Arbeit der EU-Kommission im Fokus
Die Auseinandersetzung um das geplante Arbeitsprogramm der EU-Kommission für 2015 hat sich in den letzten Wochen unvermindert fortgesetzt, nur unterbrochen von der Weihnachtspause. Kurz nach Redaktionsschluss der letzten Ausgabe hat der oberste Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, am 16. Dezember 2014 im EP-Plenum die Pläne mit einer Streichungsliste von etwa 80 Gesetzesvorhaben vorgestellt. Er erntete damit massive Kritik von allen Fraktionen im Europäischen Parlament, mit Ausnahme der Konservativen (EVP).
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Nur einen Tag später sprachen sich auch die Umweltminister der Mitgliedstaaten einstimmig gegen die Streichung der Gesetzespakete zur Verbesserung der Luftreinhaltung („Air Quality Package“, in der Streichliste Nr. 37) und zur Kreislaufwirtschaft („Circular Economy Package“, Nr. 38) aus, sondern forderten die weitere Verhandlung auf der Basis der bestehenden Entwürfe. Dem Versprechen Timmermans im Parlament, er werde statt des bisherigen Kreislaufwirtschaftspaketes bis Ende 2015 einen „besseren und ambitionierteren Vorschlag“ vorlegen, traute in Parlament und Rat kaum jemand. Selbst führende Sozialdemokraten im EP, also seine Parteifreunde, beschwerten sich über seinen abgehobenen, präsidialen Stil und seine Uneinsichtigkeit.
Seit Mitte Dezember haben die Parlamentarier zudem an Resolutionen zum Arbeitsprogramm der Kommission gearbeitet, wie dies auch in den Vorjahren üblich war. Noch vor Weihnachten zeichnete sich dabei allerdings bereits ab, dass die Mehrheit der EVP unter Führung von Manfred Weber (CSU) eine kritische Resolution und Kritik an „ihrem“ Kommissionspräsidenten vermeiden wollte. In der Folge lagen Anfang Januar insbesondere von den Grünen, aber auch von den Liberalen und Sozialdemokraten als Koalitionspartner der EVP, kritische Resolutionsentwürfe vor. Neben der geplanten Rücknahme der Gesetzespakete zu Luft und Kreislaufwirtschaft rügten die Abgeordneten auch die geplanten Streichungen im Sozialbereich. Die Sozialdemokraten rügten in ihrem Resolutionsentwurf (Nr. 59 und 60) auch den Umgang der EU-Kommission mit dem Parlament, der den Versprechen von Kommissionspräsident Juncker für mehr Transparenz, Loyalität, Vertrauen, Kooperation und Fairness zwischen den EU-Institutionen widerspreche; eine schallende Ohrfeige für Juncker und Timmermans.
Noch mit Schreiben vom 07. Januar versuchten die Umweltpolitiker, darunter auch die der EVP, eine gemeinsame Resolution gegen die Streichungspläne zu erzielen. Der Vorsitzende des Umweltausschusses, der Konservative Giovanni La Via aus Italien, plädierte in einem Schreiben an den Vorsitzenden der Konferenz der Ausschussvorsitzenden, Jerzy Buzek, ebenfalls Konservativer, vehement für die Beibehaltung der Pakete zur Luftreinhaltung und Kreislaufwirtschaft. Er wies nochmals darauf hin, dass es beim Paket zur Verbesserung der Luftqualität darum gehe, die trotz der bisherigen Vorschriften immer noch 400000 vorzeitigen Todesfälle/Jahr zu verhindern.
Für das Kreislaufwirtschaftspaket hatten sich in den letzten Monaten wiederholt auch Industrieverbände und kommunale Spitzenverbände stark gemacht, da sie sich davon wirtschaftliche Vorteile in Milliardenhöhe und Hunderttausende neue Arbeitsplätze versprechen. Leider konnten die Umweltpolitiker sich in der EVP nicht durchsetzen, bei der Abstimmung im EP-Plenum am 15. Januar 2015 in Straßburg fand sich keine Mehrheit für eine gemeinsame Resolution gegen die Streichungspläne der Kommission. Immerhin erhielten aber einzelne, wichtige Textabschnitte aus den Resolutionen der Grünen, Liberalen und Sozialdemokraten eine Mehrheit und wurden zumindest auch von einzelnen EVP-Abgeordneten unterstützt. Nach der erzwungenen Kehrtwende im Fall der Plastiktüten eine zweite „Schlappe“ für Timmermans.
Da sich somit nach dem Umweltministerrat in seiner Sitzung am 17. Dezember 2014 auch eine deutliche Mehrheit der Europaabgeordneten gegen die Rücknahme der Gesetzespakete ausgesprochen hat, erwartet die Mehrheit der Parlamentarier, aber auch die Umweltverbände und weitere gesellschaftliche Gruppen, dass Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans zu seinem tags zuvor im Parlament gegebenen Versprechen steht, die geplante Rücknahme der Gesetzentwürfe noch einmal zu überprüfen. Dies scheint auch aus juristischer Sicht geboten. Anfang Januar meldete sich eine Gruppe führender europäischer Umweltjuristen („Avosetta Group“) zu Wort, die nicht nur inhaltliche, sondern auch juristische Zweifel anmelden, ob die Kommission überhaupt das Recht zur Zurücknahme der schon im Verfahren befindlichen Gesetzesvorhaben habe. Zudem ist beim Europäischen Gerichtshof ein Verfahren (C-409/13) des Rates gegen die Kommission wegen der Streichung eines älteren Gesetzesvorhabens anhängig.
Nach dem klaren Votum der Umweltminister unter italienischer Ratspräsidentschaft wird sich auch der Rat unter lettischer Präsidentschaft hiermit weiter intensiv befassen und dafür Sorge tragen müssen, dass die EU-Kommission nicht zugunsten vermeintlicher kurzsichtiger Wirtschaftsinteressen bewährte Umweltstandards der EU „über Bord wirft“. In diesem Zusammenhang ist auch der geplante „Fitness Check“ der EU-Naturschutzrichtlinien (Vogelschutz- und Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie) zu sehen. Die EU-Kommission plant hierzu im Frühjahr 2015 eine öffentliche Konsultation, zudem wird das Thema auf der diesjährigen „Green Week“ im Juni diskutiert. Auch hier muss die Ratspräsidentschaft mit dazu beitragen, dass der „Fitness Check“ zu einer Verbesserung der Umsetzung der Naturschutzrichtlinien in den Mitgliedstaaten führt und ein Abbau von Umweltstandards verhindert wird.
Für Mitte April ist ein gemeinsamer informeller Rat der Umwelt- und Energieminister zum Thema Biodiversität in Zusammenhang mit erneuerbaren Energien und Versorgungssicherheit geplant. Im Vorfeld des Treffens der Naturschutz-Direktoren der Mitgliedstaaten in Riga soll am 26./27. Mai eine Konferenz zur „Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie bis 2020“ stattfinden.
Link zur Streichliste des Arbeitsprogramms der Kommission für 2015:
http://ec.europa.eu/atwork/pdf/cwp_2015_withdrawals_de.pdf
Genereller Link zu den Plänen der EU-Kommission:
http://ec.europa.eu/atwork/key-documents/index_en.htm
Übersicht über die lettische Ratspräsidentschaft: https://eu2015.lv/de
Claus Mayr, NABU, Direktor Europapolitik, Brüssel, Claus.Mayr@NABU.de
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