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Bericht aus Brüssel

Zwischenbilanz zur Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie 2011–2020

Die EU-Kommission hat am 02. Oktober ihre eigene Halbzeitbilanz zur EU-Biodiversitätsstrategie veröffentlicht. Bekanntlich hatten die Staats- und Regierungschefs nach dem Scheitern des ursprünglichen 2010-Ziels, das sie 2001 vereinbart hatten, im März 2010 ein neues Datum zum Stopp des weiteren Verlustes an biologischer Vielfalt bis 2020 und sogar eine „Vision“ bis 2050 beschlossen. Danach soll bis 2020 der Verlust der Biodiversität (Arten, Lebensräume, genetische Vielfalt) gestoppt und geschädigte Ökosysteme „weitestmöglich“ wiederhergestellt werden. Die entsprechende EU-Strategie zur Erreichung dieses Oberziels, von sechs Hauptzielen und 20 detaillierten Einzelzielen wurde im Mai 2011 von der EU-Kommission vorgelegt und von den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament bestätigt (Naturschutz und Landschaftsplanung 43 (6): 162).

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In ihrer Analyse, die sich weitestgehend auf die vorhandenen Daten des „State of Nature in the EU“ (Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (6): 164), die Angaben der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Naturschutzrichtlinien (nach Art. 12 Vogelschutz- und Art. 17 FFH-Richtlinie) und entsprechende Parameter in der gemeinsamen Agrar- (GAP) und Fischereipolitik (GFP) stützt, kommt die Kommission selbst zu einem schonungslosen Urteil. In der Pressemeldung der Kommission wird Umweltkommissar Karmenu Vella noch sehr moderat zitiert: „Aus diesem Bericht lassen sich viele Lehren ziehen – gute Fortschritte, nachahmenswerte Beispiele, aber auch der große Arbeitsaufwand, der noch erforderlich ist, um die Lücken zu schließen und die Biodiversitätsziele für 2020 zu erreichen. Es gibt keinen Grund zur Selbstzufriedenheit – der Verlust an biologischer Vielfalt ist gleichbedeutend mit dem Verlust unserer Lebensgrundlagen. Das können weder wir uns leisten noch unsere Wirtschaft.“

In der eigentlichen Analyse und insbesondere in der Kurzfassung, die die Fortschritte in den sechs Hauptzielen nach einem Ampelsystem markiert, heißt es dagegen ungeschminkt: Nach bisherigem Stand kann sowohl das Oberziel („Headline target“) der EU-Staatschefs als auch das Hauptziel 3, die negativen Auswirkungen der Land- (3a) und Forstwirtschaft (3b) auf die biologische Vielfalt und die Ökosysteme zu reduzieren, bis 2020 erneut nicht erreicht werden, sofern die Mitgliedstaaten ihre Anstrengungen nicht massiv erhöhen.

Hinsichtlich des Hauptziels 1, die Umsetzung der Naturschutzrichtlinien zu verbessern und die Anteile der Lebensraumtypen und Arten mit einem guten Erhaltungszustand zu erhöhen, verzeichnet die Analyse Fortschritte. Sie bestätigt die Forschungsergebnisse von BirdLife, dass zwar einige Arten und Lebensräume dort profitiert haben, wo die Richtlinien konsequent umgesetzt wurden, insgesamt aber nur 23 % aller untersuchten Arten und sogar nur 16 % der Lebensräume einen guten Erhaltungszustand aufweisen.

Bekanntlich besteht hier auch in Deutschland noch großer Nachholbedarf:

Zwar sind beispielsweise die Kernzonen aller Nationalparke als Natura-2000-Gebiete ausgewiesen, viele kleinere Natura-2000-Gebiete haben aber noch keinen ausreichenden rechtlichen Schutz.

Erst die Hälfte aller Natura-2000-Gebiete hat einen Managementplan, wie die EU-Kommission bereits im Februar im Rahmen eines anhängigen Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland bemängelt hat.

Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Meeresschutzgebiete. Deutschland hat zwar ausreichend Meeresschutzgebiete ausgewiesen. Deren Schutz ist aber immer noch unzureichend, wie das Beispiel des vom NABU beklagten Offshore-Windparks Butendiek in einem Natura-2000-Gebiet zeigt.

In einer ersten Stellungnahme wertete daher auch NABU-Präsident Olaf Tschimpke den Bericht als „deutliche Mahnung, dass die Naturschutzrichtlinien der EU zügiger umgesetzt werden müssen“.

Die größten Fortschritte attestiert die EU-Kommission dem Hauptziel 5 zur besseren Kontrolle und Bekämpfung invasiver Arten. Dies stimmt zwar insoweit, als dass mit der 2014 von Ministerrat und EU-Parlament verabschiedeten und zum 01. Januar 2015 in Kraft getretenen EU-Verordnung 1143/ 2014 ein wichtiges Etappenziel erreicht wurde (Naturschutz und Landschaftsplanung 46 (12): 358). Die Vorschlagsliste der Arten, für die diese Verordnung gelten soll, umfasst nach dem bisherigen Entwurf vom August 2015 allerdings nur 37 Arten. Das ist angesichts von 1000 bis 1500 invasiven Arten, die erhebliche ökologische, ökonomische und gesundheitliche Schäden verursachen können, nach Auffassung der Umweltverbände nicht akzeptabel.

BirdLife Europe sowie andere in Brüssel aktive Umwelt- und Tierschutzverbände haben die EU-Kommission daher bereits Anfang Oktober aufgefordert, diese Liste zumindest um die Arten mit bekannt hohem Risiko zu ergänzen. Zudem müssen hier die Mitgliedstaaten im entsprechenden Expertengremium aktiv werden.

Der EU-Umweltministerrat wird auf seiner Sitzung am 16. Dezember 2015 seine Ratsschlussfolgerungen zu dieser Thematik formulieren. Im Europaparlament hat inzwischen die Arbeitsgruppe um den Berichterstatter Mark Demesmaeker ihre Arbeit zu einem Initiativbericht des Parlaments zu diesem Thema aufgenommen. Der EP-Umweltausschuss beriet den Halbzeitbericht am 12. Oktober mit dem neuen Generaldirektor der DG Umwelt, Daniel Calleja Crespo. In der Diskussion kündigte Calleja Crespo sogar rechtliche Schritte an, falls die Mitgliedstaaten ihre selbst gesteckten Ziele und die dazu beschlossenen Gesetze nicht beachten würden.

Die Abgeordneten, darunter auch der deutsche Co-Berichterstatter Norbert Lins (CDU), forderten die vollständige Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie. Vor dem Hintergrund des derzeitigen Fitness Checks unterstrichen sie dazu insbesondere die Notwendigkeit der vollständigen und zügigen Umsetzung der Naturschutzrichtlinien und erteilten der von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vorgeschlagenen Öffnung und Neuverhandlung der Richtlinien eine klare Absage.

Link zur Halbzeitbewertung der EU-Kommission vom 02. Oktober 2015, inklusive Kurzfassung und Pressemitteilung:

http://ec.europa.eu/environ ment/nature/biodiversity/comm 2006/2020.htm

Kontakt

Claus Mayr ­arbeitet als Direktor für Europapolitik des NABU in Brüssel. Er berichtet in dieser Kolumne regelmäßig über wichtige euro­päische Entwicklungen.

Claus.Mayr@NABU.de

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