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Brüsseler Herbst: Optimismus bezüglich „grünerer“ EU

Von der Leyen stellt Portfolios der designierten Kommissare vor

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Moore gehören nicht nur als Kohlenstoffspeicher zu den schützenswerten Habitaten. Ihre Wiederherstellung sollte Teil der neuen Biodiversitätsstrategien sein.
Moore gehören nicht nur als Kohlenstoffspeicher zu den schützenswerten Habitaten. Ihre Wiederherstellung sollte Teil der neuen Biodiversitätsstrategien sein.Julia Schenkenberger
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Schon für den Titel der September-Ausgabe der Brüssel-Kolumne hatte ich lobende Worte gewählt. Für die vorliegende Oktober-Ausgabe zeige ich mich erneut vorsichtig optimistisch, zumindest im Vergleich zu den vorausgegangenen Monaten. Dies vor allem wegen der Analyse der Anfang September vorgestellten Details zur künftigen EU-Kommission. Außerdem berichte ich über den Stand der Debatte zur Biodiversitätsstrategie post-2020, die auch in Brüssel Fahrt aufnimmt.

Am 10. September präsentierte die zukünftige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Portfolios der designierten Kommissare und ging dabei auch auf die Struktur ihrer Kommission ein. Nach Analyse auch der Aufgabenbeschreibungen (sogenannte „Mission Letters“, sieheNuL4061 ) der umweltrelevanten Posten zeigen sich verschiedene Verbände, unter anderem BirdLife Europe (Stellungnahme unterNuL4061 ) vorsichtig optimistisch. Ob die designierten Kommissare die festgeschriebenen Aufgaben – so sie denn bei den Anhörungen im Europaparlament in den ersten Oktoberwochen bestätigt werden – auch ambitioniert angehen werden, ist naturgemäß eine Frage, die hier noch nicht beantwortet werden kann.

Anders als den zuvor „geleakten“ Tabellen nach ist der designierte leitende Vizepräsident Frans Timmermans als solcher jedenfalls umfassend für den europäischen „Grünen Deal“ zuständig. Dabei soll er die Gruppe der thematisch betroffenen Kommissare steuern und koordinieren. Zu diesen gehören nicht nur der Kommissar für Umwelt und Ozeane, sondern auch die Kommissare für Energie, Transport und vor allem auch Landwirtschaft. Damit hat Timmermans, ähnlich wie von Umweltverbänden gefordert, tatsächlich eine neue Durchgriffskompetenz auf die für die Nachhaltigkeit wichtigen „Nutzerressorts“ bekommen – inwieweit er diese ausübt, bleibt abzuwarten. Erfreulich ist darüber hinaus, dass in der Aufgabenbeschreibung von Frans Timmermans klargestellt ist, dass er die Biodiversitätsstrategie koordiniert, damit die EU führend beim Schutz der Biodiversität wird. Außerdem hebt Ursula von der Leyen hervor, dass Timmermans für die nötige Gesetzesdurch- und -umsetzung und damit auch für Vertragsverletzungsverfahren im Umweltbereich zuständig ist. Ein solcher Passus fehlte unter der amtierenden Kommission Jean-Claude Junckers.

Das Umweltressort soll – wie bisher zusammen mit der Zuständigkeit für Ozeane – an den 28-jährigen Virginijus Sinkevicius aus Litauen gehen. Aussagen zu seiner Person können hier noch nicht gemacht werden. Positiv ist, dass der designierte Umweltkommissar explizit damit beauftragt wird, die Biodiversität zu schützen und Überfischung zu beenden. Hierfür soll er eine neue EU-Biodiversitätsstrategie für den Zeitraum bis 2030 voranbringen, die sich auch auf Natura 2000, Abholzung von Wäldern etc. bezieht. Dies ist ein gewaltiger Unterschied zum Mandatsschreiben des Noch-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker an Noch-Umweltkommissar Karmenu Vella, das als ersten Punkt implizit die Öffnung der FFH- und Vogelschutzrichtlinie vorsah (durch einen Fitness-Check). Erfreulich ist auch, dass der designierte Umweltkommissar mit den „Null-Schadstoff“-Maßnahmen beauftragt wird. Die EU-Handlungen hierzu sollen die Schutzgüter Luft und Wasser, Chemikalien und auch Pestizide umfassen.

Dem aus Polen stammenden designierten Agrarkommissar Janusz Wojciechowski schreibt Ursula von der Leyen immerhin ins Pflichtenheft, die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) mit Blick auf die Umwelt- und Klimaschutzziele ambitioniert anzugehen. In seiner früheren Rolle beim Europäischen Rechnungshof hat Wojciechowski immerhin in einem Gremium mitgewirkt, das die vorliegenden GAP-Vorschläge von Kommissar Phil Hogan aus wissenschaftlicher Sicht als unzureichend beim Umwelt- und Klimaschutz kritisiert hat. Den Bericht des Rechnungshofs zu Hogans GAP-Vorschlägen finden Sie unterNuL4061 . Zwar wird zum jetzigen Zeitpunkt aus kein kommissionsseitiges Nachbessern an den GAP-Vorschlägen erwartet. Sollte Janusz Wojciechowski als Agrarkommissar bestätigt werden, hat er aber die Möglichkeit und Pflicht, diesen Erkenntnissen auch Taten folgen zu lassen und für eine naturverträglichere Agrarpolitik zu sorgen.

Einen großen Kritikpunkt haben verschiedene Verbände allerdings ausgemacht: Ursula von der Leyen beauftragt den designierten Vizepräsidenten Maros Sefcovic damit, ein sogenanntes „one in, one out“-Prinzip für die Gesetzgebung einzuführen. Diese Idee ist bereits aus anderen Deregulierungsinitiativen bekannt und besagt, dass für jedes neue Gesetz ein bestehendes Gesetz im gleichen Politikbereich aufgehoben werden soll. Frau von der Leyen verkennt, dass die Rettung unseres Planeten kein Nullsummenspiel ist, sondern dass Gesetze im Umweltbereich immer dann erlassen werden müssen, wenn es wissenschaftlich erforderlich ist. In anderem Zusammenhang hatte bereits das Umweltbundesamt dieses Prinzip scharf kritisiert (NuL4061 ). Bleibt abzuwarten, ob die Anhörungen der Kommissare durch das Europaparlament hier noch Korrektur bringen.

Debatte zur Biodiversitätsstrategie post-2020 nimmt Fahrt auf

Die auf globaler Ebene im Rahmen des Übereinkommens über biologische Vielfalt (CBD) bestehende Biodiversitätsstrategie (mit den sogenannten „Aichi“-Zielen) wie auch die gültige EU-Biodiversitätsstrategie laufen 2020 aus. Auf beiden Ebenen wird das Ziel, den Biodiversitätsverlust bis zu diesem Jahr zu stoppen, verfehlt. Dies liegt nicht an einer unzureichenden Qualität der Strategien, sondern an der Nichtumsetzung der vereinbarten Maßnahmen. Die EU scheint derzeit beispielsweise eine der großen Chancen zu vergeben, durch entsprechende Ausgestaltung ihrer Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zeitnah auf einen der wesentlichen Verursacher des Artenschwunds einzuwirken.

Unabhängig davon werden sich verschiedene Akteure bemühen, ambitionierte Folgeabkommen zu vereinbaren. So möchte die Staatengemeinschaft bei der CBD-Vertragsstaatenkonferenz (COP) im Oktober 2020 in China eine neue globale Biodiversitätsstrategie verabschieden. Die EU selbst spielt bei diesen Verhandlungen eine wichtige Rolle. Um ihre Verpflichtungen aus dem neuen Abkommen zu erfüllen, wird die EU gleichzeitig ihre eigene Biodiversitätsstrategie fortschreiben. Hierbei wird sie auf konkrete EU-Gesetzgebung zu verweisen haben. Da sowohl die Verhandlungen auf globaler Ebene als auch Gesetzesarbeit auf EU-Ebene zeitintensiv sind und sich die Zeitpläne auf beiden Ebenen überschneiden, haben die Debatten nun parallel und insgesamt Fahrt aufgenommen.

Für das Abkommen auf globaler Ebene traf sich Ende August eine sogenannte unbefristete Arbeitsgruppe („OEWG“) das erste Mal in Nairobi, um über Struktur eines möglichen Abkommens und Verhandlungsprozesses zu diskutieren. Hierbei wurden auch Termine für Treffen zu einzelnen Elementen der künftigen Strategie vereinbart (etwa zum Thema Ökosystemwiederherstellung oder zu Finanzierungsfragen). Die Sitzungsdokumente hierzu finden Sie unter WebcodeNUL4061 .

Auf EU-Ebene hat sich beispielsweise der Umweltministerrat im Juli in Finnland mit dem globalen Abkommen befasst. Auch die Koordinierungsgruppe für Biodiversität und Natur der EU-Kommission (CGBN) widmete ihr Treffen Ende September zu großen Teilen der künftigen Biodiversitätsstrategie auf globaler und EU-Ebene. Der gerade frisch formierte Umweltausschuss des Europaparlaments hat bereits einen Initiativbericht zu diesem Thema angemeldet. Der Umweltrat plant post-2020-bezogene Schlussfolgerungen für den 19. Dezember 2019.

Aus Naturschutzsicht spannend ist, welchen konkreten Beitrag die EU leisten möchte, um dem in der politischen Agenda Ursula von der Leyens festgehaltenen Führungsanspruch auf globaler Ebene gerecht zu werden. Naturschutzverbände wie der NABU können sich beispielsweise verbindliche Wiederherstellungsziele auf EU-Ebene für verschiedene Habitattypen wie Moore, Grünland oder Wälder vorstellen, um die schon bestehenden Verpflichtungen der FFH- und Vogelschutzrichtlinie zu ergänzen. Ein weiterer Schwerpunkt der konkreten EU-Bemühungen muss auf der vollständigen Um- und Durchsetzung des EU-Umweltrechts liegen. Außerdem muss endlich die mehrfach nachgewiesene Lücke in der Naturschutzfinanzierung gestopft werden. Hiervon profitierte im Übrigen nicht nur die Biodiversität, sondern auch das Klima, stellen die genannten Habitattypen doch Kohlenstoffspeicher par excellence dar. Ich werde mit Sicherheit über den Fortgang der Debatten berichten.

Autor

Der Rechtsanwalt und Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema EU-Naturschutzrecht.

Dr. Raphael Weyland, NABU, Büroleiter Brüssel

Raphael.Weyland@NABU.de

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