Vom positiven Umweltrechtsvollzug und fehlendem politischen Gestaltungswillen der EU-Kommission
Diese Brüssel-Kolumne beleuchtet aktuelle Beschlüsse in zwei Vertragsverletzungsverfahren, die dem Schutz von Natur und Grundwasser dienen. Außerdem bewertet sie kurz das nun veröffentlichte Reflektionspapier der EU-Kommission über ein nachhaltiges Europa.
Positiv: Rechtlicher Vollzug kann Naturschutz voranbringenWichtige Neuausrichtung der Europäischen Union in Richtung Nachhaltigkeit (nur) eine Option
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Klagen von Umweltverbänden wie der Deutschen Umwelthilfe zur Achtung der Feinstaub-Grenzwerte zeigen: Oft sind rechtliche Maßnahmen erforderlich, damit europäisches Umweltrecht in den Mitgliedstaaten umgesetzt wird. Natürlich ist es bitter, dass die Politik hierzu gezwungen werden muss. Aber gerade deswegen ist dieser effektive Hebel des Rechts heute dringender denn je nötig. Insofern freute es den Naturschützer, in den letzten Wochen verschiedene (teils lang erwartete) Vollzugsmaßnahmen im Bereich des Natur- und Gewässerschutzes beziehungsweise deren Früchte zu sehen.
Zum einen veröffentlichte die EU-Kommission nämlich am 24. Januar wieder einmal ein sogenanntes „infringement package“ (NuL4061 ). Diese Sammlung von Beschlüssen über Vertragsverletzungsverfahren enthält nicht nur die für den europäischen Naturschutz wichtige Entscheidung, zum Schutz der spanischen Doñana-Feuchtgebiete den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anzurufen. Aufgeführt ist auch der Hinweis auf ein (weiteres) Aufforderungsschreiben unter anderem an Deutschland in Sachen „Natura 2000 “. Das diesem Schreiben zugrunde liegende Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland (Nr. 2014/2262) läuft bereits seit dem Jahr 2015.
Die EU-Kommission wählt unmissverständliche Töne: „Deutschland hat es versäumt, innerhalb der vorgeschriebenen Fristen 787 von 4606 Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete auszuweisen. Darüber hinaus hat Deutschland es auch generell und fortgesetzt versäumt, für alle Natura-2000-Gebiete hinreichend detaillierte Ziele festzulegen. “ Die EU-Kommission akzeptiert also den von den Bundesländern vorgesehenen Zeitplan zur Umsetzung der unionsrechtlichen Verpflichtungen nicht. Außerdem sieht sie strukturelle Mängel bei der Festlegung ausreichend detaillierter Erhaltungsziele für die Natura 2000-Gebiete, die in dieser Form dann auch nicht Grundlage für die Festlegung der notwendigen Erhaltungsmaßnahmen sein können. Der NABU teilt diese Einschätzung: Deutschland tut immer so, als sei es Vorreiter beim Umweltschutz.
Andere Mitgliedstaaten – etwa Belgien – haben es im Gegensatz zu Deutschland geschafft, detailliertere Erhaltungsziele festzulegen. Deutschland sollte die Rüge der EU-Kommission ernst nehmen und endlich beim unionsrechtlichen Gebietsschutz nachsteuern. Hierzu müsste auch der Bund eine gewisse Steuerungsfunktion gegenüber den Bundesländern wahrnehmen, bevor das Verfahren irgendwann vor dem EuGH landet. Die unterschiedliche Herangehensweise offenbart Schwächen gerade auch in finanzstärkeren Bundesländern, die auf wenig aussagekräftige Mantelverordnungen setzen. Haben Bundesländer aber spezifischere Verordnungen, können diese aus NABU-Sicht leichter ergänzt und im Sinne der unionsrechtlichen Vorgaben „repariert“ werden.
Auch in Sachen Grundwasserschutz sorgte das EuGH-Urteil vom 21. Juni 2018 (Rs. C-543/18) und das diesem zugrunde liegende Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland (Nr. 2013/2199) nun für zusätzliche Anstrengungen der Bundesregierung. Wie auch der Presse zu entnehmen war, hat Deutschland zum 31. Januar der EU-Kommission nachgemeldet, welche Änderungen es an der Düngeverordnung von 2017 vorzunehmen gedenkt. Die zur Umsetzung derNitratrichtlinie erforderlichen Korrekturen betreffen unter anderem die Düngebedarfsermittlung und sehen eine Länderöffnungsklausel vor. Sie sollen nach dem ehrgeizigen Zeitplan bereits im Frühjahr 2020 in Kraft treten. Der NABU hatte schon bei der 2017er-Novelle darauf hingewiesen, dass diese zu ambitionslos ist – das Landwirtschaftsressort hielt die vorgelegte Verordnung aber für ausreichend. Das ständige Nachjustieren müssen letztlich auch die Landwirte ausbaden, denn eine unzureichende Verordnung verspricht keine Rechtssicherheit. Allerdings fehlt auch in den jetzt bekannt gewordenen Nachbesserungen, zum Beispiel eine Vorgabe zum Schutz von Gewässerrandstreifen.
Apropos Vorreiter beim Umweltschutz: Die Zahl der Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland lag auch Ende 2018 wie schon im Vorjahr unverändert bei 15 Verfahren. Zehn der teilweise schon lange laufenden Verfahren betreffen nicht ordnungsgemäß umgesetzte Richtlinien, fünf betreffen nicht fristgerecht umgesetzte Richtlinien. Dies ist einer Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage der Abgeordneten Steffi Lemke zu entnehmen (NuL4061 ).
Am 31. Januar hat die EU-Kommission endlich das „Reflektionspapier“ über ein nachhaltiges Europa bis 2030 vorgelegt (Pressemitteilung dazu unterNuL4061 ). Dieses sieht unter anderem drei mögliche Pfade vor, welche die zukünftige EU einschlagen könnte, um nachhaltiger zu werden. Der NABU begrüßt, dass die EU-Institution das wichtige Thema Nachhaltigkeit wieder auf die Agenda setzt. Allerdings kommt das Ergebnis viel zu spät, ist von der Form her nicht vielversprechend, und weist inhaltliche Schwächen auf.
Die EU-Kommission ist schon seit langem aufgefordert, eine konkrete Umsetzungsstrategie für die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) vorzulegen, um diese bis zum Jahr 2030 zu erfüllen. Kurz vor Ende des Mandats lediglich eine Art „Brainstorming“ für die neue EU-Kommission zu präsentieren, kommt natürlich einem Eingeständnis des Scheiterns gleich, die letzten Jahre kaum etwas getan zu haben. Völlig unklar ist, ob die neue EU-Kommission überhaupt auf dieses Papier zurückgreift. Auch ist fraglich, welchen Spielraum die neue EU-Kommission hat, wenn wichtige Weichenstellungen für nahezu das nächste Jahrzehnt zum Beispiel durch den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) oder die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) schon jetzt getroffen werden. Gleichwohl: Mit dem „Reflektionspapier“ ist natürlich noch nichts verbaut, vielmehr zeigen die ambitionierten Szenarios in die richtige Richtung.
Diese Richtung muss auch von den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten bei ihrem Treffen am 9. Mai in rumänischen Sibiu bestätigt werden, denn schließlich soll es dort um die Zukunft der EU gehen. Aus NABU-Sicht ist es sodann unerlässlich, dass sich die künftige EU-Kommission eine verbindliche Strategie zur Umsetzung der SDGs gibt, welche alle Politikbereiche umfasst. Außerdem sind weitere strukturelle Maßnahmen erforderlich, um das sogenannte „Mainstreaming“ der Nachhaltigkeits-Aspekte bzw. eine echte Politikkohärenz zu erreichen. Nicht akzeptabel ist hingegen das dritte Szenario, bei dem die EU-Kommission sich zur Umsetzung der SDGs nur auf auswärtiges Handeln beschränken will. Die EU ist sicher nicht der Spitzenreiter beim Thema Nachhaltigkeit. Dies zeigt sich bezüglich der naturschutzbezogenen Nachhaltigkeitsziele etwa durch das absehbare Verfehlen der Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie bis 2020. Es wäre daher anmaßend, sich als Lehrmeister für andere Staaten außerhalb der EU aufzuspielen, und seine eigenen Hausaufgaben beim Schutz der Umwelt nicht zu erledigen.
Übrigens: Damit sich die EU tatsächlich zum Vorreiter beim Thema Nachhaltigkeit entwickelt, ist es wichtig, dass möglichst viele Bürger ihre Stimme bei der Europawahl am 26. Mai zu Gunsten von pro-europäischen Parteien abgeben, denen auch der Umweltschutz am Herzen liegt. Mehr Infos dazu unter WebcodeNuL4061 .
Autor
Raphael Weyland ist Rechtsanwalt und Umweltexperte. Er arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema Naturschutz und zu Querschnittsthemen wie MFR, SDGs oder „Better Regulation“.
Dr. Raphael Weyland, NABU, Büroleiter Brüssel
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