Landschaftsplanung und Umweltentwicklung – was ist 2015 aktuell?
„Update 2015. Landschafts- und Umweltentwicklung“ war Anfang März eine Tagung des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekten (bdla) in Kassel überschrieben. Ein Wagnis, thematisch so breit angelegte Werkberichte aus der Praxis und Know-how aus den Hochschulen anzubieten – aber die Rechnung ging auf: Rund 90 Teilnehmer(innen) erhielten einen hoch aktuellen Überblick dessen, was gerade an Themen und Entwicklungen aktuell ist – ein Update ihres Wissens quasi. Naturschutz und Landschaftsplanung war Medienpartner der Tagung.
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Tagung des bdla in Kassel
„Grüne Infrastruktur“ ist eine geplante Strategie der Europäischen Kommission, mit der sie das europäische Naturkapital erhalten und Ziele der Strategie „Europa 2020“ erreichen will. bdla-Präsident Till Rehwaldt (Dresden) ging in seinem Eröffnungsvortrag auf Definitionen der grünen Infrastruktur ein und stellte diesen sein eigenes Verständnis gegenüber: ein multifunktionales, heterarchisch organisiertes (gleichberechtigt nebeneinander bestehendes) Netzwerk landschaftlicher und urbaner Freiräume. Ökologische und soziale Ansprüche seien dabei im Sinne einer multifunktionalen Flächennutzung zu verknüpfen. Genauso selbstverständlich wie die graue Infrastruktur müsse auch die grüne als Pflichtaufgabe der Kommunen, Länder und des Bundes als unverzichtbarer Bestandteil öffentlicher Versorgungssysteme akzeptiert werden. Rehwaldt äußerte die Hoffnung, dass nach Zusammenführung von Naturschutz, Bau und Stadtentwicklung in einem Bundesministerium auch die Städtebauförderung grüner wird – z.B. mit Förderungen für grün-blaue Bänder zwischen Stadt und Umland.
Rasanter Landschaftswandel
Wie rasch und gravierend derzeit der Landschaftswandel in Deutschland abläuft, illustrierte Prof. Dr. Cathrin Schmidt (Institut für Landschaftsarchitektur, TU Dresden) in ihrem Vortrag zum Umgang mit Transformationsprozessen und Entwicklungspotenzialen von Kulturlandschaften. Bereits etwa 11 % der Fläche Deutschlands bezeichnete sie als „Windenergielandschaften“ (abgegrenzt anhand ihrer Sichtbarkeit) – im Vergleich zu 13,8 % urbanen und suburbanen Kulturlandschaften. Regional seien die Erneuerbaren Energien sehr unterschiedlich verteilt. Rund ein Drittel der Landschaften sei durch technogene Elemente (einschließlich Bebauung) geprägt – doch dieser Prozess laufe rasant weiter und werde „zu noch ganz anderen Ergebnissen führen“.
Als Transformationslandschaften bezeichnete Schmidt Gebiete mit (sehr) hohem Landschaftswandel. Dieses sei kein punktuelles, sondern ein flächenhaftes Thema, welches im Zeitraffer-Tempo ablaufe. Die eigene Wahrnehmung dieser Veränderungen hänge – das hätte die Diskussion um die Windenergie gezeigt – stark davon ab, ob man selbst daran mitgewirkt habe. Anhand einer Karte zum Transformationsdruck zeigte sie, das bis 2030 (innerhalb einer einzigen Generation) etwa zwei Drittel der gewohnten Landschaftsbilder der Bundesrepublik in ihren Grundzügen verändert würden – kumulativ durch Erneuerbare Energien, Siedlungs- und Infrastruktur sowie Netzausbau. Planung und aktive Gestaltung seien nötiger denn je, um „Abfalllandschaften“ zu vermeiden und die Vielfalt an Landschaften zu erhalten. Es gelte, die Eigenart von Landschaften fortzuschreiben, ohne zu historisieren – keine leichte Aufgabe.
Eine stärkere Ästhetisierung der Landschaftsplanung forderte bdla-Vizepräsident Stephan Lenzen, Landschaftsarchitekt in Bonn. Er wünsche sich eine stärkere Zusammenarbeit von Landschafts- und Objektplanern, auch innerhalb des Verbandes. Das führte zu einer Diskussion um die Ausbildung: Das gesamter Bachelor-Studium beider Fachrichtungen sollte gemeinsam absolviert werden und acht statt nur sechs Semester dauern, um eine fundierte und ausreichend breit angelegte Ausbildung zu erzielen, hieß es.
Von ÖSL zu „naturbasierten Lösungen“
Das Konzept der Ökosystemleistungen (ÖSL) stellte Dr. Christian Albert (Institut für Umweltplanung an der Leibniz Universität Hannover und UFZ-Department Umweltpolitik, Leipzig) vor. Es solle die Beiträge von Ökosystemen zum menschlichen Wohlergehen beschreiben und ähnele damit dem in der Landschaftsplanung lange etablierten Begriff der Landschaftsfunktionen. Zusätzlich betrachteten ÖSL aber die tatsächliche Inanspruchnahme von Leistungen und den daraus gewonnenen Nutzen für den Menschen. Damit böte das Konzept für Naturschutz und Landschaftsplanung neue Informationen über Natur und Landschaft, die bestehende Erfassungen und Bewertungen sinnvoll ergänzen könnten: Es würden neben der Angebots- auch die Nachfrage-Seite sowie die durch ÖSL erzeugten Güter berücksichtigt (wie landwirtschaftliche Erzeugnisse, die auf der natürlichen Ertragsfähigkeit beruhen). Das könne die Ziele der Landschaftsplanung politisch stärken und Synergien mit Landschaftsnutzern fördern. Allerdings bestehe die Gefahr, ökonomische Aspekte zu sehr in den Vordergrund zu rücken.
Albrecht erwartet jedoch keine breite Einführung des Konzepts, welches einen erheblichen Ressourcenbedarf auslösen würde. Kritisch zu evaluieren wäre die entsprechende Ergänzung der bestehenden Informationen in der Landschaftsplanung. Dazu bedürfe es der Entwicklung praktikabler Methodenstandards. Er sehe indes eher in den „naturbasierten Lösungen“, verankert u.a. im EU-Forschungsrahmenplan, ein sich weiter entwickelndes Forschungsfeld: So werden z.B. beim Klimaschutz Leistungen von Ökosystemen genutzt, um THG-Emissionen zu reduzieren und Kohlenstoffspeicher zu fördern.
Stromtrassen und Hochwasser
Neue Stromtrassen als Konsequenz einer veränderten Energiepolitik beleuchtete Uwe Herrmann (BHF Landschaftsarchitekten, Kiel). Die bestehenden Netzlängen bezifferte er mit 35 000 km Übertragungsnetz (Höchstspannung), 76 000 km Verteilnetz (Hochspannung) sowie 1,7 Mio. km Ortsnetz, bestehend aus 500 000 km Mittel- und ca. 1,2 Mio. km Niederspannung. Bis zum Jahr 2022 sollten gemäß Netzentwicklungsplan 3 800 km Trassen neu gebaut sowie 4 400 km bestehende Trassen optimiert werden. Aus gesetzlichen Regelungen ließen sich verschiedene Planungsgrünsätze ableiten: möglichst gestreckter, geradliniger Verlauf; Bündelung mit vorhanden linienförmigen Infrastrukturobjekten; Umgehung von Siedlungsbereichen, besonders Wohngebäuden; Einbinden der Leitungstrasse in das Landschaftsbild unter Berücksichtigung der topographischen Verhältnisse; Platzierung der Masten unter Berücksichtigung agrarstruktureller Belange; Meidung von Natur- und Landschaftsschutzgebieten, Natur- und Kulturdenkmalen, FFH- und Vogelschutzgebieten; Berücksichtigung faunistischer Belange; Vermeidung neuer Nutzungskonflikte. Ausführlich ging Herrmann auf die Bearbeitung der verschiedenen Schutzgüter ein. Im Vergleich zur Straßenplanung bestünden für Umweltplaner bessere Einflussmöglichkeiten, weil abknickende Leitungen technisch kein Problem darstellten.
Hochwasservorsorge als Aufgabe der Raum- und Landschaftsplanung skizzierte Reinhold Hierlmeier (BGHplan, Trier), getrennt für die Maßstabsebenen von Regionalplan, Flächennutzungs- und Landschaftsplan, Bebauungsplan und Bodenordnungsverfahren für die Flächenvorsorge. Maßnahmen zur Stärkung des natürlichen Wasserrückhalts seien in der Regel multifunktional und kosteneffektiv – sie unterstützten die Ziele von Wasserrahmen- und Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie ebenso wie Natura 2000. Methodisch beschrieb er drei Bausteine:
Erfassung potenzieller Hochwasserbeiträge aus der Fläche und Ableitung von Maßnahmen zur Verbesserung des natürlichen Hochwasserrückhalts;
Ermittlung defizitärer Gewässer und Auen bzgl. des natürlichen Hochwasserrückhalts und Ableitung von Verbesserungsmaßnahmen;
Bewertung der Hochwasserrelevanz des Wegesystems und Ableitung von Maßnahmen zur Reduzierung der wegebedingten Abflussverschärfung.
Trends auf Bundesebene
Bernhard Gillich (bdla-Fachsprecher Landschaftsplanung und BGHplan Trier) gab einen Überblick aktueller rechtlicher und fachlicher Entwicklungen: Novellierung des UVP-Gesetzes (seit Mitte 2014 in Kraft), zweiter Entwurf der Bundeskompensations-Verordnung, Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 des BMUB, das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz (mit dem neuen Element der Ausschreibung von Fotovoltaik-Förderung, die ab 2017 auch für Windräder gilt – derzeit bestehe eine hohe Nachfrage nach Verfahren gemäß Bundesimmissionsschutzgesetz), Leitungsbau (Stagnation aufgrund politischen Streits), Energiespeicher.
Weiter ging er ein auf Umweltbaubegleitung als wachsendes Aufgabenfeld (mit der Tendenz der Beschränkung auf den Arten- und Biotopschutz und separater Vergabe anderer Sektoren, jedoch solle das Aufgabenfeld zusammengehalten werden), das von der Bundesregierung bis Mitte 2015 geplante Grünbuch „Grün in der Stadt“, HOAI-Novelle (Änderung insbesondere des kritischen § 31 zur Honorierung des Landschaftspflegerischen Begleitplans sei nicht absehbar), die Überarbeitung des Handbuchs für die Vergabe und Ausführung von freiberuflichen Leistungen im Straßen- und Brückenbau (werde zeitnah eingeführt), Verfahrens- und Genehmigungsmanagement als wachsendes Aufgabenfeld, Gewässerentwicklung (zunehmend als Querschnittsaufgabe mit Freiraumplanung, Naturschutz, Erholung und Städtebau verstanden), das nationale Hochwasserprogramm (102 geplante Projekte bundesweit). Der „Parforceritt“ durch die Themen zeigte, dass das Berufsfeld mit vielfältigen Aufgaben in Veränderungen begriffen ist – und es ständiger Weiterbildungen der Praktiker bedarf.
Den zweiten Veranstaltungstag startete Prof. Dr. Dr. Andreas Mengel (Fachgebiet Landschaftsentwicklung, Umwelt- und Planungsrecht an der Universität Kassel) mit einer Beschreibung der Zieldimensionen von Naturschutz und Landschaftspflege und deren Umsetzung in der seit 2010 geltenden Novelle des BNatSchG. Er trennte in einer zweidimensionalen Matrix zwischen Handlungsgegenständen – Luft/Klima, Wasser, Boden/Geotope, Pflanzen/Tiere, Biotope/Freiräume sowie Landschaften – auf der einen und Handlungszwecken mit drei Zieldimensionen auf der anderen Seite: Diversitätssicherung als Zieldimension 1 sei begründungslos und frage nicht nach einem Zweck; dabei gehe es um den Erhalt typologischer Einheiten als natürliches und kulturlandschaftliches Erbe in den genannten Handlungsgegenständen. Dagegen fragten die beiden anderen Zieldimensionen nach konkreten Leistungen oder Funktionen: nach materiell-physischen Funktionen bzw. nach immateriellen Funktionen des Erlebens und Wahrnehmens von Natur und Landschaft. Der Gesetzgeber habe, so Mengel, zwar diese Grundstruktur abgebildet, aber nicht vollständig in ihrer gesamten Begrifflichkeit. In der Eingriffsregelung sei es noch bei den alten Begriffen geblieben.
Landnutzungsdynamik fordert die Planer
Über die Entwicklung der Landschaftsrahmenplanung referierte Martin Janotta (Fugmann Janotta – Büro für Landschaftsarchitektur und Landschaftsentwicklung, Berlin). An Bedeutung gewachsen seien Themen wie Erneuerbare Energien, die aktive Steuerung von naturschutzfachlichen Maßnahmen (z.B. durch Zusammenführen von teilfachlichen Planungen) sowie die Kooperation mit Fachplanungen. Er sprach sich für eine Stärkung des LRP als vorbereitendes Instrument aus – die Diskussion zeigte aber, dass zwar einerseits z.B. in Niedersachsen flächendeckend eine neue Plangeneration angestrebt wird, in Hessen dagegen die LRP auch vom Ministerium nicht mehr gewünscht werde.
Planerischen Außenbereichsschutz trotz Privilegierung und anhaltendem Nutzungsdruck erläuterte Edith Schütze (faktorgruen, Freiburg) anhand von Windkraftanlagen, Gewächshäusern, Tierhaltungsanlagen und Biomasse (privilegiert) sowie Fotovoltaik und Weingütern (nicht privilegiert). Die Bedeutung der Flächennutzungsplanung im Außenbereich steige derzeit u.a. durch Ausbau der Erneuerbaren Energien, landwirtschaftliche Intensivierung und „Eventisierung“ im Freizeitbereich.
Beispiele aus der aktuellen Rechtsprechung zu Windenergieanlagen und Artenschutz stellte Rechtsanwalt Johannes Bohl (Bohl und Kollegen, Würzburg) vor. Aktuelle Fragen würden vielfach allein aufgrund des drei- bis vierjährigen Zeitverzugs noch nicht beantwortet, erklärte er. Die Anordnung eines Schlagopfer-Monitorings sei nicht möglich, weil hierfür keine Rechtsgrundlage bestehe – die Tötung als etwaiger Rechtsverstoß könne ein Monitoring zudem nicht verhindern. Es fehle an einer (unter)gesetzlichen Regelung für Art und Umfang der Bestandsaufnahme sowie zur Erfassung und Bewertung der Einzelwirkungen. Wenn ein begründeter „Anfangsverdacht“ bestehe, dass bestimmte Arten vorkommen oder Flugrouten betroffen sein könnten, so könne der Richter eine behördliche Untersuchung verlangen – die Verwaltung könne dann nicht ihre „Einschätzungsprärogative“ geltend machen, das Vorrecht der eigenen Einschätzung, die nicht durch Gerichte überprüfbar ist.
Kein einheitlicher Standard für WEA
An das Thema schloss Kerstin Berg (Bielfeldt + Berg, Hamburg) mit einer Vorstellung von Praxisleitfäden für Windenergie und Avifauna an, deren landesspezifische Gestaltung das Spannungsfeld zwischen Fachexpertise und politisch Gewolltem erkennen lasse. Den „Wirbel“ um das in Naturschutz und Landschaftsplanung in Auszügen abgedruckte „Helgoländer Papier“ verstehe sie nicht – schließlich habe der Niedersächsische Landkreistag wesentliche Aussagen des Papiers schon 2014 in seine Richtlinie übernommen. Die für 13 Bundesländer vorliegenden Leitfäden zur Avifauna und/oder Winderlasse unterschieden sich deutlich, ein Standard sei nicht erkennbar. Berg wünschte sich, dass sich die Praxis weniger mit der Legitimierung der Tötung als mit den Inhalten des Zielsystems befasse. Was außer Praxisleitfäden dringend nötig sei, fasste sie in folgenden Punkten zusammen:
Weichenstellung auf der richtigen Ebene: Nur in der Regionalplanung könnten kumulative Wirkungen erfasst werden; der Landschaftsrahmenplan sei dazu ein notwendiges und geeignetes Instrument.
Orientierung im Dschungel der zunehmenden Komplexität: Es brauche Praxisleitfäden plus eine öffentlich zugängliche Datenbank zu neueren Forschungsergebnissen und aktueller Rechtsprechung.
Spielräume und Grenzen: Hilfreich wäre eine geringere gerichtliche Kontrolldichte durch eine höhere naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative.
auskömmliches Honorar und transparente Vergabeverfahren.
In zwei Tagen erhielten die Planerinnen und Planer mit der Tagung tatsächlich ein „Update“ auf den aktuellen Stand der Entwicklungen in der Landschaftsplanung. Eine solche Tagung sollte in mindestens zweijährigem Turnus zur Pflichtveranstaltung für die Profession werden.
Prof. Dr. Eckhard Jedicke, Bad Arolsen
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