Indikatoren zur Regulationsleistung von Auen
Abstracts
Die Ökosystemleistung „Regulationsleistung von Auen“ beschreibt das Vermögen, Oberflächenwasser im Falle von Hochwässern in der Aue aufzunehmen und zurückzuhalten und damit eine Gefährdung von Siedlungsflächen durch Überschwemmung zu vermeiden oder zu vermindern. Hier werden zwei vereinfachte Indikatoren zur Messung der potenziellen Hochwasserretention auf Bundesebene vorgeschlagen, zum einen die „Fläche für Hochwasserretention“ (FHR) und zum anderen der „Anteil bebauter Flächen in der rezenten Aue“ (ABF). Die Ergebnisse für die 79 größten Flüsse Deutschlands, die auch in Kartenform präsentiert werden, zeigen u.a. dass nur ca. 35 % der morphologischen Aue in Deutschland noch dem natürlichen Hochwasserrückhalt dienen. Allein in dem kurzen Zeitraum zwischen 2013 und 2015 ging die Fläche für Hochwasserretention durch Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche bundesweit um 3,9 km2 (0,07 % ) zurück.
Eine Erfassung der Ökosystemleistungen der Auen auch für kleinere Flüsse wäre aus Sicht des Hochwasserschutzes sinnvoll. Notwendig ist auch die regelmäßige Erfassung der Veränderung der rezenten Aue durch Ein- oder Ausdeichung, die aus vorhandenen Geodaten derzeit nicht abgeleitet werden kann. In der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt wird eine Vergrößerung der Retentionsflächen um mindestens 10 % bis 2020 gefordert. Zum Erreichen dieser Zielgröße sind große Anstrengungen nötig, die aber unmittelbar zur Vermeidung von Hochwasserschäden beitragen.
Indicators for regulatory services of floodplains – Contribution to the concept “National Indicators for Ecosystem Services in Germany”
The ecosystem service “regulatory service of floodplains” describes the ability of floodplains to retain surface waters in the case of flooding, contributing to the avoidance or mitigation of flooding of settlements. The study presents two simplified indicators for the measurement of the potential flood retention on federal level: on the one hand the “area for flood retention”, and on the other hand the “share of built-up sites in recent floodplains”. The results for the 70 largest streams and rivers in Germany (also shown in a map) unveil amongst others that only about 35 % of the morphological floodplains in Germany still contribute to flood retention. Even in the short period between 2013 and 2015 the effective area for flood retention has decreased by 3.9 km2 (0.07 % ) due to the enlargement of settlements and traffic area.
The identification of the ecosystem services of floodplains also for smaller rivers would make sense from a flood prevention point of view. It is also necessary to regularly identify changes of the recent floodplain caused by new dykes which currently cannot be derived from existing geographic data. The German National Strategy on Biological Diversity requires the increase of retention areas by at least 10 % until the year 2020. In order to reach this aim great efforts are necessary which at the same time immediately contribute to the avoidance of flood damages.
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1 Hintergrund
Die EU-Biodiversitätsstrategie sieht gemäß Ziel 2, Maßnahme 5 vor, dass die Mitgliedstaaten den Zustand der Ökosysteme und ihrer Leistungen bis zum Jahre 2014 kartieren und bewerten und die Integration dieser Werte in die Rechnungslegungs- und Berichtssysteme auf EU- und nationaler Ebene bis 2020 voranbringen (Europäische Kommission 2011).
Als ein wesentliches Instrument der Operationalisierung sowie zur Erfolgskontrolle sind Indikatoren zur Erfassung und Bewertung solcher Ökosystemleistungen (ÖSL) erforderlich. Sie sollen als ausgewählte, gut verständliche Kenngrößen Auskunft über den Bestand an ÖSL (einschließlich Angebot und Nachfrage) sowie Entwicklungstrends geben.
Das Bundesamt für Naturschutz lässt derzeit das Konzept für nationale Indikatoren erstellen bzw. weiter entwickeln (Grunewald et al. 2015, 2016).
Die Klassifizierung der ÖSL erfolgte – wie in der MAES-Arbeitsgruppe (MAES = Mailing and Assessment of Ecosystems and their Services) bei der Generaldirektion Umwelt der EU vereinbart (European Commission 2013) – nach CICES (Haines-Young & Potschin 2013). An dieser Stelle soll ein Vorschlag für Indikatoren zur Regulationsleistung von Auen vorgestellt werden.
1.1 Beschreibung der Ökosystemleistung
Die Ökosystemleistung „Regulationsleistung von Auen“ beschreibt das Vermögen, Oberflächenwasser im Falle von Hochwässern in der Aue aufzunehmen und zurückzuhalten und damit eine Gefährdung von Siedlungsflächen durch Überschwemmung zu vermeiden oder zu vermindern. Da es derzeit nicht möglich ist, deutschlandweit hydrodynamische Simulationen zur Bestimmung der Retentionsleistung durchzuführen, wird hier vereinfachend die zur Verfügung stehende Überflutungsfläche als Maß für diese ÖSL herangezogen.
Die ÖSL „Regulationsleistung der Auen“ besitzt eine hohe gesellschaftliche Bedeutung, denn das Überschwemmungsrisiko stellt eine direkte Gefahr für Menschenleben dar. Wiederholte Überschwemmung oder allein schon dessen Risiko kann die Lebensqualität erheblich einschränken. Darüber hinaus können immense volkswirtschaftliche Schäden entstehen. Die Vermeidung von Hochwässern durch den natürlichen Rückhalt in der Aue trägt zudem auch zur Vermeidung erheblicher Kosten von technischen Schutzmaßnahmen bei.
Die ÖSL wird einerseits durch Standort- und Umweltbedingungen bestimmt. Dazu zählen u.a.
die zur Verfügung stehende Fläche,
das Gefälle,
die Oberflächenbeschaffenheit (z.B. das Vorhandensein von Gehölzen etc.).
Andererseits wird die ÖSL auch durch gesellschaftliche Normen und Werte (Gesetze, Bestimmungen, Entscheidungen) bestimmt. Dazu gehört beispielsweise die Entscheidung, Auen von Bebauung freizuhalten oder nicht einzudeichen. Auch der Ausbaugrad des Gewässers selbst kann zur Veränderung der ÖSL beitragen.
Auen erfüllen neben dem Hochwasserrückhalt weitere Ökosystemleistungen, vor allem Versorgungsleistungen (Weideflächen, Futtergewinnung bei Grünlandnutzung, Viehzucht zur Nahrungsmittelerzeugung, Beitrag zur Trinkwassergewinnung), Regulationsleistungen wie Gewässer-/Grundwasserschutz sowie kulturelle Leistungen (Raum für Erholung in der Auenlandschaft, Landschaftsqualität, Ästhetik).
Auen haben zudem insbesondere für den Erhalt und die Entwicklung der Biodiversität eine hohe Bedeutung, da sie Lebensräume und Arten der (Feucht-)Grünländer, Stillgewässer (Altarme) und Auenwälder beherbergen. Flussauen sind zentrale Achsen eines länderübergreifenden Biotopverbunds (Koenzen 2005). Das Ziel der Minimierung von hochwasserbedingten Risiken durch den Erhalt und die Schaffung von natürlichen Überschwemmungsflächen hat daher erhebliche Synergien mit dem Bestreben, eine hohe biologische Vielfalt zu bewahren.
Politische Ziele, die diese ÖSL betreffen, sind u.a. im UMK-Beschluss 2014 zum Nationalen Hochwasserschutzprogramm (LAWA 2014) formuliert:
„Deichrückverlegung/Wiedergewinnung von natürlichen Rückhalteflächen“.
sowie in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (BMU 2007) heißt es:
„dauerhafte Sicherung der Überschwemmungsgebiete HQ100 [das heißt alle Gebiete, die statistisch mindestens einmal in 100 Jahren überschwemmt werden], in denen Schäden durch Hochwasser zu erwarten sind, bis 2012, für Gebiete mit hohem Schadenspotenzial bis 2010,
„Vergrößerung der Rückhalteflächen an den Flüssen um mindestens zehn Prozent bis 2020“.
Weiterhin ist das Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“ (BMVI & BMUB 2015) zu nennen. Dort wird das politische Ziel einer naturnahen Gewässerentwicklung mit vorsorgendem Hochwasserschutz formuliert, wozu der Rück- oder Umbau nicht mehr benötigter Anlagen und Bauwerke für die Schifffahrt (z.B. Uferbefestigungen) und die Wiederherstellung auentypischer Lebensräume wie Auwälder, Nass- und Feuchtwiesen gehören.
1.2 Parameter/Faktoren, die die ÖSL bestimmen
Der Indikator für das Potenzial zur Verhinderung von Hochwasserschäden ist die Fläche der rezenten Aue abzüglich der Siedlungs- und Verkehrsflächen. Die rezente Aue ist der Teil der morphologischen Aue, der durch Hochwasser von HQ 100 überflutet werden kann (s. auch Tab. 1). Eine Vergrößerung des Potenzials ist insbesondere durch Rückdeichungen möglich.
Die Nachfrage nach der ÖSL wird bestimmt durch die Höhe der Schäden, die durch Wasseraufnahme und Wasserrückhalt in den Auen vermieden werden, bzw. die durch Deichrückverlegungen zusätzlich vermieden werden könnten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die finanziellen Verluste durch Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen um ein Vielfaches geringer sind als durch Hochwasserfolgeschäden in Siedlungs-, Industrie und Gewerbegebieten.
Die aktuelle Nutzung der ÖSL wird im Wesentlichen durch die derzeitige Struktur der Siedlungsflächen entlang der Flüsse sowie die vorhandenen Deiche bestimmt. Sie kann insbesondere durch Deichrückverlegungen erhöht werden.
2 Vorgeschlagene Indikatoren
Die Hochwasserretention ist neben der Flächengröße insbesondere vom Volumen der Rückhalteflächen und der (Verteilung der) Fließgeschwindigkeit (u.a. Talbodengefälle, stauende „Hindernisse“) abhängig. Aussagen zur tatsächlichen Hochwasserretention von Auen sind seriös nur modelltechnisch machbar (s. Mehl et al. 2012) und bundesweit derzeit nicht mit vertretbarem Aufwand leistbar. Deshalb wurde auch seitens des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) bislang auf eine bundesweite Ermittlung des Hochwasserretentionsvermögens verzichtet.
Hier werden daher zwei vereinfachte Indikatoren zur Messung der potenziellen Hochwasserretention auf Bundesebene vorgeschlagen:

Hauptindikator: „Fläche für Hochwasserretention“ (FHR)
Der Hauptindikator (s. Formel FHR in untenstehendem Kasten) wird gebildet aus der rezenten Aue, also diejenigen Flächen, die nicht eingedeicht sind, abzüglich der dort befindlichen Siedlungs- und Verkehrsflächen. Die Flussfläche wird hier als Teil der rezenten Aue angesehen.
Nebenindikator: „Anteil bebauter Flächen in der rezenten Aue“ (ABF)
Der Nebenindikator (s. Formel ABF in untenstehendem Kasten) erfasst die Siedlungs- und Verkehrsfläche innerhalb der rezenten Aue.
Siedlungsflächen innerhalb der rezenten Aue, die aufgrund fehlender Hochwasser-Schutzeinrichtungen überflutet werden, zählen hier nicht als Überschwemmungsfläche und gehen daher nicht in die ÖSL ein. Unsere Argumentation zielt dabei darauf, bei der Betrachtung der Ökosystemleistungen die unverbauten, überschwemmbaren Auen zu betrachten und zu ermitteln. Es geht also darum, inwieweit diese flächenmäßig in ihrer Funktion (und damit der potenziellen Leistung) eingeschränkt sind. Überschwemmte Siedlungs- und Verkehrsflächen haben ebenfalls Retentionsfunktionen. Sie vermeiden eventuell ebenso Überschwemmungen an anderer Stelle, nehmen durch Überschwemmungen aber in erheblichem Maße selber Schaden. Außerdem ist der Ökosystembegriff in dem hier benutzten Sinne auf Siedlungs- und Verkehrsflächen nur eingeschränkt anwendbar. Auch deshalb werden hier die Retentionswirkungen von Siedlungs- und Verkehrsflächen nicht als ÖSL angesehen.
Darüber hinaus zielen bei Hochwasserereignissen die Maßnahmen des Katastrophenschutzes primär und grundsätzlich darauf, Siedlungen und Verkehrsinfrastruktur zu schützen, beispielsweise mit mobilen Hochwasserschutzanlagen (Sandsäcke etc.). Auch erfolgten z.B. im Nachgang der letzten Hochwasserereignisse starke Bemühungen, Siedlungen zukünftig durch geeignete Schutzmaßnahmen hochwasserfrei zu legen.
Die genannten Indikatoren werden für die 79 Flüsse in Deutschland mit den größten Wassereinzugsgebieten berechnet. Die erfasste Auenfläche beträgt 15514,3 km2. Dies ist grob geschätzt ca. 50 % der Auenfläche Deutschlands (vgl. hierzu Darstellungen in Ehlert & Neukirchen 2012).
Wie oben dargestellt, geht es beim Hauptindikator nicht darum, die tatsächliche Retentionsleistung abzubilden bzw. zu modellieren, sondern lediglich um die Erfassung von überschwemmbaren Flächen außerhalb der Bebauung. Die Indikatoren eines bundesweiten Monitorings von Ökosystemleistungen sollen wesentliche Problemstellungen im Zusammenhang mit der untersuchten ÖSL darstellen und Trends aufzeigen. Im Bereich des Hochwassers sind der Verlust von Retentionsfläche durch Bebauung sowie die Eindeichung von unbebauten Flächen die wesentlichen politisch beeinflussbaren Parameter.
2.1 Datengrundlagen und -auswahl
Folgende Datenquellen wurden als Berechnungsgrundlage für die Indikatoren zur Retentionsleistung der Auen genutzt:
Geodatenbank des IÖR-Monitors, welcher Indikatoren zur Siedlungs- und Freiraumentwicklung in Deutschland beinhaltet und eine dauerhafte wissenschaftliche Dienstleistung des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung (IÖR) ist; die Datenbank basiert auf dem ATKIS Basis-DLM; Quelle: IÖR, eigene Berechnung und Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG);
Verwaltungsgebiete VG25, Quelle: Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG);
Flussauen in Deutschland aus dem Auenzustandsbericht (BfN);
Raster-Grundgeometrien (INSPIRE Grid 1 000 m; Quelle: IÖR, eigene Berechnung);
Die Daten zum Auenzustand enthalten geometrische sowie thematische Informationen über die Flussauen der 79 größten Ströme Deutschlands. Es ist beispielsweise eine Einteilung der morphologischen Aue in die Wasserfläche des Fließgewässers sowie in die angrenzende rezente und Altaue möglich (s. Tab. 1).
Auf Grundlage der Geodatenbank des IÖR-Monitors kann innerhalb der Flussauentypen die Siedlungs- und Verkehrsflächennutzung bestimmt werden. Zu den im Indikator berücksichtigten Flächennutzungen zählen die in Tab. 2 genannten Objektarten des ATKIS Basis-DLM. In diesen Flächen ist mit einer hohen Vulnerabilität gegenüber Personenschäden und materiellen Schäden zu rechnen. Für ein besseres Verständnis der ausgewählten Objektarten sind deren Beschreibungen aus AdV (2008) ebenfalls aufgeführt.
2.2 Berechnungs- und Analyseschritte
Die Indikatorberechnung ist mit der GIS-Software ArcGIS umgesetzt worden und lässt sich für den Hauptindikator zusammenfassend wie folgt beschreiben:
Auswahl: Die in Tab. 2 aufgeführten Objektarten werden ausgewählt und zu einem neuen Datensatz „Siedlungs- und Verkehrsfläche“ zusammengeführt. Die Features der rezenten Aue und des Flusses werden in einem Datensatz „Retentionsfläche“ und die Objekte der Altaue werden in einem zweiten Datensatz abgespeichert.
Verschneidung I: Die Retentionsfläche wird mit den Siedlungs- und Verkehrsflächen verschnitten. Das Verschneidungsergebnis enthält alle Siedlungs- und Verkehrsflächen innerhalb der rezenten Aue.
Verschneidung II und Zusammenfassung: Den Datensätzen „Siedlungs- und Verkehrsfläche“, „Retentionsfläche“ und „Altaue“ werden Attributinformationen aus den Rastergrundgeometrien mittels Überschneidung hinzugefügt. Anschließend können für jede Kachel die Flächengröße der rezenten Aue/Altaue sowie der Anteil baulich geprägter Siedlungs- und Verkehrsflächen in rezenter Aue bestimmt werden.
3 Ergebnisse und Interpretation des Indikators
Die Auswertung und Darstellung erfolgte für jeweils 1 km2 (100 ha) große Gitterzellen (Abb. 1). Dargestellt sind die absoluten Flächen der überschwemmbaren Flächen innerhalb der jeweiligen Gitterzelle (in ha). Aus der Darstellung in Abb. 1 geht nicht hervor, wie groß die morphologische Aue, also die maximal mögliche ursprüngliche Überschwemmungsfläche, ist. Nicht ablesbar ist weiterhin, inwieweit die „Fläche für Hochwasserretention“ durch Eindeichung oder Versiegelung verkleinert wurde. Zellen der morphologischen Aue, die keinen überschwemmbaren Anteil mehr aufweisen, sind gesondert als Altaue dargestellt. Im Jahr 2015 umfasste die Fläche der rezenten Aue abzüglich Siedlungs- und Verkehrsflächen 5 475,5 km2 . Dies entspricht einem Anteil von nur noch 35,3 % der Fläche der morphologischen Aue.
Der Nebenindikator „Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche“ in den rezenten Flussauen betrachtet ausschließlich die rezente Aue und die darin befindlichen Siedlungs- und Verkehrsflächen (Abb 2). Siedlungs- und Verkehrsflächen machen in den rezenten Flussauen eine Fläche von 220,8 km2 aus, was einem Flächenanteil von 3,9 % entspricht. Davon sind 162,6 km2 Siedlungsflächen und 58,2 km2 Verkehrsflächen.
Der Verlust von Retentionsflächen führt zu höheren Hochwasserspitzen. Die Fläche für Hochwasserretention beträgt an der Oder nur noch 11,7 % , an der Schwarzen Elster gar nur 4,2 % , hingegen an der Ems ca. 86,4 % (Tab. 3). Nur ca. 35 % der morphologischen Aue dienen in Deutschland noch dem natürlichen Hochwasserrückhalt. Allerdings sagen diese Werte nichts über den Grad des technischen Ausbaus der Gewässer selbst aus.
In der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt wird eine Vergrößerung der Retentionsflächen um mindestens 10 % bis 2020 gefordert. In der vorliegenden Arbeit wurde der Indikator für die Jahre 2010 (5482,8 km2 ), 2013 (5479,3 km2 ) und 2015 (5475,5 km2) berechnet. Demnach ging die Fläche für Hochwasserretention durch Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche in den Jahren 2010 und 2015 bundesweit um insgesamt 7,3 km2 (0,13 % ) zurück. Davon entfallen auf den Zeitraum zwischen 2013 und 2015 rund 3,9 km2 (0,07 % ). Eine Berücksichtigung von Zu- oder Abnahme der rezenten Aue kann künftig erst mit Fortschreibung des Auenzustandsberichts erfolgen. Bezogen auf die rezente Aue führt die errechnete Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche von 7,3 km2 im Nebenindikator ABF zu einem um 3,4 % höheren Wert im Jahr 2015 als 2010.
Allerdings sind der Indikatorwert von 2010 und die darauf basierende Änderungsanalyse unter Vorbehalt zu sehen, da in diesem Zeitraum eine Änderung in der Modellierung der Datengrundlage (ATKIS Basis-DLM) stattgefunden hat. Daher sind ein Teil der berechneten Indikatorwertänderungen nicht auf reale Änderungen in der Flächennutzung, sondern auf geänderte Flächennutzungszuordnungen zurückzuführen. Seit 2013 liegen die Basis-DLM Daten deutschlandweit mit einer einheitlichen Modellierungsregelung vor. Deshalb wurden für eine erste belastbarere Trendabschätzung die Indikatorwerte für 2013 und 2015 berechnet, obwohl der Aktualisierungszyklus von fünf Jahren für das gesamte Bundesgebiet noch nicht abgeschlossen ist.
Die Veränderung der Fläche für Hochwasserretention wurde zusätzlich nach Bundesländern und für einzelne Flüsse analysiert. Letztere ist in Tab. 4 dargestellt (Download unter http://www.nul_online.de , Webcode 2231). Dabei ist ausschließlich die Änderung in der Flächennutzung und nicht die Entwicklung der rezenten Auenfläche berücksichtigt, weil dazu keine aktualisierten Daten vorliegen.
4 Diskussion
Aktuell dienen nur noch ca. 35,3 % der morphologischen Aue in Deutschland dem natürlichen Hochwasserrückhalt. Indikatoren sind dann nützlich, wenn sie Zielvorgaben machen, die realistisch erreichbar sind, einen Ansporn zu Maßnahmen geben und an denen der Erfolg von Maßnahmen gemessen werden kann. In der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt wird eine Vergrößerung der Retentionsflächen um mindestens 10 % bis 2020 gefordert. Zum Erreichen einer zur Diskussion gestellten Zielgröße sind große Anstrengungen von Nöten, vor allem in den stark von Hochwasserereignissen betroffenen Gebieten. Diese sind aber erreichbar und tragen unmittelbar zur Vermeidung von Hochwasserschäden bei.
4.1 Bezug zu anderen Nachhaltigkeits- und Biodiversitätsindikatoren
Der hier entwickelte Hauptindikator steht in einem engen fachlichen Zusammenhang zum Indikator „Rückgewinnung natürlicher Überschwemmungsflächen“ aus dem Handlungsfeld Biologische Vielfalt der Deutschen Klima-Anpassungsstrategie. Weiterhin wird in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt das Ziel zur „Vergrößerung der aktuellen Rückhalteflächen an Flüssen um mindestens zehn Prozent“ formuliert (BMU 2007). Durch Rückverlegung, Rückbau oder Schlitzung von Deichen wurden zwischen 1979 und 2014 ca. 5000 ha natürliche Rückhalteflächen wiedergewonnen (BMUB & BfN 2015).
Wie oben dargelegt, hat die Regulationsleistung von Auen starke positive Wechselwirkungen mit der Biodiversität. Daher liegt es nahe, auch einen eigenen Indikator zur Habitatfunktion von Auen anzulegen. So gibt es beispielsweise weitere Indikatorenvorschläge nach European Commission (2014): „Fläche der Feuchtgebiete innerhalb überschwemmungsgefährdeter Gebiete“; „Schutzstatus der anliegenden Feuchtgebiete“ z.B. innerhalb der Aue. Diese gehören jedoch nicht zur Regulationsleistung von Auen in Bezug auf Hochwasser und werden daher hier nicht weiter dargestellt.
In den Indikatoren zur nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt ist der Indikator „Zustand der Flussauen“ enthalten. Dabei handelt es sich um einen Index (Maßzahl in % ) über die Bewertungen des Auenzustands von 79 im Auenzustandsbericht erfassten Flussauen (BMU 2007, BMUB 2015).
Die Länderinitiative Kernindikatoren (LIKI; http://www.lanuv.nrw.de/liki/index.php?) enthält zwar Indikatoren zum Zustand der Binnengewässer und zur Gewässerstrukturgüte, aber keine expliziten Indikatoren zur Retentionsleistung von Auen.
Das Umweltbundesamt (UBA) führt in seinem System bundesweiter Indikatoren einen Indikator zum ökologischen Zustand der Fließgewässer (UBA 2015), aber ebenfalls keinen Indikator explizit zur Hochwasserretention. Genauso wird dieses Thema in den Nachhaltigkeitsindikatoren des Statistischen Bundesamtes nicht genannt (DESTATIS 2014).
4.2 Offene Fragen
Regelmäßige Datenerhebung: Die Veränderung potenzieller Überschwemmungsflächen wird nach der Indikatordefinition durch die Veränderung der durch Gewässerausbau und Deichen nicht mehr überflutbaren Flächen und der Veränderung der Siedlungsflächen in der morphologischen Aue definiert. Während es für die Siedlungsfläche möglich ist, aus dem ATKIS Basis-DLM Veränderungen jährlich zu erfassen, ist derzeit außer den BfN-Fachdaten „Flussauen in Deutschland“ keine regelmäßig aktualisierte Datengrundlage zu eingedeichten Flächen verfügbar. Hier kann aus heutiger Sicht nur eine regelmäßige Wiederholung der Auenbilanzierung und Auenzustandsbewertung abhelfen.
Bezugsraum beim zeitlichen Vergleich prozentualer Daten: Der Nebenindikator „Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der rezenten Aue“ hat im zeitlichen Vergleich keinen stabilen statistischen Bezugsraum. Die Fläche der rezenten Aue kann sich zwischen den Zeitschnitten sowohl durch Ein- als auch durch Ausdeichung verändern. Eine Abnahme des Anteils der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der rezenten Aue kann deshalb z.B. durch eine Abnahme der bebauten Flächen verursacht sein oder durch eine die rezente Aue vergrößernde Rückdeichung. Bei der Interpretation der Daten sind beide Möglichkeiten zu berücksichtigen.
Will man stattdessen einen einfachen zeitlichen Vergleich der Ergebnisse ermöglichen, so sollte die Referenzgröße (rezente Aue) konstant bleiben. Eine entsprechende Möglichkeit bestünde darin, als Referenz durchgehend die rezente Flussaue des Auenzustandsberichts aus dem Jahr 2009 (BMU & BfN 2009) zu verwenden. Eine andere Möglichkeit wäre, die historische Aue als Bezugsraum zu wählen.
5 Ausblick und Erweiterungsmöglichkeiten
Überlegungen zu einem Nachfrageindikator: Möglich wäre die Darstellung der Einwohnerzahl oder der baulich geprägten Siedlungsfläche im HQ100 bzw. im amtlich festgesetzten Überschwemmungsgebiet. Dabei sollten nur die Siedlungsflächen berücksichtigt werden, in denen auch Überschwemmungen auftreten können. Eingedeichte Siedlungen scheiden daher hier aus. Allerdings besteht auch in solchen Flächen bei noch größeren Hochwässern (z.B. HQ200) eine Nachfrage, da in diesem Fall ggf. Deiche überspült werden können. Weiterhin wären Bevölkerungsdaten oder Siedlungs- und Verkehrsflächen als Nachfrager mit einzubinden.
Der im IÖR-Monitor als Rasterkarte bereits realisierte Indikator „Anteil baulich geprägter Siedlungs- und Verkehrsfläche in amtlich festgesetzten Überschwemmungsgebieten“ greift einen ähnlichen Sachverhalt wie der Nebenindikator auf (http://www.ioer-monitor.de/index.php?id=8& idk=2121 ). Der IÖR-Indikator bezieht sich allerdings nicht ausschließlich auf die 79 Flüsse aus dem Auenzustandsbericht.
Mögliche weitere Nebenindikatoren zum Retentionspotenzial: Wird der Wert für den Verlust von Überschwemmungsfläche ausschließlich als absoluter Wert (in ha) wie im Hauptindikator ausgedrückt, so werden Verluste im zeitlichen Verlauf in engen Tälern im überregionalen Vergleich in der Kartendarstellung kaum sichtbar. Gerade in engen Tälern kann aber der Verlust geringer Retentionsflächen große Auswirkungen haben. Beispielfall: 1 ha machen in einem Gebiet mit insgesamt 10 ha überschwemmbarer Fläche und 10 ha morphologische Aue 10 % der gesamten Auenfläche aus, während der Verlust von 1 ha in einem Gebiet mit 100 ha überschwemmbarer Fläche und morphologischer Aue lediglich bei 1 % liegt. In beiden Fällen wird in der Ausgangssituation ein Indikatorwert von 100 % erreicht, da Retentions- und morphologische Auenfläche identisch sind. Nach Wegfall von jeweils 1 ha erreicht der Indikatorwert im ersten Fall (d.h. kleine morphologische Aue) jedoch nur noch 90 % im zweiten Fall dagegen 99 % .
Daher kann als weiterer Indikator der Anteil der rezenten Aue abzüglich Siedlungs- und Verkehrsfläche an der morphologischen Aue dargestellt werden. Dieser Indikator hat einen stabilen statistischen Bezugsraum, da sich die morphologische Aue nicht ändert. Das Problembewusstsein kann für den Raum mit kleiner morphologischer Aue durch die Angabe eines relativen Werts geschärft werden. Eine entsprechende Darstellung ist allerdings bereits – ohne Abzug der Siedlungs- und Verkehrsfläche – bei Brunotte et al. (2009) zu finden. Sie wird im Rahmen der Berichterstattung des BfN voraussichtlich in dieser oder ähnlicher Form in Zukunft fortgeführt werden.
6 Schlussfolgerungen
Es konnte dargestellt werden, dass einfache Indikatoren anschauliche Ergebnisse zur Beeinträchtigung oder zur positiven Entwicklung der Regulationsleistungen von Auen zeigen kann. Damit können für Öffentlichkeit und Entscheidungsträger im Sinne der Biodiversitätsstrategie Trends aufgezeigt und Hinweise auf Handlungsbedarfe oder -erfolge gegeben werden.
Die Erfassung der Auen auch außerhalb der 79 größten Flüsse Deutschlands wäre aus Sicht des Hochwasserschutzes und zur entsprechenden Ökosystemleistung sinnvoll und wünschenswert. Notwendig ist auch die regelmäßige Erfassung der Veränderung der rezenten Aue beispielsweise durch Ein- oder Ausdeichung. Derzeit können aber solche Veränderungen aus vorhandenen Geodaten nicht abgeleitet werden.
Im Bereich der Auen liegt ein großes Potential, unterschiedliche Ziele des Hochwasserschutzes mit dem Erhalt der Biodiversität sowie für die Erholung attraktiven Landschaftsbereiche zu vereinen. Gerade durch die Hochwasserereignisse der letzten Jahre ist die Öffentlichkeit sensibilisiert dafür und es ist anerkannt, dass wirksamer Hochwasserschutz nicht allein durch höhere Deiche sondern insbesondere durch genügend Retentionsfläche erreichbar ist. Genau dazu sollen mit den hier aufgezeigten Indikatoren Informationen bereitgestellt werden.
Dank
Wir danken T. Ehlert, B. Hausmann und B. Schweppe-Kraft (BfN) für die kritische Diskussion des Indikators und die vielen Anmerkungen und Hinweise.
Literatur
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