Grün-blaue Infrastruktur im urbanen Raum – Bürgerinitiative statt Hoffnungslosigkeit
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Doch das muss nicht sein: Als Best-practice-Beispiel zur Revitalisierung von Fließgewässern im urbanen Raum beschreiben Kasten Borggräfe, Wolfram Hammer, Lars Panzer und Eike Schilling in diesem Heft die „Lebendige Alster“. Das Hamburger Gewässerprojekt verdeutlicht, dass es dort, wo viele Menschen leben, nicht allein um morphologische, biologische und ökosystemar-funktionale Qualitäten geht. Gewässer dienen der Stadtbevölkerung zugleich auch als wichtige Erlebnisräume. Entsprechend demonstriert dieses Projekt nicht nur die durchaus bestehenden Spielräume für naturschutzfachliche Aufwertungen von Gewässersystemen in einer Metropole, sondern auch Möglichkeiten, menschliche Nutzungsansprüche im Rahmen von Freizeit und Erholung zu bedienen.
Logischerweise geht das Leitbild hier über das der Gewässerökologie hinaus, bei der der potenziell natürliche Zustand als Referenz dient: Es schließt die Alster und ihre Aue mit ihren urban geprägten Nutzungen ein. Die Hamburger Bevölkerung soll die Alster als wertvollen, erhaltenswerten und zu entwickelnden Lebens- und Erlebnisraum annehmen. Dazu erfolgte nicht allein eine Beteiligung mittels Bürgerwerkstätten bei den Planungen, sondern es wirkten Bürgerinnen und Bürger auch aktiv bei der Umsetzung von Maßnahmen mit, begleitet durch ein Kommunikationskonzept.
Geballte Probleme
Dieses Beispiel mag nicht grundlegend neu sein. Aber es zeigt sehr schön, welcher Handlungsbedarf und welche Handlungsmöglichkeiten für Fließgewässer als Adern in der Landschaft – gerade auch der urbanen – bestehen:
- EU-WRRL: Es ist absehbar, dass Deutschland wegen nicht ausreichender Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie gerügt und zum wesentlich engagierteren Handelns aufgefordert werden wird. Nach Angaben der EU-Kommission liegt die Bundesrepublik im europäischen Vergleich bei der Umsetzung der Gewässerschutzziele lediglich auf Platz 21 von 26. Nur 8 % (!) der Gewässer erreichen den guten ökologischen Zustand – „ein Armutszeugnis nach 17 Jahren Umsetzungspraxis“, urteilen BUND und NABU und reichten im August Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein. Sie kritisieren Zuständigkeitskonflikte zwischen Bund und Ländern an Bundeswasserstraßen, unvollständige Bewirtschaftungspläne und Maßnahmenprogramme, Umsetzung von Maßnahmen nur auf freiwilliger Basis und die Ausklammerung der Quellbäche aus der Umsetzung.
- Klimawandel: Als Kaltluftschneisen und kühlende Linien werden Talzüge entlang der Fließgewässer im besiedelten Raum angesichts der prognostizierten Auswirkungen des Klimawandels besonders hier wertvoller denn je. Sie bieten bei entsprechender Gestaltung damit wachsende Lebens- und Erholungsqualität und müssen als „grüne Infrastruktur“ weit offensiver als bisher in die Freiraumkonzepte integriert und aktiv entwickelt werden.
- Beteiligung: Naturschutz für die und mit den Menschen – dieser Ansatz benötigt gerade in den urbanen Räumen weit mehr Berücksichtigung. Dort, wo viele Menschen wohnen und arbeiten, sind die Ziele des Naturschutzes möglicherweise anders zu gewichten als auf dem Land. Und die Bevölkerung möchte – und sollte – mitreden bei der Gestaltung ihres Lebensumfeldes. Daraus kann durchaus eine bessere Unterstützung für die Revitalisierung und Durchgängigkeit der Fließgewässer resultieren.
Rasantes Wachstum
Derzeit wachsen die urbanen Landschaften rasant. In Frankfurt und Wiesbaden etwa werden ganz neue Stadtteile mit zigtausenden von neuen Wohneinheiten geplant. 20 000 Wohnungen fehlen derzeit in der Mainmetropole, für 2040 wird ein Defizit von 100 000 Wohnungen prognostiziert. Kann man da noch über Belange des Naturschutzes, aber auch der drastisch betroffenen Landwirtschaft diskutieren? Ja, jetzt erst recht – eine transparente Abwägung der gesellschaftlichen Interessen ist gefragter denn je. Und die Freihaltung von Gewässern und Auen als Lebenslinien sollte in neuen Baugebieten selbstverständlich sein. Ob als Biotopverbund oder „grün(-blau)e Infrastruktur“ bezeichnet – das alte Ziel ist so aktuell wie nie zuvor.
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