Charakteristische Arten in FFH-Lebensraumtypen – auch ein Beitrag für mehr Rechtssicherheit
Was haben Ziegenmelker und Heidelaufkäfer, Blaukehlchen und Schwarzspecht gemeinsam? Sie können im Rahmen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung relevant sein, weil sie als „charakteristische Arten“ eines nach Anhang I FFH-RL zu schützenden Lebensraumtyps (LRT) einzustufen sind:
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- das Blaukehlchen aufgrund der Tatsache, dass es einen hohenBindungsgrad an bestimmte feucht-nasse LRT auszeichnet;
- der Schwarzspecht wegen seiner Wirkung alsStruktur- oder Habitatbildner , denn er schafft Baumhöhlen als den Lebensraumtyp prägende Strukturen in Buchenwäldern.
Diese Kriterien gelten auf derTypebene – mindestens eines der Attribute muss erfüllt sein, damit die geprüfte Art relevant wird. AufObjektebene sind aus diesem Artenset anschließend diejenigen zu betrachten, die im betroffenen FFH-Gebiet vorkommen und zugleich eine Empfindlichkeit gegenüber hier vorhabenbedingt relevanten Wirkfaktoren aufweisen.
Für die Auswahl und Bewertung solcher LRT-charakteristischen Arten liefert der erste Hauptbeitrag eine methodische Empfehlung. Damit thematisieren wir einen in der Praxis bislang stark vernachlässigten Aspekt des europäischen Naturschutzes, basierend auf einem neu entwickelten Leitfaden des Landes Nordrhein-Westfalen. Die FFH-Richtlinie definiert in Art. 1 den Erhaltungszustand eines natürlichen Lebensraums als „die Gesamtheit der Einwirkungen, die den betreffenden Lebensraum unddie darin vorkommenden charakteristischen Arten beeinflussen und die sich langfristig auf seine natürliche Verbreitung, seine Struktur und seine Funktionen sowie das Überleben seiner charakteristischen Arten in dem in Artikel 2 genannten Gebiet auswirken können. Der Erhaltungszustand eines natürlichen Lebensraums wird als ‚günstig‘ erachtet, [u.a.] wenn […] der Erhaltungszustand der für ihn charakteristischen Arten im Sinne des Buchstabens i) günstig ist.“
Das Vorgehen kann auf andere Bundesländer übertragen werden. Und das wäre dringend nötig – aus fachlichen Erwägungen wie aus Gründen der rechtlichen Planungssicherheit für die Vorhabenträger. Eines aber ist dabei ins Auge zu fassen: Die Umsetzung der FFH-Richtlinie verfolgt in aller Regel einen sehr statischen Ansatz – erhalten werden soll (muss) das Vorkommen an einem Ort in einem günstigen Erhaltungszustand. Wir bewegen uns aber in vom Menschen durch Nutzung über Jahrhunderte, ja Jahrtausende geschaffene Kulturlandschaften. Sie sind einem permanenten dynamischen Wandel unterworfen. Hierfür liefert in diesem Heft die Analyse von Daten aus dem 20. Jahrhundert für den Spitzberg bei Tübingen einen beeindruckenden Beleg. Die Änderungen der Landnutzung zeigten dort zugleich einen gravierenden Einfluss auf die vorkommenden Tagfalter und Widderchen – ihre Artenzahl nahm binnen 100 Jahren um genau ein Drittel ab. Nicht erfasst sind die quantitativen Änderungen der Biomasse, welche unter dem Schlagwort des „Insektensterbens“ aktuell sogar Eingang in die Publikumspresse, Fernsehen und Politik gefunden hat.
Unabhängig von der diskutierten statistischen Basis und der Verallgemeinerungsfähigkeit: Der gravierende Verlust an Insekten-Biomasse gerade in den Agrarlandschaften ist Fakt – wie stark auch immer er im konkreten Fall sein mag. Die Ausräumung, Düngung und Begiftung der Ackergebiete kann nicht folgenlos sein. Insektenfressern geht damit schlicht das Futter aus. Solche Entwicklungen aber erfasst auch die FFH-Richtlinie und ihre Umsetzung mit der FFH-Verträglichkeitsprüfung nicht: Sie fokussieren auf Einzelobjekte auf Art- bzw. LRT-Niveau. Keine Frage, Beides ist richtig und wichtig. Aber das genügt nicht. Wir brauchen in Biodiversitäts- und Nachhaltigkeitsstrategien neben den vorhandenen Indikatoren zum Artenverlust mit Blick überwiegend auf die gefährdeten, seltenen Arten dringend Ergänzungen.
Gut, dass die Europa-Parlamentarier gerade jetzt eine Post-2020-Strategie für die Biodiversität gefordert haben. Diese muss solche Punkte aufgreifen und die konsequentere Umsetzung der Naturschutz-Richtlinien durch weitere Maßnahmen ergänzen. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) und eine zusätzliche EU-Naturschutzfinanzierung müssen als Schlüsselinstrumente der Umsetzung gestaltet werden.
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