Konzeption für eine Eingriffsregelung in Österreich
Abstracts
Für Österreich wird mit dem vorliegenden Beitrag erstmals ein österreichweit anwendbares Regelverfahren für die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung vorgeschlagen, das auf freiwilliger Basis eingeführt werden soll. Es soll die Standards in Naturschutzverfahren erhöhen, die Planungs- und Rechtssicherheit verbessern sowie die Vorgehensweise fairer und transparenter gestalten.
Das Regelverfahren betont vor allem die Unterschiede zwischen Ausgleich und Ersatz und integriert diese auch in das Berechnungsverfahren. In diesem Punkt sowie in der Berücksichtigung von temporären Eingriffen werden wichtige Akzente in der „Familie“ der Berechnungsverfahren und Leitfäden gesetzt.
Concept for an impact regulation for Austria – Practical tool, to be implemented voluntarily
For the first time a nationwide standard procedure for the impact regulation according to nature conservation has been suggested for Austria. It is to be introduced on a voluntary base. It aims to improve the standard of nature conservation procedures, to advance planning certainty and legal security, and to make the process more fair and transparent. he standard procedure mainly emphasizes the differences between equalization (“Ausgleich”) and substitution (“Ersatz”) and also integrates them into the calculation procedure. In this regard and due to the fact that it considers temporary interferences the suggested approach makes an important contribution in the “family” of calculation methods and guidelines.
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1 Einleitung
Die Voraussetzungen innerhalb Österreichs könnten nicht schwieriger sein, um eine gemeinsame Lösung für den naturschutzrechtlichen Ausgleich für Eingriffe in Natur und Landschaft anzustreben: Die neun verschiedenen Naturschutzgesetze (ein Rahmengesetz gibt es nicht) sind nicht nur durch unterschiedliche Begrifflichkeiten und Regelungen gekennzeichnet, einige sehen diesen Aspekt in ihrer Naturschutzgesetzgebung gar nicht vor (s.u., Tab. 3).
Aktuell wird die Praxis durch das Salzburger Konzept zur Bewertung von Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen (Loos 2006), einem Konzept für Ausgleichsmaßnahmen für wesentliche Eingriffe in den Naturhaushalt aus Oberösterreich (Oö. Umweltanwaltschaft 2009) und einem Fachentwurf Eingriffsregelung aus Tirol (Amt der Tiroler Landesregierung 2013) bestimmt. Weiterhin geben die Regelwerke für den Straßenbau (RVS 04.01.12, RVS 04.03.15) Hinweise.
In der Praxis der Eingriffsregelung dominiert daher vor allem die Umsetzung des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes. Hier wiederum geben die Sachverständigen für Naturschutz jeweils die oft individuell geprägte Richtung vor. Fachbehörden und die Umweltanwaltschaften sind weitere Partner im Bemühen um eine sachgerechte Lösung.
Das Ergebnis war und ist sowohl aus der Sicht von Projektwerbern als auch aus der Sicht der Naturschutzverbände vielfach unbefriedigend, denn der jeweils per Bescheid festgelegte Ausgleich ist oftmals nicht vergleichbar. Die Umweltanwaltschaften beklagen regelmäßig enorme regionsspezifische bzw. projektbezogene Unterschiede, die fachlich nicht begründbar erscheinen (Pöllinger 2015, Tiroler Umweltanwaltschaft 2012).
Darüber hinaus zeigte sich, dass auch der fachliche bzw. rechtliche Hintergrund verschiedener Verpflichtungen zur Kompensation vermischt wurde und Defizite bei der Abarbeitung zu beobachten waren. So sind die Anforderungen an den naturschutzrechtlichen Ausgleich basierend auf der Naturschutzgesetzgebung sowie dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz und den Anforderungen basierend auf der FFH-Richtlinie sehr unterschiedlich (vgl. Tab. 1). Daher war es notwendig, die Schlüsselbegriffe für den Sprachgebrauch in Österreich länderübergreifend zu definieren (Tab. 2).
Vor diesem Hintergrund initiierten die Umweltanwaltschaften Burgenland, Niederösterreich und Oberösterreich ein Projekt, um zumindest den Bereich des naturschutzrechtlichen Ausgleichs länderübergreifend zu diskutieren und Vorschläge für ein gemeinsames Verständnis zu schaffen. Ziel war es, in diesem Bereich
zu österreichweiten Standards in Naturschutzverfahren beizutragen,
die Planungs- und Rechtssicherheit zu verbessern,
die Transparenz bei der Ermittlung des Ausgleichsbedarfs zu erhöhen und
den Anforderungen an eine Gleichbehandlung durch dieses Vorhaben Rechnung zu tragen.
Dieser vorliegende Entwurf wurde durch ein interdisziplinäres Team aus Landschaftsplanern, Juristen und Umweltanwälten (Knollconsult Umweltplanung ZT GmbH, REVITAL Integrative Naturraumplanung GmbH und Haslinger/Nagele & Partner Rechtsanwälte GmbH) bearbeitet und in mehreren Workshops mit den möglichen Anwendern getestet. Die Überlegungen für ein mögliches österreichweites Konzept sind nachstehend dargestellt und diskutiert.
2 Konzeption
2.1 Rahmen und Anwendungsbereich
Vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Deutschland erscheint es wichtig zu betonen, dass in Österreich an der rechtlich verankerten Kaskade (vgl. Abb. 1) festgehalten werden soll und eine Vermischung der Begriffe Vermeidung und Verminderung bzw. Ausgleich und Ersatz unbedingt vermieden werden soll (vgl. z.B. die modifizierte Kaskade der Eingriffsregelung in der Bauleitplanung in Deutschland; Jessel & Tobias 2002, Louis & Engelke 2000). Im Gegenteil, es wird großer Wert auf eine separate Abarbeitung gelegt und festgelegt, dass die Reihenfolge der Arbeitsschritte zwingend einzuhalten ist. Ihre Aufgabe entspricht daher vielen vergleichbaren Konventionen in Deutschland (Zusammenstellung für Deutschland in Busse et al. 2013: 153-155).
Die Anwendung der Kaskade schließt auch den Schritt mit ein, dass noch vor der Ermittlung des Ausgleichsbedarfs beurteilt wird, ob das Vorhaben zu erheblichen negativen Auswirkungen führen wird bzw. ob die Belange des Naturschutzes vorgehen und damit das Vorhaben nicht weiter zu verfolgen ist. Hinweise auf diese Sichtweise liefert das Salzburger Naturschutzgesetz (vgl. § 3a Abs. 4 sowie § 51 Sbg NSchG) und im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit die Naturschutzgesetze im Burgenland (vgl. § 10 Abs. 2 Bgld NG 1990) und in Kärnten (vgl. § 12 Abs. 2 K-NSG 2002). Ersatzmaßnahmen sind anzusetzen:
a) wenn der Ausgleich naturschutzfachlich, z.B. in enger räumlicher Nähe zum Eingriffsort oder aufgrund langer Entwicklungszeiträume von Lebensräumen, nicht möglich ist;
b) in unmittelbarer Nähe zum Eingriffsort nachweislich keine Flächen verfügbar sind;
c) der Aufwand für Ausgleichsmaßnahmen nicht zumutbar ist;
d) Ersatzmaßnahmen einen deutlichen naturschutzfachlichen Mehrwert erwarten lassen.
Ersatzzahlungen stellen die Ultima Ratio dar und sind im Regelfall nicht vorgesehen (vgl. auch § 51 Sbg NSchG). Bei Ersatzmaßnahmen erhöht sich regelmäßig der Flächenbedarf (siehe Berechnungsmodell).
Wie bereits eingangs dargelegt, ist der Leitfaden in folgenden Fällen ausdrücklich nicht anzuwenden:
1. Betroffenheit von Natura-2000-Gebieten (hier ist eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen, die erforderliche Maßnahmen regelt);
2. Betroffenheit von überall geschützten Arten nach Anhang IV (hier ist eine spezielle artenschutzrechtliche Prüfung durchzuführen, die erforderliche Maßnahmen regelt);
3. Betroffenheit von Schutzgebieten (hier ist eine Betrachtung der jeweiligen Schutzgebietsverordnung notwendig und ggf. eine spezifische Zulassung des Vorhabens);
4. taxative Verbote bezogen auf Lebensräume und Arten (national geschützte Arten, ex-lege-Schutz);
5. Normierungen anderer Materiengesetze (z.B. Forstrecht, Wasserrecht, Abfallrecht etc.) sind gesondert zu berücksichtigen und werden nicht durch das Berechnungsmodell abgebildet.
2.2 Berechnungsmodell
Die im deutschsprachigen Raum angewendeten Berechnungsmodelle im Rahmen der Eingriffsregelung lassen sich ganz grob vier methodischen Schwerpunkten zuordnen: dem Biotopwertverfahren, dem Kompensationsverfahren, dem Herstellungskostenansatz und einer verbal-argumentativen Bewertung (Köppel et al. 2004).
Weiterhin unterscheiden sich die Verfahren dahingehend, ob und inwieweit neben dem Schutzgut Vegetation (Biotope) auch andere Schutzgüter, wie etwa die Fauna, das Landschaftsbild oder die Erholungseignung, mit berücksichtigt werden müssen (Busse et al. 2013).
Unterschiede bestehen auch darin, ob auch lange Herstellungszeiträume, Defizite im Hinblick auf die verloren gegangene Funktionalität oder räumliche Nähe berücksichtigt werden müssen.
Im Gegensatz zu Deutschland, wo in den letzten Jahren ein Trend zu Biotopwertverfahren basierend auf Biotopwertpunkten festzustellen war, hat sich das Bearbeitungsteam für ein flächenbezogenes Berechnungsmodell für die Kompensation von Biotopflächen entschieden. Belange der Fauna, des Landschaftsbildes, des Erholungswerts und des Gebietsschutzes müssen noch zusätzlich ermittelt und ggf. auf der Grundlage einer verbal-argumentativen Abarbeitung zusätzlich kompensiert werden (Abb. 2).
Die Abarbeitung der Eingriffsermittlung und der Kompensation erfolgt in folgenden Schritten:
1. Schritt: Ermittlung von Flächen mit Kompensationspflicht; Unterscheidung in (siehe auch Tab. 4):
i) Biotope ohne vegetationsökologische Bedeutung (z.B. verbaute und versiegelte Flächen) mit der Wertstufe „0“ (keine Kompensationspflicht)
ii) nicht schutzwürdige und ungefährdete Biotoptypen (z.B. Fichtenforst, Intensivwiesen etc.) mit der Wertstufe „0 – 0,15“ (Kompensationspflicht in Abhängigkeit der Ausprägung, des ökologischen Potentials und der landesrechtlichen Vorgaben)
iii) gefährdete und sonstige naturschutzfachlich bedeutende Biotoptypen (z.B. Halbtrockenrasen, Grauerlen-Au) mit der Wertstufe „0,5“ – „1,0“ (jedenfalls Kompensationspflicht)
Die dargestellten Werte orientieren sich an der Wiederherstellbarkeit hinsichtlich des Standorts und den Entwicklungszeiträumen von Lebensräumen (vgl. Haber et al. 1993, Jessel & Tobias 2003, Riedel et al. 1994). Ähnliche Abstufungen sind auch in deutschen Kompensationsverfahren zu finden (Busse et al. 2013). Artenschutzrechtliche Aspekte bleiben, wie erwähnt, unberücksichtigt und müssen im Regelfall zusätzlich abgearbeitet werden (siehe dazu Schritt 5).
2. Schritt: Bewerten der betroffenen Flächen mit Kompensationspflicht
Die Biotoptypen mit Kompensationspflicht werden ermittelt und bewertet. Dazu wird ihre Biotopwertstufe vor dem Eingriff und nach dem Eingriff subtrahiert. Darüber hinaus ist auch der Eingriffszeitraum noch zusätzlich zu beachten und ggf. zu berücksichtigen (vgl. Abb. 3).
Als Grundlage für die Ermittlung der Wertstufe in Schritt 2 und Schritt 3 werden die Vorgaben in Tab. 4 herangezogen. Dabei ist eine stufenlose Bewertung möglich.
Der Eingriffszeitraum wird durch einen Korrekturfaktor berücksichtigt. Dieser schließt den gesamten Zeitraum vom Eingriff bis zum Abschluss der Rekultivierung temporärer Eingriffsflächen mit ein. Wie Tab. 5 zeigt, ist ein vollständiger Ausgleich zu erbringen, wenn z.B. die Baustelleneinrichtung 30 Jahre umfasst. Bei drei Jahren wären es dann 20 % der Fläche (Multiplikator 0,2).
3. Schritt: Bewertung von Kompensationsmaßnahmen
Wie in Abb. 4 dargestellt, sind die ausgewählten Kompensationsmaßnahmen zu bewerten. Dabei ist der ermittelte Kompensationswert dann geringer, wenn es sich um eine Ersatzmaßnahme handelt und der funktionale und/oder räumliche Bezug gelockert ist. In diesem Fall erhöht sich automatisch der Flächenbedarf, da der ermittelte Kompensationsbedarf in m² aus Abb. 3 und der errechnete Kompensationswert in m2 mindestens ausgeglichen sein müssen.
Durch die Tab. 6, 7 und 8 wird eine Ausgleichsmaßnahme immer höher bewertet als eine Ersatzmaßnahme. Damit wird ein Anreiz geschaffen, Ausgleichsflächen zu suchen, da der Flächenbedarf sich dadurch reduziert.
4. Schritt: Gegenüberstellung des Kompensationsbedarfs und des Kompensationswerts
Der Kompensationswert (vgl. Abb. 5) muss gleich hoch oder höher sein als der errechnete Kompensationsbedarf.
5. Schritt: Bewertung weiterer Aspekte
Im letzten Schritt erfolgt eine gesonderte verbal-argumentative Behandlung zusätzlich betroffener Schutzgüter, insbesondere faunistischer Belange sowie der Betroffenheit von Landschaftsbild und Erholungswert.
Das Ergebnis nach den Schritten 1 bis 5 dient als Entscheidungsgrundlage für Projektwerber, Gutachter und Fachbehörden. Eine Abweichung in der Bewertungseinstufung ist in begründeten Sonderfällen möglich. Diese Gründe für die Abweichung sind jedoch ausführlich zu dokumentieren und zu argumentieren.
Das nachstehende Fallbeispiel vermittelt die erforderlichen Arbeitsschritte und den Einsatz der Tabellen: Abb. 6 zeigt in Rot die Eingriffsfläche, die je nach Vorwertigkeit und Zeitraum des Eingriffs unterschiedlich bewertet wird. Abb. 7 beschreibt die Maßnahmen und veranschaulicht die Berechnung des Kompensationswerts unter Berücksichtigung von Funktion, Raum und Zeit. Abb. 8 illustriert das Gesamtergebnis unter Berücksichtigung von drei räumlich nahe gelegenen Maßnahmen vergleichbarer Biotoptypen (M1: Aufwertung einer bestehenden Waldfläche, M2: Aufwertung einer bestehenden Feuchtwiese, M3: Neuanlage einer Feuchtwiese).
3 Diskussion
3.1 Konzeptionelle Aspekte
In Deutschland wurde die in Abb. 1 angesprochene Kaskade mit der Gesetzesänderung deutlich zurückgenommen. Zwar hält das Bundesnaturschutzgesetz von 2010 am Vorrang der Naturalkompensation vor der Ersatzzahlung fest, es stellt jedoch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen weitgehend gleich. Diese Gleichstellung geht auf einen Beschluss des Bundesrates zurück (BR-Drs. 278/09, Nr. 11). Dabei ging es vor allem darum, die räumliche Nähe zum Eingriffsort in ihrer Bedeutung zu reduzieren. Der vorliegende Leitfadenentwurf, der auf freiwilliger Basis in ganz Österreich angewandt werden soll, geht hier einen anderen Weg und honoriert die räumliche Nähe, die den Ausgleich kennzeichnet. Betrachtet man das Verfahren im Vergleich mit anderen bestehenden und vor kurzem neu entwickelten Konzepten, dann ergeben sich einige weitere spannende Diskussionspunkte. Die wichtigsten sind nachstehend hervorgehoben.
1. Der Korrekturfaktor Wirkungsdauer erscheint gerade bei Vorhaben mit temporären Eingriffen, wie z.B. Bau- und Lagerplätzen bzw. Baustelleneinrichtungen, ein interessanter Zusatz. Hier gibt es in der Anwendungspraxis im deutschsprachigen Raum eine große Unsicherheit, die von der Nichtberücksichtigung temporär beanspruchter Flächen bis zur Vollkompensation geht. Ob die hohe Kompensationspflicht von immerhin 20 % auch bei Vorhaben, die weniger als zwei Jahre andauern, adäquat ist, bleibt abzuwarten.
2. Die Abstufung in drei Biotoptypen-Gruppen mit unterschiedlicher Wertigkeit kann als sinnvolle Vereinfachung angesehen werden. Schwierigkeiten könnten allerdings bei der Zuordnung entstehen. Bei den Flächen mit nicht schutzwürdigen und ungefährdeten Biotoptypen werden auch Fichtenforste genannt. Hierzu wäre anzumerken, dass alte Fichtenreinbestände ökologisch eine ganz andere Bedeutung haben als Fichtenjungwuchs. Hier sind sicherlich Hilfestellungen bzw. ergänzende Listen erforderlich, die bei der Bewertung helfen.
3. Diese Aspekte können durch ergänzende Informationen und Fallbeispiele präzisiert werden, um den möglichen Interpretationsspielraum zu begrenzen und Unsicherheiten zu reduzieren.
4. Nachdem in Zusammenhang mit der Anwendung der Eingriffsregelung vielfach beobachtet werden konnte, dass u.a. auch durch die Einführung von Flächenagenturen und Ökokonten der gravierende Unterschied zwischen einer Ersatzmaßnahme und einer Ausgleichsmaßnahme immer weiter marginalisiert wurde, ist hier nicht nur die klare Bekenntnis zur Eingriffskaskade, die Ablehnung von Ersatzzahlungen und die Berücksichtigung von räumlicher Nähe zum Eingriffsort bzw. der Funktionalität ein Schritt in die andere Richtung. Der Versuchung, Ausgleich und Ersatz im Sinne der Kompensation vereinfachend zusammenzufassen, wurde hier widerstanden.
5. Nachdem in den letzten Jahren in Deutschland der Flächenbezug zugunsten von Biotopwertpunkten aufgegeben wurde [siehe dazu z.B. die Kompensationsverordnung in Bayern (BayKompV 2013) und die Zusammenstellung in Busse et al. 2013: 153-155], ist auch dies ein Punkt für eine kritische Nachfrage. Der Diskussionsprozess in Österreich ergab, dass der Flächenbezug als unabdingbar angesehen wird und als wichtiger Bestandteil einer transparenten – auch von Laien – gut nachvollziehbaren Vorgehensweise angesehen wird. Es soll damit auch immer im Bewusstsein bleiben, dass der Naturhaushalt flächenhaft betroffen ist und dieser Flächenverlust auch wieder durch neue Flächen kompensiert werden muss.
Die deutliche Unterscheidung zwischen Ausgleich und Ersatz mit erheblichen Konsequenzen für den Flächenbedarf kann und soll zur Fokussierung auf einen adäquaten Ausgleich führen. Allerdings steht dies in deutlichem Widerspruch zur immer weiteren Verbreitung von Pool-Lösungen und Ökokonten, insbesondere in Deutschland.
3.2 Akzeptanz
Die Seminare zur Diskussion und Erprobung des Verfahrens haben gezeigt, dass die Schwierigkeiten bei der Einführung nicht alleine im Bereich der fachlichen Vorgabe und der Praxisnähe der Bearbeitungsschritte liegen. Unter anderem begründen sich kritische Einstellungen mit den Grundsätzen der Eingriffsregelung. Durch formalisierte Vorgehensweisen erscheinen einigen Teilnehmenden des Workshops die Zugriffe und Eingriffe in den Naturhaushalt noch einfacher möglich, weil die Art des „Ablasshandels“ schon feststeht.
Hierzu ist anzumerken, dass die Erfahrungen in Deutschland über Jahrzehnte das Gegenteil bewiesen haben. Immer dann, wenn rechtlich begründete, transparente Leitlinien vorlagen, wurde der Naturhaushalt besser und angemessener berücksichtigt. Dies ließ sich gerade bei der Einführung neuer Verfahren nachweisen (Busse et al. 2005, Pröbstl et al. 2007). Veranstaltungen, bei denen die schrittweise Vorgehensweise einschließlich der durch dieses Regelverfahren nicht abgedeckten Bereiche ausführlich dargestellt wird und die tatsächliche Praxis mit und ohne Regelwerk diskutiert wird, können hierzu sinnvoll sein.
Ein weiterer Kritikpunkt, der wiederholt vorgebracht wurde, war die Anmerkung, dass die gutachterliche Freiheit der Sachverständigen eingeschränkt würde. Das Regelverfahren wurde damit auch als Kritik an der bisherigen Vorgehensweise und Kompetenz empfunden, gegen die man sich verständlicherweise verwehrt. Betrachtet man das Verfahren im Detail, dann zeigt sich, dass trotz der Vorgaben noch immer ein großer Spielraum bleibt, der vom Gutachter für die Anpassung an die individuellen Verhältnisse genutzt werden kann und soll. Es scheint insbesondere aus der Sicht der Betroffenen, wie z.B. der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), verständlich, dass diese auf stärker vergleichbare Verhältnisse drängen (Haller & Sladek 2015). Darüber hinaus ist anzumerken, dass die Anforderungen an Gutachten im Hinblick auf die Beachtung von Rechtsgrundlagen, Nachvollziehbarkeit und die Beachtung aktueller Literatur oder Rechtsprechung zugenommen haben. In diesem Zusammenhang gewinnen Leitfäden an Bedeutung. Eine fachgutachterliche Einschätzungsprärogative kommt nur in begrenztem Umfang zur Geltung, weil sie sonst nicht dem Rechtsstaatprinzip entspräche.
Auch in Hinblick auf die Rechtsprechung und die Beteiligung der Öffentlichkeit könnten sich Vorteile ergeben (so sind z.B. Defizite nun offensichtlicher). In dem Maße, wie es auch auf eine Beteiligung und Transparenz gegenüber der Bevölkerung und Betroffenen bzw. Naturschutzverbänden ankommt, stellen Regelverfahren durchaus eine große Hilfe dar, das Thema Ausgleich und Ersatz transparent zu vermitteln.
Literatur
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