Die letzten Mohikaner: Artenkenner auf der Roten Liste
„Erosion der Artenkenner“: Hinter dem plakativen Titel des ersten Hauptbeitrags steht ein essenzielles Problem. Die Zahl von Menschen, die Pflanzen, Fledermäuse, Laufkäfer oder Köcherfliegen kennen und bestimmen können, schwindet rasch. Wer solche Kenner trifft, stellt fest: Graue und/oder lichte Haarpracht dominieren, junge Leute sind die Ausnahme. Es ist eine gegenläufige Entwicklung: Je gefährdeter die Biodiversität, desto weniger Personen kennen die Arten mit Namen.
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Minus 21 % in 20 Jahren
Diese seit langem gefühlte Entwicklung belegt wohl erstmals eine Studie mit Zahlen: Kai Frobel und Helmut Schlumprecht haben 70 Artenkenner befragt. Um ein Fünftel hat sich demnach ihre Zahl binnen der letzten zwei Jahrzehnte verringert. Gewiss, die statistische Basis der Analyse könnte größer sein. Aber die Ergebnisse sind belastbar genug, um Alarm zu schlagen: Der Artenverlust verläuft in weiten Landschaftsteilen unbeobachtet. Auch in rechtlicher Hinsicht stimmt das kritisch: Fehlen bald die Experten, um etwa naturschutzrechtliche Verbotstatbestände fundiert zu prüfen? Schon heute gibt es Meldungen aus Planungsbüros, dass Ornithologen fehlen, um die große Zahl an Windkraftplanungen zu bearbeiten. Geraten demnächst gar mühsam erarbeitete fachliche Standards ins Wanken, bloß, weil geeignete Bearbeiter(innen) fehlen?
Grundstein in jungen Jahren
Bei der Ursachenanalyse lohnt es sich, auf die beiden Altersphasen zu schauen, welche die Befragung als Motivationsphase für Artenkenntnis identifizierte: „Früheinsteiger“ mit 13½ Jahren und „Späteinsteiger“ mit 22½ Jahren. Damit liegen zwei dringend benötigte Hauptakteure auf der Hand: Schulen und Hochschulen. Die heutigen Lehrpläne lassen nicht wirklich mehr Zeit, um mit Schülerinnen und Schülern in die Natur zu gehen. Und selbst wenn: Lehrerinnen und Lehrer, die Artenkenntnis besitzen, sind ebenfalls vom Aussterben bedroht.
Und die Hochschulen? Freiwerdende Lehrstühle und Professuren, die Artenkenntnisse vermitteln, werden systematisch eingespart oder völlig andersartig wiederbesetzt. Artenkenntnisse bzw. die Fertigkeiten, sich diese zu erarbeiten, vermittelt nur noch eine immer geringer werdende Zahl von Universitäten oder Fachhochschulen. Sicher ist das auch ein Preis des Bologna-Prozesses mit dem stark verschulten Bachelor- und Master-System und der immer stärkeren fachlichen Spezialisierung bei gleichzeitigem internationalem Publikationsdruck. Für die Karriere lassen sich mit der Kenntnis von Artengruppen keine Pluspunkte sammeln.
Dekade der Artenkenntnis
Es wird Zeit, dass sich „die letzten Mohikaner“ der Zunft ohne Scheuklappen zu einer Allianz vereinen und gemeinsam aktiv werden. Es braucht eine gute Gesamtstrategie und deren Umsetzung mit langem Atem, vielleicht mit einer „Dekade der Artenkenntnis“ – mit vielen Akteuren: Kultus- und Umweltministerien, Fachbehörden, Akademien, Naturschutzverbände und floristisch-faunistische Fachverbände, Hochschulen, Kindergärten und Schulen aller Formen, Stiftungen, Naturkundemuseen und vielen anderen mehr. Ohne Finanzmittel in hohem Umfang und professionelle Koordination und Durchführung geht es nicht. Notwendige Angebote reichen – dezentral, ja flächendeckend – von der Weckung des Interesses an Pflanzen- und Tierarten über die Vermittlung von Grundkenntnissen bis hin zu ganz spezifischen Aus- und Weiterbildungsmodulen.
Mit gleicher Selbstverständlichkeit, wie Kulturgüter inventarisiert und deren Wert gesellschaftlich geschätzt und entsprechende Kenntnisse durch Museums-, Stadt- und Kirchenführer(innen) vermittelt werden, gilt es auch, die Artenvielfalt als Naturgüter zu kennen. Das trägt übrigens auch zum persönlichen Glück und zur Selbstzufriedenheit bei!
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