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Weidetiere als Auslöser von dynamischen Prozessen und als Vektoren – ein Überblick

„Lebender Biotopverbund“ in Weidelandschaften

Abstracts

Bis vor gut 200 Jahren beweideten Haustiere des Menschen Waldflächen genauso wie Grünlandbiotope. Damit waren Waldbiotope stark durch Weideinflüsse geprägt, die heute starren Grenzen zwischen Wald und Offenland durchlässig. Im Offenland sind reine Mähwiesen erst seit rund 200 Jahren verbreitet.

Vor diesem Hintergrund beschreibht der Beitrag die Bedeutung von Beweidung als Treiber dynamischer Prozesse in der Kulturlandschaft beschrieben. Weiterhin wirken Weidetiere als Vektoren für die Ausbreitung von Pflanzen- und Tierarten – ein Beitrag zum Biotopverbund, der in der heutigen Kulturlandschaft im Vergleich zu früheren Jahrhunderten nur noch eine marginale Rolle spielt. Weidelandschaften sind aus diesen Gründen in Biotopverbund-Konzepten künftig viel stärker als bisher zu gewichten.

‘Living ecological networks‘ in pasture landscapes. Grazing animals as triggers for dynamic processes and as vectors – an overview

Up until about 200 years ago domestic animals grazed both forests and grassland biotopes. The grazing strongly influence the woodland biotopes with a permeable border between forest and open habitats. Mowed grasslands in the open landscape have only become common about 200 years ago. Against this background the paper describes the significance of grazing as trigger of dynamic processes in the cultural landscape. Further the grazing animals function as vectors for the dispersal of plant and animal species – a contribution to the connection of biotopes that has become marginal in the present cultural landscape ­compared to earlier centuries. The role of pasture landscapes in ecological networks needs much higher estimation.

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1 Einleitung

Extensive Beweidung gilt zwar zunehmend als ein wichtiges Instrument, um Naturschutzziele im Grünland zu erreichen. Für die Erhaltung typischer Grünland-Lebensräume ist eine extensive landwirtschaftliche Nutzung unverzichtbar (z.B. Gerowitt et al. 2013, Jedicke & Metzner 2012, Luick et al. 2015, Metzner et al. 2010). Dennoch findet Beweidung innerhalb des Naturschutzes vielfach keine ausreichende Akzeptanz, weil nicht zwischen verschiedenen Formen und Intensitäten differenziert wird.

Ein Rückblick in frühere Zeit­epochen der (Kultur-)Landschaftsentwicklung zeigt, dass große Pflanzenfresser wesentliche Einflüsse auf die Ökosysteme ausübten. Diese Tatsache muss, soll der Arten- und Biotopschutz erfolgreich sein, in zukunftsfähigen Naturschutzstrategien Berücksichtigung finden.

Der vorliegende Beitrag versteht sich als Diskussionsbeitrag, der die zentrale Bedeutung von Weidetieren in Biotopverbund-Konzepten verdeutlichen soll: Er erläutert den in der früheren Kulturlandschaft über Jahrhunderte sehr viel intensiveren Einfluss von Weidetieren, er beschreibt verschiedene dynamische Prozesse, welche Weidetiere in der Landschaft auslösen, und skizziert die Funktion von Weidetieren als „Taxi“, als Vektoren für die Ausbreitung von Pflanzen- und Tierarten.

2 Rückblick in die Urlandschaft und frühere Kulturlandschaft

In der heutigen Kulturlandschaft besteht eine strikte räumliche Trennung zwischen Wald, Grünland und Acker. Noch bis vor gut 200 Jahren aber war dieses ein durchlässiges System und die Weidenutzung in Wäldern war allgemein üblich (Beispiel aus heutiger Zeit in Abb. 1). Diese aus aktueller Sicht vielfach nicht nachhaltige Landnutzung führte durch Devastierung jedoch zu heute höchst schutzwürdigen, artenreichen Lebensraumtypen wie Zwergstrauchheiden, Magerrasen und Hutewäldern als halboffene Systeme (vgl. Ellenberg & Leuschner 2010).

Weidenutzung war in Hütehaltung mit räumlichen Ortsveränderungen innerhalb eines Tages und ebenso in Systemen der Transhumanz über Tage und Wochen mit zig bis hunderte von Kilometern weiten Wanderungen verbunden (Beispiele in Bonn & Poschlod 1998: 192-194).

Während reine Mähwiesen erst seit rund 200 Jahren (kombinierte Mähweide-Typen seit 1400 Jahren) verbreitet sind (Kapfer 2010), knüpft die Beweidung an eine ­Tradition der Urlandschaft an. Bis in das Holozän hinein lebten in Mitteleuropa sehr viel mehr große Pflanzenfresser-Arten als heute (z.B. Bunzel-Drüke et al. 2008: 13): Waldelefant (Palaeoloxodon antiquitatis), Mammut (Mammuthus primigenius), Wald-,Steppen- und Fellnashorn (Stephanorhinus kirchbergensis, S. hemitochus, Coelodonta antiquitatis), Höhlenbär (Ursus spelaeus) und Riesenhirsch (Megaloceros giganteus). Diese starben erst während oder kurz nach der letzten Eiszeit aus, die vor rund 12000 Jahren endete.

Im nacheiszeitlichen Mitteleuropa spielten noch Wisent (Bison bonasus), Auerochse (Bos primigenius), Elch (Alces alces), Wildesel (Equus hydruntinus) und Wildpferd (Equus ferus) eine Rolle. Der Einfluss von Weidetieren muss also in der Urlandschaft maßgeblich gewesen sein und vermutlich wesentlich andere, differenziertere Waldbilder als heute bewirkt haben. Von den vorgenannten Pflanzenfressern sind nur Reh (Capreolus capreolus) und Wildschwein (Sus scrofa) sowie gebietsweise Rothirsch (Cervus elaphus) und Biber (Castor fiber) erhalten geblieben (vgl. Bunzel-Drüke et al. 2008: 13).

Krawczynski (2012) definiert die „potenziell natürliche Megafauna“ und kon­statiert, dass in Deutschland zusätzlich zu den vorgenannten Arten auch Wisent, Elch, Auerochse, Wildpferd (Tarpan) und Bär vorkommen müssten.

Insofern müssen Fraß und Tritt von Weidetieren (s. Abschnitt3) sowie deren Funktion als Vektoren zur Ausbreitung von Arten (Abschnitt4) langfristig wesentliche ökologische Einflussfaktoren gewesen sein, deren Tradition heute in vielen Landschaften abgebrochen oder zumindest sehr stark eingeschränkt ist: Eine lange Evolution hat zu einer Anpassung vieler Tier- und Pflanzenarten an den Weidegang großer Pflanzenfresser geführt und diese haben einen erheblichen Einfluss auf die Struktur der Landschaft gezeigt (Bunzel-Drüke et al. 2008: 13). Die Autoren fassen zusammen, dass die durch Huftiere geprägten, eng verzahnten Landschaftsmosaike aus offenen Böden, Weiderasen, Hochstaudenfluren, Röhrichten, Gebüschen, Wäldern und Sonderstrukturen wie Tränken, Suhlen und Wechseln in erster Linie diejenigen Pflanzen und Tiere förderten, die viel Licht, Wärme und aufgelockerte Vegetationsstrukturen benötigen.

Es ist mit diesem Wissen kritisch zu fragen, ob Leitbilder des Naturschutzes, gerade auch des Biotopverbunds, diese funk­tionale Rolle der Weidetiere ausreichend berücksichtigen. Dieses soll nachfolgend anhand verschiedener heute durch weidende Haustiere verursachter Wirkungen auf Ökosysteme beleuchtet werden.

3 Dynamische Prozesse durch ­Beweidung

3.1 Extensive Beweidung als Treiber dynamischer Prozesse

Schlaglichtartig wird in Abb. 2 aufgezeigt, welche Störungen (als wertneutraler Begriff der Ökologie) und dynamische Veränderungen Beweidung auslöst (zusammengefasst nach Conradi & Plachter 2001; vgl. auch Detailergebnisse in Plachter & Hampicke 2010: 109-346). Verschiedene Struktur- bzw. Habitatelemente können in der heutigen Kulturlandschaft allein bzw. in größerem Umfang nur durch ­Weidesysteme bereitgestellt werden:

eine starke raumstrukturelle Vielfalt mit Gehölzen, Säumen und besonntem (weil freigestelltem) Alt- und Totholz;

der funktionale und strukturelle Verbund, welcher genetischen Austausch und Verbreitung von Arten fördert (s. Abschnitt 4, Weidetiere als Vektoren);

Offenbodenstrukturen;

Aas und Dung als essenzielle Ressourcen für nekro- und koprophage Organismen.

Biodiversität an Aas und Dung ist gerade in Deutschland ein noch kaum bearbeitetes Forschungsfeld. Beide Ressourcen zeigen eine hohe Dynamik hinsichtlich ihres raum-zeitlichen Angebots. Zersetzungs- und Abbauprozesse, unter Betei­ligung zahlreicher darauf spezialisierter Pflanzen- und Tierarten, sind mit charakteristischen Sukzessionsabfolgen verknüpft.

Die wegweisenden Ergebnisse des Necros-Projekts an der BTU Cottbus werden 2016 in dieser Zeitschrift veröffentlicht (zu ersten Befunden s. Gu et al. 2014, Gu & Krawczynski 2012). Dabei wurden u.a. Schmetterlinge, Hautflügler, Wanzen, Heuschrecken, Zweiflügler, Springschwänze, Vögel, Säugetiere und Reptilien als Nutzer dieser Ressource nachgewiesen. An fünf Rotwild-Kadavern in Belgien wurden allein 271 verschiedene Käferarten bestimmt (Haelewaters et al. 2015). Infolge der durch strenge gesetzliche Bestimmungen in der Europäischen Union vorgeschriebenen Beseitigung von toten Tierkörpern, die gleichermaßem für Haus- und Wildtiere gilt (Krawczynski & Wagner 2008), fehlt eine entscheidende Ressource in Weideöko­systemen.

Auch zur Dungfauna liegen erst relativ wenige Arbeiten vor – drei Beispiele: Buse et al. (2013) fanden auf einer neu eingerichteten Waldweide mit Auerochsen-Rückzüchtungen bei St. Martin (Rheinland-Pfalz) im ersten Jahr der Beweidung 19 Dungkäferarten mit zwischen 58 und 562 Individuen pro Dungprobe. In einer Ganzjahres-Mischbeweidung durch Rinder und Pferde im NSG Steinbühl-Schäfergraben (Rheinland-Pfalz) wurden im siebten Jahr 17 koprophage Dungkäferarten bestimmt, davon drei bundesweit vom Aussterben bedrohte Arten, mit einem hohen Anteil parakoprider Arten, die häufig erst nach jahrzehntelanger Weidekontinuität auftreten (Buse et al. 2014). In der Rhön im Grenzbereich zwischen Bayern, Hessen und Thüringen wurden durch Menz (in Jedicke et al. 2010) drei Flächen untersucht, die insgesamt 22 Dungkäferarten aufwiesen, die artspezifisch sehr unterschiedliche Aktivitätszeiträume zeigten. Eine langjährige ganzjährige Beweidung ohne Winterpause bildet die Voraussetzung für eine artenreiche stabile Dungkäfer­zönose.

Nahrungslücken für die Dungfauna bestehen einerseits durch das Fehlen großer Pflanzenfresser in der Landschaft (sowohl Wild- als auch in vielen Gebieten Haus­tiere), sowohl in räumlicher als auch zeit­licher Hinsicht. Denn im Winter stehen kaum Tiere auf den Weiden, so dass eine Lücke im Ressourcenangebot besteht. Dabei ist die artspezifische Einnischung in bestimmte Abbaustadien des Dungs zu berücksichtigen. Zusätzlich findet durch die standardmäßig angewandte Parasitenprophylaxe in der Tierhaltung eine Re­duktion von Quantität und Qualität der Dungbewohner statt (z.B. Wardhaugh & Rodriguez-Menendez 2009).

In der Natur- und frühen Kulturlandschaft waren infolge der wie beschrieben artenreicheren Fauna großer Pflanzenfresser die Ressourcen Aas und Dung ungleich stärker verbreitet. Auch in der Epoche der weit verbreiteten Waldweide wird das der Fall gewesen sein. Das belegen historische Quellen bei Poschlod (2015: 208-211) zu Allmenden mit Huteweiden: Heute in Deutschland ausgestorbene Vogelarten wie Blauracke (Coracias garrulus), Schlangenadler (Circaetus gallicus) und Triel (Bur­hinus oedicnemus) und stark gefährdete wie der Wiedehopf (Upupa epos) kamen dort ehemals regelmäßig bis häufig vor. Blauracke und Wiedehopf ernähren sich vor allem von großen Käfern, wie sie in Dung häufig sind; der Triel frisst Insekten, Mollusken, Spinnen, Asseln und auch kleine Reptilien, der Schlangenadler fast ausschließlich Schlangen. Diese finden auf Weideflächen mit frei gehaltenen Steinen/Felsen, Offenbodenstellen und niedriger Vegetation sehr gute Habitatbedingungen.

Wenn diese Arten ebenso wie z.B. große Fledermausarten heute aus vielen Landschaften verschwunden sind, so liegt das am Fehlen ausgedehnter Weidelandschaften mit den nur durch diese bereitgestellten Ressourcen.

3.2 Einflüsse auf Quellbiotope

Nach gängiger Lehrmeinung sind Quellen von Nutzungen auszunehmen und innerhalb von Weiden auszuzäunen. Das ist jedoch nur bei intensiver Weidenutzung zielführend. In großflächig und extensiv genutzten Weiden hingegen schaffen Tritt und Verbiss durch Weidevieh eine wünschenswerte Struktur- und Artenvielfalt (Literaturüberblick bei Jedicke 2015c; Beispiel Abb. 3). Extensive Beweidung unterbricht bzw. verzögert Sukzessionsreihen, so dass in einem kleinräumigen Mosaik unterschiedliche Sukzessionsstadien nebeneinander auftreten. Sie ermöglicht auch die Ansiedlung von die Quellen beschattenden Gehölzen.

Verschiedene Pflanzenarten sind auf feuchte Offenbodenstellen angewiesen, etwa Drüsige Fetthenne (Sedum villosum, bundesweit vom Aussterben bedroht), Gersten-Segge (Carex hordeistichos, stark gefährdet, Deutschland besitzt starke Verantwortlichkeit für den Arterhalt) und Kriechender Scheiberich (Apium repens, vom Aussterben bedroht, hohe Verantwortlichkeit Deutschlands) (Barth et al. 2000). Bei Quellkraut (Gattung Montia) und Quellmoos (Gattung Philonotis) in extensiv beweidetem Grünland sind mehrere Kleinarten zu unterscheiden, deren Artentwicklung noch im Fluss ist – d.h. es besteht eine Verantwortlichkeit für den Fortgang der Evolution (Hinterlang 1994). Deren typischen Gesellschaften, Quellmieren-Quellkraut-Gesellschaft (Stellario alsines-Montietum) und Quellmoos-Quellkraut-Gesellschaft (Philonotido fontanae-Montietum), werden laut Hinterlang als Glazialrelikte durch Weidenutzung offengehalten und erhalten.

Faunistische Untersuchungen extensiv und überwiegend ganzjährig beweideter Quellen im Biosphärenreservat Rhön (Zaen­ker & Reiss 2006a, b) ergaben eine große Naturnähe und ein weit überdurchschnittliches Artenspektrum, u.a. mit dem Alpenstrudelwurm (Crenobia alpina), ein Glazialrelikt. Einige der Quellen sind durch Viehvertritt beeinträchtigt, was sich aber aufgrund der extensiven Beweidung durch Heckrinder nicht in einer – gegenüber ungestörten Waldquellen – reduzierten Artenzahl widerspiegelt, so wie es auf verglichenen Umtriebs-Weideflächen der Fall ist. Auf einer anderen Weide ergab sich ein Widerspruch zwischen der floristischen Bewertung – der Standort der Drüsigen Fetthenne benötigt eine Erhöhung der Weide­intensität (Barth et al. 2014) – und der faunistischen – Eutrophierung und Viehtritt haben die Artenvielfalt reduziert, sensible Arten wie Alpenstrudelwurm und die endemische Rhön-Quellschnecke (Bythinella compressa) konnten hier nur am Rand der Weideflächen überleben. Insofern ist es immer sinnvoll, ein Monitoring durch­zuführen.

3.3 Einflüsse auf Fließgewässer

Die gängige Meinung, Gewässer und ihre Ufer auszuzäunen, führt (gerade bei angrenzender Acker- oder intensiver Grünlandnutzung) zu artenarmen nitrophilen Hochstaudenfluren und bewirkt entscheidende Verluste an Biodiversität. Bei ausreichend großen Flächen und richtiger Steuerung ist die Einbeziehung des Fließgewässerns in extensive Beweidung, auch ganzjährig, möglich und führt zu einer verstärkten räumlichen Strukturierung (Beispiel einer durchgängig, aber extensiv beweideten Bachaue in Abb. 4).

Nach Befunden von R. Krawczynski und H.-G. Wagner (mdl. Mitt.) finden sich ähnlich den Quellen auch an beweideten Ufern Pflanzenarten und Pflanzengesellschaftwen, welche von Bodenverwundungen und hierdurch ausgelöster Dynamik profitieren bzw. auf diese angewiesen sind; ebenso Dung besiedelnde Moose und Käfer wie Wasserkäfer der Gattung Spaeridium.

4 Weidetiere als Vektoren für die Ausbreitung von Pflanzen- und Tierarten

Weidetiere transportieren in ihren Hufen, im Fell und mittels Magen-Darmpassage Diasporen über große Strecken. Besonders Schafe besitzen durch ihr dichtes und langes Fell, durch ihre Paarhufe mit Zwischenräumen und aufgrund der Physiologie ihres Magen-Darm-Trakts, welcher es vielen Samen ermöglicht, die Verdauung unversehrt zu überstehen, eine hohe Bedeutung. Dadurch, dass sie durch Tritt Bodenverwundungen bewirken und sich bei der Fortbewegung vielfach entlang von Viehwegen mit geringer Vegetationsdeckung bewegen, kommen diese Diasporen leichter in Bodenkontakt oder werden sogar in den Boden eingetreten, was je nach Art den Etablierungserfolg erhöhen kann. Weiterhin ist nachgewiesen, dass Wirbellose auf Weidetieren sitzend (als „Taxi“) über größere Distanzen transportiert werden; auch hier sind Schafe besonders wichtig: Aufgrund der Bewegung in einer kopfstarken Herde gelangen die transportioerten Individuen häufig von einem Schaf zum anderen und werden so über weitere Strecken verfrachtet (Beinlich & Plachter 2010). Beispiele aus der Auswertung von Jedicke (2015a) illustrieren die Bedeutung von Weidetieren als Vektoren:

Nach Bonn & Poschlod (1998) können mindestens 90% der Pflanzenarten des eurosibirischen Kulturgraslands (Molinio-Arrhenatheretea) und mindestens 70% der Arten der Heiden und Borstgras-Triften (Nardo-Callunetea) durch Tiere ausgebreitet werden.

Fischer et al. (1995) zählten an einem Schaf 8500 Diasporen von 57 Arten (52% des lokalen Diasporen produzierenden Arten­potenzials) und wiesen nach, dass Diasporen bis zu 100 Tage im Fell haften können. Im Fell von Galloway-Rindern bzw. Schafen wurden 29 bzw. 86 Arten gefunden, in den Hufen 41 bzw. 47 Arten und im Kot 57 bzw. 28 Arten (Gesamt­artenzahl 69 bzw. 109 Arten) (Fischer at al. 1995 und 1996, Stender et al. 1997).

Unter den Artengruppen der Fauna sind Weidetiere vor allem für die Ausbreitung von Heuschrecken wichtig: Die meisten Heuschreckenarten der Halbtrockenrasen sitzen regelmäßig auf Schafen, ein Transport einzelner Individuen wurde bis 700m weit nachgewiesen (Warkus et al. 1997).

Fang-Wiederfang-Experimente haben gezeigt, dass in der Regel <1%, aber maximal bis zu 4% der Individuen einer Heuschrecken-Population durch eine Be­weidung durch eine Schafherde „entführt“ werden können (Beinlich & Plachter 2010).

Weitere Artengruppen, die naschweislich durch Schafe transportiert werden, sind nach Fischer et al. (1995) Reptilien, Käfer, Wanzen, Spinnen und Schnecken.

Betrachtet man am Beispiel der Schafherden in Baden-Württemberg die Dimension von Nachbarschaftswanderungen (bis 25km Distanz) und regionalen Herdenwanderungen (Hornberger 1959, zit. in Bonn & Poschlod 1998), so wird mit deren heutigen Fehlen deutlich, dass in der modernen Kulturlandschaft der „lebende Biotopverbund“ durch Weidetiere nur noch äußerst eingeschränkt funktionieren kann. Beinlich & Plachter (2010) weisen darauf hin, dass vor allem für Artengruppen, die eingeschränkte Dispersionsmöglichkeiten besitzen, die Zoochorie durch Weidetiere besondere Bedeutung besitzt – wie Schnecken, flügelreduzierte Heuschreckenarten, Diasporen von Pflanzen, die keine anderweitigen morphologischen Anpassung für eine Verbreitung durch Vektoren ausgebildet haben. Daher würden (halb)nomadische Arten der Tierhaltung einen signifikanten ökologischen Prozess bewirken, welcher die Stabilität von Populationen auf Landschaftsebene gewährleisten.

Diese Funktion als Vektoren können Weidetiere umso besser ausüben, über je größere Strecken (innerhalb gleicher oder ähnlicher Habitate) sie sich bewegen. Dieser Befund spricht für die Realisierung großflächiger räumlich zusammenhängender Weideflächen (> 100ha) und für die Schaffung von Triebwegen, die die Funktion von Biotopverbundachsen übernehmen können – wobei Letzteres in der heutigen deutschen Agrarlandschaft weitgehend unrealistisch ist, wie die Schäfer aus leidvoller Erfahrung wissen.

5 Ausblick: eine neue (alte) ­Landwirtschaft?!

Landwirtschaftliche Nutzung mit Weidetieren hat über Jahrhunderte und Jahrtausende zum Teil die Einflüsse ausgerotteter großer Pflanzenfresser auf Vegetation, Fauna und Landschaften substituiert und eine hohe raum-zeitliche Prozess- und Strukturvielfalt geschaffen. Wie exemplarisch für Aas, Dung, Quellen und Fließgewässer geschildert, reduziert sich diese Vielfalt zumindest in erheblichem Maße, wenn die Weidenutzung fehlt.

In der modernen Landwirtschaft sind von dieser biotop- und landschaftsgestaltenden Wirkung nur noch marginale Reste verblieben. Soll Biotopverbund die Situation der Biodiversität verbessern, so bedarf es weit stärker als derzeit praktiziert der Berücksichtigung extensiver Weidesysteme in großer Vielfalt: großflächig-extensive und möglichst ganzjährige Beweidung, extensive Umtriebsweiden, flexible Mähweidesysteme, aber auch Heuwerbung für die Stall- bzw. Zufütterung, nicht zuletzt Einrichtung von Waldweiden sowie Reaktivierung von Triebwegen. Die enge Festlegung auf reine Mähwiesennutzung der Flachland- und Bergmähwiesen als Lebensraumtypen in AnhangI der FFH-Richtlinie (vgl. kritisch Jedicke 2015b) ebenso wie im Wiesenvogelschutz ist hinsichtlich ihrer Tradition kritisch zu hinterfragen (vgl. Abschnitt 2).

Gefordert ist eine Multifunktionalität der Landnutzung, wie es das Beispiel der Auen illustrieren kann (vgl. Reisinger 2015): Um die Einträge an Nähr- und Schadstoffen in die Gewässer zu reduzieren, wird seit vielen Jahren mit hohem Aufwand und wenig Erfolg versucht, ungenutzte Uferrandstreifen zu schaffen – und das trotz fehlender oder nur sehr geringer Wirksamkeit, solange die Acker­nutzung in den Auen unverändert bleibt. Die Einführung naturnaher ganzjähriger Weidesysteme bietet dagegen vielfältige Vorteile für Natur und Gesellschaft, ohne die Landnutzung zu verdrängen: reduzierte Einträge in das Gewässer und Grundwasser, verbesserte Schwammwirkung von Boden und Vegetation für den Hochwasserschutz, Schutz vor Bodenerosion, Förderung von Biodiversität und Erholungsfunktion, Beiträge zum Klimaschutz durch CO2-Bindung (vgl. auch Metzner et al. 2010). Dieses erfüllt auch die Anforderung aus Art.10 der FFH-Richtlinie zur Verbesserung der ökologischen Kohärenz des Schutzgebietsnetzes Natura 2000 (s. auch Buschmann & Ssymank 2014, in diesem Heft).

Dieses Beispiel verweist auf die Bedeutung der Förderpolitik: Erforderlich zur Realisierung eines Auenverbunds über extensiv genutzte großräumige Weidelandschaften ist eine langfristige finanzielle Förderung für die dauerhafte Umwandlung von Ackerland in Extensivgrünland, so dass auch biotopgestaltende Maßnahmen wie Wiedervernässung, Gewässerrevitalisierung und Schaffung von Stillgewässern umsetzbar sind.

In diesem Zusammenhang bleibt der Befund auch in der neuen Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU und deren nationaler Umsetzung der Befund aktuell, dass wiederum nicht ausreichend Anreize bestehen, das Leitbild von Weidelandschaften großräumig umzusetzen (vgl. Luick et al. 2015, Jedicke & Metzner 2012). Weide-Biotopverbund ist fachlich gesehen ein essenzieller Bestandteil jeden Biotopverbund-Vorhabens, fördertechnisch betrachtet aber vor grundlegende Schwierigkeiten gestellt. Dieses Problem ist vordringlich zu lösen.

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