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Bericht aus Brüssel

Absage der Amsterdam-Konferenz, ­„NatureLeaks in Brüssel“

Am 08. Juni um 17.47 Uhr platzte eine kleine „Bombe“: Per Mail teilte die niederländische EU-Ratspräsidentschaft mit, dass sie die für den 28. bis 30. Juni geplante Konferenz in Amsterdam zur besseren Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien und den besseren Schutz der biologischen Vielfalt absagen müsse.

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Man habe, so die Begründung in der Nachricht an mehrere Hundert angemeldete Tagungsteilnehmer, erst vor kurzem von der EU-Kommission (wörtlich „from European Commission services“) erfahren, dass das Arbeitspapier zum Evaluierungsbericht des Fitness Checks der Vogelschutz- und FFH-Richtlinie nicht vor Ende Juni 2016 veröffentlicht werden solle. Die Amsterdam-Konferenz habe daher keine substanzielle Basis.

Auf dieser Konferenz wurden klare Äußerungen von Umweltkommissar Vella erwartet, der sich bisher nur sehr vage über die möglichen Vorschläge der EU-Kommission zur Zukunft der Richtlinien geäußert hatte. Auch langjährige Mitarbeiter der EU-Kommission waren überrascht; so etwas habe man in den letzten 40 Jahren noch nicht erlebt.

Lobbying im Hintergrund

Was war geschehen? In meinen Brüssel-Kolumnen im April und Mai hatte ich darüber berichtet, dass sich die Veröffentlichung des Abschlussberichts zum „Fitness Check“ der Naturschutzrichtlinien und des „Staff Working Document“ (SWD) der EU-Kommission verzögern würde. Ich hatte mich dabei auf Aussagen von Mitarbeitern der Kommission bezogen, die im Dezember von einer Veröffentlichung der Ergebnisse des Fitness Check im ersten Quartal 2016 ausgegangen waren, bei Gesprächen im März und April aber von einer zeitgleichen Veröffentlichung des Abschlussberichts und des SWD „Ende Mai bis Anfang Juni“ sprachen (Naturschutz und Landschaftsplanung 48 (5), 138). Noch im April meinten Kollegen der Generaldirektion Umwelt, meine Beiträge klängen zu pessimistisch, man läge voll im Zeitplan. Mitte Mai sickerten dann erste Informationen durch, dass dieser Zeitplan sogar noch stärker ins Wanken kommen könne als bisher befürchtet. Grund sei offenbar massives Lobbying deutscher Interessengruppen bei Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und seinem einflussreichen Kabinettchef Martin Selmayr.

Warten ohne Ende

Mit Schreiben vom 20. Mai appellierten daher die Naturschutzverbände, die im vergangenen Sommer die „Nature- Alert“-Kampagne organisiert hatten – BirdLife Europe, EEB, Friends of the Earth Europe und WWF –, an Juncker, seine sechs Vizepräsidenten und alle Kommissare, den Zeitplan einzuhalten und den im Laufe des fast zweijährigen Verfahren geäußerten Forderungen des EU-Parlaments, der Umweltminister, des Ausschusses der Regionen (AdR) und nicht zuletzt der Zivilgesellschaft Rechnung zu tragen. Nach einem ähnlichen offenen Brief und Pressearbeit der deutschen Verbände NABU, BUND, DNR und WWF griffen zahlreiche deutsche Medien das Thema auf.

Am 23. Mai meldete die „Süddeutsche Zeitung“, es sei offen, ob es bei der Veröffentlichung im Juni bleibe oder die Entscheidung verschoben werde; eine Sprecherin von Kommissar Vella habe auf Nachfrage kein Datum nennen wollen. Am 03. Juni ließ Vella am Rande der „Green Week“ erstmals öffentlich durchblicken, dass es Verzögerungen geben könnte, dass diese aber nicht von seiner Generaldirektion Umwelt zu verantworten seien. Bei Befragungen im EU-Parlament, etwa im Plenum am 01. Februar und zuletzt im Umweltausschuss (ENVI) Mitte April, hatte er lediglich mehrfach darauf hingewiesen, dass er nicht alleine entscheiden könne, sondern die Rückendeckung des Kommissarskollegiums (College) benötige.

Deutsche Störfeuer?

Da der Druck auf Juncker zur Verzögerung der Entscheidung angeblich aus Deutschland kam, appellierten die Verbände am 26. Mai in einem weiteren offenen Brief auch an alle deutschen Europaabgeordneten, die in der Abstimmung am 02. Februar den Demesmaeker-Bericht unterstützt hatten (Naturschutz und Landschaftsplanung 48 (2), 70f.), die EU-Kommission aufzufordern, den Beschluss des Parlamentes nicht zu missachten.

Der Umweltausschuss des EP (ENVI) befragte daher in öffentlicher Sitzung am 15. Juni den für Bürokratieabbau zuständigen obersten Vizekommissar der EU-Kommission, Frans Timmermans, weshalb die Kommission den Abschlussbericht des „Fitness-Checks“ und das SWD immer noch nicht veröffentlicht habe. Sprecher aller großen Parteien, darunter auch die beiden Koordinatoren der Konservativen und Sozialdemokraten, Peter Liese (CDU) und Matthias Groote (SPD), forderten Timmermans zu umgehendem Handeln auf. Alle Berichte hätten gezeigt, dass die Richtlinien „fit for purpose“ seien, die Mitgliedstaaten aber Hilfen zur besseren Umsetzung benötigten.

Bericht geleakt

Nur eine Stunde vor der Sitzung platzte eine weitere „Bombe“, das Internetportal EurActiv.com veröffentlichte eine „durchgesickerte“ (geleakte) Fassung des Abschlussberichts der Consultants. Dieses Papier datiert vom 04. Januar 2016. Die Kommission wird daher im weiteren Verfahren erklären müssen, weshalb sie diesen Bericht ein halbes Jahr unter Verschluss gehalten hat. Nach Informationen kurz vor Redaktionsschluss (18. Juni) wird dazu unter anderem Umweltkommissar Vella im Umweltministerrat am 20. Juni und im ENVI am 21. Juni Gelegenheit haben. Letztlich werden aber Kommissionspräsident Juncker und sein Kabinettchef Martin Selmayr beweisen müssen, dass auch sie die auf einer wissensbasierten Analyse beruhenden Ergebnisse dieses „Fitness Checks“ und die darauf aufbauenden Forderungen des Parlaments als Vertretung der Zivilgesellschaft respektieren und umsetzen!

Links

Website der EU-Kommission zum Fitness Check der EU-Naturschutzrichtlinien:

http://ec.europa.eu/environment/nature/legislation/fitness_check/index_en.htm

Link zu EurActiv mit Download des Abschlussberichts der Consultants, Stand 04. Januar 2016 (deutsche Ausgabe):

http://www.euractiv.de/section/energie-und-umwelt/news/commission-research-shows-nature-directives-dont-need-better-regulation/

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