Kulturlandschaft: Öfter mal Obst
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Wer sich durch deutsche Kulturlandschaften bewegt, wird wenigstens „hier und da“ im Weichbild der Siedlungen auf extensiv genutzte Obstbäume treffen. Mal stehen die meist hochstämmigen Bäume linear am Wegesrand, mal nehmen sie – mit einem bundesweit starken Süd-Nord-Gefälle – als Streuobstbestände ganze Flächen ein.
Waren solche Bestände in früheren Tagen vor allem für die Ernährung der ortsansässigen Bevölkerung und die ländliche Wertschöpfung von erheblicher Bedeutung, ist deren diesbezüglicher Wert im Angesicht agrarindustrieller Nahrungsmittelerzeugung und annähernd globaler Warenverfügbarkeit heute weitgehend marginalisiert. Eine, wenn nicht „die“ Zäsur hinsichtlich der Präsenz von Obstbaumbeständen in der Landschaft stellten die zwischen 1970 und 1977 von der Europäischen Gemeinschaft geförderten Rodungsprogramme dar, in deren Folge sich nach Schätzungen des NABU die Fläche des Streuobstwiesenanbaus um etwa 70 % verringerte.
Von ländlicher Wertschöpfung auf die Rote Liste
Mit diesem Verschwinden von Obstbäumen aus der Normallandschaft geht eine Fülle von Wertverlusten einher, von denen hier nur die aus regionaler, nachhaltiger Wertschöpfung, örtlicher Biodiversität und eines traditionell-pittoresken Bildes von lebens- und liebenswerter Heimat genannt werden. Heute stehen Streuobstwiesen auf der Roten Liste der gefährdeten Biotoptypen Deutschlands ( Finck et al. 2017) und sind die meisten Vorkommen stark überaltert, sodass viele der verbliebenen Bestände (ohne Nachpflanzungen) in etwa 10 bis 30 Jahren aus der Landschaft verschwunden sein werden.
Doch warum ist dies – entgegen dem Motto „Problem erkannt, Problem gebannt!“ – bis heute so? Unterhält man sich mit Akteuren des vor Ort planenden Naturschutzes, so trifft man auf eine weitverbreitete Meinung, die sich vor allem auf zwei Annahmen stützt und das Dilemma um einen akuten Mangel an Obstbaumneupflanzungen wenigstens teilweise erklärt:
Erstens: „Die kleinteilige Pflege des Grünlandes unter den Obstbäumen ist nicht zu leisten.“ Demgegenüber möchte der Urheber dieser Zeilen auf Agrarförderprogramme einzelner Bundesländer verweisen, die tatsächlich mitunter Pflegeprämien für eine entsprechende Grünlandunterhaltung vorsehen. Als Beispiele seien „FAKT“ in Baden-Württemberg, „VNP“ in Bayern oder „HALM“ in Hessen genannt.
Zweitens: „Mit der Pflanzung und Unterhaltung von Obstbaumbeständen wird ein weit überdurchschnittliches Maß an Pflegebedarf durch Gehölzschnitt generiert.“ Diese Einschätzung teilt der Autor als Baumschulgärtner, Gehölzschnittdozent und Landschaftsarchitekt aufgrund langjähriger Eigenbeobachtungen nicht. Zwar ist es so, dass, wie bei annähernd jeder Baumpflanzung, ein Pflanzschnitt und nach etwa 3, besser 5 Jahren ab Pflanzung auch ein (fachgerechter!) Kronenerziehungsschnitt notwendig werden, danach allerdings kann ein Schnitt gegebenenfalls auch ganz entfallen.
Pflege für die Vitalität?
Nicht zuletzt ist dies in drei Faktoren begründet: Erstens ist es ein weitverbreiteter Irrglaube, dass am rechten Ort gepflanzte Gehölze/Kulturgehölze ohne menschliche Pflegeschnitte nicht vital oder gar lebensfähig sind; sie sind es.
Zweitens unterliegen die Früchte heutiger Streuobstbestände – im Gegensatz zu solchen des Erwerbsobstanbaus – in der Regel keinen den Schnitt begründenden Quantitäts- und Qualitätskriterien. Auch sollte die Lebensdauer zwischen ungeschnittenen und extensiv gepflegten Obstbäumen etwa gleich sein.
Ohne Schnitt für den Artenschutz
Drittens dürften gerade Baumgestalten mit aus Pflegeabstinenz resultierenden Astausbrüchen und dichten Verwachsungen günstige Bedingungen für die Nestanlage von idealtypischen Obstbaumbewohnern wie Steinkauz, Gartenrotschwanz, Stieglitz oder Hornisse darbieten. Als Beitrag zum Artenschutz gäben sie damit solchen Streuobstbeständen eine zeitgemäß ernst zu nehmende Bedeutung.
Desgleichen läuft die Argumentation um einen nötigen Gehölzschnitt ebenfalls insofern ins Leere, als dass auch aktuell die allermeisten Streuobstbestände nicht geschnitten werden und folgerichtig nicht haltbar sein dürften. Vielleicht ist es aber auch notwendig, sich hinsichtlich der Anmutung von Obstbaumbeständen von einem fehlleitenden Bild von perfekter (häuslicher?) Ordnung und Gepflegtheit zu lösen:
Einer im anthropozentrischen Verständnis Vielfalt anstrebenden Natur und auch so manchem Menschen dürfte ein eher „wild“ daherkommender Obstbaumbestand allemal lieber sein als eine strukturarme – eine Landschaft so arm an Liebreiz und Identität.
Übrigens: Die stärkste Neigung zur Bildung der so erwünschten besiedelbaren Baumhöhlen haben von allen Obstbaumarten Apfelbäume und diese auf einer Sämlingsunterlage. Und: Mit der empfohlenen Pflanzung von (Kultursorten von) Obstbäumen geht jahrweise schwankend die Entstehung einer erheblichen Menge an Frucht-Biomasse einher, die im Fall einer anthropogenen Nullnutzung „lediglich“ tierischen Organismen zur Verfügung gestellt und darüber hinaus schlicht verrotten würde.
Wer darin ein ethisches Problem sieht, dem bleibt als effektmildernde Alternative die Verwendung der entsprechenden Wildarten.
Wortherkunft
Strictum dictum
Der Begriff „Streuobst“ hat, entgegen einer landläufigen Definition, nichts mit verstreut angeordneten Obstbäumen zu tun, sondern mit der früher üblichen Flächendoppelnutzung Einstreugewinnung/Obstanbau.
Autor
Christof Sandt , 50, Landschaftsplaner aus Norddeutschland. Nach einigen beruflichen Stationen im In- und Ausland hat ihn sein Weg in das schöne Wiesbaden geführt, wo er für die Landesstraßenbaubehörde Hessen Mobil manchmal auch blühende Obstbaumwiesen plant. Daneben Arbeit als entwerfender, dozierender und schreibender Landschaftsarchitekt ( www.gruenersandt.de ).
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