Ebene auch von der kumulierten Auswirkung der verschiedenen, die lokalen Gebiete betreffenden Ausnahmen ab. Ein Bestandspflegeplan und eine nationale Regelung, die die Höchstzahl der Individuen festlegt, die in einem Jagdjahr im Hoheitsgebiet getötet werden dürfen, können geeignete Faktoren für die Beurteilung sein, ob die Gewährung einer Ausnahme negative Auswirkungen auf die Wahrung oder Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustands haben kann. Besteht nach der Prüfung der besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten Ungewissheit über die Auswirkungen, darf die Ausnahme nicht bewilligt werden.

Für Entnahmen, die im Rahmen der in Art. 16 Abs. 1 lit. e FFH-RL vorgesehenen Ausnahmen zulässig sind, gilt, dass sie so weit zu begrenzen sind, dass sie nicht zu einer Gefahr erheblicher negativer Auswirkungen auf die Struktur der betreffenden Population führen, selbst wenn sie für sich genommen der Wahrung eines günstigen Erhaltungszustands der Populationen der betreffenden Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet nicht schaden würde. Die Zahl ist nicht nur in Bezug auf die genannten Kriterien streng zu begrenzen, sondern auch in den Entscheidungen über Ausnahmen klar zu bezeichnen.

Eine Ausnahme nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL ist weiter nur zulässig, wenn es an einer anderweitigen Alternative fehlt, mit der das verfolgte Ziel in zufriedenstellender Weise erreicht werden kann. Die hier geltend gemachte Bekämpfung illegaler Aktivitäten wie der Wilderei oder die Schwierigkeiten, denen bei der Umsetzung der Kontrolle dieser Aktivität begegnet wird, genügen diesen Anforderungen nicht. Der EuGH macht deutlich, dass der Mitgliedstaat in einer solchen Situation „vielmehr einer strengen und wirksamen Kontrolle dieser illegalen Aktivität sowie der Durchführung von Maßnahmen Vorrang einzuräumen“ hat, um der Missachtung der strengen artenschutzrechtlichen Verbote entgegenzuwirken. Art. 16 Abs. 1 FFH-RL verpflichtet zudem zu einer genauen und angemessenen Begründung für die Annahme, dass es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt.

Diese Begründungspflicht ist nicht erfüllt, wenn die Entscheidung über eine Ausnahme weder Angaben zum Fehlen einer anderen zufriedenstellenden Lösung enthält noch auf die in diesem Zusammenhang relevanten technischen, rechtlichen und wissenschaftlichen Berichte verweist. Im vorliegenden Fall gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Behörde nachgewiesen hat, dass es zum Abschuss der Wölfe keine anderweitige Alternative gibt. Außerdem hat sich anhand der vorgelegten Zahlen gezeigt, dass über die bestandspflegende Jagd im Jagdjahr 2015–2016 mehr Wölfe (43–44 Tiere) getötet wurden, als nach Schätzungen durch Wilderei getötet worden wären (30 Tiere), sodass insgesamt eine negative Nettowirkung auf die Wolfspopulation entstanden ist. Der EuGH bezweifelt daher, dass der Bestandspflegeplan und die nationale (finnische) Regelung die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL erfüllen.

Schließlich erfordert die Bedingung, wonach auf Art. 16 Abs. 1 lit. e FFH-RL gestützte Ausnahmen einer strengen Kontrolle unterliegen, insbesondere, dass diese strenge Kontrolle sowie die Art und Weise, wie ihre Einhaltung sichergestellt wird, es ermöglichen, die Selektivität und das beschränkte Ausmaß der Entnahmen oder der Haltung von Individuen der betreffenden Arten zu gewährleisten. Somit muss sich die zuständige nationale Behörde für jede Ausnahmeregelung, die auf diese Bestimmung gestützt wird, vor ihrem Erlass vergewissern, dass die in dieser Bestimmung vorgesehenen Bedingungen eingehalten werden, und anschließend ihre Auswirkungen überwachen. Die nationale Regelung muss gewährleisten, dass die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen, mit denen Ausnahmen gemäß dieser Bestimmung genehmigt werden, sowie die Art und Weise, in der diese Entscheidungen angewandt werden, auch hinsichtlich der Einhaltung der Auflagen in Bezug auf Ort, Zeit, Anzahl und Typ der betreffenden Individuen, mit denen diese Entscheidungen versehen sind, wirksam und rechtzeitig kontrolliert werden.

Fazit

Die EuGH-Entscheidung macht deutlich, dass die Gewährung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme an strenge Voraussetzungen geknüpft ist. Insbesondere müssen zuvor alle zumutbaren Alternativen ausgeschöpft sein. Auch darf sich der Erhaltungszustand der lokalen wie nationalen Populationen durch die Zulassung einer Ausnahme nicht verschlechtern. Die nationalen Behörden haben in jedem Einzelfall umfassend anhand fundierter wissenschaftlicher Daten nachzuweisen, dass diese Voraussetzungen vorliegen und dass die Ausnahmen geeignet sind, das vorgegebene Ziel (Ausnahmegründe nach Art. 16 Abs. 1 lit. a-e FFH-RL) zu erreichen. Pauschale Abschussgenehmigungen, wie sie in der geplanten Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) zum Beispiel bei Schäden durch Nutztierrisse vorgesehen sind, erfüllen diese Voraussetzungen nicht.

Autoren

Ass. jur.Jochen Schumacher und Dipl.-Biol.Anke Schumacher arbeiten am Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Das Institut ist interdisziplinär orientiert und befasst sich insbesondere mit Fragestellungen, die sowohl naturschutzfachlich-ökologische Aspekte als auch (umwelt- und naturschutz-)rechtliche Problemstellungen aufweisen.

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