Überleben in fragmentierten Landschaften
Abstracts
Der Übergang von der traditionell genutzten zur modernen, industrialisierten Kulturlandschaft hat in Mitteleuropa zu dramatischen Veränderungen der Umwelt geführt. Landnutzungsintensivierung und Brachfallen waren verantwortlich für Degradierung, Verlust und Fragmentierung von Habitaten mit negativen Auswirkungen auf die Biodiversität. Seit Ende des letzten Jahrtausends gefährdet zudem der anthropogene Klimawandel die Artenvielfalt.
Biodiversität wird in fragmentierten Landschaften durch Habitatqualität, Flächengröße und Konnektivität der Habitate bestimmt. Die Habitatqualität ist i.d.R. mit der Flächengröße interkorreliert. Artspezifisch sind bestimmte Mindestflächengrößen notwendig, damit langfristig überlebensfähige Populationsgrößen aufgebaut werden können. Die Bedeutung der Konnektivität hängt stark von der Populationsstruktur ab: Arten, die geschlossene Populationen ausbilden, sind in der Lage, über lange Zeiträume in isolierten Habitaten zu überleben, sofern die Habitatqualität ausreicht. Dennoch sind auch diese Arten – mit meist geringer bis mittlerer Mobilität – zur Ausbreitung auf eine gute Vernetzung der Habitate angewiesen. Metapopulationsarten bedürfen generell gut vernetzter Habitate mit hinreichender Habitatqualität und Flächengröße.
Folglich sollte der Naturschutz in Zeiten des globalen Wandels in seinen Bemühungen zum Arten- und Biotopschutz auf eine Erhöhung der Habitatqualität und -heterogenität innerhalb der Habitate, eine Vergrößerung der Flächengröße und eine Verbesserung der Konnektivität abzielen.
Survival in fragmented landscapes – Conservation of Central European biodiversity in times of global change
Due to the transition from traditional land use to modern agricul ture throughout Central Europe, semi-natural habitats are subject to severe environmental changes. Both agricultural intensification and abandonment have caused degradation, loss and fragmentation of such habitats with adverse effects on biodiversity. Recently, climate change has become an additional threat to our wild¬life.
The study presented analyses the parameters that determine species richness in fragmented landscapes. Based on this analysis the most important drivers of biodiversity are (i) habitat quality, (ii) patch size and (iii) connectivity. Habitat quality and patch size are usually interrelated, and increasing patch size mostly leads to increased habitat heterogeneity. Additionally, species in general have specific area size requirements for their long term survival.
The relevance of connectivity clearly depends on the population structure. Species with closed populations are able to survive for long time periods in isolated patches if the habitat quality and size are sufficient. Nevertheless, for dispersal these species – usually exhibiting a low to medium mobility – also depend on connectivity. Metapopulation species, however, require well-connected networks of habitat patches with suitable habitat quality and size. Consequently, conservation management in Central Europe should focus on (i) im¬proving habitat quality and habitat heterogeneity within patches, (ii) increasing patch size and (iii) enhancing connectivity.
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1 Einleitung
Die Erhaltung und Förderung der Artenvielfalt ist weltweit spätestens seit der Verabschiedung des Übereinkommens über die biologische Vielfalt ( Convention on Biological Diversity ) in Rio de Janeiro 1992 das zentrale Thema des Naturschutzes (Heywood1995). Entsprechend hat eine große Zahl von Ländern nationale Strategien für den Schutz der biologischen Vielfalt verabschiedet, so auch Deutschland (BMU 2007).
Der rezente Rückgang der Biodiversität hat weltweit ein bislang unbekanntes Ausmaß erreicht. Aktuell sind die Aussterberaten von Pflanzen- und Tierarten um den Faktor 1 000 höher, als es natürlicherweise zu erwarten wäre (De Voset al. 2014). Trotz großer Anstrengungen des Naturschutzes setzt sich diese dramatische Entwicklung fort. Entsprechend warnenBarnoskyet al. (2011) vor einem möglichen sechsten Massenartensterben.
Als Hauptverursacher des globalen Artensterbens wird der Mensch angesehen. Insbesondere Änderungen der Landnutzung haben erheblich zum Verlust der Artenvielfalt beigetragen (Salaet al. 2000). Seit Ende des letzten Jahrtausends steht zudem zunehmend die Bedeutung des anthropogenen Klimawandels für den Rückgang der Artenvielfalt im wissenschaftlichen Fokus (Streitbergeret al. 2016). Es wird davon ausgegangen, dass der Einfluss des Klimawandels auf die Biodiversität zukünftig den von direkten Lebensraumveränderungen übertreffen wird. Bis Mitte dieses Jahrhunderts wird aufgrund des Klimawandels ein Rückgang der mitteleuropäischen Artenvielfalt um bis zu 30 % prognostiziert (Thomaset al. 2004).
Der Landnutzungswandel hat zu gravierenden quantitativen und qualitativen Veränderungen der mitteleuropäischen Landschaften geführt (Ellenberg & Leuschner2010, Fartmann2006, Gatter2000, Poschlod2015; Abb. 1). Dabei ist insbesondere eine massive Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche bei gleichzeitiger Abnahme von extensiv oder kaum genutzten Habitaten (Öd- und Unland) wie Magerrasen zu verzeichnen (Fartmann2006; Abb. 1). Infolgedessen kommen derartige Lebensräume heute häufig nur noch kleinflächig und isoliert in unserer Landschaft vor. Entsprechend werden solche Landschaften als fragmentierte Landschaften bezeichnet. Der Fortbestand der Lebensgemeinschaften in den Habitatfragmenten ist zudem oft durch eine verringerte Habitatqualität aufgrund von Nutzungsintensivierung oder -aufgabe (Veenet al. 2009) und atmosphärischen Stickstoffeinträgen (Stevenset al. 2004) gefährdet.
Für Deutschland ist im letzten Jahrhundert ein Anstieg der Jahresmitteltemperatur von bis zu 1 °C zu verzeichnen (Jonaset al. 2005,Rapp2000, UBA 2006). Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts wird ein Anstieg um 2,5 bis 3,5 °C erwartet (UBA 2006). Der Jahresniederschlag hat im letzten Jahrhundert im Westen Deutschlands bis zu 20 % zugenommen, während im Osten kein klarer Trend erkennbar ist; dabei nehmen die Niederschläge im Winter zu, während sie im Sommer zurückgehen (Leuschner & Schipka2004). Zukünftig könnten sich der Anstieg der Winterniederschläge und der Rückgang der Sommerniederschläge fortsetzen (Leuschner & Schipka2004, UBA 2006). Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten extremer Wetterereignisse wie Hitzewellen, Starkniederschläge oder Stürme nimmt zudem zu (Jonaset al. 2005,Schönwiese2007). Die Änderung des Klimas wirkt auf komplexe Art und Weise auf Arten und Lebensgemeinschaften. Typische Folgen sind phänologische Veränderungen, veränderte biotische Interaktionen (z.B. Desynchronisation – mismatch ) und Arealverschiebungen (Streitbergeret al. 2016).
Gegenwärtig fehlen zukunftsfähige Konzepte zur Erhaltung der Artenvielfalt in Deutschland, die sowohl die Auswirkungen des Landnutzungs- als auch des Klimawandels hinreichend berücksichtigen (Fartmannet al. 2012a,Streitbergeret al. 2016). Im diesem Beitrag wird erläutert, unter welchen Bedingungen Arten in fragmentierten Landschaften überleben können. Zunächst werden die Schlüsselfaktoren vorgestellt, die die Kontinuität (Persistenz) der Artvorkommen bestimmen. Anschließend geht der Beitrag auf das Zusammenspiel von Landnutzungs- und Klimawandel ein. Der Artikel mündet in konkrete Maßnahmen-Empfehlungen für die langfristige Erhaltung der Biodiversität in Zeiten des globalen Wandels.
2 Persistenz von Arten in fragmentierten Landschaften
2.1 Grundlagen
Die Faktoren, die das Vorkommen von Arten in unseren fragmentierten Landschaften bestimmen, hängen stark von der Mobilität bzw. Populationsstruktur der Taxa ab. Arten mit geringer Mobilität bilden häufig geschlossene Populationen aus. Sie sind in der Lage, selbst in isolierten Habitaten über längere Zeiträume zu überleben, sofern sie groß genug sind und eine günstige Habitatqualität aufweisen (Tab. 1). Ein typisches Beispiel für eine Art, die geschlossene Populationen ausbildet, ist die flugunfähige Kurzflügelige Beißschrecke ( Metrioptera brachyptera ) (Poniatowski & Fartmann2010; Abb. 2). Die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens von M. brachyptera in den Kalkmagerrasen des Diemeltals (Ostwestfalen/Nordhessen) hängt von ausreichender Feuchte (Habitatqualität) – da die Eier relativ austrocknungsempfindlich sind – und Größe der Habitate ab. Die Isolation spielt dagegen keine Rolle bei der Erklärung der Vorkommen.
Flugfähige und deutlich mobilere Arten – wie die meisten Tagfalter – weisen dagegen eher Metapopulationsstrukturen auf. Ihr Vorkommen hängt von der Habitatqualität, Flächengröße und Isolation der Habitate ab (Antheset al. 2003, Eichel & Fartmann2008, Stuhldreher & Fartmann2014). Ein typisches Beispiel für eine Metapopulationsart ist der Ehrenpreis-Scheckenfalter ( Melitaea aurelia ) (Eichel & Fartmann2008; Titelbild). In den Kalkmagerrasen des Diemeltals (Ostwestfalen/Nordhessen) sind für die Art geeignete Habitate durch eine ausreichende Wirtspflanzendeckung (Mittlerer Wegerich [ Plantago media ]) und Streuschichthöhe (beides Faktoren der Habitatqualität), hinreichende Flächengröße und geringe Isolation gekennzeichnet.
Basierend auf den vorigen Ausführungen können Arten, die geschlossene Populationen aufweisen, als Indikatoren für die Habitatqualität herangezogen werden. Metapopulationsarten gelten darüber hinaus als Indikatoren für die Landschaftsstruktur: Sie sind auf ein Netz von Habitaten mit günstiger Qualität und ausreichender Größe in räumlicher Nachbarschaft angewiesen. Die Übergänge zwischen Arten mit geschlossenen Populationen und Metapopulationen sind teilweise fließend. Gleiches gilt folglich für ihre indikatorische Bedeutung. Nachfolgend sollen die drei Schlüsselfaktoren (Habitatqualität, Flächengröße, Isolation), die das Überleben von Arten in fragmentierten Landschaften bestimmen näher betrachtet werden.
2.2 Habitatqualität
Die Habitatqualität bestimmt gleichermaßen das Vorkommen von Arten mit geschlossenen Populationen und Metapopulationen. Beeinflusst wird die Habitatqualität ganz entscheidend durch das Landnutzungs-/Störungsregime. Insbesondere für das Gros der seltenen und gefährdeten Arten kommt frühen bis mittleren Sukzessionsstadien eine herausragende Bedeutung zu (Fartmann2006).
Exemplarisch kann dies für die Heuschreckenzönosen der Steppenrasen im Nationalpark Unteres Odertal (Brandenburg) gezeigt werden (Fartmannet al. 2012b; Abb. 3). Die Artenvielfalt der Trockenrasenspezialisten ist in den frühen bis mittleren Sukzessionsstadien signifikant am höchsten. Aufgrund regelmäßiger Nutzung weisen diese Stadien eine niedrigwüchsige und lückige Vegetation auf. Für andere Lebensraumtypen (Heiden:Schirmelet al. 2011; Wälder:Fartmannet al. 2013,Helbinget al. 2014) und Organismengruppen (Tagfalter:Fartmannet al. 2013,Schirmel & Fartmann2014) lassen sich diese Muster in gleicher Weise bestätigen.
Auch eine Auswertung der aktuellen Roten Listen der Tagfalter und Heuschrecken Deutschlands zeigt den Zusammenhang zwischen starker Gefährdung und Bindung an frühe Sukzessionsstadien (Abb. 4). Insbesondere bei den Heuschrecken (Abb. 4b), aber auch bei den Tagfaltern (Abb. 4a), dominieren in den Gefährdungskategorien 1 bis 3 (vom Aussterben bedroht, stark gefährdet und gefährdet) Arten der frühen Sukzessionsstadien mit Anteilen von 75 bis 90 % bzw. 50 bis 60 %. Innerhalb der Vorwarnliste machen Arten stark störungsabhängiger Habitate nur noch ein Viertel aus.
Die Umweltfaktoren, die durch das Landnutzungs-/Störungsregime entscheidend beeinflusst werden – und insbesondere für Insekten relevant sind – sind das Mikroklima und die Phytodiversität. Da Insekten ektotherme Organismen sind, hängen Aktivität, Verhalten und Fortpflanzungserfolg entscheidend von den Umgebungstemperaturen ab. Viele Arten bevorzugen daher mikroklimatisch begünstigte Mikrohabitate, wie sie für frühe Sukzessionsstadien typisch sind (Fartmann2004,2006; Fartmannet al. 2012b, 2013; García-Barros & Fartmann2009,Helbinget al. 2014,Poniatowski&Fartmann2008). Neben der niedrigwüchsigen Vegetation begünstigt hier auch offener Boden die Erwärmung (Streitberger & Fartmann2015). Zudem sind besonnte, offene Bodenstellen wichtige Eiablage- und Nisthabitate für Heuschrecken- oder Wildbienenarten (z.B.Fartmann & Mattes1997, Schirmelet al. 2010,Schuhmacher & Fartmann2003, Wünschet al. 2012).
Bei stenophagen Insekten – wie den meisten Tagfalterarten – besteht zudem ein direkter Zusammenhang zwischen Phyto- und Zoodiversität in einem Habitat. Exemplarisch kann dies für präalpine Kalkmagerrasen (Buckelwiesen) des Werdenfelser Landes (Bayern) gezeigt werden. Die Artenzahl der Tagfalter-Habitatspezialisten nimmt hier mit der Anzahl der Wirtspflanzen im Habitat zu (Krämeret al. 2012; Abb. 5).
Eine hohe Phytodiversität in Offenlandhabitaten ist wiederum meist die Folge von Nährstoffarmut und extensiver Nutzung (Ellenberg & Leuschner2010). Beides schwächt konkurrenzkräftige Pflanzenarten, sorgt für ausreichend Licht in Bodennähe und begünstigt die Entstehung von Regenerationsnischen für konkurrenzschwache Pflanzenarten (Fleischeret al. 2010, 2013;Streitbergeret al. 2017).
Die Pflanzenartenvielfalt wird zudem durch eine hohe Habitatheterogenität gefördert, da dann Arten mit unterschiedlichen Habitatansprüchen koexistieren können (Ellenberg & Leuschner2010). Gleiches gilt für die Zoodiversität (Fartmannet al. 2012b, 2013;Helbinget al. 2017;Krämeret al. 2012,Löffler & Fartmann2017; Abb. 6). Habitatheterogenität ist zudem ein wirksamer Puffer gegenüber klimatischen Extremereignissen (Fartmann2006, Streitbergeret al. 2016). Gerade in Zeiten des Klimawandels weisen daher heterogene Habitate deutlich höhere Überlebenswahrscheinlichkeiten für Arten auf.
Zahlreiche Tierarten sind darüber hinaus zwingend auf eine hohe Habitatheterogenität angewiesen, da sie im Laufe ihrer Individualentwicklung Mikrohabitatwechsel vollziehen müssen. Bei Insekten besonders gut belegt ist dies für große Langfühlerschrecken wie den Warzenbeißer ( Decticus verrucivorus ) (Schirmelet al. 2010,Schuhmacher & Fartmann2003, Wünschet al. 2012). Aber auch bei kleineren Arten wie der Gefleckten Keulenschrecke ( Myrmeleotettix maculatus ) und Westlichen Beißschrecke ( Platycleis albopunctata ) unterscheiden sich die Eiablagehabitate, die Mikrohabitate der jungen Larven und alten Larven sowie die der Imagines deutlich (Wünschet al. 2012; Abb. 7). Mit zunehmender Größe und voranschreitender Vegetationsperiode – verbunden mit höheren Temperaturen – suchen die Tiere verstärkt höhere Vegetation auf, die genügend Schutz vor Feinden und zu hohen Temperaturen sowie ausreichend Nahrung bietet.
2.3 Flächengröße
Einerseits steigt mit zunehmender Flächengröße eines Habitats die Wahrscheinlichkeit, dass es eine höhere Habitatheterogenität aufweist und zumindest über Teilbereiche mit hoher Habitatqualität für die betrachtete Art verfügt. Somit dürfte also aufgrund der in Abschnitt 2.1 (Habitatqualität) getroffenen Aussagen eine Zunahme der Habitatgröße per se förderlich für Arten sein (s. auchLöffler & Fartmann2017). Anderseits benötigen Arten – artspezifisch unterschiedlich große – Mindestflächen für den Aufbau langfristig überlebensfähiger minimaler Populationsgrößen ( minimum viable population ) (Fartmann & Remy2016). Für größere Wirbeltiere ist der große Raumanspruch hinlänglich bekannt. Aber auch Wirbellose benötigen für das dauerhafte Überleben mitunter große Flächen.
Exemplarisch soll dies am Beispiel des Mittleren Perlmutterfalters ( Argynnis niobe ) dargestellt werden (Abb. 8). Die Art war ursprünglich weit verbreitet in Deutschland und kam in allen Bundesländern vor (Salz & Fartmann2009, 2017). Innerhalb der letzten 100 Jahre kam es aber zu dramatischen Bestandseinbrüchen: In mehr als 90 % der ehemals besiedelten Messtischblätter ist A. niobe heute nicht mehr nachgewiesen (Salz & Fartmann2017). Einer der wenigen verbliebenen Verbreitungsschwerpunkte sind die Ostfriesischen Inseln (Niedersachsen). Hier besiedelt A. niobe Graudünen mit Hunds-Veilchen ( Viola canina ) als Wirtspflanze (Salz & Fartmann2009). Wie eine vergleichende Betrachtung der Inseln in der Nordsee von Texel (NL) bis Skallingen (DK) zeigt, benötigt A. niobe mindestens 100 ha zusammenhängender Graudünenfläche für ein dauerhaftes Vorkommen (Abb. 9).
2.4 Isolation
Arten mit geschlossenen Populationen können auch über längere Zeiträume in isolierten Habitaten überleben, sofern diese eine günstige Habitatqualität aufweisen und groß genug sind (s. Abschnitt 2.1, Grundlagen). Aber auch solche Arten sind für eine Ausbreitung auf eine gute Vernetzung der Habitate angewiesen, insbesondere da sie meist nur über eine geringe Mobilität verfügen (Poniatowski & Fartmann2010, Poniatowskiet al. 2016). Dies gilt auch für mögliche Ausweichbewegungen im Zuge des Klimawandels (Streitbergeret al. 2016).
Bei Metapopulationsarten ist dagegen eine gute Vernetzung der Habitate eine zwingende Voraussetzung für das Vorkommen (s. Abschnitt 2). Bei den meisten Metapopulationsstudien wurde bislang die Isolation bzw. Konnektivität von Habitaten anhand von Luftliniendistanzen (euklidische Distanzen) ermittelt (Antheset al. 2003, Eichel & Fartmann2008, Stuhldreher & Fartmann2014). Welchen Einfluss die Landschaftsstruktur auf die Konnektivität der Habitate (funktionelle Konnektivität) hat, wurde dagegen bislang kaum untersucht. Aktuelle Studien belegen nun eindeutig einen starken Einfluss der Struktur der umgebenden Landschaft auf die Wanderbewegungen zwischen den Habitaten (Krämeret al. 2012,Poniatowskiet al. 2016). Dies trifft insbesondere auf Arten mit geringer und mittlerer Mobilität wie Zikaden, Heuschrecken und Tagfalter zu.
3 Interaktive Effekte von Landnutzungs- und Klimawandel auf Arten
In den fragmentieren Landschaften Mitteleuropas stellt der Klimawandel eine zusätzliche Bedrohung für die Biodiversität dar. Am Beispiel einer gefährdeten Tagfalterart, dem Schlüsselblumen-Würfelfalter ( Hamearis lucina ) (Abb. 10), sollen die interaktiven Effekte von Landnutzungs- und Klimawandel exemplarisch vorgestellt werden.
In den Kalkmagerrasen des Diemeltales (Ostwestfalen/Nordhessen) bevorzugt H. lucina West- und Südwesthänge mit Vorkommen der Wiesen-Schlüsselblume ( Primula veris ) als Wirtspflanze zur Eiablage (Fartmann2006). Südhänge werden dagegen weitestgehend gemieden, da die Gefahr des Vertrocknens der Wirtspflanzen im Frühjahr sehr hoch ist. Durch zunehmende Frühjahrstrockenheit im Zuge des Klimawandels steigt zukünftig auch das Vertrocknungsrisiko für P. veris in westexponierten Kalkmagerrasen (Abb. 11). Wie eine Studie in verschiedenen Lebensräumen in Deutschland zeigt, ist H. lucina in der Lage, die Gelegegrößen an das Vertrocknungsrisiko der Wirtspflanze anzupassen (Antheset al. 2008). In den Kalkmagerrasen des Diemeltals verfolgt die Art aufgrund des generell hohen Vertrocknungsrisikos der Wirtspflanze bereits eine Strategie der Risikostreuung. Die Eier werden meist in Form von Zweiergelegen oder sogar nur einzeln abgelegt. Eine weitere Anpassung der Gelegegröße ist also kaum möglich. Die Besiedlung nord- und ostexponierter Flächen ist auch nahezu ausgeschlossen, da kaum noch offene Kalkmagerrasen mit dieser Exposition im Diemeltal vorhanden sind (Fartmann2006). Da die Art zudem nur eine geringe Mobilität aufweist, sind Ausweichbewegungen im Zuge des Klimawandels eher unwahrscheinlich und ein deutlicher Rückgang der Art ist daher zu erwarten.
4 Erhaltung der Biodiversität in Zeiten des globalen Wandels
Das übergeordnete Ziel des Naturschutzes ist die Erhaltung einer möglichst hohen habitattypischen Artenvielfalt (Streitbergeret al. 2016). Alle Naturschutzmaßnahmen sollten sich daher aus Gründen der Praktikabilität an für die jeweiligen Lebensraumtypen repräsentativen Zielarten orientieren. Zielarten sind nachBernotatet al. (2002) die empfindlichsten und schutzbedürftigsten Arten eines Anspruchstyps. Durch Optimierung ihrer Lebensräume wird indirekt das Gros der habitattypischen Arten gefördert.
Um das langfristige Überleben der Zielarten zu gewährleisten, sind erstens eine hohe Habitatqualität, zweitens eine ausreichende Flächengröße und drittens eine gute Konnektivität der Habitate zu gewährleisten:
- Eine günstige Habitatqualität ist zwingend für alle Zielarten erforderlich. Die benötigte Habitatqualität ist artspezifisch unterschiedlich und wird entscheidend durch das Landnutzungs- und Störungsregime beeinflusst. Für die Mehrzahl der gefährdeten Arten kommt insbesondere frühen und mittleren Sukzessionsstadien eine Schlüsselrolle zu (s. Abschnitt 2.2, Habitatqualität).
- Weiterhin gilt es, die artspezifisch relevanten Ansprüche an die Flächengröße zu berücksichtigten. Mit zunehmender Flächengröße eines Habitats nimmt in aller Regel die Habitatheterogenität zu (Löffler & Fartmann2017). Habitatheterogenität fördert generell die Artenvielfalt und ist ein wirksamer Puffer gegenüber klimatischen Extremereignissen (Fartmann2006, Streitbergeret al. 2016). Artspezifisch sind zudem bestimmte Mindestflächengrößen notwendig, damit überhaupt langfristig überlebensfähige Populationsgrößen aufgebaut werden können.
- Die Konnektivität der Habitate ist ein weiterer Schlüsselfaktor, um das langfristige Überleben von Arten zu sichern. Während Arten, die in Metapopulationen leben, generell auf eine hohe Konnektivität der Habitate angewiesen sind, benötigen Arten mit geschlossenen Populationen zumindest für die Ausbreitung eine gute Vernetzung der Habitate. Der Habitatkonnektivität kommt darüber hinaus insbesondere für mögliche Ausweichbewegungen im Zuge des Klimawandels eine große Bedeutung zu (Streitbergeret al. 2016).
In Landschaften, in denen viele Habitate degradiert sind oder gar zerstört wurden, kann die Renaturierung von Lebensräumen zudem einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Erhaltung der Zielarten leisten (Borchardet al. 2013,Helbinget al. 2015).
Literatur
Aus Umfangsgründen steht das ausführliche Literaturverzeichnis unter www.nul-online.de (Webcode 2231) zur Verfügung.
Fazit für die Praxis
Das übergeordnete Ziel des Naturschutzes ist die Erhaltung einer möglichst hohen habitattypischen Artenvielfalt. Alle Naturschutzmaßnahmen sollten sich daher aus Gründen der Praktikabilität an für die jeweiligen Lebensraumtypen repräsentativen Zielarten orientieren. Zielarten sind die empfindlichsten und schutzbedürftigsten Arten eines Anspruchstyps. Durch Optimierung ihrer Lebensräume wird indirekt das Gros der habitattypischen Arten gefördert. Um das langfristige Überleben der Zielarten zu gewährleisten, sind eine
1. hohe Habitatqualität,
2. ausreichende Flächengröße und
3. gute Konnektivität der Habitate zu gewährleisten.
Kontakt
Prof. Dr. Thomas Fartmann ist Ökologe und Biogeograph. Er leitet die Abteilung für Biodiversität und Landschaftsökologie an der Universität Osnabrück. Zu seinen Forschungs- und Lehrschwerpunkten zählen die Auswirkungen des rezenten Landnutzungs- und Klimawandels auf die Biodiversität (Global Change Ecology ). Darüber hinaus sind die Störungsökologie (Disturbance Ecology ) und Renaturierungsökologie (Restoration Ecology ) weitere wichtige Themenfelder. Bislang hat er mehr als 160 wissenschaftliche Publikationen – darunter zehn Bücher – zur Tier- und Vegetationsökologie sowie Naturschutzbiologie veröffentlicht.
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