Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem europäischen StickstoffUrteil?

Mit seinem Urteil zu Stickstoffeinträgen in Natura-2000-Gebiete (EuGH, Urteil vom 7. 11. 2018 – C-293/17 und C-294/17, siehe Webcode NuL4582) hat der Europäische Gerichtshof wieder einmal deutlich gemacht, dass in der FFH-Richtlinie ein hohes Schutzniveau für die Arten und Lebensräume des europäischen Naturerbes verankert ist. Dieses Niveau kann jedoch nur gewährleistet werden, wenn die Vorgaben aus Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL europarechtskonform umgesetzt und angewendet werden. Nach diesem EuGH-Urteil besteht auch in Deutschland Handlungsbedarf.

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
Privat
Artikel teilen:

Zwar ging es in dem Verfahren vor dem EuGH um die niederländischen Regelungen zum Stickstoffeintrag in Natura-2000-Gebiete, die im Urteil getroffenen Feststellungen zur Auslegung von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL sind jedoch für alle Mitgliedstaaten relevant. Das EuGH-Urteil enthält unter anderem folgendeKernaussagen (1) und(2) , bei denen sich auch in Deutschland Defizite feststellen lassen:

(1) Alle Maßnahmen, die ein Natura-2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen können, stellen Projekte im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der FFH-Richtlinie dar. Daher umfasst der Projektbegriff auch landwirtschaftliche Tätigkeiten wie Düngung und Weidehaltung.

Der EuGH urteilte bereits 2006, dass es gegen Art. 6 Abs. 3 FFH-RL verstößt, wenn die Landwirtschaft vom Projektbegriff ausgenommen wird (EuGH, Urteil vom 10.1.2006, C-98/03). Als Reaktion auf seine Verurteilung strich der deutsche Gesetzgeber die Definition des Projektbegriffs aus dem Bundesnaturschutzgesetz und führte mit § 34 Abs. 6 BNatSchG eine Anzeigepflicht bei der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde für alle Projekte ein, die keiner anderweitigen Genehmigungs- oder Anzeigepflicht unterliegen. Dieser Anzeigepflicht unterfallen damit auch landwirtschaftliche Tätigkeiten, wenn sie die Voraussetzungen für die Einstufung als Projekt im Sinne der FFH-Richtlinie erfüllen. Es setzt aber voraus, dass es dem Landwirt bewusst ist, dass sein Handeln ein Natura-2000-Gebiet beeinträchtigen könnte. Der Anzeigepflicht wird daher in der Praxis kaum nachgekommen. Und auch die zuständige Behörde macht von ihrer Befugnis, das Projekt vorläufig einzustellen, wenn eine Anzeige unterblieben ist, in Bezug auf landwirtschaftliche Tätigkeiten kaum Gebrauch. Um den Anforderungen aus Art. 6 Abs. 3 FFH-RL gerecht zu werden, müsste daher auch für landwirtschaftliche Projekte eine Genehmigungspflicht eingeführt werden.

Allerdings sind Maßnahmen, die bereits vor der Ausweisung des betroffenen Natura-2000-Gebiets zulässig waren und seitdem regelmäßig ausgeübt wurden, von einer FFH-VP und einer erneuten Genehmigung befreit, da Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur auf die Genehmigungsphase von Plänen und Projekten anwendbar ist. Dennoch dürfen auch sie nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Natura-2000-Gebiets führen (Verschlechterungsverbot, Art. 6 Abs. 2 FFH-RL). Die zuständigen Behörden haben dies mithilfe von präventiven und reaktiven Handlungsmöglichkeiten zu überwachen. Auch in Deutschland leiden zahlreiche Natura-2000-Lebensräume weiterhin unter zu hohen Stickstoffeinträgen und anderen Beeinträchtigungen, wogegen die Behörden konsequent vorgehen müssten, da die Einhaltung des Verschlechterungsverbots eine europäische Verpflichtung ist.

(2) Die programmatische Festlegung von pauschalen Schwellen- und Grenzwerten für Stickstoff kann eine projekt- und schutzgebietsbezogene FFH-VP nicht ersetzen, weil nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass bereits Emissionen, die unterhalb dieser Werte liegen, zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines Natura-2000-Gebiets führen.

Die Beurteilung, ob eine erhebliche Beeinträchtigung ausgeschlossen werden könne, sei immer von den besonderen örtlichen Gegebenheiten abhängig, so der EuGH. Gerade wenn Gebiete schon unter hohen Stickstoffeinträgen leiden, können auch geringe Zusatzbelastungen erheblich im Sinne der FFH-RL sein. Daher ist eine generelle Befreiung von der Prüfpflicht selbst bei den sehr niedrig festgesetzten niederländischen Schwellenwerten (1 mol N/ha/Jahr = 14 g N/ha/Jahr) nicht mit Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vereinbar.

In der deutschen Genehmigungspraxis ist eine FFH-VP erst erforderlich, wenn die Zusatzbelastungen durch Stickstoffeinträge das Abschneidekriterium von 0,3 kg N/ha/a beziehungsweise die Irrelevanzschwelle von 3 Prozent der „Critical Loads“ eines Lebensraums überschreiten. Dieselben Schwellenwerte sind bislang auch im Entwurf der zur Novellierung anstehenden TA Luft vorgesehen. Dass dies mit den europarechtlichen Vorgaben der FFH-Richtlinie nicht vereinbar ist, hat das Stickstoffurteil des EuGH sehr deutlich gemacht. Gefordert ist nun eine Regelung, die sicherstellt, dass für jedes einzelne betroffene Natura-2000-Gebiet ermittelt wird, ob und gegebenenfalls in welchem Maße weitere Stickstoffeinträge möglich sind, ohne das Schutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen.

Autoren

Ass. jur.Jochen Schumacher und Dipl.-Biol.Anke Schumacher arbeiten am Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Das Institut ist interdisziplinär orientiert und befasst sich insbesondere mit Fragestellungen, die sowohl naturschutzfachlich-ökologische Aspekte als auch (umwelt- und naturschutz-)rechtliche Problemstellungen aufweisen.

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren