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Aktuelles aus Brüssel

Die Diskussion um die ­Naturschutz­richtlinien nimmt an Schärfe zu

Die öffentliche Online-Konsultation der EU-Kommission zur Zukunft von Vogelschutz- und Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie endet zwar erst am 24. Juli, und nicht eher als im Oktober will die Kommission ihre ersten Schlussfolgerungen aus der Befragung der Mitgliedstaaten, der Industrie, der Umwelt- und Nutzerverbände und der EU-Bürger vorstellen. Dennoch nimmt die Diskussion um die Richtlinien, ihre mögliche Öffnung, „Modernisierung“ oder gar Zusammenlegung, wie vom neuen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker schon in seinem Arbeitsauftrag an Umweltkommissar Karmenu Vella im September letzen Jahres formuliert, massiv „Fahrt auf“. Und auch die Stimmen der Kritiker der Richtlinien und ihrer Anhänge nehmen zu.

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Natur und ihre Bedeutung für den Menschen („Nature – our health, our wealth“) stand im Mittelpunkt der diesjährigen „Green Week“ Anfang Juni in Brüssel. Unter anderem wurde dort noch einmal ausführlich der aktuelle Bericht zum Zustand der Natur in der EU („The State of Nature in the EU“) vorgestellt und diskutiert, den die EU-Kommission und die Europäische Umweltagentur (EEA) am 20. Mai veröffentlicht hatten (Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (6): 164). Im Vorwort der auf der Green Week dazu verteilten Broschüre lobt Umweltkommissar Vella die Richtlinien und ihre Erfolge: „Taken together, the EU Birds and Habitats Directives represent the most ambitious and large-scale initiative ever undertaken to conserve Europe’s natural heritage. As this brochure shows, well-targeted conservation actions deliver substantial results ... Whilst limited progress may appear to have been made so far, the assessment shows that EU nature legislation has been fundamental in stemming the further decline of Europe’s most vulnerable species and habitat types, in spite of the ever-increasing demand for land and resources.

Abschließend spricht Vella sich dafür aus, den eingeschlagenen Kurs beizubehalten und die Umsetzung der Richtlinien zu verbessern, insbesondere das Management der Natura-2000-Gebiete: „We will have to wait a little while longer to witness the full fruits of all our hard labour, but much of the groundwork has now been laid, enabling us to concentrate wholeheartedly on ensuring that the Natura 2000 network – one of Europe’s greatest success stories – is managed effectively for the benefit of all”.

Bei der offiziellen Eröffnungsveranstaltung der Green Week am 03. Juni waren allerdings vom obersten Vizepräsidenten der EU-Kommission, Frans Timmermans, ganz andere Töne zu hören: Er versicherte den anwesenden Naturschutzexperten aus allen EU-Staaten zwar ebenfalls, er wolle die hohen Schutzstandards im Natur- und Artenschutz beibehalten. Zugleich sprach er sich aber klar für eine Öffnung der Richtlinien und ihre „Modernisierung“ aus. Er widersprach den Umweltverbänden, die befürchten, dass diese Öffnung und „Modernisierung“ nach einem mehrjährigen politischen Beratungs- und Entscheidungsprozess zwischen Kommission, Ministerrat und Europäischem Parlament zu einer Schwächung der Richtlinien und Kürzungen ihrer Anhänge führen könnte.

Immerhin nahm er zur Kenntnis, dass sich am sogenannten „Nature Alert“ ( http://www.naturealert.eu ) von etwa einhundert Umweltverbänden aus der gesamten EU bis zu diesem Zeitpunkt schon über 187000 Menschen beteiligt hatten – die größte bisher gemessene Beteiligung an einer Online-Konsultation der EU. Leider widersprach Umweltkommissar Vella dem obersten Vizepräsidenten nicht – vielleicht eine Folge der von Juncker eingeführten strikten Hie­rarchie, nach der die sechs Vizepräsidenten der Kommission und oder oberste Vizepräsident Gesetzesinitiativen der „normalen“ Kommissare wie Vella blockieren können (Naturschutz und Landschaftsplanung 46 (10): 294).

Stattdessen warnte Patricia Zurita, Generaldirektorin von BirdLife International, davor, die Richtlinien aufzumachen. Dies setze Jahrzehnte harter Arbeit, den Dialog zwischen den Beteiligten und die durch zahlreiche Urteile erzielte Rechtsklarheit auf‘s Spiel. Die EU-Richtlinien seien die besten Naturschutzgesetze der Welt und Vorbild für andere Regionen. Sie müssten allerdings noch besser umgesetzt und ihre Umsetzung in den Mitgliedstaaten noch besser kontrolliert werden. Im Hinblick auf den Erfolg des „Nature Alert“ forderte sie Timmermans auf, den Willen der EU-Bürger nach hohen Umweltstandards zu respektieren. Der Fitness Check der Naturschutzrichtlinien sei der „Moment der Wahrheit“.

Wie schon in der letzten Brüssel-Kolumne (Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (6): 162) am Beispiel des Deutschen Bauernverbands (DBV) dargestellt, hat am 15. Juni auch der Deutsche Jagdverband (DJV) in einer Pressemeldung („Erstickt der Naturschutz an seinen Erfolgen? Europäisches Naturschutzregime zu unflexibel“) scharfe Kritik an den Naturschutzrichtlinien geübt. Am Beispiel des Bibers in Brandenburg fordert er, Arten wie den Biber aus dem strengen Schutz des Anhangs IV der FFH-Richtlinie zu entlassen und zudem die Richtlinie mit größerer „Flexibilität“ auszustatten.

Offenbar ist dem DJV, wie vielen Interessengruppen von Naturnutzern, nicht bewusst, dass man die Richtlinien und ihre Anhänge nicht nur gezielt öffnen kann, um einige wenige vermeintlich „problematische“ Tierarten vom strengen Schutz auszunehmen. Es bedarf daher noch viel Überzeugungskraft seitens all derer, die die Richtlinien verteidigen wollen, Organisationen wie dem DJV klarzumachen, dass eine Öffnung der Richtlinien im Rahmen der generellen Deregulierungstendenz der EU-Kommission und etlicher Mitgliedstaaten wie Großbritannien und den Niederlanden zu einer massiven Absenkung der Naturschutzstandards führen könnte. Eine solche wollen auch die Nutzerorganisationen wie DBV und DJV laut ihrer Presseverlautbarungen ausdrücklich nicht!

Mit der Kampagne „Nature Alert“ kämpft EU-weit eine breite Allianz von Umweltverbänden gemeinsam gegen die Öffnung, Zusammenlegung und Schwächung der EU-Naturschutzrichtlinien. Noch bis zum 24. Juli können sich alle Bürgerinnen und Bürger der EU auf diese Weise an der online-Konsultation der EU-Kommission beteiligen: http://www.naturealert.eu.

Claus Mayr, NABU, Direktor Europapolitik, Brüssel, Claus.Mayr@NABU.de

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