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Verbandsklage gegen immissionsschutzrechtliche Genehmigung von WindenergieanlagenOVG Magdeburg, Beschluss vom 24.1.2018 – 2 L 110/15

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Julia Schenkenberger
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Nach der Rechtsprechung des OVG Magdeburg lässt sich naturschutzfachlich vertreten, dass für den Rotmilan von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko durch den Betrieb von Windkraftanlagen grundsätzlich dann ausgegangen werden kann, wenn der Abstand der Windenergieanlage zu einem festgestellten Brutplatz weniger als 1 000 m beträgt, es sei denn, es liegen zuverlässige Erkenntnisse darüber vor, dass sich in einer größeren Entfernung als 1 000 m ein oder mehrere für den Rotmilan attraktive, nicht nur kurzzeitig bzw. zeitweise zur Verfügung stehende Nahrungshabitate befinden und die Windenergieanlagen dort oder innerhalb eines Flugkorridors dorthin liegen. Es liegen auch keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, die einen solchen Mindestabstand als nunmehr unvertretbar erscheinen lassen. Teilweise wird sogar die Auffassung vertreten, es entspreche dem allgemeinen Stand der Wissenschaft, wegen des signifikant erhöhten Tötungsrisikos für Rotmilane einen Mindestabstand von Windenergieanlagen zu Brutplätzen von 1 500 m zu fordern.

Art und Umfang, Methodik und Untersuchungstiefe der erforderlichen fachgutachtlichen Untersuchungen zur Ermittlung der artenschutzrechtlichen Betroffenheiten lassen sich mangels normativer Festlegung nur allgemein umschreiben und hängen maßgeblich von den naturräumlichen Gegebenheiten des Einzelfalls ab. Sie werden sich regelmäßig aus zwei wesentlichen Quellen speisen: der Bestandserfassung vor Ort sowie der Auswertung bereits vorhandener Erkenntnisse und Fachliteratur, die sich wechselseitig ergänzen können. Zum einen wird in der Regel eine Bestandsaufnahme vor Ort durch Begehung des Untersuchungsraums mit dabei vorzunehmender Erfassung des Arteninventars erforderlich sein. Auf eine solche Erkundung vor Ort wird allenfalls in Ausnahmefällen verzichtet werden können.

Wie viele Begehungen zur Erfassung welcher Tierarten zu welchen Jahres- und Tageszeiten erforderlich sind und nach welchen Methoden die Erfassung stattzufinden hat, lässt sich nicht für alle Fälle abstrakt bestimmen, sondern hängt von vielen Faktoren ab, zum Beispiel von der Größe des Untersuchungsraums, von der (zu vermutenden) Breite des Artenspektrums sowie davon, ob zu dem Gebiet bereits hinreichend aktuelle und aussagekräftige Ergebnisse aus früheren Untersuchungen vorliegen. Zum anderen wird die Behörde regelmäßig gehalten sein, bereits vorhandene Erkenntnisse und Literatur zum Plangebiet und zu den dort nachgewiesenen oder möglicherweise vorkommenden Arten zu ihren artspezifischen Verhaltensweisen und den für sie typischen Habitatstrukturen auszuwerten. Solche Erkenntnisse können sich – stets unter Berücksichtigung ihrer Validität und der Art ihres Zustandekommens – ergeben aus vorhandenen Katastern, Registern und Datenbanken öffentlicher Stellen, in denen über größere Zeiträume hinweg Erkenntnisse zusammengetragen werden, aus Abfragen bei den Fachbehörden und bei Stellen des ehrenamtlichen Naturschutzes, durch Auswertung von gutachtlichen Stellungnahmen aus Anlass anderer Planvorhaben oder aus Forschungsprojekten, schließlich aus der naturschutzfachlichen Literatur im Allgemeinen.

Erst durch eine aus beiden Quellen (Bestandserfassung vor Ort, Auswertung vorhandener Erkenntnisse und Literatur) gewonnene und sich wechselseitig ergänzende Gesamtschau wird sich die Behörde regelmäßig die erforderliche hinreichende Erkenntnisgrundlage verschaffen können. Dabei ist hinsichtlich der Bestandsaufnahme vor Ort zu berücksichtigen, dass es sich um eine Erhebung zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem aufgrund vielfältiger Einflüsse ständigen Wechsel unterliegenden Naturraum handelt. Bestandsaufnahmen vor Ort, so umfassend sie auch angelegt sein mögen, stellen daher letztlich nur eine Momentaufnahme und aktuelle Abschätzung der Situation von Fauna und Flora im Plangebiet dar. Sie werden den „wahren“ Bestand nie vollständig abbilden können. Deshalb sind Erkenntnisse aus langjährigen Beobachtungen und aus früheren Untersuchungen oder aus der allgemeinen ökologischen Literatur eine nicht gering zu schätzende Erkenntnisquelle, die verbleibende Unsicherheiten, Erkenntnislücken oder ein Manko im Rahmen der Bestandsaufnahme vor Ort ausgleichen kann. Die Behörde muss prüfen, ob ältere Erkenntnisse im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung noch belastbar und aussagekräftig sind; ob und in welchem Umfang neu kartiert werden muss, hängt von den Ergebnissen dieser Überprüfung ab.

Autoren

Ass. jur.Jochen Schumacher und Dipl.-Biol.Anke Schumacher arbeiten am Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Das Institut ist interdisziplinär orientiert und befasst sich insbesondere mit Fragestellungen, die sowohl naturschutzfachlich-ökologische Aspekte als auch (umwelt- und naturschutz-)rechtliche Problemstellungen aufweisen.

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