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Wissenschaftsbasierter Definitionsvorschlag und praxisnahe Anwendung

Ein neues Verständnis der „charakteristischen Arten“ der FFH-Richtlinie

Abstracts

Charakteristische Arten sind ein Bewertungsinstrument der FFH-Richtlinie, dessen Verwendung bisher oft vernachlässigt und das sehr inhomogen angewandt wird. Gründe hierfür sind der unbestimmte Charakter des Begriffs ebenso wie sehr unterschiedliche Deutungsversuche.

Die charakteristischen Arten sollten nach ihrer Stetigkeit und Treue zum Lebensraum definiert und statistisch abgesichert werden, wobei es auf eine enge, d.h. ausschließliche Bindung an den zu charakterisierenden Lebensraum nicht ankommt, da es nicht um die Charakterarten geht. Vielmehr ist neben einer Affinität zum Lebensraum entscheidendes weiteres Merkmal, dass die Art an mindestens einen Schlüsselfaktor des zu charakterisierenden Lebensraums gebunden ist.

An erster Stelle sollte die Anwendung der charakteristischen Arten an den Wirkfaktoren des zu bewertenden Eingriffs ansetzen; die Schnittstelle hierfür ist die Bindung der Arten an die relevanten Schlüsselfaktoren des Lebensraums. Im Falle der nicht-eingriffsbedingten Bewertung des Erhaltungszustands eines Lebensraums, z.B. im Gebietsmanagement, kann die Vollständigkeit der zu erwartenden Arten aus dem Pool der charakteristischen Arten wichtigen Aufschluss darüber geben, welche Schlüsselfaktoren im Lebensraum pessimal ausgeprägt sind, und so ebenfalls ein wertvolles Werkzeug sein.

A new understanding of ”characteristic species“ according to the Habitats Directive – Suggested definition from a scientific point of view and practical implementation

The Habitats Directive includes the evaluation criterion “characteristic species”. It has largely been neglected and applied inconsistently. Reasons are the undefined character of the term and very different attempts for its interpretation.

The pool of characteristic species of a habitat should be defined based on their statistically confirmed affinity to the habitat. Exclusive fidelity is no required, since this criterion aims at defining character species. Characteristic species rather show an affinity or fidelity to a least one key factor of the habitat type concerned.

The application of characteristic species should primarily draw on the effects of the plan or purpose to be assessed; its interface is the dependence of the species on the relevant key factors of the habitat. In the case of an evaluation which is not impact-related, e. g. for the management of a site, the grade of completeness of the pool of characteristic species allows important conclusions which key factors might be lacking of are in an insufficient stage. This can also be a useful application of this criterion.

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1 Die FFH-Richtlinie und die Arten

Wenn im Zusammenhang mit der FFH-Richtlinie von Arten die Rede ist, dann sind meist die Arten der Anhänge II, IV und V dieser Richtlinie gemeint. Diese sind als Arten des Anhangs II eine Auswahl-Grundlage des FFH-Gebietsnetzes und als jene der beiden weiteren Anhänge Gegenstand europäischen Artenschutzes. Schon um diese Anhänge und die Sinnhaftigkeit der in ihnen getroffenen notwendigen Auswahl von Arten ist viel diskutiert worden (z.B. aus laufkäferkundlicher SichtMüller-Motzfeld2000).

Zwar bestehen offensichtlich teilweise Missverständnisse über Sinn und Zweck speziell des Anhangs II, der kein Abbild der Roten Listen sein kann oder soll, sondern vielmehr qualitative Aspekte wie Habitatvernetzung, Komplexhabitate, Habitattradition oder Dynamik in das Netz einbringen soll (Müller-Motzfeld1994, 2000). Ob dies immer gelungen ist, mag man in der Tat diskutieren (vgl.Müller-Kroehling2004). Vorher sind wohl auch noch erhebliche weitere Anstrengungen notwendig, die FFH-Richtlinie überhaupt erst einmal vollständig richtlinienkonform umzusetzen. Dann erst wird ein Urteil möglich sein, ob nicht doch die Anhang-II-Arten ihre Funktion als „ Schirmart “, die ihnen durch den Anhang-II-Status im Europäischen Schutzgebietsnetz zugedacht ist, besser erfüllen als zum Teil angenommen. Vorteil der Anhang-Arten ist jedenfalls, dass ihre Auswahl bereits getroffen ist und so die unvermeidliche Diskussion über diesen Teil von Natura 2000 sich auf die Anwendung und Umsetzung beschränken kann.

Dass sich Naturschutz in Deutschland zunehmend stark auf das Natura-2000-Netz konzentriere und dass die Anhang-Arten der FFH-Richtlinie mehr oder weniger die einzigen Arten seien, um die es bei den derzeitigen Erhebungen und Bemühungen seitens des amtlichen Naturschutzes noch gehe, ist indes eine – hinter vorgehaltener Hand – häufig zu hörende Kritik verbandlicher und ehrenamtlicher Naturschützer.

Dabei kennt die FFH-Richtlinie noch eine weitere Kategorie von Arten, die charakteristischen Arten. Diese in Art. 1 der FFH-Richtlinie genannte Kategorie hat mit den Anhang-II-Arten gemeinsam, dass sie nicht an erster Stelle (nur) für sich selbst stehen sollen. Vielmehr sollen speziell die „charakteristischen Arten“ wesentlich dazu dienen, den Erhaltungszustand der Lebensraumtypen (LRT) des Anhangs I zu bewerten. Diese im Anhang I typisierten Lebensräume bilden das überwiegend vegetationskundlich definierte Grundgerüst des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000, das aber in Bezug auf seine Strukturen und Wertmerkmale der qualitativen Bewertung bedarf.

2 Ziel: Objektivierung von Zuständen

Die Bewertung des Zustands von Lebensräumen ist eine sehr häufige und meist in einem kontroversen Umfeld erfolgende Fragestellung der Naturschutzpraxis. Ist ein Eingriff erheblich? Ist eine Trassenwahl die Optimale? Ist eine Form der Behandlung des Lebensraumes günstiger als eine andere? Wie wirkt sich die Grundwasserabsenkung auf die Lebensräume aus? Welche Maßnahmen des Gebietsmanagements sind notwendig? Wie entwickelt sich der landesweite Bestand eines Lebensraumtyps nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ? In diesem Zusammenhang hat das Merkmal „charakteristischer Arten“ der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie eine potenziell sehr große Bedeutung. Es kann menschliche und damit subjektive Vorstellungen vom Zustand der Lebensräume durch konkrete Habitatansprüche von Arten, die als charakteristisch für die Lebensräume anzusehen sind, ersetzen. Darum geht es also bei den charakteristischen Arten: objektivierte Bewertung.

Eine Bewertung mittels charakteristischer Arten ist demnach kein „Selbstzweck“, so dass es auch nicht vorrangig um die Seltenheit oder Schutzwürdigkeit der charakteristischen Arten geht. Das Ziel einer Objektivierung der Bewertung des Zustands von Lebensraumtypen bedeutet auch, dass die Auswahl und Einstufung der charakteristischen Arten keiner zu stark „gutachterlichen“ und insofern möglicherweise beliebig erscheinenden Komponente unterliegen sollte.

3 Bisherige Vorschläge und Ansätze

Über die Tatsache, dass die charakteristischen Arten eigentlich obligater Bestandteil der Bewertung des Zustands von LRT sind, besteht wohl noch weitgehend Konsens (Bernotatet al. 2007). Gleiches gilt wohl für die Forderung, diesem Merkmal mehr Beachtung zu schenken (Trautner2010). Gleichzeitig sieht die Praxis weiterhin anders aus. Vielfach (etwa in den Managementplänen der verschiedenen Bundesländer) werden nur die vorkommenden Baumarten oder nur die Gefäßpflanzen zur Bewertung des Merkmals herangezogen. In FFH-Verträglichkeitprüfungen, wo das Merkmal besonders wichtig wäre (s.u.), wird es bisher vielfach eher stiefmütterlich behandelt, etwa auf Basis vorhandener Streudaten und ohne echte Konsequenz in der Berücksichtigung.

Eine erste Abhilfe bietet der Ansatz, in „Handbüchern“ der LRT neben weiteren Angaben auch Listen charakteristischer Arten aufzuführen, so bereits im „BfN-Handbuch“ (Ssymanket al.1998)und somit der Frühphase der FFH-Umsetzung. Neuere Beispiele stammen aus Bayern (LfU & LWF 2004) und Sachsen-Anhalt (LfU Sachsen-Anhalt 2002,Arndt2008). In den Listen dieses Typus sind eng an den LRT gebundene, aber auch in verschiedenen LRT weit verbreitete, nur „auch“ im LRT vorkommenden Arten (oft Arten, die hier sehr stetig vertreten sind), oft jedoch, ohne beide Kategorien als solche zu kennzeichnen, und für beide auch ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Ein weiterer Ansatz lautet, in Landes-Checklisten oder Roten Listen konkreter Artengruppen gutachterlich auch jene Arten zu benennen, die für die Lebensräume als „charakteristische Arten“ (oder als „Charakterarten“) zu verstehen sein sollen (z.B.Gürlichet al. 2011 für die Käfer Schleswig-Holsteins).

Mehrere Autoren haben indes insbesondere mahnend auch gefordert, dass das Merkmal „charakteristischer Arten“ sich nicht in der „Unerschöpflichkeit“ der Artenvielfalt verlieren dürfe (Trautner2010). Den Autoren, die in diese Richtung gehende Methodenvorschläge oder Anforderungsmerkmale für solche Listen charakteristischer Arten publiziert haben (z.B.Gürlichet al. 2011, Trautner2010), ging es dabei daher vor allem auch um eng gefasste Listen auf der Basis einer besonders in Bezug auf die Treue strengen Definition. Die formulierten Anforderungen laufen letztlich auf die Charakterarten hinaus, also streng an den Lebensraum gebundene, ferner auch noch möglichst stetig auftretende Arten, die drittens auch an das Vorhandensein vollständig intakter Habitatbedingungen gebunden sein sollen (Trautner2010, Gürlichet al. 2011).

Gemeinsam ist den bisher vorliegenden Ansätzen, dass die Auswahl der Arten und Zuweisung zu den LRT einen rein gutachterlichen Charakter hat.

4 Vorschlag zur Weiterentwicklung

Als Hauptgründe gegen eine stärkere Anwendung standen bisher wohl die fehlende, allseits anerkannte Grund-Definition, was sich hinter dem Merkmal eigentlich verbirgt, was es bezwecken soll, und wie es methodisch herzuleiten und auch wie es methodisch anzuwenden sei, und mithin ein in verschiedener Hinsicht fehlendes gemeinsames und klares Verständnis dieses Merkmals im Weg. Planungsbehörden und Gerichte, die sich mit der Umsetzung von FFH auseinandersetzen, sehen sich in der Konsequenz einem unbestimmten Rechtsbegriff und einer großen Inhomogenität in der Handhabung des Merkmals gegenüber. Es ist offensichtlich, dass dieser Zustand nicht zum Nutzen der Ziele der FFH-Richtlinie ist. Es besteht daher ein dringender Weiterentwicklungsbedarf.

Hier soll daher ein neuer Ansatz vorgestellt werden, der an folgenden Eckpunkten anknüpft:

  • Die Auswahl der Arten erfolgt auf Basis wissenschaftlicher, vor allem auch statistisch belegter Auswertungen.
  • Die charakteristischen Arten werden begrifflich klar von den Charakterarten abstrahiert, da diese einen völlig anderen Bewertungszweck haben und nur einen Sonderfall der charakteristischen Arten darstellen; sie werden daher auch nicht auf jene beschränkt.
  • Neben der Affinität zum Lebensraum ist die – ebenfalls statistisch belegte – Bindung an Schlüsselfaktoren des Lebensraums (durchaus nicht zwingend an alle Faktoren gleichzeitig) entscheidendes Merkmal der charakteristischen Arten des LRT.
  • Dabei ist das Merkmal für die konkrete Anwendung immer Fragestellung-bezogen zu verstehen, in Bezug auf die betrachteten Wirkfaktoren des zu bewertenden Eingriffs.

5 Arten und Lebensräume – „Artengemeinschaften“?

Das Verfahren und die Daten- und methodische Basis sind ausführlich inMüller-Kroehling(2015) dargestellt. Ziel der Arbeit war es, das Verhältnis der heimischen Laufkäferarten zu den unterschiedlichen Typen von Wäldern zu analysieren. Dabei geht es zum einen um die Frage der Beziehung zwischen Art und Lebensraum in Bezug auf die Existenz von Artengemeinschaften sowie darauf aufbauend um die Ermittlung charakteristischer Arten auf transparenter, statistisch abgesicherter Grundlage.

Zunächst war die Frage zu klären, wie die Arten zu den Lebensräumen und dabei auch zueinander „organisiert“ sind, d.h. ob es „Artengemeinschaften“ gibt? Ähnlich der Vegetationskunde waren in der Vergangenheit zum Teil sogar „Käfergesellschaften“ beschrieben und benannt worden (Amiet1967,Lang1975), was sich indes als „Irrweg“ erwies und u.a. auf die größere Mobilität von Tierarten zurückgeführt wurde. In der Literatur wie auch in Gutachten wird dennoch sehr verbreitet von „Gemeinschaften“ gesprochen, wenn damit die in einem bestimmten Gebiet oder einer Probestelle gefundenen Arten gemeint sind und so „eine synökologische Einheit a priori“ als gegeben angenommen (Pizzolotto & Brandmayr2012). Sind es auch wirklich „Gemeinschaften“ oder letztlich dem individualistischen Konzept (Gleason1926)folgend nur „Tischgenossen“ (Passarge1982)? D.h. können wir ganze „Gemeinschaften“ den vegetationskundliche typisierten Lebensräumen zuordnen oder müssen wir dies auf Basis der einzelnen Arten tun?

Zur Beantwortung der Fragestellungen wurde ein sehr breiter Datensatz der Laufkäferfauna verschiedener naturnaher und stärker anthropogen überprägter Waldhabitate Bayerns vergleichend mehreren Auswertungsmethoden unterzogen. Die einbezogenen 920 Datensätze aus ganz Bayern beinhalten dabei neben Wald- und Forsthabitaten auch offene Pendant-Habitate wie offene Sanddünen, Blockhalden, Hoch- und Niedermoore und repräsentieren so einen breiten ökologischen und geographischen Querschnitt über natürliche und naturnahe Lebensräume Bayerns.

Die artenreiche, überdurchschnittlich gut erforschte Gruppe der Laufkäfer ist für eine solche Fragestellung besonders geeignet, da sie in allen naturnahen terrestrischen Lebensräumen vertreten ist. Laufkäfer sind durch ihre Lebensweise im (Larven) bzw. auf (Adulte) dem Boden besonders geeignete Indikatoren für den Zustand des Standorts, also des Bodens, des Oberbodens und des von der Lage und der Vegetation geschaffenen lokalen Mikroklimas. Es gibt sowohl hochmobile, da flugfähige Arten, die auf Ereignisse wie Waldbrand, Bergrutsch oder Überflutung überaus rasch reagieren, als auch sehr ausbreitungsschwache, flugunfähige Arten, die als Habitattraditionszeiger gelten können.

Zunächst wurden die Lebensräume aufgeschlüsselt und die Datensätze diesen Grundeinheiten zugeordnet. Der Fragestellung wie auch der Planungspraxis entsprechend stehen im Mittelpunkt die vegetationskundlich und letztlich meist auch standörtlich orientierten Grundeinheiten der „Assoziationen“, mit ihren überwiegenden Entsprechungen in den in § 30 BNat SchG geschützten Lebensräumen, sowie die FFH-Lebensraumtypen, aber eben auch Forsttypen. Die Grundeinheiten werden als „Habitattypen“ (HT) bezeichnet.

Alle 920 Datensätze wurden diesen Habitattypen zugeordnet und diese verschiedenen statistischen und weiteren Analyseverfahren unterzogen. Ordination in Form der für die Fragestellung besonders geeigneten, robusten Detrended Correspondence Analysis (DCA) stand am Anfang der Betrachtung, wieGoodall(1954) es empfohlen hat. Ihm folgend sollten klassifizierende Verfahren nur zum Einsatz kommen, wenn die Ordination ergeben hat, dass nicht ein ökologisches Kontinuum besteht, sondern im Ordinationsraum getrennte Bereiche.

6 Lebensräume: Kontinuum-Konzept bestätigt

Das Ordinationsergebnis (Abb. 1) zeigt, dass sich die Habitattypen überaus plausibel im ökologischen Raum anordnen, so dass beispielsweise die Laufkäfer der Bruchwälder (lila) zwischen jenen der Auwälder (blau) und denen der Moorwälder (braun) zu liegen kommen. Die Ordinationsbereiche der einzelnen Habitattypen gruppieren sich in deutlich ansprechbaren Teilräumen desselben. Dies ist angesichts der Tatsache, dass sich Ordinationsergebnisse der Probeflächen in Einzelstudien meist eher nach der gemeinsamen Zuhörigkeit zu einem Gebiet und nicht nach der Ähnlichkeit der Habitattyp-Zugehörigkeit gruppieren (was man als „Gebietseffekt“ bezeichnen kann), nicht selbstverständlich. Das standörtlich-vegetationskundlich basierte System des §30 BNatSchG und des Anhangs I der FFH-RL werden dadurch mit Nachdruck auch faunistisch unterfüttert und auch die Eignung der Laufkäfer für die Fragestellung belegt.

Indes weisen alle Habitattypen zueinander Übergänge auf, indem sich die Ordinationsräume an ihren Rändern berühren und überschneiden.Goodall(1954) folgend sind bereits damit die Voraussetzungen für klassifizierende Verfahren eigentlich nicht gegeben. Das Kontinuum-Konzept mit einer sich „entlang von Gradienten wandelnden Artenzusammensetzung“ (Austin1985, Turcek1966) wird durch dieses Ergebnis untermauert. Es ist plausibel: Alle Habitate weisen in der Natur Übergänge zu anderen Habitaten auf, zwischen den Wald-Habitaten und zwischen Wald und Offenland.

Die Zuordnung von Arten zu den Lebensräumen sieht sich also mit dem Phänomen konfrontiert, dass die Lebensräume kein streng kategorisches System sind, sondern Übergänge aufweisen, und dies nicht nur als Folge anthropogener Aktivitäten, sondern gerade und besonders auch unter natürlichen Verhältnissen. Übergänge sind also systemimmanent.

7 Arten: Individualistisches Konzept bestätigt

Um das Verhältnis der – im konkreten Fall 302 – nachgewiesenen Taxa zu den 920 Probestellen zu analysieren, wurden für alle Arten zunächst die Stetigkeiten und der Grad der Treue betrachtet, also die Frage, wie regelmäßig die Art im Habitattyp X zu finden war (Stetigkeit) und wie ausschließlich bzw. exklusiv sie dort auftraten (Treue).

Die Arten, die zu den Habitattypen entweder eine Mindest-Stetigkeit (30 %) oder eine Mindest-Treue (ebenfalls 30 %) aufwiesen, wurden sodann zwei vergleichenden statistischen Verfahren unterzogen, der in der Praxis sehr beliebten Indicator Species Analysis (ISA) und einem Test mit Chi2-Vierfeldertafel.

Damit die Habitattypen nicht das Ergebnis vorgeben, da sie ja letztlich nach menschlichen Maßstäben definiert und abgegrenzt sind und in der Natur schon wegen der vorkommenden Übergänge keine 1:1-Entsprechung haben (wie dargelegt), wurden die Testverfahren nicht nur auf die Habitattypen angewandt. Vielmehr wurden die Habitattypen in zwei Aggregierungsreihen sukzessive zusammengefasst, einmal nach Merkmalen des Standorts und nach solchen der Bestockung. Beispielsweise können die Flechten-Kiefernwälder ärmster Sandstandorte (Cladonio-Pinetum, Habitattyp CPI) einerseits mit anderen Wald- und offenen Habitattypen auf Sandstandorten zusammengefasst werden oder zusätzlich mit solchen auf anderen Lockersubstraten oder aber allen trockenen oder allen armen Standorten – alles dies alternative Zusammengruppierungen oder „Konvolute“ auf Basis von Standortsmerkmalen. Anderseits können sie aber auch mit anderen Kiefernwald-Typen zusammen betrachtet werden, also auch dem Schneeheide-Kiefernwald auf Kalk, oder auch allen Kiefernforsten, ferner auch zusammen mit den Eichenwäldern zu einem Konvolut aller Lichtbaumarten, also hierbei basierend auf verschiedenen Gruppierungsmerkmalen der Bestockung. Die Konvolute sind bewusst nicht hierarchisch strukturiert.

Die Arten werden also nicht nur gegen die Habitattypen, sondern sukzessive auch gegen die Habitattypengruppen (des Standorts und der Bestockung) getestet. Das Resultat ist für jede Art jene Einheit (sei es Habitattyp oder Habitattypen-Konvolut), das den Lebensraum der Art am besten beschreibt, da die Art für diese Einheit den höchsten Testwert erzielt, also die größte Affinität für diese besitzt. Auch die Beziehung zu den Schlüsselfaktoren wurde für alle Arten getestet.

8 Literaturreferenzierung mit Schwerpunkt auf Referenzregionen

Jedes statistische Verfahren ist nur so gut und kann nur so plausible Ergebnisse liefern, wie die einbezogenen Daten es erlauben. Datenlücken werden immer auch zu Problemen bei der Interpretation, ja im Sinne eines „false negative“ wie auch eine „false positive“ zu Artefakten führen. Da es sich bei den beschreibenden statistischen Verfahren stets nur um die Darlegung von Zusammenhängen, nicht aber um Kausalitäten handelt, kann auch eine noch so große statistische Absicherung (z.B. über mehrere Testverfahren usw.) daran nichts ändern.

Daher wurde als ergänzender Schritt bei der Herleitung der charakteristischen Arten eine systematische Überprüfung der Befunde durch ein so bezeichnete „Literaturreferenzierung“ durchgeführt. Hierfür wurden nicht nur die verfügbare faunistische Literatur Deutschlands und Mitteleuropas sowie die Arbeiten zu Laufkäfern in deutschen Wäldern, sondern vor allem auch die Arbeiten aus jenen Teilen Europas systematisch aufgeschlossen, in denen die fraglichen Lebensräume ihre Haupt-Verbreitung innerhalb Europas haben. Für die Eichen-Hainbuchenwälder ist das die pannonische Tiefebene Ungarns und der Slowakei, für die Flechten-Kiefernwälder das Baltikum und Skandinavien usw. Auch die Literatur zu den „Pendanthabitaten“ der natürlichen Waldlebensräume, also der natürlichen und anthropogenen Offenland-Gegenstücke, wurde entsprechend ausgewertet. Selbstverständlich ist dabei zu berücksichtigen, dass die Arten in verschiedenen Teilen Europas, ja bereits in verschiedenen Teilen Deutschlands Unterschiede in den genutzten Lebensräumen zeigen, also eine mehr oder weniger stark ausgeprägte „regionale Stenökie“ (Kühnelt1943). Auch kommen nicht in allen Teilen Europas dieselben Unterarten oder Rassen der Arten vor.

9 Schlüsselfaktoren: der Schlüssel zur Fragestellung

Als Zwischenfazit ist festzuhalten, dass jede Art ihre eigene Beziehung zu den Lebensraumtypen und ihren Schlüsselfaktoren besitzt. Bei der Prüfung geplanter Eingriffe ist das relevante Merkmal in Bezug auf die Lebensraumtypen der oder die jeweils betroffenen Schlüsselfaktoren. Die charakteristischen Arten sind nun jene, die an die konkreten Schlüsselfaktoren gebunden sind.

Grundlage der Ermittlung der charakteristischen Arten ist dabei deren getestete Affinität zu einem Habitattyp. Die Art muss aber weder exklusiv an diesen Habitattyp gebunden sein (dann wäre sie eine Charakterart), noch sollte es für diese Fragestellung originär relevant sein, ob sie im Bezugsraum selten oder gefährdet ist. Das Fehlen auch einer solchen, landesweit relativ häufigen oder ungefährdeten, aber normalerweise im zu charakterisierenden Lebensraum sehr stetig auftretenden Art kann schließlich etwas über einen nicht realisierten Zustand oder eine nicht vorhandene Ausprägung eines Habitattyps an einer Örtlichkeit aussagen.

Eine charakteristische Art ist sie definitionsgemäß bereits, wenn sie eine Affinität zum Lebensraum und zu mindestens einem Schlüsselmerkmal des Habitats aufweist. Diese Schlüsselmerkmale sind für die LRT systemimmanent, ja definitionsstiftend, und können daher als gegeben angenommen werden (vgl. Tab. 1).

In Hochmooren ist es extreme Nährstoffarmut in Verbindung mit Nässe (und Kälte), in Auwäldern regelmäßige Überflutungen, in Schluchtwäldern ein stabiles Klima hoher Luftfeuchte bei bewegtem Boden und guter Nährstoffversorgung usw. Weist eine Art statistisch nachweisbar zu einem dieser Faktoren eine Affinität auf, d.h. präferiert diesen, ist sie eine charakteristische Art für diesen Faktor. Ist sie regelrecht daran gebunden, ist sie sogar eine Zeigerart dafür.

Die „charakteristischen Arten“ eines Lebensraums in einer konkreten Region oder einem Gebiet müssen stets auf eine Fragestellung bezogen als die dort zu erwartenden Arten verstanden werden. Entscheidend ist also wie bei jeder Bewertung der Bewertungszweck.

Charakterarten als ganz streng an einen Habitattyp gebundene Arten besitzen als einzigen weiteren Aspekt gegenüber den übrigen charakteristischen Arten die Eigenschaft, auch das Vorhandensein des LRT zu indizieren. Sofern dieses fraglich ist (z.B. die Frage, ob der eine oder aber ein anderer LRT realisiert ist oder ob es sich um „Sonstigen Lebensraum“ ohne LRT-Eigenschaft handelt), haben die Charakterarten über diese zusätzliche Funktion einen weiteren – und hier einen sehr wichtigen – Nutzen als „Zeigerarten“ für die LRT-Eigenschaft.

Sie sind stets zugleich auch charakteristische Arten, im Vergleich zu den übrigen Arten dieser Kategorie aber eher in der Minderzahl. Für viele Wald-LRT sind es nur eine oder einzelne wenige Arten. Eine Beschränkung des Merkmals der charakteristischen Arten auf solche ganz treuen Arten würde bedeuten, die Zahl der relevanten Arten extrem einzuschränken und dabei auch zahlreiche hochstenöke Arten mit starkem Indikationspotenzial wegzulassen, nur weil sie nicht exklusiv an den LRT gebunden sind. Dies wären auch Arten mit hoher Stetigkeit, aber eben geringerer Spezifität für den Lebensraum, wohl aber sehr hoher Spezifität für bestimmte Schlüsselmerkmale des Lebensraums, die für den zu prüfenden Wirkfaktor eine große Relevanz haben können. Eine solche starke Beschränkung der Arten auf die Charakterarten hieße, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Hinzu kommt, dass dies den eigentlichen Zweck der charakteristischen Arten verkennen würde, die ja gar nicht an erster Stelle dazu da sind, die Existenz des LRT nachzuweisen (definitionsgemäß die Aufgabe von Charakterarten), sondern ein Bewertungsmerkmal für dessen Zustand.

10 Anwendung des Merkmals „charakteristischer Arten“ auf Basis der Habitataffinität und der Wirkpfade

Die Anwendung soll dann nach folgendem Schema erfolgen und geht von dem Fall aus, dass die Prüfung vor dem Eingriff geschieht, mindestens zwei alternative Varianten betrachtet und dass von beiden Varianten ausreichend aussagekräftige Erhebungen der dort vorkommenden Laufkäferarten vorliegen.

1. Feststellung des Bewertungsanlasses.

2. Feststellung der relevanten Wirkpfade und faktoren.

3. Feststellung der vorkommenden und potenziell betroffenen LRT.

4. Verwendung der Liste der charakteristischen Arten dieses LRT bzw. dieser LRT ausMüller-Kroehling(2015), Band 2, Anlage 4, die alle jenen Arten enthält, die im LRT eine hohe Stetigkeit oder Treue haben und zu ihm (d.h. ihm zuzuordnenden Habitattypen oder Habitattypen-Konvoluten) eine statistisch signifikante Affinität aufweisen.

5. Reduktion dieser Liste um jene Arten, die aufgrund der Lage im Bundesland oder der Höhenlage natürlicherweise nicht im Gebiet zu erwarten sind (laut entsprechender Tabelle in der Arbeit in Verbindung mit aktuellen Verbreitungsatlanten).

6. Selektion jener Arten, die an die Schlüsselfaktoren des LRT gebunden sind, auf die die Wirkfaktoren des Eingriffs einwirken oder potenziell einwirken können (ebenfalls aus der Anlage 4).

7. Prüfung der vorgefundenen unter diesen Arten (getrennt für die Varianten), ob der geplante Eingriff voraussichtlich eine erhebliche Auswirkung auf sie haben wird, da er Schlüsselfaktoren des Lebensraums negativ verändert (kraft seiner Wirkfaktoren), an die diese Arten gebunden sind.

8. Feststellung der fehlenden unter den zu erwartenden Arten (Differenz aus 6 und 7) als Hinweis auf bereits vor dem Eingriff bestehende Defizite.

9. Feststellung, in welcher der Varianten mehr charakteristische Arten negativ betroffen wären.

10. Bewertung des Eingriffs in seiner Auswirkung auf das Merkmal der charakteristischen Arten. Hierbei ist es sinnvoll, jene Arten in der Abwägung besonders zu berücksichtigen, für die eine besondere Schutzverantwortung Deutschlands besteht (Müller-Motzfeldet al. 2004), oder die in der Region, im Bundesland bzw. in Deutschland gefährdet sind.

Ein – der Realität entnommenes, aber verändertes – Beispiel soll das vorgeschlagene Vorgehen illustrieren. Eine neue Skipiste mit Beschneiungsanlage soll durch ein Waldgebiet geführt werden, wofür zwei Trassierungsvarianten vorliegen, die beide teilweise im LRT 9410 („Bodensaurer Nadelwald“, hier als typisches Piceetum subalpinum, zum Teil auf stark blocküberlagertem Standort mit besonders langer Schneelage) verlaufen, andere Schutzobjekte sind nicht betroffen. Wirkfaktor sind Lebensraumverlust und Zerschneidung (WF1) und befürchtete Störung des Raumbezugs (Kaltluftstrom) zu einer nahen, Kaltluft-erzeugenden Blockhalde am Oberhang (WF2) im Fall der Trasse 2.

Erhoben wurden die Laufkäfer als charakteristische Arten auf je drei Probestellen im LRT des Trassenbereichs mit je sechs Bodenfallen, die während der Vegetationsperiode insgesamt drei Monate fängisch waren. Die Daten sind hier qualitativ aufgeführt, d.h. als Präsenz-Absenz-Daten, und werden entsprechend des vorgeschlagenen Vorgehens klassifiziert (Tab. 2).

Insgesamt wurden 13 Laufkäfer-Arten nachgewiesen, zehn auf Trasse 1 und neun auf Trasse 2, davon sechs Arten in beiden Varianten. Zehn der Arten weisen laut Anlage 4 eine Affinität zum Subalpinen Fichtenwald (LRT 9410) auf, wurden also in den dazu gehörenden Konvoluten (Habitattypen Hochlagen-Fichtenwald und Fichten-Blockwald, zusätzlich auch das Konvolut Natürlicher Nadelwald) signifikant häufiger nachgewiesen als in der Summe als Habitattypen. Acht dieser zehn Arten weisen zugleich eine Bindung an mindestens einen der relevanten prägenden Habitatfaktoren auf (hier: Blockigkeit und Kälte sowie Habitattradition). Dies sind demnach jene, die im konkreten Beispiel von den Wirkfaktoren berührt werden können. Eine der Arten (Carabus linnei) tritt nur auf Trasse 1 auf, hat aber nur eine schwache Affinität für natürliche Nadelwälder, sondern ist eher eine Art des Bergmischwalds. Zu den Wirkfaktoren des Eingriffs hat sie eine wenn auch schwache Beziehung.

Drei der charakteristischen Arten (Leistus piceus, Trechus splendens, Oreonebria castanea sumavica) wurden nur auf Trasse 2 nachgewiesen. Alle drei kommen in verschiedenen Lebensräumen vor: O. castanea auch (und bevorzugt) in Blockhalden, T. splendens auch in Mooren und L. piceus auch in Schluchtwäldern (Müller-Kroehling2015). Alle drei bevorzugen indes deutlich kältegeprägte Lebensräume mit bestimmten Standortsbedingungen wie vor allem Blockigkeit (bzw. im Fall von T. splendens feuchte, anmoorige Bedingungen). Sie sind gegenüber Veränderungen der Standortseigenschaften, wie sie durch eine Veränderung des Kleinklimas, des Hangwasserzugs und des lokalen Kaltluftstroms, sowie durch den nötigen Raumbezug zur nahen Blockhalde entstehen können, daher sehr empfindlich.

Trotz nicht geringer Gemeinsamkeiten in der Artenausstattung, die sich aus der ähnlichen Höhenlage und der von den Baumarten her ähnlichen Bestockung ergibt, ist augenfällig, dass die Realisierung beider Varianten unterschiedliche Auswirkungen hätte. Es wird auch deutlich, dass der LRT besonders auf der Trasse der Variante 2 über hochgradig stenöke charakteristische Arten verfügt, die von dem Eingriff sehr erheblich negativ betroffen wären. Dass die betroffenen charakteristischen Arten im gewählten Beispiel zugleich zum Teil Arten der Roten Listen und in einem Fall auch hoher Schutzverantwortung (SV) sind, ist lediglich eine Koinzidenz und kommt insofern „nur erschwerend“ hinzu.

Da eine Alternative besteht (neben der stets gegebenen und oftmals nicht ernsthaft genug geprüften Nullvariante ), ist der erhebliche Eingriff, den die Trasse 2 darstellen würde, FFH-rechtlich unzulässig (Vermeidungsgebot Es darf an dieser Stelle angemerkt werden, dass nach Beobachtung des Verfassers das sehr wichtige Institut desVermeidungsgebotes oftmals vernachlässigt wird und sich die viel zu frühe Festlegung auf eine Variante dann oftmals als „Surrogat“ des Instruments der CEF-Maßnahmen bedient, um dieses letztlich richtlinienwidrige Vorgehen vordergründig zu heilen. DassCEF-Maßnahmen erst dann (rechts)wirksam umgesetzt sind, wenn ihre Wirkung fachlich im voll notwendigen Umfang nachweisbar ist, verdient ebenfalls erinnernder Erwähnung. Der zukünftige Wert des Gebietsschutzes der FFH-Richtlinie wird sich nach Einschätzung des Verfassers vor allem auch daran bemessen, wie viel Aushöhlung dieser beiden Grundprinzipien der FFH-Richtlinie die vollziehenden Behörden, die Gerichte und letztlich der Richtliniengeber dulden werden.). Wenn eine Trasse realisiert werden muss und keine andere Variante zur Verfügung steht, ist Trasse 1 der Vorzug zu geben. Da auch diese einen Eingriff darstellt, sind entsprechende Befreiungen und Auflagen einschlägig.

11 Anwendung und Nutzen im Kontext des Gebietsmanagements

Auch ohne Eingriff kann das Merkmal charakteristischer Arten sinnvoll angewandt werden, etwa im Gebietsmanagement. Wenn die Fragestellung lautet, ob der LRT in allen natürlicherweise zu erwartenden Ausprägungen vorkommt (jung und alt, Ton und Sand, trocken und nass usw.), ob diese ausreichend groß oder untereinander vernetzt sind, ist der richtige Ansatz, die regional zu erwartenden charakteristischen Arten auf ihre Vollständigkeit zu betrachten. Fehlen Arten, ist einer der genannten Zusammenhänge nicht optimal ausgestattet, also der Lebensraum zu klein, zu monoton, zu wenig vernetzt oder verfügt nicht über eine ausreichende Habitatvernetzung. Oder es sind bestimmte Standortsfaktoren (etwa Ton im Boden) schlichtweg nicht gegeben, die zwar nicht zwingende definitorische Voraussetzung des LRT sind, aber doch eine bestimmte Ausprägung des LRT ausmachen (hier z.B. des 9170), was Konsequenzen für Art und Umfang des Managements haben kann.

Selbstverständlich müssen bei jeder Anwendung die natürlichen Gebiets-Spezifika Berücksichtigung finden, also die Höhenlage, und auch die Arealbezüge der relevanten Arten. Normalerweise im Lebensraum charakteristische Arten, für die aber das Untersuchungsgebiet natürlicherweise außerhalb ihrer Verbreitung oder Höhenverbreitung liegt, müssen also natürlich außer Betracht bleiben.

Die Arbeit ermöglicht durch den flexiblen Ansatz charakteristischer Arten potenziell und konzeptionell auch ein dynamischeres Verständnis von Natura 2000, das im Gegensatz zu der derzeitigen, oftmals mehr oder weniger statischen Auslegung steht, die die konkreten Einzelbestände von LRT oftmals zwingend in situ erhalten möchte, anstatt in Gebieten und in Populationen von Arten und stärker ökosystemar zu denken. Da das Vorkommen aller charakteristischen Arten eines LRT nur dann zu gewährleisten sein wird, wenn der LRT in allen seinen Ausprägungen, ausreichend groß und hinreichend vernetzt, vorkommt, ist das Merkmal geradezu prädestiniert, auch ein solches modernes Verständnis eines Schutzgebietsnetzes (Altmoos & Burkhardt2016, Müller-Kroehling2015) mit Leben zu füllen. Eine Herausforderung dabei wird aber zweifellos sein, den Schutzcharakter, den diese Richtlinie bietet, fachlich nicht zu kompromittieren.

Der Vorschlag eines „neuen Verständnisses“ des Merkmals „charakteristischer Arten“ ist verknüpft mit der Forderung, dass diesem zukünftig eine wesentlich stärkere Rolle zukommen sollte, in Prüfungen wie im Gebietsmanagement. Die Theorien fester „Gemeinschaften“, ein statisches Verständnis feststehender Artenkombinationen und eine Fokussierung auf Charakterarten stehen der Verwendung des Merkmals hingegen eher im Weg.

Literatur

Altmoos, M., Burkhardt, R. (2016): Netzwerk Natura 2000: Plädoyer für eine dynamische Sichtweise. Natur und Landschaft 91, 272-279.

Amiet, J.L. (1967): Les groupements de Coléoptères terricoles de la haute vallée de la Vésubie (Alpes Maritimes). Mém. Mus. Nat. Hist. Nat. (Paris), N.S., Série A (Zoologie) 46 (2), 125-213 + Tafeln.

Arndt, E. (2008): Carabidae as monitoring subject in the light of EU Natura 2000. In:Penev, L., Erwin, T., Assmann, T., eds., Back to the roots and back to the future? Towards a new synthesis between taxonomic, ecological and biogeographical approaches in carabidology, 373-384.

Austin, M.P. (1985): Continuum concept, ordination methods, and niche theory. Ann. Rev. Ecol. Syst. 16, 39-61.

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Kontakt

Dr. Stefan Müller-Kroehling arbeitet in der Abteilung Biodiversität, Naturschutz, Jagd der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) mit den aktuellen Schwerpunktbereichen Moorschutz und Biodiversität. Promotion 2015 an der TU München bei Prof. Dr. em. Ulrich Ammer. Als langjähriger Koordinator für den Bereich Natura 2000 in 2009/2010 an die EU-Kommission abgeordnet. Seit 2016 Lehrauftrag an der TU München, Wissenschaftszentrum Weihenstephan, Studienfakultät Forst- und Ressourcenmanagement.

Stefan.Mueller-Kroehling@lwf.bayern.de

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