WEA-Genehmigung muss Artenschutz stärker berücksichtigen
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OVG Münster, Beschluss vom 6.8.2019 8 B 409/18
Nicht selten kommt es beim Ausbau der Windenergie zu Konflikten mit dem Vogelschutz. Im Fokus steht dabei meist das Kollisionsrisiko empfindlicher Vogelarten mit den Rotorblättern. Bau und Betrieb von Windenergieanlagen (WEA) können insbesondere bei Vögeln, die vertikale Strukturen meiden jedoch auch zu Lebensraumverlusten und Störungen führen. In einem Beschwerdeverfahren stellte das OVG Münster fest, dass die behördliche Genehmigung weder mit dem Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG noch mit dem Störungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG vereinbar ist.
Im 1.000-m-Umkreis der geplanten Windenergieanlagen bestehen ein Gemeinschaftsschlafplatz für Rotmilane (Milvus milvus ) sowie ein Schwerpunktvorkommen rastender Mornellregenpfeifer (Charadrius morinellus ).
Nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist es verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Der Rotmilan ist als kollisionsgefährdete und windenergieempfindliche Art bekannt. Aufgrund der Nutzung des Gemeinschaftsschlafplatzes besteht durch deren Betrieb grundsätzlich ein erhöhtes Tötungsrisiko durch Kollisionen mit der Anlage auch außerhalb der Brutzeit, weil eine erhöhte Anzahl von Individuen diesen Raum nutzt.
Zur Vermeidung von Kollisionen wurde von der Behörde festgelegt, dass die WEA im Zeitraum von Anfang März bis Ende September bei der Grünlandmahd oder bei der Ernte auf den Feldern im Umkreis des doppelten Rotorradius vom Erntebeginn bis zum Ende der Stoppelbrache im Zeitraum zwischen der morgendlichen und der abendlichen bürgerlichen Dämmerung abzuschalten sind. Mit dieser Regelung bleibt die Genehmigung deutlich hinter den Empfehlungen des nordrhein-westfälischen Leitfadens „Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen“ vom 10. November 2017 zurück, weshalb das OVG Münster von einem Verstoß gegen das Artenschutzrechtliche Tötungsverbot ausgeht. Das Gericht stellt klar, dass der von sachkundigen Fachbehörden erstellte Leitfaden „grundsätzlich als maßgebliche Erkenntnisquelle für die Anforderungen an den Arten- und Habitatschutz bei der Genehmigung von WEA zugrunde zu legen“ ist. Bleibt eine Genehmigung hinter den dort empfohlenen Schutzmaßnahmen zurück, muss die Behörde „plausibel erläutern, aus welchen Gründen die von ihr vorgesehenen Schutzmaßnahmen nach ihrer Einschätzung ausreichen, damit das Tötungsrisiko i. S. v. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG durch den Betrieb der Windenergieanlagen nicht signifikant erhöht wird“.
Im Bereich der geplanten Windenergieanlagen liegt zudem ein ca. 150 ha großes Schwerpunktvorkommen von Mornellregenpfeifern (Charadrius morinellus ), die dort auf dem Durchzug im Spätsommer rasten. Mornellregenpfeifer zählen zu den windenergieempfindlichen Arten, weil sie vertikale Strukturen meiden. Dabei können sich die Vögel in einem Umkreis von 1 km oder mehr durch eine WEA gestört fühlen. Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG ist es unter anderem verboten, wild lebende Tiere der europäischen Vogelarten während der Wanderungszeiten erheblich zu stören; dabei liegt eine erhebliche Störung vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert.
Um eine erhebliche Störung i. S. v. § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG durch die WEA auszuschließen, sieht der Genehmigungsbescheid auf 8,39 ha die Schaffung alternativer Rastbereiche vor. Hierzu sollen die vorgesehenen Fläche nach der Getreideernte, aber spätestens bis zum 20. August eines jeden Jahres, gegrubbert und mindestens bis zum 10. September in diesem Zustand belassen werden. Das Gericht hat zu Recht erhebliche Zweifel daran, dass die vorgesehenen Ausweichflächen die durch die Errichtung der WEA entstehenden Lebensraumverluste kompensieren können, zumal flächenmäßig kein 1 : 1-Ausgleich vorgesehen ist. Die gewählten Flächen liegen ausnahmslos innerhalb des 1.000-m-Radius der geplanten WEA, teilweise sogar innerhalb des 500-m-Radius, so dass erhebliche Zweifel daran bestehen, ob diese Flächen überhaupt von den Vögeln als Rastplatz angenommen werden. Auch ist es für das OVG Münster nicht nachvollziehbar, warum die Ersatzrastflächen nicht für die gesamte Zeit des Herbstzuges (15. August bis 15. September) zur Verfügung stehen sollen.
Eine erhebliche Störung (§ 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG) rastender Mornellregenpfeifer kann durch die geplanten WEA im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden. Das OVG Münster stellt hierzu klar: „Wenn ein Genehmigungsbescheid für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen vorsieht, dass für Vögel, die vertikale Strukturen meiden, alternative Rastflächen angelegt werden müssen, muss die Behörde nachvollziehbar begründen, warum diese Flächen nach Größe, Lage und Art naturschutzfachlich geeignet sind, eine erhebliche Störung der Vögel i. S. v. § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG durch die Windenergieanlagen auszuschließen.“ Mit Blick auf das Schwerpunktvorkommen der Mornellregenpfeifer im Vorhabengebiet und die einzuhaltenden Mindestabstände unter anderem zu Windenergieanlagen stellt sich für das Gericht die Frage, ob dort überhaupt solche Anlagen errichtet werden dürfen, die schon durch ihr Vorhandensein die Rastplätze der Vögel auch ohne Betrieb erheblich stören können.
Autoren
Ass. jur.Jochen Schumacher und Dipl.-Biol.Anke Schumacher arbeiten am Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Das Institut ist interdisziplinär orientiert und befasst sich insbesondere mit Fragestellungen, die sowohl naturschutzfachlich-ökologische Aspekte als auch (umwelt- und naturschutz-)rechtliche Problemstellungen aufweisen.
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