Naturschutz sportlich betrachtet: das unendliche „Tauziehen“
Tauziehen – der sportliche Wettbewerb zweier Gruppen an den Enden eines Seils ist sprichwörtlich zum Synonym für einen zähen und langen Kampf um eine Sache geworden. Das Substantiv umschreibt wohl am besten die schon Jahrzehnte währende Auseinandersetzung zwischen Forstwirtschaft und Naturschutz um den Schutz von Alt- und Totholz im Wald. Ein Thema, dem sich am Beispiel des Alpenbocks (siehe Titelfoto) der erste Hauptbeitrag widmet.
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Prioritäre Totholz-Nutzer
Geadelt ist der ohne Fühler etwa 3cm lange und farbenprächtig blau-schwarz gefärbte Bockkäfer durch die Aufnahme in die Anhänge II und IV der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Für die Arten gemeinschaftlichen Interesses des Anhangs II müssen besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden. Diese Arten hat der EU als Stellvertreter für Lebensräume und Habitatstrukturen ausgewählt, die nicht (ausreichend) durch die Auflistung der Lebensraumtypen in Anhang I erfasst sind, um das Schutzgebietssystem Natura 2000 zu vervollständigen. Gemeinsam mit Eremit, Heldbock, Hirschkäfer und Gestreiftem Bergwald-Bohrkäfer steht der Alpenbock für Totholzstrukturen. Eremit und Alpenbock sind dabei als prioritäre Arten hervorgehoben. Damit ist die Realisierung von Plänen oder Projekten, die für sie gemeldete FFH-Gebiete beeinträchtigen, nur unter zusätzlich erschwerten Bedingungen möglich (Art. 6 (4) FFH-RL).
Für die Vorkommen des Alpenbocks in Bayern finden sich in dieser Ausgabe detaillierte Informationen zu den Habitat- und Brutsubstrat-Präferenzen: Besiedelt werden besonnte, trockene Standorte mit trockenem, meist stehendem Totholz. In ausreichendem Maße Laubwald und in diesem Totholz zu erhalten, ist die Konsequenz für die forstliche Nutzung.
Mit Blick auch auf die anderen genannten Totholz-Käferarten adressiert die FFH-Richtlinie eigentlich klare Anforderungen an die Länder, ausreichend Alt- und Totholzanteile in räumlichem Verbund (Natura 2000 als „kohärentes Netz vom Schutzgebieten“) zu erhalten bzw. schaffen. Nur: Wie viel ist genug, um den „guten Erhaltungszustand“ zu wahren?
Zankapfel Wildnis
Hier prallen nach wie vor sehr unterschiedliche Positionen aufeinander, auch innerhalb der Forstpartie. Einerseits liefern Wissenschaftler – gerade auch der forstlichen Landesanstalten – erfreulicherweise fundierte Grundlagen, wie auch der genannte Beitrag belegt. Andererseits werden manche Vertreter von Forst- und Holzwirtschaft nach wie vor nicht müde, alt bekannte und haltlose Phrasen zu dreschen. Auf die gut begründete Stellungnahme des Sachverständigenrats für Umweltfragen zur Schaffung von Wildnisgebieten (auf gerade mal 2 % des Bundesgebiets) konterte Philipp Freiherr zu Guttenberg, Präsident der „AGDW – Die Waldeigentümer“: „Wie bei einer Fata Morgana wird mit der so genannten Wildnis ein Naturerlebnis vorgegaukelt, das in der Wirklichkeit nicht genossen werden kann.“ Denn „eine Naturschutzelite entzieht den Bürgern den freien Zugang zu den Wäldern, da der stillgelegte Wald nicht betreten werden darf“. Der Deutsche Holzwirtschaftsrat forderte in seiner „Roadmap 2025“, „die politischen Ziele im Bereich Flächenstilllegungen und Nutzungsbeschränkungen zugunsten alternativer, ressourceneffizienter und integrativer Schutzkonzepte (zu) korrigieren“.
Der alte Streit zwischen Integration und Segregation also wieder – für den ganz besonders Wolfgang Scherzinger bereits 1996 mit seinem Buch „Naturschutz im Wald“ (Ulmer) eine 440 Seiten starke Begründung für ein notwendiges „Sowohl-als-auch“ geliefert hat. Das gilt unverändert.
Dritter Nationalpark
So falsch sind Wildnis-Schutzgebiete auch für Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer offenbar nicht. Überraschend hat er Umweltministerin Ulrike Scharf mit der Suche nach einem geeigneten Gebiet für einen dritten Nationalpark beauftragt. Dieses kann eigentlich nur ein Laubwaldareal wie der Spessart oder Steigerwald sein – Letzteren aber schloss Seehofer kategorisch aus. Da scheint denn doch wieder politisches Kalkül über fachliche Kriterien zu siegen...
Fachliche Argumente für die Gestaltung von Großschutzgebieten liefert das im Forum dieses Heftes abgedruckte Positionspapier der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL). Weitere Themen des Heftes: ein Methodenvorschlag zur Bewertung der Wirkungen von Flurneuordnungen auf Ziele des Naturschutzes und eine detaillierte Erläuterung des Artenschutzrechts für Vögel und Fledermäuse gemäß § 44 BNatSchG mit Tötungsverbot, Störungsverbot und Lebensstättenschutz. Auch diese Themengebiete sind in der Praxis vielfach mit einem langen Tauziehen verbunden, leider!
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