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Editorial

Raub der Muscheln – und ihres Lebensraums

Was, bitte schön, kann man mit 5500 Flussperlmuscheln anfangen? Unbekannte haben diese aus Gewässern im oberfränkischen Landkreis Hof gestohlen. Das Wasserwirtschafts­amt Hof, welches die Populationen überwacht, sieht in der mysteriösen Wilderei weder einen finanziellen noch einen geschmacklichen Reiz: Maximal eine von 2000 Flussperlmuscheln erzeuge eine Schmuckperle, und schmecken würden sie auch nicht. 10000€ Belohnung hat Bayerns Umweltministerin Ulrike Scharf für die Ergreifung der Täter ausgesetzt. Betroffen ist das letzte größere Vorkommen der nach Anhang II und V geschützten und global gefährdeten Muschelart in ganz Mitteleuropa. Seit Jahren laufen intensive Bemühungen, um diese Popula­tion zu erhalten. Sie haben nun einen massiven Rückschlag erlitten.

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Nur etwas besser steht es um die Bachmuschel, welche den Titel der letzten Ausgabe dieses Jahres ziert und im Mittelpunkt des ersten Hauptbeitrags steht. Auch sie befindet sich, da in den Anhängen II und IV der FFH-Richtlinie gelistet und ebenso durch die IUCN weltweit als gefährdet eingestuft, im Fokus des Naturschutzes. Wie die Flussperlmuschel ist sie als „vom Aussterben bedroht“ in der nationalen Roten Liste genannt.

Metapopulationen als Ziel

Aufgrund der bereits natürlicherweise und durch anthropogene Einflüsse stark verschärften diskontinuierlichen Verbreitung der Bachmuschel, so stellen Michael Pfeiffer und Karl-Otto Nagel in diesem Heft dar, bedeutet die Isolation der Restpopulationen ein hohes Aussterberisiko. Sie beschreiben das Konzept der Metapopulation als geeignetes Konstrukt, um Situation und Perspektiven der Reliktvor­kommen zu analysieren und effektive Schutzkonzepte abzuleiten. Unterschieden werden Stamm- oder Quellpopulationen, Nebenpopulationen und Latenzpopulationen, welche in einem genetischen Austausch miteinander stehen. Beispiele aus Baden-Württemberg belegen, wie sich solche Metapopulationen entwickeln können und wie ein vernetztes Gewässersystem gestaltet sein muss.

Beide Muschelarten leiden unter multi­kau­sa­len Gefährdungen. Eine starke Rolle spielt die Belastung von Fließgewässern durch Einschwemmung von Nährstoffen und Boden­partikeln von Ackerflächen im Einzugsgebiet. Die Muscheln sind somit wertvolle Indikatoren, die eines ganz klar signalisieren: Ein Weiter-so in Landwirtschaft und Agrarpolitik ist unver­einbar mit zentralen Zielen der EU. Es bedarf einer Kehrtwende, um Nachhaltigkeit zu er­reichen.

Schafft die Kommission sich ab?

Und wie engagiert sich die Europäische Kommission in einer Zeit, in der immer mehr Menschen die Union kritisch hinterfragen und nationalistische Strömungen rapide Zulauf finden? Positiv ist anzumerken, dass sie Deutschland wegen der anhaltenden Verunreinigung der Gewässer durch Nitrat verklagt hat. Aber dem ­stehen u.a. drei Beispiele im umweltpolitischen Bereich gegenüber, die wahrlich kein Ruhmesblatt für die europäische Spitze darstellen:

Im Widerspruch zum fast einmütigen positiven Feedback zur Erhaltung von FFH- und Vogelschutz-Richtlinie verzögert Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Monat um Monat die Entscheidung, was aus dem „Fitness Check“ folgt. Das lässt nichts Gutes ahnen, wie Claus Mayr im „Bericht aus Brüssel“ schreibt.

Es ist erwiesen, dass die herrschende Nutztierhaltung in Europa eine starke Belastung von Klima, Böden, Gewässer, Flora und Fauna bedeutet. Und das nicht nur hierzulande: Der jährliche virtuelle „Flächenimport“ der EU entspricht der gesamten Fläche von Ungarn, Portugal, Dänemark und Niederlande zusammen, hat der WWF errechnet. 40 % der uns in Deutschland zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Nutzfläche würden nochmal außerhalb Europas in Anspruch genommen. Und was tut der irische Agrarkommissar Phil Hogan? Er will 15 Mio. € in eine Werbekampagne für einen höheren Fleischkonsum hierzulande stecken und brüstet sich zugleich mit seinen Bemühungen, neue Absatzmärkte etwa in Vietnam, Kolumbien oder in der Türkei zu erschließen. Geht’s noch?

Fehlanzeige auch – siehe „Bericht aus Brüssel“ bezüglich des von einer immer größer werdenden Allianz geforderten „Fitness Checks“ für die EU-Agrarpolitik: Die Kommission erteilt in ihrem Arbeitsprogramm für das kommende Jahr diesem Ansinnen eine klare Absage.

Mehr denn je ist eine Demokratisierung der EU gefragt. Wer sich aber so offensichtlich vor den Karren von Lobbyismus und Besitzstandswahrung spannen lässt und Mehrheiten übergeht, schadet der europäischen Idee. Unweigerlich kommt einem dabei das Bild der Kommission als Totengräber ihrer selbst in den Sinn…

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