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Bewertung der Ökosystemleistung „Erholung in der Stadt“

Vorschlag bundesweiter Indikatoren zur Erreichbarkeit öffentlicher Grünflächen

Abstracts

Die Erarbeitung von empirischen Grundlagen und Handlungszielen für „Grün in der Stadt“ stellt eine Basis für das Bemühen um eine nachhaltigere Stadtentwicklung dar, denn eine grüne Infrastruktur macht einen Großteil der Lebensqualität in Städten aus. In diesem Kontext wurden Indikatoren für die Bewertung der Ökosystemleistung „Erholung in der Stadt“ vorgeschlagen und für alle großen deutschen Städte berechnet, kartiert und interpretiert.

Der entwickelte Hauptindikator „Erreichbarkeit städtischer Grünflächen“ ist eine relativ einfache, robuste und reproduzierbare Messgröße. Aktuelle Geodaten von Grünflächen werden dabei mit der Erreichbarkeit dieser Flächen verknüpft. Der Indikator ermöglicht eine Bewertung auch im Vergleich zu anderen Städten und bei wiederholter Berechnung ein Monitoring und eine Trendaussage.

Insgesamt sind für 74,3% der Einwohner aus den 182 untersuchten Städten (alle Städte ≥50000 Einwohner) sowohl Grün- und Gewässerflächen (≥1ha) in einer Entfernung von 300m Luftlinie (≈500m Fußweg) als auch Grün- und Gewässerflächen (≥10ha) in einer Entfernung von 700m Luftlinie (≈1000m Fußweg) erreichbar.

Proposol for nationwide indicators for “accessibility of urban green spaces” – Evaluation of the ecosystem service “recreation in the city”

The development of empirical data and action goals for “Green in the City” represents a basis for the pursuit of a more sustainable urban development, as green and blue infrastructure significantly contributes to the quality of life in cities. In this context, indicators for assessing the ecosystem service “recreation in the city” were proposed and calculated, mapped and interpreted for all major German large towns and cities. The main indicator “accessibility of urban green spaces” developed in the study is a quite simple, robust and reproducible measure. It combines current geodata of green spaces with their accessibility. The indicator allows a comparison of different cities. If the calculation is repeated it allows a monitoring and the identification of trends.

Taken as a whole, 74.3% of the inhabitants of the 182 towns and cities studied (all towns and cities ≥50,000 inhabitants) can reach both smaller urban green spaces and water areas (≥1ha) within a linear distance of 300m (≈500m walk), and within a linear distance of 700m (≈1,000m walk) large green spaces and water areas (≥10ha) are accessible.

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Abb. 1: Erreichbarkeit naher und größerer öffentlicher Grünflächen (einschl. Gewässern) für die Wohnbevölkerung in deutschen Groß- und Mittelstädten (≥50000 Einwohnern).<br/ >Accessibility of closer and larger urban green spaces (including water areas) for the residential population in German large towns and cities (≥ 50000 inhabitats).
Abb. 1: Erreichbarkeit naher und größerer öffentlicher Grünflächen (einschl. Gewässern) für die Wohnbevölkerung in deutschen Groß- und Mittelstädten (≥50000 Einwohnern).
Accessibility of closer and larger urban green spaces (including water areas) for the residential population in German large towns and cities (≥ 50000 inhabitats).
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1 Einleitung

Die EU-Biodiversitätsstrategie sieht gemäß Ziel 2 Maßnahme 5 vor, dass die Mitgliedstaaten den Zustand der Ökosysteme und ihrer Leistungen kartieren und bewerten sowie die Integration dieser Werte in die Rechnungslegungs- und Berichtssysteme auf EU- und nationaler Ebene bis 2020 voranbringen. Dazu gehören auch urbane Ökosysteme mit ihrem Leistungsspektrum, denn hier konzentrieren sich eine große Zahl von Nachfragern bzw. Nutzer/Nutznießer von Ökosystemleistungen (Maes et al. 2014).

Städtische Wälder, Flusslandschaften, Seen, Parks und Gärten erbringen Beiträge für wesentliche Aspekte der Lebensqualität in Städten. Sie erfüllen stadtökologische Funktionen, stellen urbane Ökosystemleistungen (ÖSL) bereit und ermöglichen Städtern einen Kontakt mit der urbanen Natur (Barbosa et al. 2007, Elmqvist et al. 2015, Kabisch & Haase 2013, Lee et al. 2015). So ist es eine Herausforderung, bei anhaltender Urbanisierung Wohnungen zu bauen, dabei die Stadtgrenzen nicht ausufern zu lassen, andererseits aber der Natur genügend Raum in der Stadt zu geben. Freiraum und -flächen sind in Städten ein knappes Gut. § 1 Abs. 6 BNatSchG fordert, Freiräume auch im besiedelten Bereich einschließlich ihrer Bestandteile und Einzelbiotope zu erhalten und dort, wo sie nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind, neu zu schaffen. Viele Kommunen und Initiativen verfolgen das Ziel, die Grünausstattung der Städte zu stärken. Auch die Nationale Stadtentwicklungspolitik der Bundesrepublik verfolgt diese Strategie (BMBU 2015). Um stadtplanerische und naturschutzfachliche Erfordernisse in diesem Zusammenhang ableiten und flächenscharf benennen zu können, sind Quantifizierungen auf gesamtstädtischer und bundesweiter Ebene notwendig.

Im Rahmen von BfN/BMUB-Forschungs­vorhaben werden derzeit die Möglichkeiten untersucht, Ökosystemleistungen in Deutschland zu erfassen und in Hinblick auf ihre bundesweite Relevanz und Darstellbarkeit zu prüfen (Albert et al. 2015, Grunewald et al. 2015). Als ein wesentliches Instrument der Operationalisierung sowie zur Erfolgskontrolle sind Indikatoren zur Erfassung und Bewertung von ÖSL erforderlich. Sie sollen als ausgewählte, gut verständliche Kenngrößen Auskunft über den Bestand an ÖSL (einschließlich Angebot und Nachfrage) sowie über eine wiederholte Indikatorwertberechnung die Darstellung der zeitlichen Entwicklungstrends (Monitoring) ermöglichen.

Im Folgenden wird die Entwicklung und Berechnung nationaler Indikatoren zur Erreichbarkeit von öffentlichen Grünflächen zur Bewertung der ÖSL „Erholung in der Stadt“ beschrieben. Dies erfolgt nach der Systematik, die für die bundesdeutschen ÖSL-Indikatoren im Rahmen des Projekts zur bundesweiten Erfassung und Bewertung von Ökosystemleistungen vorgeschlagen wurde (Grunewald et al. 2016). Das Ergebnis, der Ausstattungsgrad der großen deutschen Städte mit öffentlichen Grün- und Gewässerflächen sowie deren Erreichbarkeit, wird dargestellt und normativ sowie vergleichend diskutiert. Die Entwicklung der Indikatoren und deren Monitoring eignen sich als eine Grundlage für den Wettbewerb der deutschen Städte um eine „grüne“, also ökologisch nachhaltige und auf das Wohlbefinden aller Bürger ausgerichtete Stadtentwicklung.

2 Beschreibung der Ökosystemleistung „Erholung in der Stadt“

Die Lebensqualität der Stadtbewohner wird in erheblichem Maße vom Angebot an öffentlichen Erholungsflächen und deren Ausstattung mit Vegetation und Gewässern mitbestimmt. Das heißt, Ökosysteme in Städten wie Wälder, Parks, Grünanlagen, Gewässer und angrenzende Uferbereiche (auch als grüne Infrastruktur bezeichnet) erbringen Leistungen für die Bewohner hinsichtlich Naturerleben, Erholungsaktivitäten und Ästhetik (Barbosa et al. 2007, Elmqvist et al. 2015, Kabisch & Haase 2013, Lee et al. 2015). Wir bezeichnen sie im Folgenden als ÖSL „Erholung in der Stadt“. Diese trägt insbesondere zur psychischen und physischen Regeneration der Bevölkerung bei und wird entsprechend nachgefragt. Wichtige Aspekte bei der Betrachtung der Versorgung der Bevölkerung mit Erholungsflächen sind neben deren Flächenanteilen (bezogen auf die städtische Gesamtfläche bzw. auf die Einwohner) und deren Qualität insbesondere deren Erreichbarkeit (Wegstrecke) und öffentliche Zugänglichkeit (Comber et al. 2008, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt 2013).

Auch wenn die Elemente der grünen Infrastruktur im urbanen Raum (Parks, Stadtbäume, Rasenflächen, Teiche u.Ä.) oftmals wenig naturnah sind, erbringen diese „Ökosysteme aus zweiter Hand“ zahlreiche Leistungen im Sinne eines Natur­kapitals. Sie bewirken positive gesundheitliche Wirkungen, verschönern das Stadtbild, weisen positive mikroklimatische Effekte auf und stellen Lebensräume für Pflanzen und Tiere bereit (Bastian et al. 2012, Elmqvist et al. 2015). Durch die Erholung in einer naturnahen oder zumindest „grünen“ Umgebung kann der Mensch sein Immunsystem stärken und seine Leistungsfähigkeit erhalten. Das Gesundheitssystem wird entlastet, die Arbeitsproduktivität erhalten bzw. erhöht. Die gesundheitsfördernden Wirkungen der Naturerfahrung sind in zahlreichen Studien belegt (Abraham et al. 2007, BMU 2010, Hartig et al. 2003, Health Council of the Netherlands 2004, Rittel et al. 2014 u.a.).

Drei Viertel der deutschen Bevölkerung leben heute in Stadtregionen, knapp ein Drittel davon in Großstädten mit mehr als 100000 Einwohnern (BMUB 2015). Bei der Wahl des Wohnorts stellt auch die Nähe zu Grün- und Freiflächen ein wichtiges Kriterium der Wohnungssuche dar. Möglichkeiten zur Erholung sind für Menschen ohne eigenes Kfz und vor allem für weniger mobile Bevölkerungsgruppen wie sozial Schwache, Ältere und Behinderte sowie für Kinder zur Verbesserung der Lebensqualität wichtig. Die Erreichbarkeit von Erholungsräumen für alle Bevölkerungsgruppen hat insbesondere auch Bedeutung für die soziale Gerechtigkeit (Kabisch & Haase 2014, Panduro & Veie 2013).

Wir postulieren deshalb als Ziel für die ÖSL „Erholung in der Stadt“, dass für jeden Bewohner eine fußläufige Erreichbarkeit von öffentlich zugänglichen Grünflächen gegeben sein sollte.

Wichtige messbare Parameter, die die ÖSL „Erholung in der Stadt“ beschreiben, sind:

der Anteil erholungswirksamer Grün- und Freiflächen sowie Gewässer im Siedlungsbereich (Angebot im Sinne des Naturdargebots), Ausstattungsgrad und Qualität der Grünflächen;

die Siedlungsflächen mit Wohnnutzung, Einwohnerdaten, Distanzen zwischen Wohnquartieren und nächstgelegenen Grünflächen.

3 Entwicklung und Berechnung der Indikatoren zur ­„Erreich­bar­keit von öffentlichen Grünflächen“

3.1 Vorbemerkungen

Zur Beschreibung des Zugangs der Bevölkerung zu öffentlichem Grün in großen deutschen Städten als sozio-kulturelle ÖSL wird als Hauptindikator (H) die „Erreichbarkeit städtischer Grünflächen“ vorgeschlagen. Dieser wird sowohl im Ge­samten betrachtet als auch unterteilt in (H1) „Erreichbarkeit naher städtischer Grün­flächen“ (≤ 500 m Wegedistanz zu Grün­flächen ≥ 1 ha) und (H2) „Erreichbarkeit größerer städtischer Grünflächen“ (≤ 1000 m Wegedistanz zu Grünflächen ≥ 10 ha).

Der Teilindikator (H1) beschreibt den Ausstattungsgrad mit wohnungsnahen Grünflächen zur Tages- und Feierabenderholung. Die einbezogenen Grünflächen gehen in ihrer Größe über Abstandsgrün zwischen Gebäuden oder Innenhofbegrünung hinaus und sollen verschiedene Arten von Erholung in der Nähe der Wohnung ermöglichen. Mit dem Teilindikator (H2) wird im Kontext der Naherholung die Versorgung der Bevölkerung analysiert. Dabei werden größere und zusammenhängende Grünräume, welche sich in der Nähe von Siedlungsflächen befinden sowie zeitlich und räumlich ausgedehntere Freizeitaktivitäten zulassen, berücksichtigt.

Die differenzierte Darstellung der ÖSL auf Basis unterschiedlicher Distanzen und Flächengrößen (H1, H2) ist ein erster Schritt in Richtung der qualitativen Bewertung der Erreichbarkeit von Grünflächen (gemäß DRL 2006). Der Hauptindikator (H) gibt den Anteil der Bevölkerung wieder, für den sowohl in fußläufiger Entfernung Grünflächen ≥ 1 ha als auch in mittlerer Entfernung Grünflächen ≥ 10 ha zur Verfügung stehen (s.o.). Einwohner gelten mit erholungsrelevanten Flächen versorgt, sobald beide Bedingungen zutreffen.

Der Hauptindikator stellt eine Weiterentwicklung des in Albert et al. (2015) vorgestellten Teilindikators „Erreichbarkeit von Grünflächen“ dar. Die Autoren dieser Studie bestimmten den Anteil von Siedlungsflächen im Umkreis öffentlicher Grünflächen. Bei diesem Vorgehen geht jede Siedlungsfläche unabhängig von deren Bewohnerdichte (potenzielle Nachfrage) in den Indikatorwert ein. In dem hier vorgestellten Hauptindikator hat eine mögliche Unterversorgung mit Erholungsflächen in Stadtgebieten mit hoher Bevölkerungsdichte einen stärkeren Einfluss auf den Indikatorwert als eine Nicht- oder Unterversorgung von Bereichen mit geringer Bevölkerungsdichte. Die Einwohner-bezogene Bewertung auf Basis aktueller Daten zur Bevölkerungsverteilung mit hoher räumlicher Auflösung (Zensusrasterkarten mit 100 m Rasterauflösung) ermöglicht nunmehr eine differenziertere Betrachtung der ÖSL-Nachfrage als die allein auf die bewohnten Siedlungsflächen bezogene. Allerdings werden die Zensusrasterdaten nur alle zehn Jahre erhoben, was den Aktualisierungsrhythmus einschränkt.

Auch deshalb wird zusätzlich der Nebenindikator (N) „Grünausstattung pro Einwohner“ vorgeschlagen. Er erfasst alle Grünflächen im Umkreis vorrangig bewohnter und zusammenhängend bebauter Flächen und bezieht diese auf die Einwohnerzahl der jeweiligen Gemeinde. Hierin sind im Sinne der Multifunktionalität gering versiegelte sowie vorrangig begrünte Flächen, u.a. auch verkehrsbegleitende Grünflächen und Ackerflächen, mit berücksichtigt. Der Nebenindikator ist als ergänzender Indikator zu verstehen und wird hier nicht umfassend erläutert.

Die zu entwickelnden Indikatoren sind insbesondere in größeren Siedlungseinheiten wie Ballungsräumen bzw. Großstädten von Relevanz, da der Bedarf für öffentliche Grünanlagen im ländlichen Raum überwiegend durch die Erholung in der freien Landschaft ersetzt wird (Kabisch et al. 2015, Panduro & Veie 2013). Städte mit mindestens 100000 Einwohnern zählen nach der Gemeinde- und Städtetypisierung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung zu den Großstädten (BBSR 2013). Die hier vorgestellten Indikatoren werden für alle Städte ab 50000 Einwohner berechnet, da wir davon ausgehen, dass Städte ab dieser Größenordnung (in den oben genannten Distanzen) eine eingeschränkte Erreichbarkeit der freien Landschaft aufweisen können.

3.2 Berechnungs- und Analyseschritte

3.2.1 Bestimmung der relevanten Erholungsflächen (Angebot, Potenzial)

a) Datengrundlage: ATKIS Basis-DLM

Das „Digitale Basis-Landschaftsmodell“ (Basis-DLM) ist Bestandteil des Amtlichen Topographisch-Kartographischen Informationssystems (ATKIS). Als Grundlage für Flächennutzungsanalysen mit hoher sachlicher und räumlicher Auflösung sowie vergleichbarer Qualität in Deutschland ist das ATKIS Basis-DLM erste Wahl (Meinel & Krüger 2014). Die Erfassungsuntergrenze liegt für flächenhafte Objektarten in der Regel bei 1ha. Einzelne Objektarten wie z.B. Wald und Gehölz (≥ 0,1 ha) weichen von der Untergrenze ab. Die Aktualisierung für alle Flächen erfolgt zyklisch spätestens nach drei bis fünf Jahren anhand von Luftbildern und ergänzender Informationen.

b) Auswahl und Begründung der relevanten Flächennutzungen aus dem ATKIS Basis-DLM:

Die Objektarten, die den Bestand an Grünflächen abbilden, wurden vor dem Hintergrund ihrer Relevanz für das Erholungsangebot ausgewählt (Tab. 1). Darin sind auch Stand- und Fließgewässer eingeschlossen, weil sie vielfältigen erholungsrelevanten Aktivitäten am, auf und im Gewässer dienen können (z.B. Baden, Bootfahren, Angeln, Eislaufen), z.T. auch grüne Uferbereiche erfassen und in der Regel öffentlich zugänglich sind. Die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit für Erholungszwecke sind auch die entscheidenden Kriterien für die Auswahl der Freiraumflächen, so dass u.a. Grünland, Wälder und Gehölze einbezogen werden, Ackerflächen hingegen nicht (vgl. Tab. 1).

Auch Friedhöfe werden als Teil des öffentlich zugänglichen Grünsystems in Städten explizit einbezogen, weil sie wichtige Erholungsfunktionen – in diesem Fall besonders hinsichtlich Ruhe-betonender Erholung – aufweisen und oft auch von Spaziergängern genutzt werden (z.B. Korda 2005).

Weitere im Basis-DLM modellierte Objektarten mit hohem Grünanteil wie z.B. Zoo, Wildpark, Sport- und Kleingartenanlagen wurden aufgrund eingeschränkter öffentlicher Zugänglichkeit durch Eintrittsgebühren oder Einzäunung nicht berücksichtigt.

c) zentrale Bezugsgrößen der ÖSL-Nachfrage

Als potenzielle Nachfrager der ÖSL „Erholung in der Stadt“ werden Einwohner unter Hinzunahme von Zensusdaten berücksichtigt. Des Weiteren sind folgende Geometriedaten als Bezugsgröße für die Indikatorwertberechnung notwendig:

administrative Stadtgrenzen (Gemeindegrenzen): Verwaltungsgebiete 1 : 25000 – VG25, Quelle: Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG)

Raster-Grundgeometrien (INSPIRE Grid 100m), Quelle: IÖR, eigene Berechnung

Bevölkerungsraster Zensus 2011 mit Rasterzellengröße 100m, Quelle: Statistisches Bundesamt (DESTATIS)

3.2.2 Definition der Schwellenwerte für wohnumfeldnahe Entfernung und Mindestgrößen der Grünflächen

Die Festlegung von Schwellenwerten orientiert sich an Literaturangaben, die Grünflächen im Kontext der Erholung im Alltag und zur Naherholung betrachten (v.a. ­European Commission 2001, EEA 2002, English Nature 2003, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt 1995/2013, Richter et al. 2016, van den Bosch et al. 2016). Eine Übersicht mit Orientierungswerten aus deutschen Städten für ver­schiedene Freiraumtypen befindet sich in DRL (2006).

Erreichbarkeit naher städtischer Grünflächen (H1):

Die Mindestflächengröße der erholungsrelevanten, wohnungsnahen Flächen ist mit 1ha durch die Erfassungsuntergrenze im ATKIS Basis-DLM festgelegt. Alle genannten Quellen setzen bei Entfernungen zu Grünflächen für die alltägliche Erholung einen Wert von 300 bis 500 m an. Zu den fußläufig erreichbaren bzw. wohnungsnahen Erholungsflächen zählen wir daher Flächen in einer Entfernung von max. 500 m Wegstrecke zum Wohnquartier bzw. ca. 10–15 min Gehzeit. Dies entspricht unter Berücksichtigung von Wegeführungen (z.B. Straßen, Bahngleise) und Barrierewirkungen ca. 300 m Luftliniendistanz, die wir vom Flächenrand der ausgewählten ATKIS-Objektarten/-werten (Tab. 1) ansetzen.

Erreichbarkeit größerer städtischer Grünflächen (H2):

Zu den für die Naherholung relevanten siedlungsnahen Flächen zählen nach Auswertung des DRL (2006) Flächen mit einer Mindestgröße von 10 ha und einer maximalen Entfernung von 1000 m bzw. 20 min Fußweg. Die angegebene Weglänge entspricht auch hier nicht der Luftliniendistanz. Daher wird für die Umsetzung des Indikators unter Berücksichtigung von Barrierewirkungen eine Luftliniendistanz von 700m angenommen.

3.2.3 Berechnung der Indikatoren im GIS

Die Umsetzung der Teilindikatoren H1 und H2 unterscheidet sich nur in den zuvor definierten Schwellenwerten.

Schritt 1: Die in Tab. 1 aufgeführten Objektarten werden zu einem neuen Datensatz „erholungsrelevante Flächen“ zusammengeführt. Eine Unterscheidung der verschiedenen Qualitäten bzw. Funktionen der Flächentypen ist mit der verwendeten Datengrundlage auf Bundesebene nicht gesichert möglich, d.h. es wird vereinfachend angenommen, dass alle das gleiche Leistungsangebot besitzen.

Schritt 2: Für die erholungsrelevanten Flächen, deren Flächengröße mehr als 1ha bzw. 10 ha beträgt, werden Pufferpolygone mit einer Distanz von 300 m bzw. 700 m erstellt.

Schritt 3: Jede aus dem „INSPIRE Grid 100m“ abgeleitete Rasterzelle wird als Polygon gespeichert und erhält eine Information zur Einwohnerdichte (Einwohner je Hektar). Anschließend werden diese mit den gepufferten Grünflächen verschnitten.

Schritt 4: Zur näherungsweisen Ableitung der Einwohnerzahl (EWZ) in fuß­läufiger Entfernung zu Grün- und Gewässerflächen werden die Einwohnerwerte im Umkreis von erholungsrelevanten Flächen gewichtet summiert. Die Gewichtung erfolgt über die nach der Verschneidung verbleibende Polygonfläche (Flächengewichtung). Es gilt beispielsweise die Hälfte der Einwohnerzahl der ursprünglichen Polygonfläche als versorgt, wenn sich nur 50% des Polygons im Pufferbereich der Grün- oder Gewässerfläche befindet. Daher wird die Einwohnerzahl dieser Zelle mit dem Gewichtungsfaktor 0,5 multipliziert. Abschließend werden die gewichteten Einwohnerwerte summiert und durch die gesamte Einwohnerzahl der jeweiligen Gemeinde dividiert.

Die Berechnung der Indikatoren „Erreichbarkeit städtischer Grünflächen (H) sowie „Erreichbarkeit naher städtischer Grünflächen“ (H1) und „Erreichbarkeit größerer städtischer Grünflächen“ (H2) erfolgt nach:

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Vorschlag bundesweiter Indikatoren zur Erreichbarkeit öffentlicher Grünflächen
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Berechnung des Nebenindikators „Grünausstattung pro Einwohner“:

Der Indikator wird mittels Quotienten aus der Grünfläche im 300 m Umkreis von zusammenhängend bebauter sowie vornehmlich bewohnter Siedlungsflächen und der Einwohnerzahl einer Gebietseinheit gebildet. Als Datengrundlage dienen das ATKIS Basis-DLM, die VG25 sowie das Gemeindeverzeichnis-Informationssystem von DESTATIS, welches die Einwohnerzahlen enthält.

3.3 Datenbezogene Einschränkungen und Alternativen

(a) Flächen-/Objektdaten im urbanen Bereich:

Im Basis-DLM wird nicht sicher zwischen Siedlungsflächen mit hohem und geringem Durchgrünungsgrad unterschieden, d.h. Grünflächen zwischen Zeilenbebauungen oder innerhalb einer Blockrandbebauung werden aufgrund von Modellierungsregeln nicht dargestellt (Blockbildungsregel). Daher ist es nicht möglich, private Grün­flächen oder Abstandsgrün in die Unter­suchung miteinzubeziehen. Eine Datengrundlage zur Berücksichtigung privater Grünflächen in einem bundesweiten Monitoring ist derzeit auf Grund fehlender Daten nicht verfügbar.

Für die Nutzung von Flächen im Sinne der Erholung sind Qualität und Zugänglichkeit von hoher Bedeutung (Arlt et al. 2005). Eine nutzerspezifische Erfassung von Qualität und Zugänglichkeit potenzieller Erholungsflächen ist bundesweit jedoch nicht zu leisten.

Eine Alternative zum Basis-DLM stellen die Flächennutzungsdaten des European Urban Atlas (EUA) dar. Die Daten werden von der European Environment Agency (EEA) für mehr als 300 europäische Stadtregionen veröffentlicht und sind frei verfügbar. Der EUA beinhaltet für die zu berechnenden Indikatoren relevante Kategorien („Forest“, „Water“), zum Teil aber auch stark zusammengefasste Kategorien wie „Green urban areas“ oder „Agricultural“. Die „Green urban areas“ umfassen beispielsweise die nur eingeschränkt öffentlich zugänglichen Zooanlagen und in der Kategorie „Agricultural“ sind erholungsrelevante Grünland- sowie weniger relevante Ackerflächen zusammengefasst. Im EUA aus dem Jahr 2006 werden eine Reihe von Großstädten wie Münster, Mannheim oder Chemnitz nicht abgebildet. Deshalb, aber auch weil das Basis-DLM eine höhere thematische und zeitliche Auflösung besitzt, wird bei der Indikatorentwicklung die Nutzung des ATKIS Basis-DLM favorisiert.

(b) Unschärfen beim zeitlichen Datenvergleich:

Zwischen den Jahren 2008 und 2013 wurde in den Bundesländern ein Wechsel in der ATKIS-Modellierung (Migration) vollzogen, was die Abbildung der Veränderung der Erreichbarkeit öffentlicher Grünflächen vorübergehend beeinträchtigt. Mit der Migration in das neue, sog. AAA-Modell, kam es teilweise zur veränderten Modellierung einzelner Objektarten (z.B. Grünland, Krüger et al. 2015). Ab dem Basis-DLM 2013 liegt das Bundesgebiet einheitlich im neuen AAA-Modell vor, d.h. zukünftig wird der Migrationseinfluss auf die Abbildung der Veränderung der Grünflächenerreichbarkeit abnehmen.

Bevölkerungsdaten mit hoher Auflösung (100x100 m Raster) liegen nur für das Jahr 2011 vor. Ein zweiter Bevölkerungsdatensatz wird von der EEA basierend auf Daten zu kommunalen Einwohnerzahlen und Siedlungsflächen für das Jahr 2009 im 1-km²-Raster bereitgestellt. Unterschiede in der Erhebungsmethode sowie der geringe zeitliche Abstand zwischen beiden Zeitständen lassen eine Berücksichtigung der Bevölkerungsdynamik in einem regelmäßigen Monitoring noch nicht zu. Dies ist spätestens mit dem Erscheinen neuer Zensusdaten im Abstand von zehn Jahren möglich. Die Periodizität der Zensuserhebung ist gemäß Artikel 1 der Richtlinie 2008/ 763/EG für alle Mitgliedstaaten der EU festgeschrieben.

Eine Unschärfe ergibt sich aus der Kombination eines Zeitraums (ATKIS Basis-DLM 2013) mit einem Zeitpunkt (Zensus 2011). So stellt das ATKIS Basis-DLM einen Bearbeitungsstand einer kontinuierlichen Aktualisierung dar, während der Zensus zum Stichtag 09.05.2011 erhoben wurde. Laut IÖR-Monitor liegt der mittlere Aktualitätswert für das ATKIS Basis-DLM 2013 im Jahr 2011. Damit liegen die gewählten ATKIS-Daten im zeitlichen Mittel näher zum Zensus 2011 als das Basis-DLM 2011. Dieses Problem der nicht vollständigen zeitlichen Überstimmung beider Datengrundlagen lässt sich auch nicht mit alternativen Datenquellen wie dem EUA oder dem digitalen Landbedeckungsmodell (DLM-DE) lösen.

4 Ergebnisdarstellung und I­nterpretation der ­Indikatorenberechnung

Die Betrachtung des Einzelindikators (H1) zeigt, dass in den 182 deutschen Städten mit mindestens 50000 Einwohnern derzeit ca. 80,9 % der Bevölkerung nahe öffentliche Grünflächen gut erreichen können. In absoluten Zahlen ausgedrückt heißt das, rund 25,6 Mio. Einwohner der großen Mittel- und Großstädte haben guten Zugang zu öffentlichen Grünflächen im unmittelbaren Wohnumfeld und ca. 6,1Mio. noch einen weniger guten.

Bei der Erreichbarkeit größerer öffentlicher Grünflächen für die Stadtbevöl­kerung (H2) werden höhere Werte erreicht. In Deutschland haben 88,2 % der Bewohner (entspricht 28 Mio.EW) von großen Mittel- und Großstädten einen guten Zugang zu größeren Grünflächen für die Naherholung. Jedoch finden ca. 3,7 Mio. Einwohner noch keine entsprechenden Flächen im mittelbaren Wohnumfeld vor.

Abb. 1 (links) veranschaulicht, dass insbesondere die Städte des Ruhrgebiets und Baden-Württembergs über hohe bis sehr hohe Werte bei der Erreichbarkeit naher öffentlicher Grünflächen durch die Stadtbevölkerung verfügen.

Für die Erreichbarkeit größerer öffentlicher Grünflächen ergibt sich ein vergleichbares Bild (Abb. 1, rechts). Die Bundes­länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg treten durch sehr hohe Werte hervor. Im Vergleich zur Abb. 1 (links) ist in der Mehrzahl der Städte eine bessere Erreichbarkeit größerer öffentlicher Grünflächen durch die Stadtbevölkerung festzustellen.

Gruppiert man die deutschen Großstädte mit Hilfe ihrer Einwohnerzahl in Klassen, zeigt sich, dass der Mittelwert der Erreichbarkeit von Grünflächen durch die Stadtbevölkerung recht einheitlich und hoch liegt (Abb. 2, 3). Ein markanter Anstieg ist zwischen den Klassen der Großstädte 500000 bis 1000000 und 250000 bis 500000 festzustellen. Der maximal erreichte Indikatorwert nimmt in den Klassen mit geringerer Einwohnerzahl leicht, aber stetig zu. Gleichzeitig besitzen diese Klassen u.a. aufgrund der höheren Fallzahl eine größere Spannweite der Werte, welche vor allem durch die Werte bis zum ersten Quartil bedingt werden.

Auf Grund des größeren Einzugsgebiets von weiträumigen Grünflächen erzielt der Indikator „Erreichbarkeit größerer städtischer Grünflächen“ (H2) insgesamt höhere Werte.

Unter Berücksichtigung aller Grün­erreichbarkeitswerte für deutsche Großstädte, klassifiziert nach ihrer Einwohnerzahl, ergibt sich ein relativ klares Bild. So wird deutlich, dass mit verringerter Zahl der Einwohner in den Klassen der Anteil der Großstädte mit einem Erreichbarkeitsgrad >80% für (H1) bzw. >90% für (H2) steigt. Tendenziell lässt sich auch hier eine negative Korrelation von Einwohnerzahl und Versorgungsgrad feststellen. Ein eindeutiger statistischer Zusammenhang sowohl zwischen Grünerreichbarkeitsgrad und Einwohnerzahl als auch zwischen Grünerreichbarkeitsgrad und Gemeindeflächengröße kann für die betrachteten Großstädte jedoch nicht festgestellt werden (Korrelationskoeffizient nach Pearson für H1 und H2 jeweils –0,2).

Im Hauptindikator (H) werden die Schwellenwerte von (H1) und (H2) in einer Abfrage verwendet und das Vorhandensein von Grünflächen in 300 m und 700 m Luftlinie abhängig von der Mindestflächengröße (≥ 1 ha und ≥ 10 ha) ermittelt. Der Einwohneranteil, welcher im Sinne der Tages- bzw. Feierabenderholung und der Naherholung im Alltag eine entsprechende Grünfläche vorfindet, liegt bei ca. 74,3 %. Der Indikatorwert (H) fällt im Vergleich zum Einzelindikator (H1) um 6,5 % und zu (H2) sogar um 13,9 % niedriger aus. Die zentralen räumlichen Muster sind jedoch vergleichbar, so weisen weiterhin Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg Häufungen von Städten mit den höchsten Werten auf. Größere Schwierigkeiten beim gleichzeitigen Angebot von nahen und ­größeren Grünflächen haben vornehmlich die Millionen- und großen Großstädte.

Mit Hilfe der Indikatoren ist auf Gemeindeebene eine bundesweit vergleichende Einschätzung der Erreichbarkeit öffentlicher Grünflächen durch die Stadtbevölkerung möglich. Unter Verwendung von nicht aggregierten Zwischenergebnissen [abrufbar im Monitor der Siedlungs- und Freiraumentwicklung (IÖR-Monitor) des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung; http://www.ioer-monitor.de] können gemeindespezifische Aussagen beispielsweise zu Stadtteilen mit Lücken in der Versorgung mit öffentlichen Grünflächen getroffen werden.

Insbesondere bei Städten, die aufgrund ihres hohen Freiraum- und Siedlungsfreiflächenanteils als „grün“ gelten (Dovern et al. 2012), jedoch einen unterdurchschnittlichen Erreichbarkeitsgrad von nahen (H1) und größeren öffentlichen Grünflächen (H2) im Wohnumfeld besitzen, kann auf diese Weise eine genauere Betrachtung erfolgen.

5 Diskussion

Mit der ÖSL-Indikatorentwicklung verfolgen die Autoren das Ziel, eine wiederholbare Bewertung für alle deutschen Städte durchzuführen. Der vorgeschlagene Hauptindikator „Erreichbarkeit städtischer Grünflächen“ (H) ist eine relativ einfache, robuste und reproduzierbare Messgröße. Es wird dabei der siedlungsnahe Grünflächenbestand der Städte mit der Erreichbarkeit der Flächen verknüpft. Der Indikator zeigt sowohl einen Durchschnittswert für Deutschland an, es sind aber auch bundesweite Vergleiche zwischen den einzelnen Städten sowie den Bundesländern im Durchschnitt möglich.

Der Indikator ist leicht interpretierbar, da die Wohlfahrtswirkung (Krekel et al. 2015) umso höher ist, je näher der Versorgungsgrad bei 100 % liegt. Dieser Zielwert ist einfacher zu begründen, zu vergleichen und zu kommunizieren als die Grünfläche pro Einwohner. Die Bezugsgröße Einwohner ist für die Untersuchung der Erreichbarkeit von Grünflächen zielführender als die Gemeindefläche, weil Bevölkerungskonzentrationen den Indikatorwert stärker beeinflussen und ein näherer Bezug zu potenziellen Nachfragern besteht.

Die vorgestellten Indikatoren stellen eine Weiterentwicklung von den in Albert et al. (2015) vorgeschlagenen Indikatoren zur ÖSL Erholung dar. Der von uns berechnete Versorgungsgrad (H) liegt mit 74,3 % leicht unter dem Ergebniswert (76,2 %) von Albert et al. (2015). Allerdings ist ein Ergebnisvergleich aufgrund unterschiedlicher Datengrundlage und Abweichungen in den untersuchten Städten nur eingeschränkt möglich. Es lassen sich nunmehr sowohl Aussagen zur Erreichbarkeit naher kleiner als auch größerer öffentlicher Grünflächen im Wohnumfeld bezogen auf die Einwohnerzahl treffen. Weiterhin können mit der jetzt verwendeten Datengrundlage Indikatorwerte für alle deutschen Großstädte ermittelt werden.

In der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) wird für den Bereich urbane Landschaften (1.3.3) eine Erhöhung des Anteils grüner Flächen und Strukturen, ihre Vernetzung und eine qualifizierte Innenentwicklung von Siedlungen sowie eine verminderte Flächeninanspruchnahme (BMU 2010) angestrebt. Dabei soll bis zum Jahr 2020 die Durchgrünung des wohnumfeldnahen Grüns deutlich erhöht werden und öffentlich zugängliches Grün mit vielfältigen Qualitäten und Funktionen in fußläufiger Entfernung zur Verfügung stehen. Gleichzeitig wird aber auch die Innenverdichtung von Städten als Ziel verfolgt (BMUB 2015). In einer Vielzahl an Großstädten gilt es vor dem Hintergrund eines starken Nutzungsdrucks auf vorhandene Freiflächen, einen Kompromiss zwischen Ergänzungsbebauung auf innerstädtischen Brachen sowie Baulücken und einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit qualitativen Grün zu finden (doppelte Innenentwicklung). Die vorgeschlagenen ÖSL-Indikatoren (H) „Erreichbarkeit städtischer Grünflächen“ und (N) „Grünausstattung pro Einwohner“ können als Mess- und Monitoringgrößen diese NBS-Zielstellung quantitativ untersetzen.

Der durchschnittliche Erreichbarkeitsgrad von Grünflächen in den deutschen Städten ist mit ca. 81% (nahe öffentliche Grünflächen) und ca. 88% (größere öffentliche Grünflächen) relativ hoch. Das könnte ein Beleg sein, dass die Bemühungen zur Grünausstattung von Städten, die bereits vor mehr als 100 Jahren formuliert und durch eine Gartenamtsleiterkonferenz in den 1970er Jahren verstärkt in den Blickpunkt gerückt wurden (Wiegand 1970), nicht erfolglos waren. Erstens aber sind weitere Anstrengungen zur Verbesserung nötig, insbesondere in Städten, die unter dem Durchschnitt bzw. weit entfernt vom Ziel einer vollständigen Versorgung (Kap. 2) liegen. Zweitens ist sicher zu stellen, dass bei den Maßnahmen zur qualitativen Innenverdichtung, vor allem in wachsenden Großstädten, die Versorgung mit erholungsrelevanten Grünflächen im Wohnumfeld nicht abnimmt und bei Revitalisierung von Brachflächen in unterversorgten bevölkerungsreichen Quartieren zunimmt.

Das Ergebnis der Indikatorberechnung hängt entscheidend von den verwendeten Datengrundlagen, den als erholungswirksam eingestuften Flächennutzungen (Objektarten) und den Schwellenwertsetzungen ab. Als Grünflächen gelten bei dieser Berechnung Grünanlagen, Parks, Fried­höfe, Grünland, Streuobstwiesen, Wald, Gehölze sowie Fließ- und Standgewässer. Der Einfluss von berücksichtigten Objektarten wie Gewässer- und Friedhofsflächen auf den Indikatorwert wurde bespielhaft für (H1) untersucht. Im Bundesdurchschnitt kommt es dabei zu Werteänderungen im niedrigen einstelligen Bereich. Die Hinzunahme von Kleingärten ergibt beim Indikator (H) bundesweit eine Mehrversorgung von 1,8 Mio. Einwohnern (5,7 %) und zeigt eindrücklich das Potenzial von Kleingärten für eine verbesserte Grün­flächenerreichbarkeit im Wohnumfeld. Daher sollten Kleingartenanlagen in Stadtteilen mit Defiziten an öffentlichen Grünflächen stärker in die städtische Grünflächenplanung einbezogen und eine Zugänglichkeit für die Allgemeinheit gewährleistet werden.

Da die Siedlungsstruktur (Villen-, Reihenhaus-, Blockbebauung etc.) im Wohnumfeld von Grünflächen für den Bedarf nach öffentlichen Grünflächen eine große Rolle spielt, sollte man dies als Korrekturfaktor einfließen lassen. Der Siedlungsstrukturtyp lässt sich durch Hinzunahme der bundesweit verfügbaren und jährlich aktualisierten Geobasisdatensätze amtliche Hausumringe (HU-DE) bzw. das amtliche 3D-Gebäudemodell ableiten. In Zukunft könnte ein derartiger „Korrektur- bzw. Grünbedarfsfaktor“ denkbar sein (Beispiel: Bei vorliegender hoher Gehölzdichte und geringem Versiegelungsgrad könnte der geringere Bedarf der Wohnbevölkerung nach öffentlichen Grünflächen durch einen (reduzierenden) Faktor berücksichtigt ­werden).

Definiert wurden nach Auswertung der nationalen und internationalen Literatur für die Erholung im nahen Wohnumfeld Flächen von > 1 ha in fußläufiger Ent­fernung (300 m Luftlinie, rd. 500 m Weg­strecke, ca. 10–15 min Fußweg) sowie für die Erholung im erweiterten Wohnumfeld Flächen >10 ha in mittelbar zu Fuß erreichbarer Entfernung (700 m Luftlinie, rd. 1000 m Wegstrecke, ca. 20min Fußweg). Die verwendete Luftlinie für eine fußläufige Entfernung konnte mit Hilfe einer auf realen Wegen basierten Untersuchung im Durchschnitt weitgehend bestätigt werden (Richter et al. 2016). Weiterhin wurden aktuelle sowie auch künftig in Deutschland laufend gehaltene Flächennutzungs- (ATKIS Basis-DLM) und Bevölkerungsdaten (Zensusdaten von DESTATIS) verwendet. Damit ist eine Fortschreibung des Indikators im Rahmen eines Monitorings möglich. Im Sinne einer Trendabschätzung ist es denkbar, in fünfjährigem Abstand die Indikatoren zu berechnen.

Nach Analysen des BMUB (2015) kommen auf jeden Einwohner in deutschen Großstädten 46 m² Grünfläche, in Kleinstädten ist es fast doppelt so viel. Grundsätzlich – so konstatieren die Autoren – steht pro Einwohner umso weniger Grünfläche zur Verfügung, je größer die Städte sind. Folglich haben Städte wie Berlin oder Leipzig entsprechende normative Ziele zur Versorgung der Einwohner mit Grünflächen entwickelt (z.B. 6m²/EW in Berlin, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt 2013). Dieser Ansatz mag für einen Vergleich innerhalb der Gemeinde geeignet sein, verzerrt aber das Vergleichsbild zwischen den Orten, weil Städte mit hoher Bevölkerungsdichte gegenüber denen, die z.B. dünnbesiedelte Umlandflächen eingemeindet haben, im Mittelwert benachteiligt werden. Mit dem Nebenindikator (N) „Grünausstattung pro Einwohner“ (abrufbar im IÖR-Monitor) wird ein Durchschnittswert zu wohnumfeldnahen, gering versiegelten und vorrangig begrünten Flächen pro Einwohner für alle deutschen Städte (≥ 50000 EW) angeboten. Im Unterschied zum Hauptindikator „Erreichbarkeit städtischer Grünflächen“ bzw. den Erhebungen des BMUB (2015) steht bei dem von uns vorgeschlagenen Nebenindikator nicht die Erholung im Kontext von Grün- und Gewässerflächen, sondern eine quantitative Erfassung multifunktionaler Grünflächen (u.a. auch landwirtschaftliche Flächen) im Umfeld vorrangig bewohnter Siedlungsbereiche im Vordergrund.

Die zur Diskussion gestellten Indikatoren können nicht alle Aspekte der Erholungsleistung in Städten abbilden. Deshalb sind Untersetzungen, insbesondere hinsichtlich der Qualitäten der Grünflächen und sozialer Aspekte der Bewohner, notwendig. Diesbezüglich sei zum einen auf das Vorhaben „Ökonomische Effekte der ÖSL städtischer Grünräume“ (2012-2015, TU Berlin) verwiesen. Dieses hat das Ziel, ökonomische Effekte der ÖSL von städtischen Grünräumen und strukturen zu erfassen sowie deren Integration in das vorhandene Planungsinstrumentarium und in die Entscheidungsprozesse der städtebaulichen Entwicklung voranzutreiben. Zum anderen besteht die Möglichkeit, dass Städte, die über höher aufgelöste Daten verfügen, komplexere Auswertungen durchführen, um die ermittelten quantitativen Kennwerte durch jeweilige standortspezifische Qualitätsanforderungen für die kommunale Freiraumplanung zu untersetzen.

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