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Aktuelles aus Brüssel

Fitness Check – jetzt müssen wir alle Farbe bekennen!

Am 30. April hat die Europäische Kommission ihre bereits seit längerem angekündigte öffentliche Konsultation zum „Fitness Check“ der Naturschutzrichtlinien gestartet. Bis zum 24. Juli haben jetzt alle Bürgerinnen und Bürger in den Mitgliedstaaten der EU die Gelegenheit, Position zu beziehen: Wie wichtig ist ihnen der Naturschutz? Brauchen wie EU-weite Mindeststandards wie die beiden Richtlinien? Was muss passieren, um die biologische Vielfalt noch besser zu schützen und das von den EU-Staatschefs im März 2010 beschlossene Ziel zu erreichen, bis zum Jahr 2020 den weiteren Verlust an biologischer Vielfalt zu stoppen und geschädigte Ökosysteme, soweit möglich, wieder herzustellen?

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Angesichts der zunehmenden Drucks aus einigen Mitgliedstaaten, aber auch mehreren einflussreichen Lobbygruppen aus Industrie und Landnutzerverbänden (Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (5): 130-131) ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen „Farbe bekennen“. Es gilt, sich für eine bessere Umsetzung des bewährten Naturschutzrechts der Europäischen Union aussprechen, statt eine mögliche Schwächung der Naturschutzrichtlinien und eine Öffnung ihrer Anhänge zuzulassen, die am Ende des politischen Prozesses zwischen EU-Kommission, Parlament und Rat stehen könnten.

Inzwischen konkretisieren sich auch die Forderungen der Agrarlobby nach Schwächung der Richtlinien. Waren die Forderungen des Deutschen Bauernverbands (DBV) und seiner Partnerorganisationen aus den Niederlanden und Flandern Anfang April noch recht allgemein gehalten, hat der DBV seine Kritik an den Richtlinien am 12. Mai konkretisiert und „12 Forderungen zum ‚Fitness-Check‘ von Natura 2000“ präsentiert. Dabei verkennt der DBV allerdings, dass die Landwirtschaft EU-weit immer noch der Hauptverursacher des Artensterbens ist, was erst im März 2015 durch die umfangreiche Bilanz der Euro­päischen Umweltagentur nochmals eindrucksvoll bestätigt wurde (Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (4): 98). Zudem blendet der DBV ebenso, wie schon in Heft 5/2015 für Teile der Jagdpresse dargelegt, die Entstehungsgeschichte der Vogelschutz- und FFH-Richtlinie aus, wenn er u.a. kritisiert, „Versprechen“ gegenüber den Landwirten seien nicht eingehalten worden.

Beide Richtlinien wurden jeweils erst nach einem mehrjährigen Diskussions- und Beratungsprozess von den EU-Mitgliedstaaten – beide einstimmig – beschlossen, in den die Landwirtschaftsverbände selbstverständlich ebenso einbezogen waren wie die Jagdverbände, Privatwaldbesitzer und Umweltverbände, die sich alle sowohl zu den Inhalten der Richtlinien als auch zu deren Anhängen äußern konnten. Bei den Verhandlungen ab 1973 bis zur Verabschiedung der EG-Vogelschutzrichtlinie im Jahr 1979 hatte der DBV sogar die beste Position aller Verbände, da für Deutschland das Bundeslandwirtschaftsministerium federführend war. Das Bundesumweltministerium wurde erst 1986 nach Tschernobyl geschaffen und koordinierte den deutschen Beitrag zur FFH-Richtlinie, die die Mitgliedstaaten 1992 verabschiedeten.

Die Kritik des DBV, bei „der Umsetzung von Natura 2000 findet durchgängig keine Abwägung mit wirtschaftlichen Belangen statt, so wie es die EU-Richtlinien vorsehen“, weist auf Defizite bei der nationalen Umsetzung hin, die nicht den Richtlinien angelastet werden können. Einer der zentralen Unterschiede zwischen Natura-2000-Gebieten und Naturschutzgebieten nach nationalem Recht besteht ja gerade darin, dass in Natura-2000-Gebieten nach eingehender Prüfung bestimmte Nutzungen zulässig sein können, sofern sie dem Schutzzweck nicht zuwiderlaufen.

Die in der Vergangenheit auftretenden Probleme in Einzelfällen sind daher nicht in den EU-Richtlinien begründet, sondern in ihrer teilweise unzureichenden und schleppenden Umsetzung vor Ort. So sind für etwa die Hälfte der Natura-2000-Gebiete in Deutschland seit Jahren die Managementpläne überfällig, in denen mit allen Naturnutzern klare Regelungen zur Pflege der Gebiete vereinbart werden sollen – einer der Gründe des seit Februar 2015 anhängigen Vertragsverletzungsverfahrens der EU-Kommission gegen Deutschland.

Bei den „12 Forderungen“ des DBV fehlt auch der Ruf nach „Spielräumen“ nicht, „um Arten aus den Anhängen der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie entlassen zu können“. Ähnliche Stimmen kamen in den letzten Monaten auch wieder aus dem Europäischen Parlament.

Vor diesem Hintergrund ist die Initiative des deutschen Europaabgeordneten Stefan Eck zu begrüßen, der mit seiner niederländischen Kollegin Anja Hazekamp (Europäische Linke) am 14. April zum Beginn der Zugvogeljagd auf Malta die Anfrage an die EU-Kommission gestellt hat, weshalb die Vogeljäger auf Malta immer noch Tausende von bedrohten Vögeln, insbesondere Wachteln und Turteltauben, auf ihrem Frühjahrszug in die Brutgebiete abschießen dürfen. Man darf auf die Antwort von EU-Umweltkommissar Karmenu Vella, der ja bekanntlich aus Malta kommt, gespannt sein. Denn das Problem ist noch lange nicht vom Tisch, wie die aktuellen Pläne der rumänischen Regierung zeigen, nach maltesischem Vorbild ebenfalls die Vogeljagd im Frühjahr zuzulassen, obwohl sich alle Mitgliedstaaten mit der EG-Vogelschutzrichtlinie verpflichtet haben, Zugvögel bei ihrem Rückzug in die Brutgebiete von der Jagd zu verschonen. Denn der bessere, grenzüberschreitende Schutz unserer Zugvögel als gemeinsames Naturerbe war eines der wesentlichen Motive, weshalb die Mitgliedstaaten (der damaligen „EWG“) schon im 1. Umweltaktionsprogramm 1973 die Entwicklung entsprechender gesetzlicher Regelungen beschlossen, woraus 1979 die EG-Vogelschutzrichtlinie resultierte.

Kaum auszudenken, was eine „Öffnung“ der EU-Naturschutzrichtlinien, hier insbesondere der Vogelschutzrichtlinie, für unsere Zugvögel bedeuten würde, wenn sich die Vogeljäger aus Südeuropa mit ihren Forderungen durchsetzen könnten!

Link zur öffentlichen Konsultation zum Fitness Check der Naturschutzrichtlinien (30.04. bis 24.07.2015), Startseite in Englisch, Fragebogen auch in Deutsch (button „Access to the questionnaire“):

http://ec.europa.eu/environment/consultations/nature_fitness_check_en.htm

Link zur NABU-Website mit Hintergrundinformationen zum Fitness Check: http://www.NABU.de/Naturschaetze

Claus Mayr, NABU, Direktor Europapolitik, Brüssel, Claus.Mayr@NABU.de

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