Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Editorial

Naturbeobachtungen – nicht fehlerfrei, aber unersetzlich

Welche und wie viele Limikolen sind auf dem Titelfoto abgebildet? Zwei scheinbar banale Fragen, die so banal keinesfalls sind. Artdaten werden zu großen Teilen von freiwilligen Naturbeobachtern gewonnen und inzwischen in ­Online-Datenbanken wie naturgucker.de und ­ornitho.de verfügbar gemacht. 725000 Beob­achtungen von fast 340000 Aktiven allein bei naturgucker.de sowie über 22 Mio. Beobachtungen bei ornitho.de/lu sind beeindruckende Zahlen. Aber: Welche Qualität besitzen diese Daten – sind die Artbestimmungen korrekt und entsprechen die quantitativen Angaben der Realität?

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
Artikel teilen:

Mangelnde Plausibilität?

Citizen Science, die aktive Beteiligung von Bürge­rinnen und Bürgern an Forschungsfragen – und genau das ist auch die Artenerfassung – wird einerseits hochgelobt. Andererseits schwingt bei solcherart erhobenen Beobachtungen stets die Frage mit: Stimmen denn die Daten? Eine typische Zweiklassengesellschaft: Hauptberuflich z.B. in Fachbüros arbeitenden Artenkennern wird eine hohe Datenqualität attestiert. Aber die anderen Naturbeobachter, die in ihrer Freizeit Beobachtungen sammeln, stehen unter Generalverdacht: Ihre Daten seien fehlerbe­haftet und nicht ausreichend plausibel.

Der erste Hauptbeitrag räumt mit diesem vermeintlichen Gegensatz auf: Naturbeobachtungen sind per se fehlerbehaftet, das liegt in ihrer Natur der Sache. Denn sie können nicht jederzeit und intersubjektiv wiederholt werden, sie bilden keine prüfbare, empirisch-wissenschaftliche Aussage. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas übersehen oder falsch bestimmt wird, lässt sich nicht hinreichend einschätzen. Und darin unterscheiden sich Profis und sogenannte Laien nicht – die zudem in ungezählten Fällen alles andere als laienhaft sind, sondern mit ihrer Artenkenntnis manche vermeint­lichen Profis locker in die Tasche stecken.

Das Fazit: Einzelne Naturbeobachtungen anderer Beobachter objektiv als richtig oder falsch zu klassifizieren, ist aufgrund der vielen mög­lichen und teils anthropogenen Fehlerquellen grundsätzlich praktisch unmöglich, unabhängig vom individuellen Kenntnisstand. Unbrauchbar sind die Daten dennoch nicht – man muss nur bei ihrer Interpretation die möglichen Fehlerquellen beachten. Und dafür ist der verantwortlich, der die Daten nutzt.

Erosion der Artenkenner erfordert gemeinsames Vorgehen

Vor einem dreiviertel Jahr haben wir an dieser Stelle die „Erosion der Artenkenner“ thematisiert. naturgucker.de hat anhand einer Umfrage unter seinen Nutzerinnen und Nutzern gezeigt, dass die Eingabemöglichkeit eigener Beobachtungen in der Internet-Datenbank dazu motiviert, sich in neue (weitere) Artengruppen einzuarbeiten: Ein Viertel der Befragten sagte das von sich. Das sind hochgerechnet auf die aktuelle Nutzerzahl rund 7500 Menschen.

Citizen Science bietet also unter Nutzung der neuen Medien (etwa auch der mobilen Eingabemöglichkeit von Daten oder dem Abruf aktueller Beobachtungsdaten Dritter über an Be­obachtungsorten angebrachte QR-Codes) die Chance, Menschen dafür zu begeistern, sich aktiv und aus ureigenem Interesse Artenkenntnis zu erarbeiten. Artenkenner brauchen wir mehr denn je – für das Monitoring der Biodiversität genauso wie für das rechtssichere Abarbeiten von Planungen. Und noch eines erscheint wichtig: Nur aus Begeisterung für die Natur und besonders für Pflanzen- und Tier­arten erwächst nachhaltiges Engagement für den Naturschutz. Was also ist wichtiger: ab­solute Gewissheit über die Korrektheit jedes einzelnen Beobachtungsdatums – was eh eine Fiktion ist – oder eine wachsende Zahl und Begeisterung von Menschen mit Artenkenntnis und Naturschutz-Motivation, die zugleich einen – überwiegend doch korrekten – Datenpool ­zustande bringen, der anders nicht bezahlbar wäre? Die Antwort ist klar ...

Vor diesem Hintergrund sollten die Verantwortlichen verschiedener Beobachterportale auch reflektieren, ob das gemeinsame Interesse nicht alle vermeintlichen Rivalitäten und Eitelkeiten überwiegen könnte und sie einen gemeinsamen Datenpool generieren sollten. Wir organisieren gern ein solches Vernetzungs­gespräch!

Übrigens zeigt das Titelbild einen Schwarm Knutts. Fliegend in der Luft befinden sich gut 200 Exemplare plus geschätzt, weil nicht ausreichend aufgelöst, nochmals ca. 90 am Boden sitzend (nur die nicht durch die Bildränder angeschnittenen Vögel gezählt). Wenn statt 290 nur 250 oder aber 350 Knutts gemeldet würden, ginge die Welt daran nicht zugrunde. Sondern viel eher daran, dass sich zu wenige Menschen für Vögel und den Naturschutz interessieren.

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren