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FFH-Richtlinie, EECONET und EU-Strategie zur ­Grünen Infrastruktur

Biotopverbund in der EU-Politik

Abstracts

Im Mai 2013 hat die Europäische Kommission ihre Strategie zur „Grünen Infrastruktur“ vorgelegt. Der Beitrag schildert die Genese und Hintergründe der Entstehung dieser Strategie und zeigt ihre Bedeutung zur Ergänzung der bisherigen Schutzinstrumente der EU zur Erhaltung der biologischen Vielfalt auf.

Bereits im Jahr 2001 fassten die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten in Göteborg den ambitionierten Beschluss, den anhaltenden Verlust der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010 zu stoppen. Auf dem Umweltgipfel in Johannesburg wurde im Herbst 2002 der gleiche Beschluss für die globale Ebene ver­abschiedet. In beiden Fällen vertrauten die Politiker darauf, dass die zehn Jahre zuvor in Kraft getretenen Regelungen ein aus­reichendes Instrumentarium darstellten: die Fauna-Flora-Habitat- (FFH-) Richtlinie der EU und auf globaler Ebene die auf dem Umweltgipfel in Rio im Juni 1992 beschlossene Konven­tion über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD).

Weil Zwischenbilanzen zeigten, dass die selbst gesetzten Ziele dramatisch verfehlt werden würden, beschlossen die EU-Staatschefs 2010 ein neues Biodiversitätsziel für das Jahr 2020. Die EU-Kommission wurde beauftragt, eine umsetzungsorientiertere Biodiversitätsstrategie zu entwickeln. Diese enthält sechs vorrangige Ziele, u.a. eine bessere Umsetzung bestehender Rechtsinstrumente sowie die Verbesserung des Schutzes und Wiederherstellung von Ökosystemen außerhalb von Schutzgebieten. Als einer der wesentlichen Bausteine für Ziel 2 wurde die Erarbeitung einer Strategie zur „Grünen Infrastruktur“ beschlossen, um die vorhandenen Schutzgebiete des Netzes Natura 2000 besser zu vernetzen. Sie konkretisiert auch die Artikel 3, 4 und 10 der FFH-Richtlinie. Dem kommt angesichts des Klima­wandels zunehmende Bedeutung zu.

Ecological networks in EU Policy – Habitats Directive, EECONET and EU strategy on Green Infrastructure

In May 2013 the European Commission presented the longawaited EU strategy for “Green Infrastructure” (COM(2013) 249 final). The article describes the genesis and background of the emergence of this strategy, and shows its importance on supplementing the existing protection instruments of the European Union for the Conservation of Biodiversity. At their Gothenburg summit in June 2001, heads of the EU states adopted the ambitious decision to halt the continuing loss of biodiversity by 2010. At the Earth Summit in Johannesburg the same decision at the global level was adopted in autumn 2002. In both cases, politicians trusted that the regulations which had come into force ten years earlier were sufficient to achieve these objectives: at EU level the unanimously adopted Habitats Directive (92/43/EC), on the global level the Convention on Biological Diversity (CBD), agreed at the Earth Summit in Rio in June 1992.

Midterm reviews of both instruments found that the self-imposed targets would dramatically fail. In March 2010, Heads of State decided a new biodiversity target for 2020; the European Commission was instructed to develop a new, much more implementation-oriented biodiversity strategy for the EU. This new strategy includes six priorities, inter alia better implementation of existing legal instruments, improving conservation measures, and restoration of ecosystems outside protected areas. As one of the essential building blocks to reach target 2, it was decided to adopt an EU strategy on “Green Infrastructure” to improve the links between the existing protected areas of the Natura 2000 network, as already agreed by Member States in Article 3, Article 4 and Article 10 of the Habitats Directive. The additional instrument of Green Infrastructure is of increasing importance in times of climate change.

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1 Einleitung

Die Zerschneidung von Lebensräumen ist, nach der intensiven Landwirtschaft und der anhaltenden Flächenversiegelung, nach wie vor eine der Hauptursachen des anhaltenden Verlustes von biologischer Vielfalt (Lebensräumen, Arten, genetischer Vielfalt der Arten). Dies wurde durch die Zwischenbilanz der Umsetzung der ersten EU-Biodiversitätsstrategie ebenso belegt wie durch ganz aktuelle Studien auf EU- (Europäische Umweltagentur 2015) und nationaler Ebene (Bundesamt für Naturschutz 2012, 2015).

Es bestehen daher schon lange Bemühungen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene, nicht nur Schutzgebiete für bedrohte Arten und Lebensräume einzurichten, sondern diese auch zu einem zusammenhängenden Netz zu verknüpfen. Für die EU-Ebene hat die Europäische Kommission am 06. Mai 2013 ihre lang erwartete Mitteilung zur sogenannten „Grünen Infrastruktur“ vorgelegt: „Grüne Infrastruktur (GI) – Aufwertung des europäischen Naturkapitals“ (KOM(2013) 249 final, Brüssel).

Dieser Mitteilung geht eine langjährige Diskussion voraus, denn weder wandernde Arten wie Zugvögel, Wanderfische, große Meeressäuger, Fledermäuse oder manche Insektenarten noch die Beeinträchtigung ihrer Lebensräume durch verschmutzte Gewässer oder Luftschadstoffe machen an Grenzen halt. Ihr Schutz erfordert also grenzüberschreitend abgestimmte Mindeststandards, ein Netz von Schutzgebieten, etwa zwischen den Brut- und Überwinterungsgebieten der Zugvögel, sowie eine Vernetzung dieser Gebiete („Trittsteine auf dem Vogelzug“). Dieser Gedanke findet sich bereits in den ersten Natur- und Artenschutzkonventionen Anfang des 20. Jahrhunderts, etwa dem Pariser Vogelschutzabkommen von 1902 (Wöbse 2006), sowie noch früher in visionären Planungen von Landschaftsarchitekten des 19. Jahrhunderts (z.B. „Emerald necklace“ in Boston, 1879; s.u.). Wichtige neuere Beschlüsse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die Ramsar-Konvention 1971 sowie die Bonner und Berner Konvention 1979 und natürlich die Konvention über die biologische Vielfalt (CBD 1992; Aichi targets 2010). Vogelschutz- und FFH-Richtlinie bildeten danach folgende Meilensteine auf EWG- bzw. EU-Ebene.

2 Ein Blick zurück

Der Naturschutz hat eine lange Tradition, nicht nur in Deutschland. Dazu gehört auch das Denken und Handeln in vernetzten Strukturen und Systemen, auch wenn zur Zeit der Gründung der ersten Naturschutzverbände in Europa, etwa der ­„Royal Society for the Protection of Birds“ (RSPB, 1889) und dem heutigen NABU als „Bund für Vogelschutz“ (1899), der Fokus mehr auf dem Artenschutz und dem Schutz von „Einzelschöpfungen der Natur“ lag (Mayr 2008). Doch gerade die Erkenntnis, dass der Schutz unseres gemeinsamen Naturerbes nicht nur grenzüberschreitendes Handeln, sondern vor allem auch grenzüberschreitend abgestimmte Mindeststandards sowie ein Netz von Schutzgebieten erfordert, etwa zwischen den Brut- und Überwinterungsgebieten der Zugvögel, mündete schon Anfang des 20. Jahrhunderts in den ersten Natur- und Artenschutzkonventionen. Ihre Blütezeit ent­faltete sie mit der Ramsar-Konvention 1971 sowie mit der Bonner Konvention 1979 und insbesondere der Berner Konvention, ebenfalls im Jahr 1979 beschlossen (Mayr 2004).

Die Idee der Berner Konvention, für bedrohte Arten und Lebensraumtypen in Europa ein Netzwerk von Schutzgebieten zu schaffen (Emerald Network, „Smaragdnetz“) und zudem für die in den Anhängen gelisteten bedrohten Arten einen strengen Schutz einzuführen, wurde von den Mitgliedstaaten der EU (damals noch EWG) 1979 mit der Vogelschutzrichtlinie (79/409/EWG, kodifiziert 2009/147/EG) und 1992 mit der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (92/43/EG) als verbindliches Recht verankert. Beide Richtlinien beinhalten ebenfalls die beiden Säulen Artenschutz und Gebietsschutz; die Vogelschutzgebiete nach Art. 4 Vogelschutzrichtlinie wurden gemäß Art. 7 der FFH-Richtlinie in das gemeinsame Netzwerk „Natura 2000“ überführt. Beide Richtlinien wurden von den Mitgliedstaaten einstimmig beschlossen. Die Grundlage für die EG-Vogelschutzrichtlinie wurde sogar bereits im ersten Umweltaktionsprogramm (UAP) im Jahr 1973 gelegt, in dem sich die Mitgliedstaaten darauf verständigten, ein Rechtsinstrument zum Schutz der Zugvögel zu entwickeln.

In diesen Konventionen und EG- bzw. EU-Richtlinien ist auch bereits die Forderung der besseren Vernetzung dieser Schutzgebiete enthalten, in der FFH-Richtlinie explizit in den Art. 3 und 4 („Kohärenz“). In Art. 10 der FFH-Richtlinie verpflichten sich die Mitgliedstaaten explizit zur „Verbesserung der ökologischen Ko­härenz von Natura 2000“. Dazu sollen sie sich insbesondere bemühen, „die Pflege von Landschaftselementen, die von ausschlaggebender Bedeutung für wildlebende Tiere und Pflanzen sind, zu fördern“. Dieser Artikel fand zwar seit der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes 2002 Eingang in nationales Recht (aktuell § 20 BNatSchG), wurde aber von den Bundesländern bislang kaum umgesetzt.

Interessanterweise kann man das Thema in der Landschaftsarchitektur sogar bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen, als in den USA unter anderem Frederick Law Olmstead propagierte, verbundene Systeme von Parks und Grünzonen böten für Mensch und Natur Vorteile gegenüber isolierten Grünflächen. Als konkretes Beispiel sei auf das „Emerald Necklace“ verwiesen, mit dem Olmstead zunächst ab 1878 begann, den Gemeindepark von Boston mit dem Franklin-Park zu verbinden. Dieses „Smaragdkollier“ erstreckt sich heute auf über elf Kilometer von Boston bis Brooklin, stellt einen wichtigen Grünzug und Naherholungsgebiet für über 300000 Menschen sowie ein Rast- und Brutgebiet für Zugvögel dar (Jongman & Pungetti 2004).

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden auch in Deutschland erste Konzepte zu einer Grünplanung, insbesondere in urbanen Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet oder im Großraum Berlin. So legte Robert Schmidt 1912 Grundsätze für einen Generalsiedlungsplan vor, auf dessen Grundlage in den 1920er-Jahren der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk systematisch zwischen den Städten so genannte regionale Grünzüge anlegte. 1915 legte Martin Wagner ein Konzept vor, wie in Berlin notwendiges Grün innerhalb des Stadtgebietes verteilt werden sollte. Im gleichen Jahr gelang es, einen großflächigen Waldgürtel langfristig zu sichern. Konrad Adenauer setzte als damaliger Oberbürgermeister von Köln in den 1920er-Jahren durch, das der ehemalige Festungsring nach den Plänen des Hamburger Stadtplaners Fritz Schumacher in die Parkanlagen des noch heute bestehenden „Grüngürtel“ umgewandelt wurde.

Alle diese Konzepte bzw. Maßnahmen entstanden im Kontext der „Hygienepolitik“, die Maßnahmen sowohl der Sozialpolitik (Gesundheit bzw. Naherholung) als auch der Verbesserung der Umweltbedingungen (Luftreinhaltepolitik, Artenschutz, Nah­erholung etc.) kombinierte (Frohn 2009).

Doch während das Thema in der Landschafts- und insbesondere in der Stadt­planung in Nordamerika seit den 1980er-Jahren „Fahrt aufnahm“ und etwa von der Environmental Protection Agency (EPA) massiv beworben und praktiziert wurde, fand es zwar wie geschildert in naturschutzrechtliche Vorgaben Eingang, wurde in der Praxis aber nur unzureichend umgesetzt. So wurde etwa auch in Deutschland die Verpflichtung zur Herstellung eines Biotopverbunds erst 2002 in das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) übernommen, obwohl das Thema auch in der deutschen Fachliteratur seit den 1980er-Jahren intensiv diskutiert wurde (z.B. ­Jedicke 1990). Die Umsetzung in den ­Ländern ist bis heute sehr lückenhaft.

Auf EU-Ebene gab es bis auf die rechtlich abstrakten Vorgaben in Art. 3 (Einrichtung von Schutzgebieten, Pflege und ökologisch richtige Gestaltung der Lebensräume in und außerhalb von Schutzgebieten, Wiederherstellung zerstörter und Neuschaffung von Lebensstätten) und Art. 4 („ein zusammenhängendes Netz“) der EG-Vogelschutzrichtlinie (79/409/EWG, kodifiziert 2009/147/EG) sowie in Art. 6 und 10 der FFH-Richtlinie (92/43/EG) keine weitergehenden Vorgaben – obwohl gerade in den letzten Jahren die Schaffung von Verbundstrukturen als wichtige Maßnahme zur Anpassung an den Klimawandel diskutiert und gefordert wird (z.B. Mayr 2010, Europäische Kommission 2013 b).

3 Die EECONET-Konferenz 1993

Im November 1993 wurde auf der EECONET-Konferenz in Maastricht, Niederlande, die so genannte EECONET-Deklaration verabschiedet, um den Prozess zur Herstellung ökologischer Netzwerke in der EU und anderen Staaten Europas zu beschleunigen. EECONET steht für „European Ecological Network“. Über die Grenzen der EU-Mitgliedstaaten hinaus ist in anderen Ländern Europas, insbesondere den Vertragsstaaten der Berner Konvention, auch der Begriff PEEN (Pan European Ecological Network) geläufig. Maastricht war bewusst als Veranstaltungsort gewählt worden, weil in dieser Stadt in Grenznähe zu Deutschland, 30km westlich von Aachen, mit der Verabschiedung des Maastrichter Vertrages 1992 die Europäische Union aus der Taufe gehoben wurde. Die Tagung wurde von Teilnehmern aus 31 europäischen Staaten und 26 international tätigen Organisationen besucht, darunter BirdLife International, Dachverband des NABU.

Eckpunkte der künftigen Arbeit sollten gemäß der Deklaration die Identifikation und Ausweisung von Kerngebieten zum Erhalt von Lebensräumen und Arten, von Trittsteinen, die Wiederherstellung geschädigter und Schaffung neuer Gebiete für Ausbreitung und Migration von Arten, die Schaffung von Pufferzonen um Kerngebiete und Wanderkorridore sowie die Verbesserung der Umweltqualität der Gesamtlandschaft sein. Zur Beschleunigung der Umsetzung dieser Ziele und Ideen wurde in Maastricht auch eine Stiftung gegründet, der „EECONET Action Fund“.

4 Von der neuen EU-Bio­diversitäts­strategie bis zur Strategie zur Grünen Infrastruktur

Dennoch sollte es auf EU-Ebene noch 13Jahre zur Konkretisierung der auf der EECONET-Konferenz formulierten Ziele dauern. In konkreter Forum fanden sie sich in der neuen EU-Biodiversitätsstrategie vom Mai 2011, mit der das von den Staats- und Regierungschefs im März 2010 verabschiedete Ziel erreicht werden soll, bis 2020 den weiteren Verlust an biologischer Vielfalt zu stoppen und geschädigte Ökosysteme wieder herzustellen. Wie bereits kurz dargelegt, wurde bei den Überprüfungen der ersten EU-Biodiversitätsstrategie in den Jahren 2008 bis 2009 („midterm review“) deutlich, dass das von den EU-Staatschefs 2001 in Göteborg beschlossene Ziel, bis zum Jahr 2010 den weiteren Verlust an biologischer Vielfalt zu stoppen, verfehlt würde (Mayr 2010b). Daher forderten das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten die EU-Kommission auf, zur Konkretisierung und Operationalisierung des neuen, im März 2010 von den EU-Staatschefs und im Oktober 2010 auf internationaler Ebene (CBD COP10) beschlossenen 2020-Ziels, eine neue EU-Strategie zum Schutz der biologischen Vielfalt zu erarbeiten.

In dieser im Mai 2011 vorgelegten und im Herbst des gleichen Jahres vom Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten bestätigten Strategie wurde, neben der besseren Umsetzung der vorhandenen Rechtsinstrumente und der besseren Integration in andere Politikbereiche wie Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, erstmals auch ein Wiederherstellungsziel für degradierte Lebensräume und ihre Ökosystemleistungen verankert (Mayr 2011). Unter dem zweiten von sechs prioritären Zielen wird als konkrete Maßnahme 6b wörtlich festgehalten: „Die Kommission wird bis 2012 eine Strategie für grüne Infrastrukturen entwickeln, um die Nutzung derartiger Infrastrukturen in städtischen und ländlichen Gebieten der EU zu fördern, auch durch Anreize für Vorab-Investitionen in grüne Infrastrukturprojekte und die Erhaltung von Ökosystemdienstleistungen, beispielsweise durch gezieltere Verwendung von EU-Mitteln und öffentlich-private Partnerschaften“ (Europäische Kommission 2011).

In Umsetzung dieses Arbeitsauftrages hat die Europäische Kommission am 6. Mai 2013 endlich ihre lang erwartete Mit­teilung zur Grünen Infrastruktur vorgelegt. Leider bleibt das Papier mit dem Titel ­„Grüne Infrastruktur (GI) – Aufwertung des europäischen Naturkapitals“ wenig ambitioniert und sehr unkonkret. Es gibt aber immerhin einen guten Überblick über Gründe und Notwendigkeiten zur Förderung des Konzepts der „Grünen Infrastruktur“, gerade angesichts des durch die TEEB-Studien massiv gewachsenen Wissens über den Wert von Ökosystemleistungen (Europäische Kommission 2013). Zudem bietet die Mitteilung hilfreiche Informationen über die Hintergründe und Definitionen von „Grüner Infrastruktur“ und stellt übersichtlich die Bezüge und Notwendigkeiten zur Integration des GI-Konzeptes in andere Politikbereiche der EU wie Klimaschutz, Regionalpolitik, Landwirtschaft, Gewässerschutz, Bodenschutz, Naturschutz und Raumplanung dar.

Wichtig sind auch die Vorschläge zur Einbeziehung von GI-Aspekten in die Förderprogramme der EU, etwa die GAP, Kohäsionsfonds, Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), Horizont 2020, den Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF) sowie LIFE. In entsprechenden Textboxen der einzelnen Kapitel werden Beispiele für die Vorteile von Grüner Infrastruktur, etwa für das Stadtklima, die Anpassung an den Klimawandel und den Hochwasserschutz, sowie beispielhafte Projekte zu GI-Maßnahmen auf landwirtschaftlich genutzten Flächen und zur Vernetzung von Schutzgebieten vorgestellt.

Das Konzept der grünen Infrastruktur wird dabei auch den bisherigen Konzepten für „graue Infrastruktur“, etwa die transeuropäischen Netze für Verkehr (TEN-T) und Energie (TEN-E), gegenübergestellt und ein gleichwertiges Instrument zur Schaffung grüner Infrastruktur (TEN-G) vorgeschlagen. In Kapitel 4 finden sich konkrete Aussagen und Zeitangaben, bis wann welche Aspekte bearbeitet werden sollen: Bis Ende 2013 will die Kommission „technische Leitlinien für die Einbeziehung von GI-Aspekten in die Durchführung“ der oben genannten relevanten Politikbereiche für den Zeitraum 2014 bis 2020 entwickeln. Zudem soll die Wissensbasis zu GI verbessert und innovative Ansätze gefördert werden. Wichtig ist auch die Aussage, dass geprüft werden soll, wie GI-Konzepte in die Finanzierungskonzepte für die transeuropäischen Energie- und Verkehrsnetze integriert werden können.

5 Zeitplan zur Umsetzung der neuen EU-Strategie

Wie dargestellt, findet sich in der Strategie ein relativ konkreter Zeitplan. So sollten bis Ende 2013 von der EU-Kommission „technische Leitlinien für die Einbeziehung von GI-Aspekten in die Durchführung“ der oben genannten relevanten Politikbereiche für den Zeitraum 2014 bis 2020 entwickelt werden. Bis 2014 soll sich die Kommission gemeinsam mit der Europäischen Inves­titionsbank (EIB) um zusätzliche Finan­zierungsmöglichkeiten für GI-Projekte privater Projektträger bemühen. Bis 2015 will die Kommission die Datengrundlage und die Bereitstellung von Daten verbessern, und insbesondere „eine Studie durchführen, um die Möglichkeiten für eine TEN-G-Initiative der EU zu untersuchen“ und dabei auch die „wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Vorteile einer solchen Initiative“ zu bewerten. Bis Ende 2017 will die Kommission „den Stand der Entwicklung von GI-Projekten prüfen und einen Bericht über die bis dahin gewonnenen Erfahrungen sowie Empfehlungen für künftige Maßnahmen veröffent­lichen“.

Angesichts der Tatsache, dass das Konzept der Grünen Infrastruktur schon seit spätestens Mitte der 1980er-Jahre intensiv diskutiert wird und dass die Mitgliedstaaten sich mit der einstimmigen Annahme der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie schon 1992 zur Verbesserung der ökologischen Kohärenz des Natura-2000-Netzes verpflichtet hatten, klingt dies allerdings weder ambitioniert noch innovativ. Andererseits fehlte bislang ein EU-weiter Ansatz; nur einige Mitgliedstaaten wie Großbritannien, Deutschland ( § § 21 und 22 BNatSchG, Bundesprogramm Wiedervernetzung) und die Niederlande (Entschneidungsprogramme, „ontsnippering“) haben bislang erste Initiativen gestartet. Hinsichtlich der Schaffung Grüner Infrastruktur in ausgeräumten Agrarlandschaften belegt diese Mitteilung auch, wie wichtig als erster Schritt die Koppelung eines Teils der Direktzahlungen an die Ausweisung von ökologischen Vorrangflächen auf den landwirtschaftlichen Betrieben ist, auch wenn die jetzt im Rahmen des Triloges zwischen Parlament, Rat und Kommission vereinbarten 5 % ab 2015 weit hinter den langjährigen Forderungen von Ökologen zurückbleiben (etwa Jedicke 1990).

6 Ausblick

Die zügige Abarbeitung der genannten Schritte ist zudem der durch die Europawahlen im Mai 2014 seit etwa der zweiten Jahreshälfte 2013 festzustellenden Verlangsamung der Arbeit von EU-Kommis­sion, Parlament und Ministerrat an nicht bindenden Legislativinstrumenten zum Opfer gefallen.

Im Rahmen ihres REFIT-Programms (Regulatory Fitness and Performance) zur Deregulierung und Verschlankung des EU-Rechtes veröffentlichte zudem noch die „alte“ EU-Kommission unter José Manuel Barroso im Februar 2014 ihr Mandat für den sogenannten „Fitness Check“ der Vogelschutz- und Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Dabei sollen die Effektivität der Richtlinien, ihre – auch finanzielle – Effizienz, die Kohärenz mit anderen Rechtsvorschriften, die Relevanz bzw. Notwendigkeit sowie der Mehrwert für EU-weit geltende Rechtsgrundlagen überprüft werden.

Während „Fitness Checks” bislang ein üblicher, faktenbasierter und ergebnisoffener Vorgang waren, wie etwa bei der Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG), gewann der „Fitness Check“ für die EU-Naturschutzrichtlinien nach den Neuwahlen des Europaparlamentes im Mai 2014 und der Bildung der neuen EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker im Herbst 2014 erheblich an Brisanz. Juncker beauftragte den neuen Kommissar für Umwelt und Fischerei, Karmenu Vella, in seinem „mission letter“ vom September 2014 nicht nur mit einem „review“ der Richtlinien, sondern mit der Prüfung hinsichtlich des „Potenzial[s] einer Zusammenlegung und Entwicklung zu einem modernen Stück Gesetzgebung“ (Mayr 2015).

Angesichts der sich bei einigen Mitgliedstaaten und Interessengruppen bereits abzeichnenden Begehrlichkeiten zur Schwächung der Richtlinien und zur Änderung ihrer Anhänge (Mayr 2015) könnte dies in einem mehrjährigen Diskussionsprozess zur Rettung der beiden Richtlinien als zentrale Säulen zur Erreichung des 2020-Zieles resultieren, in dem Fortschritte an weitergehenden, die Richtlinien und insbesondere das Netz Natura 2000 ergänzenden Maßnahmen unterbleiben. Dies ist auch insofern problematisch, als sich in Zusammenhang mit dem massiven Ausbau der Windenergie zunehmend zeigt, dass der Fokus für erfolgreichen Naturschutz sich nicht nur auf die vorhandenen Schutzgebiete und ihre bessere Vernetzung durch terrestrische Verbundstrukturen etwa in der agrarisch genutzten Kulturlandschaft beschränken darf. Schon das erste „Helgoländer Papier“ (Länder-Arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten 2007) wies darauf hin, dass auch der Schutz bzw. die Freihaltung von Zugvogelkorridoren wieder stärker in den Blick genommen werden muss, was die EU-Strategie zur Grünen Infrastruktur nicht leistet. Hier sind im Interesse eines naturverträglichen Ausbaus der erneuerbaren Energien zusätzliche Steuerungsinstrumente erforderlich, wie aktuelle Beispiele belegen. Etwa der Nationalpark Eifel, dessen als Natura-2000-Gebiete geschützten Hochflächen aufgrund des zwischen den Kommunen nicht gesteuerten Planungsprozesses zunehmend von Windparken „umstellt“ werden, die für die wertgebenden Arten wie Rotmilan und Schwarzstorch massive Gefahren darstellen (Beirat des Nationalpark Eifel 2015; vgl. Abb. 2).

Daher bleibt zu hoffen, dass das Europäische Parlament und der Umweltministerrat, die die Bedeutung von Grüner Infrastruktur und der Notwendigkeit einer entsprechenden EU-Strategie in der Vergangenheit mehrfach betont haben, die Initiative der Kommission weiter unterstützen und auch die Konkretisierung und Finanzierung voranbringen. Zudem dürfen weder die Naturschutzrichtlinien der EU den Attacken im Rahmen des „Fitness Check“ zum Opfer fallen oder substantiell geschwächt werden, noch darf die Grüne Infrastruktur als zusätzlicher wichtiger neuer Baustein zum Schutz der biologischen Vielfalt durch diesen Diskussionsprozess weitere Verzögerungen erfahren. Im Gegenteil sind Parlament, Rat, amtlicher und privater Naturschutz gleichermaßen gefordert, die sich aus der neuen Strategie ergebenden Chancen und Herausforderungen zu nutzen, im Zuge neuer Erkenntnisse fortzuentwickeln, und vor allem konkret umzusetzen. Im Sinne der Berner Konvention sollte der Biotopverbund auch auf europäischer Ebene, also über die Grenzen der EU-Mitgliedstaaten und das Natura-2000-Netzwerk hinaus, verbessert sowie die Schutzgebiete als Kernzonen dieses Verbunds und die verbindenden Strukturen besser gesichert und gemanagt werden.

Dank

Für kritische Kommentare und Ergänzungen danke ich meinen Kollegen Prof. Klaus Werk, BBN, Dr. Hans-Werner Frohn, Stiftung Naturschutzgeschichte, Jochen Schumacher, Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen, und Dr. Manfred Aletsee, NABU-Naturschutzstation Aachen.

Literatur

Beirat des Nationalpark Eifel (2015): Positionspapier des Beirats des Nationalparks Eifel zur Ausweisung von Windkraftkonzentrationszonen und den Bau von Windkraftanlagen in der Umgebung des Nationalparks Eifel. 7 S.

Bennett, G. (ed., 1994): Conserving Europe’s Natural Heritage: Towards a European Ecological Network. United Kingdom, ISBN 1-85966-090-8.

Bundesamt für Naturschutz (Hrsg., 2012): Daten zur Natur 2012. Landwirtschaftsverlag, Münster.

– (2015): Artenschutzreport 2015. Tiere und Pflanzen in Deutschland. Bonn, 64S.

Europäische Kommission (2011): Lebensversicherung und Naturkapital: Eine Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr 2020. KOM(2011) 244 endgültig, Brüssel.

– (2013a): Grüne Infrastruktur (GI) – Aufwertung des europäischen Naturkapitals. KOM(2013) 249 final, Brüssel.

– (2013b): Guidelines on Climate Change and Natura 2000. Dealing with the impact of climate change on the management of the Natura 2000 Network of areas of high biodiversity value. Brüssel, 104 Seiten.

Europäische Umweltagentur (2015): Die Umwelt in Europa: Zustand und Ausblick 2015: Syn­thesebericht. Kopenhagen, 208S.

Frohn, H.-W. (2009): Das Stiefkind der Bewegung: Sozialpolitischer Naturschutz und die Bemühungen um Erholungsvorsorge 1880 bis 1969. In: Frohn, H.-W., Rosebrock, J., Schmoll, F., Hrsg., „Wenn sich alle in der Natur erholen, wo erholt sich dann die Natur?“, Naturschutz und Biologische Vielfalt 75, 39-124.

Jedicke, E. (1990): Biotopverbund: Grundlagen und Maßnahmen einer neuen Naturschutzstrategie. Eugen Ulmer, Stuttgart.

Jongman, R.H.G., Pungetti, G. (eds., 2004): Ecological networks and greenways – concept, design, implementation. Studies in landscape ecology, Cambridge University Press, Cambridge (UK).

Länder-Arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (2007): Abstandsregelungen für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten. Berichte zum Vogelschutz 44, 151-153 (aktualisiert „Neues Helgoländer Papier“, bestätigt von den Umweltministern von Bund und Ländern am 22. Mai 2015).

Mayr, C. (2004): 25 Jahre EG-Vogelschutzrichtlinie in Deutschland – Bilanz und Ausblick. Natur und Landschaft 79 (8), 364-370.

– (2008): Vom regionalen Vogelschutzbund zum „Global Player“ für den Schutz der biologischen Vielfalt. Die Entwicklung des privaten Naturschutzes am Beispiel des NABU. In: Erdmann, K.-H., Löffler, J., Roscher, S., Hrsg., Naturschutz im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung – Ansätze, Konzepte, Strategien, Naturschutz und Biologische Vielfalt 67, 133-143.

– (2010a): Bilanz der Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie und Forderungen zur Verbesserung des Vogelschutzes aus Sicht des NABU. In: Boye, P., Vischer-Leopold, M., Paulsch, C., Ssymank, A., Beulshausen, F., Bearb., Drei Jahrzehnte Vogelschutz im Herzen Europas: Rückblick, Bilanz und Herausforderungen, Naturschutz und Biologische Vielfalt 95, 39-54.

– (2010b): Neuer EU-Rettungsplan für die biologische Vielfalt. Tagungsbericht. Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (8), 253-254.

– (2011): Neue EU-Strategie zur Rettung der biologischen Vielfalt. Naturschutz und Landschaftsplanung 43 (6), 162.

– (2013): Mitteilung der Kommission zu Grüner Infrastruktur endlich erschienen. Naturschutz und Landschaftsplanung 45 (6), 162-163.

– (2015): Fitness Check nimmt Fahrt auf. Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (3), 66.

Official Journal of the European Union (1992): Council Directive 92/43/EEC of 21 May 1992 on the conservation of natural habitats and of wild fauna and flora.

– (2010): Directive 2009/147/EC of the European Parliament and of the Council of 30 November 2009 on the conservation of wild birds (codified version).

Wöbse, A.-K. (2006): Naturschutz global – oder: Hilfe von außen. Internationale Beziehungen des amtlichen Naturschutzes im 20. Jahrhundert. In: Frohn, H.-W., Schmoll, F., Hrsg., Natur und Staat, Staatlicher Naturschutz in Deutschland 1906-2006, Naturschutz und Biologische Vielfalt 35, 625-727.

Weblinks

Mitteilung der EU-Kommission KOM(2013) 249 final, „Grüne Infrastruktur (GI) – Aufwertung des europäischen Naturkapitals“ und zu weiteren Hintergrundinformationen, Studien und Praxisbeispielen: http://ec.europa.eu/environment/nature/ecosystems/index_en.htm

Unterlagen der EECONET-Konferenz (Conserving Europe’s Natural Heritage: Towards a European Ecological Network) und zum EECONET Action Fund: http://www.eeconet.org/eaf/network/

Informative und gut strukturierte Seite der amerikanischen Umweltagentur EPA zu Grüner Infrastruktur: http://water.epa.gov/infrastructure/greeninfrastructure/index.cfm

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