Neue EU-Kommission vorgestellt – jetzt ist das Parlament gefragt!
Nach der Neuaufstellung des Europäischen Parlaments (EP) im Anschluss an die Wahlen im Mai, die noch vor der parlamentarischen Sommerpause erfolgte (Naturschutz und Landschaftsplanung 46(8), S.230), wollte ursprünglich auch der neue Präsident der EU-Kommission, Jean Claude Juncker, sein Team bereits im Juli vorstellen. Da viele Mitgliedstaaten aber erst sehr spät ihre Kandidatinnen und Kandidaten für die Kommissionsposten nominierten, hat sich die Bildung der neuen EU-Kommission stark verzögert. Zudem hatten die meisten Mitgliedstaaten zunächst Männer nominiert, obwohl Juncker und auch das EP im Vorfeld einen gleich hohen Frauenanteil gefordert hatten.
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Insofern werden sich auch die Anhörungen der künftigen Kommissarinnen und Kommissare durch das EP, das sogenannte „grilling“, und die Bestätigung durch das EP entsprechend verzögern. Als letzter Mitgliedstaat hat Belgien am 03. September die konservative flämische Europaabgeordnete Marianne Thyssen als Kommissarin nominiert. In Rumänien wurde der parteilose Kandidat Dacian Ciolos, bislang Agrarkommissar, nach heftigen Querelen in der rumänischen Regierung erst Ende August durch die Sozialdemokratin Corina Cretu ersetzt, die das Amt einer Kommissarin für Regionalpolitik übernehmen soll.
Nach den Gesprächen mit den Anwärtern für die Kommissarsposten hat Juncker am 10. September offiziell sein Team vorgestellt, das – vorbehaltlich der Zustimmung des EP – am 01. November 2014 die Barroso-Kommission ablösen soll. Die Vorstellung von Junckers Team und seine sehr detaillierten Arbeitsaufträge („mission letters“) an die designierten Kommissarinnen und Kommissare haben jedoch für einige Überraschungen gesorgt, auch bei langjährigen EU-Insidern.
Eine wesentliche Neuerung ist die völlig neue Struktur, die Juncker vorgeschlagen hat. Die 27 Kommissarinnen und Kommissare sind nicht mehr gleichberechtigt und entscheiden mit dem Kommissionspräsidenten gemeinsam als Kollegialorgan, etwa über einen neuen Richtlinienvorschlag. Juncker hat hier eine Zwischenebene von sechs Vizepräsidenten eingezogen, denen die „restlichen“ zwanzig Kommissare jeweils fachlich zugeordnet werden und die bereits über die weitere Behandlung eines Legislativvorschlages entscheiden können. Noch über diesen Vizepräsidenten steht der „Erste Vizepräsident“, der niederländische Juncker-Vertraute Frans Timmermans, der sogar ein Vetorecht gegenüber den von den Vizepräsidenten für gut befundenen Vorschlägen hat.
Da Timmermans Portfolio u.a. den Bürokratieabbau als Schwerpunkt enthält, fürchten die großen Umweltverbände in der EU schon aufgrund dieser Konstruktion eine mögliche Blockade jeglicher neuer Initiativen für bessere Rechtsinstrumente zum Schutz der Umwelt. Zudem ergibt sich hier auch ein Problem der von Juncker selbst in seinem EP-Wahlkampf in vielen Wahlkampfauftritten, etwa den TV-Duellen in ARD und ZDF, geforderten höheren Transparenz und Demokratisierung von EU-Entscheidungen: Vorschläge des Europäischen Parlaments, also der Vertretung der Wähler(innen) unter den EU-Institutionen, etwa für neue Rechtsakte oder EU-Strategien wie das neue 7. Umweltaktionsprogramm (Naturschutz und Landschaftsplanung 46 (1), S.2f.), wurden bisher im Kollegialorgan der Kommissare weiter behandelt. In Zukunft drohen solche Initiativen schon auf Ebene der Vizepräsidenten, spätestens aber beim „Ober-Vizepräsidenten“ Timmermans, „im Keim erstickt“ zu werden!
Auch die Ressortzuweisungen enthielten einige Überraschungen, nicht nur hinsichtlich des deutschen Kommissars Günther Oettinger, der jetzt doch nicht das – u.a. für die Freihandelsabkommen TTIP und CETA zuständige – Handelsressort bekommt, sondern für die digitale Wirtschaft zuständig werden soll, unter dem estnischen Vizepräsidenten Andrus Ansip (Digitaler Binnenmarkt). So war der von Irland vorgeschlagene Kommissar, Philip (Phil) Hogan, bis Juli irischer Umweltminister, von Insidern schon als neuer Umweltkommissar gesehen worden, zuletzt war auch die Dänin Margrethe Vestager für dieses Ressort im Gespräch. Hogan wird nach Junckers Plänen aber Kommissar für Agrarpolitik und ländliche Entwicklung, Vestager Kommissarin für Wettbewerb.
Besonders problematisch scheint aus Umweltsicht neben dem Energieressort, das jegliche Schwerpunktsetzung im Bereich Klimaschutz vermissen lässt, die Zuweisung des Umweltressorts an den Malteser Karmenu Vella sowie der neue Zuschnitt seines Ressorts mit Umwelt, Meerespolitik und Fischerei. Seit über 30 Jahren gibt es erstmals keinen eigenständigen Umweltkommissar mehr, und zudem wurde mit dieser Aufgabe ausgerechnet der Kandidat des Mitgliedstaates betraut, der seit Jahren gegen die Vorschriften der EG-Vogelschutzrichtlinie verstößt und daher vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) verurteilt wurde. Wie dieser Kommissar die Aufgabe der EU-Kommission als „Hüterin der Verträge“ wahrnehmen kann, muss sich noch erweisen.
Für Kritik sorgten zudem die detaillierten Arbeitsaufträge von Juncker an sein neues Team, insbesondere der an den designierten Umweltkommissar Vella. So soll dieser u.a. den bereits angestoßenen „fitness check“ der Naturschutzrichtlinien dazu nutzen, das „Potenzial einer Zusammenlegung und Entwicklung zu einem modernen Stück Gesetzgebung“ auszuloten. Die großen in Brüssel akkreditierten Umweltverbände (Green 10), koordiniert von BirdLife International, haben umgehend mit einem „offenen Brief“ an Juncker geantwortet und zudem die Europaabgeordneten aufgefordert, den Plänen Junckers in dieser Form nicht zuzustimmen. Die Anhörungen („grillings“) von Junckers Team beginnen Ende September und sollen bis spätestens Mitte Oktober abgeschlossen sein. Erst nach einem zustimmenden Votum des EP kann die neue EU-Kommission formal nach Artikel 17 des Vertrages über die Europäische Union ernannt werden.
Weitere Informationen:
http://ec.europa.eu/about/juncker-commission/structure/in dex_en.htm
http://ec.europa.eu/about/juncker-commission/mission/in dex_en.htm
Brief deutscher Verbände an die deutschen MdEP und Übersetzung des Green10-Papiers: http://www.nabu.de/themen/umweltpolitik/umweltpolitik allgemein/17052.html
Claus Mayr, NABU, Direktor Europapolitik, Brüssel, Claus.Mayr@NABU.de
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