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Aktuelles aus Brüssel

Tauziehen um die Juncker-Kommission: Parteienproporz vor Umweltschutz?

Der im Sommer gewählte Präsident der künftigen EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, hat am 10. September die designierte EU-Kommission und seine Pläne für die nächsten fünf Jahre vorgestellt (wir berichteten in der letzten Ausgabe an dieser Stelle). Bereits am Folgetag protestierten die großen zehn europäischen Umweltverbände (Green 10), die EU-weit immerhin mehr als 20 Millionen Mitglieder und Unterstützer repräsentieren, gegen diese Pläne. Die Umweltverbände kritisierten, dass die geplante Struktur der neuen Kommission, die Arbeitsaufträge („mission letters“) an die einzelnen Kandidaten sowie die Auswahl der Kommissarinnen und Kommissare eine massive Herabstufung des Klima- und Umweltschutzes sowie des Schutzes unseres europäischen Naturerbes darstellen.

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Weder das in der Europa-2020-Strategie verankerte Grundprinzip der Nachhaltigkeit noch das erst im letzten Herbst vom Europäischen Parlament und Ministerrat verabschiedete 7. Umweltaktionsprogramm (7. UAP, Naturschutz und Landschaftsplanung 46 (1), 2014: 2) seien in den Ressortzuständigkeiten der geplanten Vizepräsidenten der Kommission oder im Arbeitsauftrag des Umweltkommissars verankert. Nach einem Proteststurm von Briefen der Green 10 an die Europaabgeordneten, unterstützt von Schreiben der nationalen Partnerorganisationen, stellten sich Mitte September viele Abgeordnete vor allem aus dem EP-Umweltausschuss, und kurz vor Beginn der Anhörungen der Kandidaten im EP auch EP-Präsident Martin Schulz, hinter die Kernforderungen der Verbände.

In der Folge unterstützten auch die Bundesregierung sowie etliche Industrieverbände die Forderungen. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks wies in einem Brief an Juncker vom 29. September 2014 auf die Bedeutung der nachhaltigen Entwicklung, der „Green Economy“ und des im Januar 2014 in Kraft getretenen 7. UAP für die Arbeit des künftigen Umweltkommissars hin. Wie Hendricks betonten auch etliche Industrieverbände, etwa eine Gruppe von Netzbetreibern, die „Renewables Grid Initiative“ (RGI, vgl. Naturschutz und Landschaftsplanung 43 (12), 2011: 354), dass die von Juncker im Arbeitsauftrag für den designierten Umweltkommissar vorgesehene „Prüfung“ der eventuellen Zusammenlegung“ von Vogelschutz- und FFH-Richt­linie jahrelange Rechts- und Planungsunsicherheiten nach sich ziehen und damit das Gegenteil seiner Ziele wie sichere Energieversorgung und mehr Arbeitsplätze bewirken würde.

Bei den Anhörungen der Kandidaten im Parlament zwischen dem 29. September und 07. Oktober deuteten sich erste Verbesserungen an: Der maltesische Kandidat für das Amt des Umwelt- und Fischereikommissars, Karmenu Vella, wurde zwar nach seiner Anhörung im Umwelt- und Fischereiausschuss des EP am 29. September bestätigt, die Abgeordneten rangen ihm aber ein klares Bekenntnis ab, bei Verstößen gegen EU-Recht wie die Vogelschutzrichtlinie gegen sein eigenes Land genau so streng vorzugehen wie gegen jeden anderen Mitgliedstaat. Zudem verlangten die Abgeordneten, Juncker solle das 7. UAP im Portfolio von Vella und das Nachhaltigkeitsprinzip im Arbeitsauftrag des übergeordneten designierten Vizepräsidenten Jyrki Katainen (Finnland) verankern, bevor das Parlament der neuen Kommission am 22. Oktober seine Zustimmung erteilen würde.

Vor der Anhörung stieß der besonders umstrittene Kandidat für das Amt eines Klima- und Energiekommissars, Miguel Arias Canete aus Spanien, gegen den in einer Online-Petition über 550000 Menschen protestierten, seine Anteile an Ölfirmen ab. Dies sowie seine Zusagen, sich engagiert für den Klimaschutz einzusetzen, genügte den Konservativen im EP und ihrem Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber, „ihren“ Kandidaten zu bestätigen, obwohl auch viele EVP-Abgeordnete die Forderungen nach besserer Verankerung des Nachhaltigkeitsprinzips und des 7. UAP in den Mandaten der designierten Kommissare unterstützten.

Der designierte oberste Vizepräsident der künftigen Kommission, Frans Timmermans, betonte in seiner Anhörung am 07. Oktober: „Better regulation is not deregulation and cannot be obtained at the expense of social nor environmental protection. I was very clear about this.” Doch während Timmermans bestätigt wurde, fiel die von Juncker als Vizepräsidentin für das Thema „Energie­union“ vorgesehene Kandidatin Alenka Bratusek aus Slowenien bei ihrer Anhörung am 06. Oktober durch. Kurzzeitig wurde eine erneute Kandidatur des bisherigen slowenischen Kommissars Janez Potocnik diskutiert, die Sozialdemokraten schlugen eine ihrer Abgeordneten vor, Tanja Fajon. Am 10. Oktober nominierte die slowenische Regierung aber eine neue Ersatzkandidatin, Violeta Bulc, zu diesem Zeitpunkt erst seit wenigen Wochen als Ministerin in der Politik tätig.

Knapp eine Woche vor dem endgültigen Beschluss des EP-Plenums am 22. Oktober wurde am 16. Oktober allerdings bekannt, dass am 20. Oktober zwar die neue slowenische Kandidatin Violeta Bulc im Verkehrsausschuss und der slowakische Kandidat Maros Sefcovic wegen seiner neuen Zuständigkeit für die Energieunion im Industrie- und Umweltausschuss angehört werden sollten, die Aufgabenteilung zwischen Sefcovic und dem inzwischen auch für das Thema Klima zuständigen designierten obersten Vizepräsidenten der Kommission, Frans Timmermans, und Canete aber ungeklärt sei. Ob und wie Nachhaltigkeit bei Timmermans verankert wurde, war bis zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht schriftlich verifiziert; für Vella wurde bis dahin ebenfalls kein um das 7. UAP ergänztes Mandat bekannt.

Die stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokraten, Kathleen Van Brempt, versuchte die Verbände zu beruhigen. Die Green 10 haben dennoch am 16. Oktober noch einmal in einem offenen Brief an Juncker und Schulz sowie an die Vorsitzender der beiden großen Fraktionen appelliert, die ungeklärten Punkte bis zur Bestätigung der künftigen Kommission im EP-Plenum am 22. Oktober nachzubessern. Andernfalls käme dies einem Betrug an den Interessen der Bürger gleich. Zudem würde es das Miss­trauen gegenüber den EU-Institutionen weiter schüren, zumal insbesondere die Kandidatinnen und Kandidaten für die Europawahlen im Mai unisono – auch Juncker – mehr Demokratie, mehr Transparenz und mehr Engagement beim Klimaschutz versprochen hatten!

Nachtrag: Das Europäische Parlament hat der Juncker-Kommission am 22. Oktober mehrheitlich zugestimmt: mit 423 Ja-Stimmen, 209 Nein-Stimmen und 67 Enthaltungen.

Claus Mayr, NABU, Direktor Europapolitik, Brüssel, Claus.Mayr@NABU.de

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