Wider den Koloss auf tönernem Fundament!
Replik auf den Beitrag von Michael Jungmeier „42! – Zur Monetarisierung von Ökosystemleistungen aus planerischer und naturschutzpraktischer Perspektive“, Naturschutz und Landschaftsplanung 48 (8), 2016, 241-247.
- Veröffentlicht am
Die Frage der Monetarisierung von Ökosystemleistungen
Von Bernd Hansjürgens
Michal Jungmeier hat sich in seinem Beitrag gegen eine Monetarisierung von Natur und Ökosystemleistungen ausgesprochen. Er weist darauf hin, dass die für eine Monetarisierung vorgestellten Zahlenbeispiele – er bezieht sich in seinem Beitrag auf die Bestäubungsleistungen von Bienen und auf die Bewertung von Waldökosystemen – sehr große Bandbreiten aufweisen, und betont, dass Ökosystem nicht gleich Ökosystem sei. Die Beziehungen in Ökosystemen seien nicht linear, nicht additiv und höchst volatil (S. 242ff.). Auch würde in den meisten Studien überhaupt nicht betrachtet, dass die Services von Ökosystemen auch Dis-services sein können (z.B. das Vorkommen von Parasiten) und daher mit den Services verrechnet werden müssten (S. 244f.). Bei den marktlichen Instrumenten für den Naturschutz sei zudem unklar, wer für wen zahlen müsse.
Jungmeier folgert daraus, dass es mit dem ökonomischen Ansatz wie mit der galaktischen Zahl 42 aus dem Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams sei: Es würden Zahlen generiert, ohne überhaupt zu wissen, wie die zugrundeliegende Frage lautet. In seiner Kritik verweist er dabei auf die internationale TEEB Studie („The Economics of Ecosystems and Biodiversity“) als „oft zitiertes rahmenbildendes Dokument“ (S. 241) sowie auf das Nachfolge-Vorhaben „Naturkapital Deutschland – TEEB DE“, das von mir als Studienleiter verantwortet wird.
Viele Kritikpunkte von Jungmeier und anderen zur Monetarisierung von Natur sowie an den Marktinstrumenten sind durchaus berechtigt, wenn auch nicht neu. Ich teile und unterstütze sie in vielen Punkten. Wenn es also z.B. heißt: „Es gibt empirische und theoretische Lücken zwischen den präzis-analytischen ökonometrischen Verfahren einerseits und den komplexen ökologischen und sozialen Realitäten andererseits“ (S. 246), so ist dem uneingeschränkt zuzustimmen.
Was mich aber (nicht nur bei Jungmeier, sondern auch bei anderen Autoren) zunehmend irritiert und Widerspruch in mir hervorruft, ist der Umstand, dass der ökonomische Ansatz und insbesondere der TEEB-Ansatz immer wieder auf Monetarisierung und die Monetarisierung ihrerseits als Wegbereiter für Marktinstrumente verkürzt wird. Damit werden sehr selektiv und verzerrend Einzelaspekte des TEEB-Ansatzes betont und die Chancen des ökonomischen Ansatzes für die Gestaltung und Umsetzung von Politik aus meiner Sicht diskreditiert. Gerade für eine Zeitschrift, die zahlreiche Leser aus der Naturschutzpraxis hat, scheint mir daher Widerspruch angezeigt. Ich möchte in meiner kurzen Replik auf drei Punkte aufmerksam machen.
(1) Ökonomische Bewertung – kein Verrechnungswildwuchs, sondern Mittel zum Zweck für konkrete Entscheidungen
Jungmeier bezieht sich bei seinen Beispielen zur Bestäubung und zu den Ökosystemleistungen des Waldes auf die TEEB-Datenbanken, die von Wissenschaftlern in Ergänzung zu den TEEB-Berichten zur Verfügung gestellt wurden. Dabei wird übersehen: Bei der ökonomischen Bewertung geht es nicht vorrangig um Zahlensysteme und Preise. Ob für den Wert der Bestäubung weltweit 10 Mrd. Euro, 100 Mrd. Euro oder 1 Billion Euro festgemacht werden, ist nicht das Entscheidende. (Abgesehen davon, dass weltweite Totalwerte wie diese im Widerspruch mit dem ökonomischen Ansatz stehen, der auf Marginalbetrachtungen unter den Annahmen von Substituierbarkeit und Reversibilität basiert.)
Entscheidend ist vielmehr, dass hierdurch auf Werte der Natur und ihrer Leistungen in konkreten Entscheidungssituationen aufmerksam gemacht wird, dass sie somit ins Bewusstsein gerückt werden. Schauen wir nur auf die Verkehrswegeplanung oder das anhaltend hohe Wachstum von Siedlungsflächen und den damit einhergehenden „Flächenverbrauch“: Der Naturschutz hat die allergrößten Probleme, sich hier Gehör zu verschaffen; immer wieder fällt er „hinten runter“, d.h. in den erforderlichen Abwägungen und Entscheidungen wird – wenn überhaupt – allenfalls ergänzend und qualitativ auf die Belange des Umwelt- und Naturschutzes aufmerksam gemacht, ohne dass dies die getroffenen Entscheidungen letztlich wesentlich beeinflusst. Es erweist sich insbesondere immer wieder als schwierig, öffentliche Interessen gegen private Landnutzungsinteressen durchzusetzen (z.B. wenn es um den Aufkauf von Flächen für naturnahe Auenrenaturierung geht).
Zugleich jedoch wird bei Entscheidungen, die getroffen werden, immer wieder ökonomisch argumentiert. Der Nutzen von Verkehrsprojekten oder von erschlossenem Bauland soll etwas bringen, und zwar wirtschaftlich: verbesserte Verkehrsströme, Gewerbeansiedlung, verbesserte Wettbewerbssituation für die Industrie, vermehrte Einnahmen aus der Einkommen- und Gewerbesteuer usw. Besonders deutlich findet sich dies in der Gesetzesfolgenabschätzung. Gesetze werden nur eingeführt, wenn keine Kosten für den Regelungsadressaten anfallen, sonst gibt es Probleme. Doch das Wichtigste wird hierbei einfach unterschlagen: die Nutzen für den Menschen bei Umwelt- und Naturschutzvorhaben bzw. die entgangenen Nutzen. Vorteile für die Natur (und damit letztlich für den Menschen) werden ebenso „weggewogen“ wie mögliche Nachteile bei Infrastruktur- oder Bauvorhaben oder bei Landnutzungsänderungen.
In einem solchen Entscheidungsumfeld darauf hinzuweisen, dass wir – jeder Einzelne und als Gesellschaft – etwas volkswirtschaftlich verlieren, wenn wir Natur und Ökosystemleistungen „abwählen“, dass wir falsch abwägen, wenn wir die entgangenen Nutzen außer Acht lassen, dass es sich umgekehrt gesellschaftlich lohnt, die Bedeutung der Natur und ihren Wert herauszustellen, dass es somit darum geht, das „Unsichtbare sichtbar zu machen“, ist ein wichtiges Argument FÜR die Naturschutzpraxis, daran kann doch an sich überhaupt kein Zweifel bestehen.
Dass die ökonomische Betrachtung natürlich nur ein Ansatz zur Bewertung der Natur ist, dass die Natur vielfache und ganz unterschiedliche Werte aufweist, dass es einen Wertepluralismus in der Gesellschaft gibt, ja geben muss, ist doch dabei nicht in Abrede gestellt. Man kann darauf hinweisen, wie viele Kritiker des ökonomischen Ansatzes es tun, dass die Natur auch andere als anthropozentrische oder instrumentelle Werte hat, dass es also Werte jenseits der ökonomischen Welt gibt: intrinsische Werte, inhärente Werte, reale Werte usw. (vgl. z.B. Chan 2016, Jax et al. 2013, Meinard et al. 2016, Neuteleers & Engelen 2015, Spangenberg & Settele 2016). Das ist doch selbstverständlich, und das sind alles Überlegungen, die in der Ethik schon lange herausgearbeitet wurden. Aber der Punkt ist doch: Was nützt es der Naturschutzpraxis, wenn all diese Argumente nicht oder kaum gehört und einfach ignoriert werden? Lohnt es an dieser Stelle nicht, einen anderen Weg einzuschlagen, eine andere Sprache zu wählen, bei der Entscheidungsträger, die an sich nichts mit Naturschutz und Ökosystemen zu tun haben, vielleicht eher hinhören?
Denn wie auch in TEEB betont: Bewertung ist immer nur Mittel zum Zweck. Wenn der Zweck die Vervollständigung der Entscheidungsgrundlagen, der Darstellung der Wertschätzung der Natur und ihrer mannigfachen Ökosystemleistungen ist, sollte dieses Mittel – in Ergänzung zu anderen Ansätzen, die schon lange im Bereich des Naturschutzes bestehen – eingesetzt werden.
(2) Ökonomische Perspektive und Monetarisierung sind nicht dasselbe
Ein zweites Missverständnis bezieht sich auf die Gleichsetzung der ökonomischen Perspektive, die die TEEB-Projekte auf die Natur anwenden, und der Monetarisierung von Ökosystemleistungen, die immer wieder behauptet wird. Wenn in der TEEB-Studie oder in Naturkapital Deutschland von ökonomischer Bedeutung der Natur gesprochen wird, wird stets auf die Bedeutung der Natur für den Menschen in einem umfassenden Verständnis, also dem volkswirtschaftlichen Nutzen hingewiesen. Wenn eine ökonomische Perspektive eingenommen wird, geht es TEEB ausdrücklich nicht darum, Werte „in Geldeinheiten auszudrücken“. Es geht vielmehr um das systematische Erfassen von Ökosystemleistungen, das Aufzeigen, welche Vorteile die Erhaltung von Ökosystemleistungen erbringen (in welchen Einheiten dies auch immer sinnvoll möglich ist), den Nachweis, wer die Begünstigten sind, wie vielfältig ihre Vorteile sind, wer aber auch für die Bereitstellung der Ökosystemleistungen Sorge tragen muss und was für Kosten dabei entstehen.
Monetarisierung ist dabei nur eine – und zwar sehr beschränkt einsetzbare – Möglichkeit, die vielfachen Vorteile der Erhaltung von Natur und ihrer Ökosystemleistungen sichtbar zu machen. Das Bild von der Monetarisierung als „Spitze des Eisbergs“, Jungmeier, S. 245), das in TEEB verwendet wird, sagt nicht, dass es bei der Monetarisierung um die „Spitze“ als veredelten Zustand geht. Es sagt vielmehr, dass (ähnlich einem Eisberg) die meisten Leistungen der Natur (unter der Wasseroberfläche) verborgen sind. Es weist damit gerade auf die Begrenztheit der Monetarisierung hin.
TEEB ist sich der Probleme der Monetarisierung in all ihren Dimensionen bewusst. In allen TEEB-Veröffentlichungen gibt es umfangreiche Hinweise zu den Grenzen der Monetarisierung (nur beispielhaft: Brondizio & Gatzweiler et al. 2010; Naturkapital Deutschland – TEEB DE 2012, 2015, 2016a, 2016b; Pascual et al. 2010; TEEB 2010). Bei TEEB geht es immer um einen breiten ökonomischen Bewertungsansatz mit den drei Schritten (i) recognizing values – Anerkennung von Werten und Wertpluralismus, (ii) demonstrating values – Aufzeigen und Abschätzung von Werten und (iii) capturing values – Integration von Werten in private und öffentliche Entscheidungen (Inwertsetzung) (Naturkapital Deutschland – TEEB DE 2012: 42ff., TEEB 2010).
(3) Der Monetarisierung folgen nicht automatisch Marktinstrumente
Es wird bei Jungmeier wie auch bei vielen anderen Autoren immer wieder suggeriert, ökonomische Bewertungsansätze liefen – quasi automatisch – auf Märkte hinaus, sie folgten einer „ideology of market environmentalism“ (S. 241). Dass ein solches Missverständnis auftritt, ist nur erklärbar, wenn der ökonomische Wert eng im instrumentellen Sinne und hier nur als Tauschwert („exchange value“) aufgefasst wird. Wenn, so die Vorstellung, erst einmal der Tauschgedanke um sich greift oder die Natur eine Währung in Form eines „Preises“ erhält, könnten gemäß dieser Währung beliebig Märkte implementiert werden. Neben dem Aspekt, dass selbst aus ökonomischer Sicht dieses Verständnis von Werten ein enges ist (weil es neben dem „exchange value“ auch einen „use value“ gibt und der ökonomische Bewertungsansatz breiter ist; siehe Neuteleers & Engeles 2016), wird vor allem übersehen, dass es sich bei vielen Ökosystemleistungen um öffentliche Güter handelt. Es waren gerade Ökonomen, die – zurückgehend auf Samuelson (1954) – den Begriff der öffentlichen Güter geprägt und ihre Eigenschaften definiert haben.
Eine prägende Eigenschaft für öffentliche Güter sind die Nicht-Rivalität im Konsum und die Nicht-Ausschließbarkeit vom Konsum: So ist es nicht möglich (und oft auch nicht gewollt), Menschen von der Inanspruchnahme solcher Ökosystemleistungen auszuschließen, z.B. dem Klimaschutz durch die Festsetzung von CO2 in Wäldern, der Erhaltung eines typischen Landschaftsbildes oder der Bewahrung der biologischen Vielfalt. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Ein Markt für diese Güter kann allein gar nicht zustande kommen, da es für den Anbieter dieser Ökosystemleistungen keine Möglichkeit gibt, die Wertschätzung der Konsumenten für die Leistung in Form eines Preises abzuschöpfen. Bei öffentlichen Gütern muss also der Staat eingreifen, damit es überhaupt zu einem Angebot dieser Güter kommt. Dabei kann auch auf Instrumente zurückgegriffen werden, die den Marktmechanismus in irgendeiner Weise nutzen, um Anreize für die private Bereitstellung der Ökosystemleistungen zu setzen und Kosten einzusparen.
Ob ein marktsteuerndes Instrument dann wirklich zum Einsatz gelangen soll, ist eine Frage des Instrumentendesigns und des Vergleichs mit anderen Instrumenten (z.B. Regulierung, Planung etc.). Die Instrumentenauswahl und das -design sind dabei stets eine Frage der Staatskunst: Es ist sehr schwer, ein „gutes“ (effektives, effizientes, legitimes und allseits akzeptiertes) Instrument im Umwelt- und Naturschutz zu gestalten. Und hier ist gerade auf die Vielfalt der Instrumente zurückzugreifen und jeweils zu prüfen, welches am besten geeignet ist. Manche sogenannten Marktinstrumente, Jungmeier nennt z.B. den REDD Mechanismus, lassen in der Tat Zweifel aufkommen. Eine „blinde“ Marktinstrumenten-Perspektive wäre dabei jedenfalls fatal – sie würde in der Tat dem Naturschutz in vielen Fällen einen Bärendienst erweisen.
Zum Ende: Natürlich wäre es töricht, „einen Koloss auf einem tönernen Fundament“ zu errichten, wie Jungmeier (S. 246) sagt. Doch es geht weder um ein tönernes Fundament – eine ökonomische Perspektive auf die Natur und unserem Umgang mit ihr hat viel mehr zu bieten als die bloße Monetarisierung von Ökosystemleistungen. Noch geht es um die Errichtung eines Kolosses – eine simple Marktmechanik, wie sie aber leider unterstellt wird, wäre mehr als naiv. Es geht vor allem darum, das gesellschaftliche Anliegen des Natur- und Umweltschutzes angemessener in öffentlichen und privaten Entscheidungsfindungsprozessen zu verankern.
TEEB und Naturkapital Deutschland liefern hierfür zahlreiche Beispiele. Auf dieser ökonomischen Perspektive lässt sich aufbauen, um einen nachhaltigeren Umgang mit den natürlichen Grundlagen unseres Wohlbefindens und unserer wirtschaftlichen Prosperität zu entwickeln. Die Kritik an einem selbst-konstruierten neo-liberalen Pappkameraden hilft dagegen wenig weiter.
Literatur
Brondizio, E.S., Gatzweiler, F.W. et al. (2010): The Socio-Cultural Context of Ecosystems and Biodiversity. In: TEEB, Ecological and Economic Foundations, London, Washington, D.C., Earthscan, 149-181.
Chan, K.M.A. et al. (2016): Why protect nature. Rethinking values and the environment. PNAS 113 (6), 1462-1465.
Jax, K. et al. (2013): Ecosystem services and ethics. Ecological Economics 93, 260-268.
Meinard, Y., Dereniowska, M., Gharbi, J.-S. (2016): The ethical stakes in monetary valuation methods for conservation. Biological Conservation 199, 67-74.
Naturkapital Deutschland – TEEB DE (2012): Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft. Eine Einführung. München, Leipzig.
– (2015): Naturkapital und Klimapolitik: Synergien und Konflikte. Berlin, Leipzig.
– (2016a): Ökosystemleistungen in ländlichen Räumen. Grundlage für menschliches Wohlergehen und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Hannover, Leipzig.
– (2016b): Ökosystemleistungen in der Stadt: Gesundheit schützen und Lebensqualität erhöhen. Berlin, Leipzig.
Neuteleers, S., Engelsen, B. (2015): Talking money: How market-based valuation can undermine environment protection. Ecological Economics 117, 253-260.
Pascual, U. et al. (2010): The Economics of Valuing Ecosystem Services and Biodiversity. In: TEEB, Ecological and Economic Foundations, London, Washington, D.C., Earthscan, 183-255.
Samuelson, P. (1954): A pure theory of public expenditure. Review of Economics and Statistics 36, 387-389.
Spangenberg, J.H., Settele, S. (2016): Value pluralism and economic valuation – defendable if well done. Ecosystem Services 18, 100-109.
TEEB (2010): The Economics of Ecosystems and Biodiversity. Mainstreaming the Economics of Nature: A Synthesis of the Approach. Conclusions and Recommendations of TEEB. o.O.
Barrierefreiheit Menü
Hier können Sie Ihre Einstellungen anpassen:
Schriftgröße
Kontrast
100 Euro Rabatt auf Ihr Stellenangebot
Als Abonnent:in von Naturschutz und Landschaftsplanung erhalten Sie pro Kalenderjahr 100 Euro Rabatt auf Ihr Stellenangebot im Grünen Stellenmarkt.
mehr erfahrenNoch kein Abo? Jetzt abonnieren und Rabatt für 2025 sichern.
zum Naturschutz und Landschaftsplanung-Abo
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.